Mittwoch, 25. März 2009

Momentaufnahmen (1)

Bratwurst, Bier und blonde Strähnchen

Center TV, Ossendorf:
Ich werde von Center TV interviewt, von den beiden Zwillingen. Nach dem Pudern sitze ich im Raum nebenan, zusammen mit denen, die noch vor mir dran sind: zwei jugendliche Fußballer um die 15 mit ihrem Trainer. Auf dem Tisch stehen Wasser und Orangensaft, in der Ecke hängt ein Fernseher. Es läuft Center TV, eine Zusammenfassung des Hauseinsturzes auf der Severinstraße, der nun immerhin schon drei Wochen zurückliegt. Man sieht den Trümmerberg.
Fußballer 1: „Boah, guck mal!“
Fußballer 2: „Voll krass, ey.“
Fußballer 1: „In Köln is´n Haus eingestürzt!“
Im TV-Kommentar fällt das Wort „Severinstraße“.
Fußballer 1: „Severinstraße, ey, da komm ich voll oft vorbei.“
Fußballer 2: „Voll krass, Mann.“
Später in der Sendung redet der Trainer davon, wie wichtig es ist, die Kinder von der Straße zu holen. Die Jungs sagen, sie wollen später mal zum FC.

Friseur, Südstadt:
Die Frau, die weiter hinten bedient wird, ist Ende 40. Durch die hellbraunen Haare ziehen sich hellblonde Strähnchen.
„Und ruhig so´n bisschen unordentlich schneiden“, sagt sie. „So irgendwie strubbelig schneiden, verstehn Sie, das wirkt dann immer ein bisschen jünger.“
„So sind sie, die Weiber“, sagt der Mann, der bei mir zu Gange ist. „Für´n paar Tage tun die alles.“

Kneipe, Südstadt:
„Hier stehen ja wieder Aschenbecher“, sagt der Gast.
„Ja“, sagt der Wirt, „in Kneipen bis 75 Quadratmeter darf ja jetzt wieder geraucht werden.“
Der Gast sieht sich skeptisch um: „Und wieviel habt ihr?“
Der Wirt folgt seinem Blick. „74,9“, sagt er.

Würstchenstand, Kaufhof Schildergasse:
Zwei ältere Männer essen Bratwurst und unterhalten sich dabei.
„Irgendwann werden die Menschen 300 Jahre alt“, sagt der eine. „Find ich gemein, dass ich das nicht mehr mitkriege.“
„Ach, hör doch auf!“
„Doch! Stell dir mal vor, wieviel Zeit man dann für alles hätte. Wenn ich heutzutage verkatert bin, dann is das´n verlorener Tag. Aber wenn ich 300 Jahre hätte ...“
„Ja, was dann?“
„Dann könnte ich 200 Jahre lang Scheiße bauen und hätte trotzdem noch 100 übrig.“

Straßenbahnmuseum der KVB, Thielenbruch:
In einer Sonderausstellung geht es um Straßenbahn und Zweiten Weltkrieg. Die Bombardements der Alliierten gegen Nazi-Deutschland, also gegen das Land, das jenen Krieg begann und en passant ein paar Millionen Juden ermordete, nennen die Kölner Verkehrs-Betriebe durchgehend wie? – Sie nennen das „Terrorangriffe“.
Dürfen die das?



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Mittwoch, 18. März 2009

Coloniales (13)

Der Platzjabbeck, oder: Die Fratze vom Rathausturm

Mit dem Platzjabbeck ist es ähnlich wie mit dem gegenüber hängenden Kallendresser: Über beide kursieren historisch widerlegbare Vorurteile. So wird man über die seltsame Fratze immer wieder hören, sie verspotte den Rat. Aber wie sollte das angehen, wo doch der Kölner Rat selbst im Jahr 1445 die Rechnung für diese Figur bezahlte und sie sodann am ehrwürdigen Ratsturm anbringen ließ? Und wie passt der vermeintliche Spott zu der Tatsache, dass die heute zu jeder vollen Stunde herausfahrende Zunge erst 1913 installiert wurde?
Nein, zur Ergründung des Platzjabbeck sollte man vielmehr bei seinem Namen anfangen. Während die erste Silbe („Platz“) lediglich auf den vor ihm liegenden Alter Markt verweist, stammt „beck“ vom französischen „le bec“, was soviel wie Schnabel, Mund bedeutet. Das kölsche Wort „Jappe“ wiederum bezeichnet einen – zum Beispiel beim Gähnen – weit aufgerissenen Mund. Und dieser wiederum rekurriert auf eine im Mittelalter sehr lebendige Sage um Karl den Großen. Er habe, so heißt es, seine drei Söhne aufgefordert, ihre Münder so weit wie möglich aufzusperren. Die Apfelstücke, die er den beiden Folgsamen unter ihnen hineintat, standen für ihre zukünftigen Anteile am Reich. Eine analoge Symbolik vermittelt der sogenannte „Schnapphans“ am Jenaer Rathaus.
Die Moral von der Geschicht´ ist simpel: Wer im richtigen Moment zuschnappt, der bekommt auch, was er möchte. Aber der Kölner Platzjabbeck stand auch noch für etwas anderes. 1396 besiegelten die Zünfte und Gaffeln ihren Sieg über die bis dato herrschenden Patriziergeschlechter mit dem Verbundbrief, der ersten Stadtverfassung. Als äußerliches Symbol dieses Triumphes wurde der Rathausturm errichtet (1407-14). Der furchteinflößende Kerl mit dem Schlapphut, den aufgerissenen Augen und dem wilden Bart markiert also vor allem das neue, etwas zu großspurige Selbstbewusstsein des Bürgertums.



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Mittwoch, 11. März 2009

Surfin´ Cologne (3)

Das Ronson Banjo in Eil

In Porz-Eil gibt es ein Feuerzeugmuseum, und dort war ich letzte Woche. Das wertvollste Stück der Sammlung stammt aus dem Jahr 1928, ein Ronson Banjo. Es war das erste vollautomatische Feuerzeug der Welt, will heißen: Ein Klick, und die Flamme geht an, um beim Loslassen sofort wieder zu verlöschen.
Die Basis für diese revolutionäre Neuerung hatte 1903/4 ein Chemiker aus Österreich gelegt. Da erfand Carl Auer von Welsbach den Zündstein. Von der Legierung aus Cer und Eisen konnten durch schaben Partikel abgeschlagen werden, die sich an der Luft entzündeten. Ebenfalls 1904 gründeten die beiden Engländer Charles Rolls und Henry Royce ihre Firma für Nobelkarossen, was uns zurück nach Eil bringt. Im selben Jahr nämlich fand auf der Hauptstraße des Ortes ein Wettrennen zwischen einem Automobil und einem Fahrrad statt. Und als zwei Jahre später der erste Rolls-Royce vorgestellt wurde (der 40/50 HP), ging in die Eiler Annalen eine Frau ein, die volltrunken ins Wasser des Dorfrieselfeldes gestürzt war. Sie überlebte.
Der 40/50 HP war anfangs für 305 britische Pfund zu haben und wurde bis 1925 produziert. In Eil, ein paar hundert Kilometer weiter südlich, machte man sich währenddessen an eine Volkszählung und kam auf 1.316 Seelen. Außerdem wurde beschlossen, der Freiwilligen Feuerwehr zur schnelleren Erreichung der Brandstellen eine Radfahrerabteilung anzugliedern. Eil, der Suff und die Fahrräder: Einige Jahre zuvor war vor einer Gaststätte ein nagelneues Bike gegen einen alten, verrosteten Drahtesel ausgetauscht worden. Der Täter wurde nie ermittelt.
Wenige Monate nach der Eiler Installation einer Fahrrad-Feuerwehr meldete Louis V. Aronson in New York das Patent für ein Feuerzeug an, das dann 1928 unter dem Namen The Banjo auf den Markt kommen sollte. Rolls-Royce hatte damals gerade auf Fließbandfertigung umgestellt. Und was das legendäre Wettrennen von Eil betrifft: Der Radfahrer stürzte, das Auto gewann.



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Mittwoch, 4. März 2009

Coloniales (12)

Das Historische Archiv: Ungeld, Drittelsstädte und Heringsvisitationen

Selbst wenn man eigentlich gar nichts zu recherchieren hatte: Es lohnte sich jederzeit, im Lesesaal des Historischen Archivs ein bisschen zu stöbern. Säuberlich aufgereiht standen da beispielsweise dicke Bände mit Unterlagen zu Kölns Zeit als Hansestadt – Hanse, das war jene mittelalterliche, mächtige Kaufmannsvereinigung, nach der auch der Hansasaal im Rathaus benannt ist. Wer in solchen alten Akten schmökerte, lernte etwa ausgestorbene Bürokratenbegriffe wie „Drittelsstädte“, „Heringsvisitationen“ oder „Ungeld“ kennen. Bei letzterem handelt es sich übrigens um eine Art Umsatzsteuer, die ab dem 13. Jahrhundert von Reichsstädten auf Alltagswaren wie Wein, Bier oder Fleisch erhoben wurde. Zu entrichten hatten die Händler sie an den Stadttoren oder auf dem Markt. Möglicherweise hängt mit dem Ungeld auch die „Klage der Ochsen-Kaufleute von Münster gegen Zwangsmaßregeln in Köln“ zusammen, von der im Hansebuch an anderer Stelle die Rede ist.
Das Historische Archiv bewertet, übernimmt, erschließt, konserviert und restauriert Urkunden und Akten der Kölner Stadtverwaltung sowie der ehemaligen Stifte und Klöster. Ebenso verfährt es mit zahllosen privaten Nachlässen und Sammlungen zur Stadtgeschichte seit dem Mittelalter. 65.000 Schriftstücke ab dem Jahr 922, 104.000 Karten, 50.000 Plakate und 500.000 Fotos füllten an der Severinstraße insgesamt 26 Regalkilometer.
Eines der spannendsten Kompendien im Besitz des Archivs sind/waren die Tagebücher des Hermann von Weinsberg (1518-1597). Auf tausenden von Seiten berichtet der langjährige Ratsherr über seine Lebensumstände, die städtische Politik und Kultur genauso ausführlich wie über auswärtige Probleme. Sich selbst schildert er als –zumindest in jungen Jahren – rheinische Frohnatur: "Hab gern freude gesehen und gehort, in geselschaften kurzweil verzalt, in gastereien gespreich und angeneim gewesen, keiner boissen mogt mir zu vil sin, mit singen, danzen, springen ist mir verholfen gewesen; die musick seir gefellich.“
Keine andere Quelle erschließt uns die Kölner Sitten und Gebräuche des 16. Jahrhunderts so farbig und detailreich. Auch Weinsbergs Hinterlassenschaft konnte in jenem Lesesaal eingesehen werden, den es jetzt nicht mehr gibt.



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