Mittwoch, 10. Oktober 2012

Interviews (6)

Der Greenkeeper

„Ich habe mehr Meistertitel als der FC“

Christoph Seiler wurde 1975 in der Eifel geboren, wo er auch aufwuchs. Nach einigen Jahren als privat angestellter Elektrotechniker begann er 2006 bei der Kölner Sportstätten GmbH. Heute ist er Leiter der Abteilung Gebäudetechnik und fungiert u.a. als Head-Greenkeeper des Stadionrasens. Christoph Seiler wohnt mit seiner Frau und drei Kindern in Bad Münstereifel.
Der Mann hat einen beneidenswerten Ausblick. Denn Christoph Seilers Büro liegt direkt in der Osttribüne, mit Blick auf das gesamte RheinEnergieStadion. Und rechts neben dem PC-Bildschirm steht ein wichtiges Arbeitsutensil: ein Fernglas.

Auf dem Golfplatz ist das wertvollste Stück Rasen das Green. Worin unterscheidet es sich von einem Fußballplatz?

Dazwischen liegen Welten, sei es in Bezug auf den Aufbau, die Pflege oder den Pflanzenbestand. Auf dem Fußballplatz wird schließlich mit Stollenschuhen gegrätscht, während man den Golfplatz eher mit Samtschläppchen betritt.

Für den Laien sind diese Grünflächen ein gleichermaßen feines, irgendwie edles Zeug.

Ein Putting Green wird zum Beispiel auf 1,8 cm runtergeschnitten, während wir hier im Stadion nach DFB-Vorgabe 2,4 cm haben. Wegen der Belastung bauen wir auch eine ganz andere, reißfeste Sode mit massivem Wurzelwerk auf.

Im März tagte in Köln die internationale Greenkeeper-Gemeinde. Gibt es von Land zu Land Unterschiede bei der Rasenauswahl?

Die Behandlung hängt natürlich auch vom jeweiligen Klima ab - und ebenso vom Budget. Aber die Rasengattung ist bei allen identisch und besteht, um genau zu sein, aus 70% Lolium-Perenne und 30% Poa Partensis.

Was kann ein reicher Verein, das etwa beim SC Brühl nicht möglich wäre?

Nehmen wir direkt Bayern München: Die leisten sich vier Greenkeeper und eine Beleuchtungsanlage von 10 Units, Wert: rund 1,6 Mio. Euro. Diese Anlage simuliert einen ganzjährigen Sommer, sodass der Münchner Rasen auch an Silvester wächst.

Wie haben die Kollegen aus aller Welt Ihren Kölner Rasen beurteilt?

Der Greenkeeper von Real sagte, das sei der beste, den er in Deutschland gesehen hat. das ist natürlich eine Auszeichnung, die runtergeht wie Öl.

Haben Sie auch einmal Erfahrung mit Kritik machen müssen?

Vor drei, vier Jahren hatte es vor dem Spiel gegen Gladbach in zwei Tagen 130 Liter Niederschlag gegeben. Jeder Beteiligte sah ein, dass hier höhere Gewalt im Spiel war. Außer dem Schiedsrichter, der mich herbeizitierte und wegen des Rasenzustands zusammenfaltete. Aber inzwischen kann ich darüber lachen.

Was erlebt man als Fachmann beim Besuch von Amateurvereinen?

Ein Sportplatz wächst, wenn man nicht achtgibt, mit der Zeit in die Höhe - in zehn Jahren um rund 8 cm. Da ist der Rentner, der sich ehrenamtlich kümmert, ganz machtlos. Einmal stand ich in einem Tor, dessen Latte ich tatsächlich mit der Nase hätte streicheln können.

Entsteht so auch die leichte Wölbung von Amateurplätzen?

Auch die Profis beachten beim Platzaufbau gewisse Neigungswinkel, um das Wasser besser ablaufen zu lassen. Die DFB-Richtlinien sehen ein Gefälle von 0,8 % vor, sodass bei uns zwischen Anstoßpunkt und Seitenlinie ein Höhenunterschied von 28 cm besteht.

Nochmal zu den Bayern: Die wässern kurz vorm Match angeblich den Rasen, weil der so schlüpfriger wird und die Münchner ihre technische Überlegenheit ausspielen können. Stimmt das?

Je schneller der Ball, desto besser für technisch gute Mannschaften. Schlechtere hingegen würden möglichst stumpfen und hohen Rasen bevorzugen. Deshalb beschwert sich im DFB-Pokal so mancher Profi über den „Acker“, auf dem er irgendwo in der Provinz spielen musste.

Wie läuft in der Hinsicht die Zusammenarbeit zwischen Trainer und Greenkeeper?

Der Herr Daum hat sehr viel Wert darauf gelegt, dass hier kein Ball verspringen kann. Herr Solbakken hingegen meinte nur: Macht euren Job wie immer, dann wird das schon. Die weitaus angenehmste Zusammenarbeit hatte ich jedoch mit Herrn Schäfer. Der delegierte nicht an seine Co-Trainer, sondern kam kollegial und offen auf einen zu, wenn er ein Problem sah.

Bestimmen Sie als Greenkeeper auch die markanten Rasenmuster, die beim Mähen entstehen?

„Bestimmen“ ist das falsche Wort, denn auch das Mähen unterliegt verschiedenen technischen Gesichtspunkten. Um den Platz eben zu halten, müssen Sie die Mährichtung zuweilen ändern. Wenn Sie hingegen zehn Jahre in einer Linie fahren, kann ich Ihnen anhand des Ballverhaltens zeigen, wo Ihre Räder laufen.

Offenbar entwickelt man als Greenkeeper mit der Zeit ein geschultes Auge.

Ja, wenn ich in der Sportschau oder sonstwo nur den Rasen sehe, weiß ich schon, wo das entsprechende Spiel stattfindet.

Was bedeutet es für Sie als Greenkeeper, wenn AC/DC hier im Stadion einen Abend Gas gibt?

Der Rasen vor der Tribüne in der Südkurve ist danach komplett hinüber. Aber die restlichen 6.400 Quadratmeter von der südlichen Strafraumgrenze bis tief in den Norden rein sind inzwischen rekordverdächtig. Die Sode besteht seit gut 20 Monaten, trotz mittlerweile sechs Stadionkonzerten. Zum Vergleich: In Gelsenkirchen können sie den Rasen rausfahren, mussten ihn aber letztes Jahr vier Mal austauschen.

Wenn ich das Stadion für ein Freundschaftsspiel miete und eine komplett neue Lage Rollrasen verlegen möchte - wieviel kostet mich das?

Für einen professionellen Rasen sind Sie da bei 120-150.000 Euro.

Die gehen dann an Ihren Arbeitgeber, die Kölner Sportstätten GmbH. Wofür ist die zuständig?

In Köln ist das aufgeteilt: Während sich das Sportamt um den Breitensport kümmert, unterhalten wir die Anlagen für den Profisport. Wir betreuen insgesamt sechs Anlagen: das RheinEnergie- und Südstadion, den Sportpark Höhenberg, die Albert-Richter-Radbahn, das Reit- und Baseballstadion und die öffentliche Golfsportanlage in Roggendorf.

Offiziell sind Sie hier Leiter der Gebäudetechnik. Außer auf den Rasen achten Sie also auch darauf, dass alle Flutlicht-Birnchen brennen?

Ja, auch das gehört dazu. Unser Technikteam kümmert sich um das gesamte Stadion - vom Dach bis zum Abwasserkanal.

Haben Sie wegen Ihrer verdienstvollen Tätigkeit eine Freikarte, oder sehen Sie sich die Spiele hier im Büro an?

Ich bin natürlich FC-Fan, obwohl ich nicht direkt von hier, sondern aus der Eifel komme. Aber die fängt ohnehin am Eifeltor an. Ein Bundesligaspiel ist für mich jedoch nicht nur Genuss, sondern Arbeit. Ein komplettes Match entspannt zu betrachten, ist bei mir noch nie vorgekommen.

Bekommt man so einen Job hier, indem man über drei Ecken mit Wolfgang Overath verwandt ist?

(lacht) Nein, der war zur WM 2006 ausgeschrieben, durch dieses Großereignis ist die Rasenpflege bundesweit stark in den Fokus gerückt. Bei der Besetzung solcher Posten interessiert die Verantwortlichen ausschließlich die fachliche Qualifikation der Kandidaten. Und unter uns gesagt: Ich habe mehr Meistertitel als der FC.

Und das Stimmt! Christoph Seiler hat vier, der FC lediglich drei. Und dabei wird es wohl vorläufig auch bleiben.


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