Mittwoch, 25. November 2015

Kölner Interviews (42): Marcel Göd, FC-Fan und Groundhopper

Marcel Göd wurde 1977 in Köln geboren. Nach dem Fachabitur machte er eine Lehre als Industriemechaniker bei Ford. Am 1.9.2015 feierte er beim Autohersteller sein 20-Jähriges, und er visiert an, 2044 dort auch in Rente zu gehen. Im Privatleben ist Göd Groundhopper, d.h. er besucht so viele Fußballplätze wie möglich. Rund 3.000 Spiele hat er bislang gesehen und in den letzten 20 Jahren lediglich vier Matches des FC verpasst.
Marcel Göd lebt mit seiner Freundin in Heimersdorf.

Zum Termin im sportaffinen Irish Pub Corkonian erscheint Marcel Göd in einer FC-Trainingsjacke. Der Marathonreisende ist jedoch zugleich Marathonläufer, deshalb bestellt er eine Cola Zero.

Was ist ein Groundhopper?

Ich besuche möglichst viele Fußballstadien. Die Sammelleidenschaft, gepaart mit Reiselust und der Faszination für Fußball, machen das Hobby Groundhopping aus.


Chipude/La Gomera


Es gibt offenbar zwei Sorten: Die einen schwören auf das volle, die anderen auf das jungfräulich leere Stadion.

Ich zähle ganz klar zur ersten Gruppe. Wenn ich unterwegs bin, will ich möglichst viele Spiele sehen. Drei bis vier Matches kriegt man hin, für fünf an einem Tag muss schon alles zusammenpassen, das ist selten.

Wird man nicht rammdösig, wenn man das dritte Match hintereinander sieht?

Kommt aufs Spiel und mit wem man unterwegs ist. Aber alleine kann es tatsächlich schonmal hart werden. Wenn ich mit dem Zug zurück über die Hohenzollernbrücke komme und den Dom wiedersehe, bin ich froh, wieder zohuss zo sin.

Klingt nach einem recht stressigen Hobby.

Direkt nach meinem diesjährigen Urlaub bin ich mit dem ICE an die tschechische Grenze gefahren, habe mir ein Spiel angesehen und den nächsten Zug zurück genommen. Das war absolut entspannt, auch wenn ich knapp 20 Stunden unterwegs war.

Es müssen also nicht unbedingt berühmte Plätze sein?

Ich sehe mir auch die Kölner Kreisliga an ...

... ich habe in der E-Jugend des SC Meschenich gespielt.

Ausgerechnet in Meschenich war ich leider noch nicht. Aber eines meiner Ziele ist, alle Kölner Fußballplätze besucht zu haben.

Gehören Fotos jedes Grounds unbedingt dazu?

Mittlerweile schon. Bei einem Dorfplatz reichen meistens 10-12 Bilder, um alles Sehenswerte zu erfassen. Ein richtiges Stadion braucht bis zu 30. Letztens in Frankfurt/Oder war das Stadion so geil, davon habe ich direkt 50 Fotos auf meine Facebook-Seite gestellt.

Was zieht Sie an?

Stadien wie die alte Radrennbahn in Mönchengladbach, wo auf den Stufen das Moos wächst. Oder das alte Stadion „Weidenpescher Park“, wo früher der VfL Köln 99 spielte.

Agulo/La Gomera

Wie sieht es mit Stadien an den Enden der Welt aus?

Ich hatte, bis letztes Jahr, 28 Jahre lang mit Klaustrophobie zu kämpfen. Ich konnte nicht fliegen oder auch nur durch längere Tunnel fahren. Deshalb habe ich mich eher in Deutschland und im benachbarten Ausland rumgetrieben.

In Müngersdorf hatten Sie nie Probleme mit der Enge?

Nein, unter freinem Himmel ging es immer. Aber ins Wintertrainingslager des FC nach Portugal bin ich vor 15 Jahren noch die kompletten 2.600 Kilometer mit dem Zug gefahren.

Haben Sie auf solchen Reisen Kontakt zu den Spielern?

Es gibt dann immer die Mannschaftsabende, aber ich gehe selten auf jemanden zu. Zu Alexander Bade hatte ich einen ganz guten Draht, dem ehemaligen Torwart und Torwarttrainer.

Waren Sie selbst auch Torwart?

Bei den alten Herren, ja. Da hieß es wie so oft: Der Dickste geht ins Tor.

Sie sind doch gertenschlank!

Als vor vier Jahren meine Mutter starb, habe ich mein Leben um 180 Grad geändert. Seitdem habe ich in der Spitze 49 Kilo abgenommen und laufe mittlerweile sogar Marathon.

Vorher haben Sie geprügelt, geraucht und gesoffen?

Nein, früher gehörte das ein oder andere Bierchen zum Stadionbesuch dazu. Auswärts auch mal mehr und Fast Food in dem Rahmen natürlich sowoeso. Da blieben „Figurprobleme“ nicht aus

Stehen die Fließbänder bei Ihrem Arbeitgeber Ford still, wenn Sie unterwegs sind?

Ich arbeite in der Getriebeentwicklung und habe mit meinem Vorgesetzten eine Vereinbarung: Wenn der FC spielt, bekomme ich frei oder tausche die Schicht. Und das, obwohl er Gladbach-Fan ist.

Haben Sie ein Lieblingsstadion?

Ganz klar das Rheinenergiestadion. Nicht nur wegen dem FC, sondern weil das das Flair mit den vier Tribünen eines englischen Fußballstadions hat. Genau wie das Millerntor in St. Pauli. Mein absolutes No-Go-Stadion ist dagegen das auf Schalke – eine Multifunktionsarena ohne jeden Charme.

Und wo hat es Ihnen am besten gefallen?

Letztes Jahr war ich in Rijeka/Kroatien, da ist das Stadion in eine Felswand am Meer hineingebaut. Aber das sportlich Größte für mich war das letzte Spiel im legendären Wembleystadion. Deutschland gewann im Oktober 2000 1:0 gegen England, durch ein Tor von Didi Hamann. Und ich war live dabei. Die FC-Aufstiege waren natürlich auch allesamt richtige Highlights.

Müngersdorf

Haben Sie mal überschlagen, wieviele Kilometer und Euro Ihr Hobby bis heute gefressen hat?

Vor fünf Jahren ist meine Wohnung ausgebrannt, mit all meinen Unterlagen und Archiven. Aber grob gesagt habe ich gut 3.000 Fußballspiele gesehen. Immerhin fahre ich seit 20 Jahren Grounds ab und noch länger zum FC.

Wie viele FC-Spiele haben Sie verpasst?

Seit 1994 vier: Eins wegen Stau auf dem Weg nach München. Zwei Spiele dann bewusst, da war ich, Anfang 2000, wohl ein bisschen „ausgebrannt“. Und einmal zu Karneval fehlte mir die Motivation, um nach Hamburg zu fahren.

Fühlten Sie sich danach eher deprimiert oder befreit?

Weder noch, am Wochenende darauf ging es einfach weiter. Und im Moment ist es für mich nicht denkbar, ein Spiel zu verpassen. Weil der Verein in letzter Zeit einfach so viel Spaß macht und die Mannschaft guten Fußball spielt.

Haben Sie eine Freundin?

Ja, seit neun Jahren.

Wie kommt man an eine Frau, die solch ein Hobby hinnimmt?

Anfangs hat sie sich sogar ein bisschen dafür interessiert. Inzwischen sieht sie es eher als Geld- und Zeitverschwendung. Aber wir haben eine klare Abmachung: An Auswärtswochenenden kann ich so viele Spiele sehen, wie ich will. Und wenn der FC Heimspiel hat, bleibe ich in der Heimat.

Wenn Sie am Geburtstag Ihrer Freundin einen Privatflieger zu einem wunderschönen, super-entlegenen Stadion besteigen könnten: Party oder Flug?

Das ist eine fiese Frage. Sagen wir mal so: Wenn der FC an dem Tag im Finale der Champions League stünde, müsste ich nicht lange überlegen. (lacht)

Gibt es Groundhopper-Nachwuchs?

Oh ja, auch in Köln. Das sind gute Jungs, aber man merkt schon einen Generationenunterschied.

Nämlich?

Die älteren Groundhopper hatten zum Beispiel kein Problem damit, wenn der Kollege aus Gladbach oder Leverkusen kam. Heute spielt das teilweise schon eine Rolle.

Sind oder waren Sie ein Ultra?

Ich habe 1995 die erste Kölner Ultra-Gruppierung mitgegründet. Daraus entwickelte sich schnell die Wilde Horde, die bis heute den Kölner Kern der Bewegung bildet. Das war dann aber schon nicht mehr meine Welt.

Wieso?

Schwieriges Feld... Für mich spielte zum Beispiel Gewalt nie eine Rolle. Und irgendwann wächst du einfach auch altersmäßig raus.

Stehen Sie denn noch in der Südkurve?

Nein, und ich sitze auch nicht im Oberrang Süd, auch wenn dort meine Ursprünge liegen. Mittlerweile sitze ich seit gut einem Jahrzehnt auf der Westtribüne nahe der Nord. Das hat sich nach dem Stadionumbau so ergeben.




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Donnerstag, 19. November 2015

Kölner Interviews (41): Matthias Welpmann, Vorsitzender der Köln-Cork-Gesellschaft

Matthias Welpmann wurde 1969 in Osnabrück geboren und wuchs in Dortmund auf. Nach seinem Geografie- Studium in Bonn zog er 1998 nach Köln. Seit 2003 promoviert, arbeitete er ab 2008 als Umweltmanager in der kommunalen Stadtentwicklungsgesellschaft von Leverkusen. Ein Jahr später zog der Umweltexperte für die Grünen in den Kölner Rat ein. 2015 schließlich wurde er nicht nur zum Umweltdezernenten der Stadt Neuss gewählt, sondern zudem zum Vorsitzenden des Vereines zur Förderung der Städtepartnerschaft Köln-Cork.
Matthias Welpmann lebt mit seiner Frau in Ehrenfeld.

Bilder der Köln-Cork-Website zeigen ihn als irischen „Boy in green“. Heute jedoch trägt Matthias Welpmann Anzug und Krawatte. Schließlich kommt er gerade von seiner neuen Arbeitsstelle als Neusser Umweltdezernent.

Die Schwerpunkte Ihres Geografiestudiums waren Ökologie und Umweltforschung. Was haben Sie erforscht?

Es ging vor allem um Hochgebirgsforschung in den Alpen.

Tod der Alpenveilchen? Die Erosion des Matterhorns?

Wir haben eine morphologische Karte erstellt, eine grafische Darstellung von Reliefs bzw. Oberflächenformen. In den Bergen ist das übrigens eine recht anstrengende Arbeit. Ich habe zwei Monate in einem Wohnwagen gehaust und täglich hunderte Höhenmeter bewältigt.

Und was haben Sie herausgefunden?

Uns ging es vor allem um Naturgefahren. Früher wurden die Dörfer dort gebaut, wo Steinschlag oder Schneelawinen am unwahrscheinlichsten waren.

Weil unsere Vorfahren nicht ganz dumm waren.

Heute jedoch werden Häuser in die Fläche gebaut, die dann mit hohem technischen Aufwand gesichert werden müssen.

Die Berge in Irland sind nicht ganz so hoch. Wann waren Sie zum ersten Mal dort?

Das ist noch gar nicht so lange her, 2012 war das. Irland wollte ich schon immer mal kennenlernen. Und als in der Kölner Grünen-Fraktion die Partnerstädte aufgeteilt wurden, habe ich mich für Cork entschieden.

Irischer Berg


Was waren Ihre Eindrücke?

Mein erster Besuch führte ausschließlich nach Cork. Ich finde die Stadt sehr vital, sehr bunt, auch in sozialer Hinsicht sehr vielfältig.

Fanden Sie Cork „irisch“?

Je häufiger ich mir die Frage stelle, desto weniger kann ich sie beantworten. Aber gut: Beinahe jede Familie hat ihre Auswanderer, manchmal leben sämtliche Kinder irgendwo im Ausland. Das gibt es so in Deutschland nicht.

Cork kommt vom keltischen Wort für Sumpf, genau wie der Kölner Chorbusch bei Chorweiler. Gibt es weitere Parallelen zwischen Cork und Köln?

Nun ja, beide Städte liegen an einem Fluss, der die Innenstadt prägt. Handel und Industrie spielten immer eine wichtige Rolle. In Cork gab es sogar mal ein Fordwerk.

Und die Menschen?

Cork empfindet sich als die eigentliche Hauptstadt Irlands, die „Rebell City“. Das ist nur halbironisch gemeint, genau wie die Corker Eigenart, sich für die Größten zu halten. Den Kölnern ist das ja auch nicht ganz fremd.

Bevor Sie 1998 in Köln landeten, waren Sie sieben Jahre Bonner.

Bonn wurde mir mit den Jahren einfach zu piefig. Alles zu eng dort, und erst recht die Studentenszene. Meiner Meinung nach gibt es in Bonn keine einzige gute Kneipe. (lacht) Als ich dann einen Job in Bergheim bekam, war ich froh, nach Köln ziehen zu können.

Und nun sind Sie sogar Vorsitzender des Köln-Cork-Vereins. Wie laufen die Besuche in der Partnerstadt ab? Erst Hunderennen, dann Pub?

Ganz falsch ist das nicht. Zunächst mal werden wir immer im Rathaus offiziell empfangen, mit allem Brimborium. Beim letzten Mal hat uns dann ein Ratsmitglied auf eine Stadtführung begleitet. Der Mann war Historiker und die Einblicke sehr interessant.

Wer bezahlt diese Touren?

Das haben die Teilnehmer selbst bezahlt.

Wenn Sie eine Million für den Club hätten: Was würden Sie damit anfangen?

Ich möchte gern so viele Begegnungen wie möglich realisieren. Mit mehr Geld könnten wir uns breiter aufstellen, mehr Mitglieder aquirieren und für einen regeren Austausch sorgen. Das größte Problem sind eigentlich die Corker, deren Besuche in Köln sich doch sehr in Grenzen halten.

Mein Eindruck: Sowohl der kulturelle als auch der sportliche Austausch zwischen Köln und Cork ist sehr bescheiden.

Unser Verein existiert zwar schon seit 1989, er wurde ein Jahr nach der Städtepartnerschaft gegründet. Aber wir haben bislang nur 30 Mitglieder, da kann man nicht viel auf die Beine stellen. Manches hingegen läuft von selbst, zum Beispiel die Chor-Partnerschaft zwischen dem Corker Fleischmann Choir und dem Philharmonischen Chor Köln.

Drei Entweder - Oder-Fragen: Guinness oder Murphys?

Murphy´s, weil es aus Cork kommt.

In Irland: Irisches Frühstück samt Speck, Würstchen und Black Pudding oder kontinentales Müsli?

Irisches Frühstück.

Höhner oder Pogues?

Pogues.

Und als Umweltexperte sagen Sie gern: Kraneburger ist besser als Mineralwasser aus der Flasche?

Richtig. Es gibt in Deutschland nichts qualitativ Hochwertigeres zu trinken als Leitungswasser. Mineralwasserflaschen sind überflüssig wie ein Kropf. Das ist auch eines meiner Themen als frisch gewählter Umweltdezernent in Neuss.

In Irland gibt es klares Wasser, aber kaum Bäume.

Das hängt zum einen mit der langen Besatzung durch die Engländer zusammen. Irlands Wälder gingen für die englische Flotte drauf. Und was stehen blieb, wurde zum Verfeuern abgeholzt.

Wie gefällt Ihnen der Kölner Wald?

Oh, dazu kann man viel erzählen! Der Nüssenberger Busch in Ossendorf ist der einzige linksrheinische, noch wirklich naturbelassene Wald. Alles andere ist nicht Wald, sondern Forst.

Der Kölner an sich ist stolz darauf, in der angeblich grünsten Stadt Deutschlands zu wohnen. Stichwort Grüngürtel, der die Stadt komplett umfasst.

Der Grüngürtel ist eine tolle Sache. Und die Wahner Heide auf der rechten Rheinseite ist ein ökologisches Revier auf europäischem Spitzenniveau, das kriegen die Kölner gar nicht so richtig mit.

Sobald der Mensch eingreift, in Person eines Försters zum Beispiel, sprechen Sie jedoch nicht mehr von Wald?

Nein, denn ein Wald kann immer nur aus sich selber entstehen. Alles andere sind dann Gruppen von Bäumen, menschengemachte Parkanlagen. Auch wenn die Förster versuchen, etwas anderes zu erzählen.

Als Ehrenfelder wohnen Sie nicht gerade im Grünen.

Stimmt, aber das ist ein spannender Stadtteil, in dem man gut leben kann. Im Moment droht allerdings so eine Art Hipness-Kollaps.

Sie reden von der um sich greifenden Gentrifizierung Ehrenfelds?

Alles muss plötzlich hip und funky sein, in der Eisdiele fällt man auf, wenn man keinen Vollbart trägt. Unser Mietshaus in der Stammstraße steht exemplarisch für diese Entwicklung: In der Nachkriegszeit war im Parterre ein bekanntestes Tanzlokal, in den 1980ern dann eine schäbige Videothek. Die wurde abgelöst vom Kölner Künstler Theater ...

... und jetzt ist ein Sushi-Laden eingezogen?

... nein, aber ein Yoga-Studio, wo irgendwelche veganen Hansel Turnübungen machen. (lacht)




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Mittwoch, 11. November 2015

Thekentänzer (93)

Herzlichen Glückwunsch

„Ich hab schon genug Nerv wegen meinem Namen“, sagt Nicole. „Also halt´s Maul!“
Eigentlich hatte der Typ nur gefragt, ob der Hocker neben ihr noch frei sei.
Nicole bestellt sich ein Piccolo-Weinfläschchen und besteht darauf, es ohne Glas zu trinken.
„Die Kacke sieht aus wie´n Becks, also sauf ich das auch so.“
„Dein Bier“, sagt der Kellner.
Hinten am Hochtisch verbrennt einer nen Fünfer und grinst glücklich. Der Typ neben Nicole bestellt sich eine Bionade.
„Du bist so´n scheiß Passivtrinker, was“, macht Nicole ihn an. „Noch zwei Sätze von mir, und du bist breit wie´n Otter.“
Der Typ - seinen Deckel hat er auf „Jacks“ gemacht - kommt jetzt aus der Reserve: „Meine Ex hat mir gestern ´Happy Birthday´ aufn Schwanz geschrieben.“
Aber Nicole ist fit: „Für ´Herzlichen Glückwunsch´ hat´s wohl nicht gereicht, du Spacken.“
Die beiden schweigen sich eine Weile an. Ziemliche lange, Nicole leert zwei weitere Weinfläschchen. Aber wer genau hinschaut, erkennt: Der Kontakt reißt nicht wirklich ab. Irgendwann berühren sich ihre Knie unter der Theke.
„Weißt du zufällig, wie man Edding von der Haut kriegt?“ fragt Jacks.
„Klar“, sagt Nicole.

Manchmal ist man klein, und manchmal kommt man groß raus

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Mittwoch, 4. November 2015

Die schönste Frau des Mittelalters

Eine schwierige Recherche

Umberto Eco nannte sie die „schönste Frau des Mittelalters“: Uta von Naumburg, Stifterin des dortigen Domes. Für ein geplantes Buch wollte ich ein Foto von ihr machen. Aber während die anderen 221 Aufnahmen problemlos zu bekommen waren, machten Utas Verwalter (genauer: Verwalterinnen) Schwierigkeiten. Hier der Briefwechsel, der sich über insgesamt vier Monate zog.


Sehr geehrter Herr Imgrund,
Sie waren am Wochenende im Naumburger Dom und wünschen ein Foto der Uta für einen redaktionellen Beitrag. Sie haben im Presse-Anmeldebogen angegeben, dass Sie für aufgrund eines konkreten Rechercheauftrags Ihren Besuch vorgenommen haben. Darüber freuen wir uns sehr. Leider haben Sie nicht angegeben, wann und wo der Beitrag erscheinen soll. Könnten Sie mich kurz darüber in Kenntnis setzen? Anschließend sende ich Ihnen gern eine Aufnahme der Uta zu.

Mit besten Grüßen, XXX


Guten Tag Frau XXX,
hatten Sie meine weiteren Erläuterungen bekommen?
ich schreibe ein Buch namens ???, das in der erfolgreichen „111er-Reihe“ des Kölner Emons Verlags erscheint (www.emons-verlag.de). Dafür hätte ich gern ein Foto der Uta von Naumburg (am besten: 300 dpi). Der Naumburger Dom wird samt Öffnungszeiten im Buch genannt – Win-Win sozusagen. Wäre also prima, wenn ich das umsonst bekommen könnte. Natürlich erhalten Sie nach Erscheinen einen Buchbeleg.
Können Sie mir da helfen?
Ich hätte die Uta übrigens gern selbst fotografiert, aber nach der langen Anreise war der Dom leider wegen einer Hochzeit geschlossen.

Besten Gruß, Bernd Imgrund


Sehr geehrter Herr Imgrund,
es verhält sich so, wie ich es Ihnen bereits bei unserem Telefongespräch erläutert hatte. Für ein kommerzielles Verlagsprodukt fallen für die Nutzung eines Fotos der Stifterfigur Uta Gebühren an. Sie hatten erwähnt, dass Sie in diesem Fall auf eine Uta-Aufnahme verzichten wollen. Sollten Sie Ihre Meinung ändern, so wenden Sie sich bitte an meine Kollegin YYY, welche die Nutzung mit Ihnen vertraglich regeln würde.

Mit besten Grüßen aus Naumburg, XXX


Sehr geehrte Frau XXX,
das ist so unklug wie unprofessionell. Ob Thomas-Mann-Haus, Heinrich-Schliemann-Museum, Beethoven-Gesellschaft oder sonstwer: Alle haben sich über das Buchprojekt gefreut und mir unentgeldliche Fotos geschickt. Ich könnte genauso gut das kostenlose Foto von Wikipedia nehmen. Und die Folge wird sein: Naumburg bekommt keine Credits und keinen Buchbeleg.

Ist doch doof, oder?

Mit besten Grüßen, Bernd Imgrund


Der Fall wird nun von der Chefin übernommen, nennen wir sie YYY

Sehr geehrter Herr Imgrund,
Ihre Mail an Frau XXX wurde mir zur Bearbeitung übergeben.
Wir sind ein wenig irritiert, da wir bisher mit dem Emons-Verlag gut zusammengearbeitet haben. In der Publikation ??? erteilten wir auch eine Abdruckgenehmigung für eine Innenaufnahme des Naumburger Doms. Auf Bitten des Autors ermäßigten wir die Reproduktionsgebühr um die Hälfte. In der Anlage übersenden wir Ihnen den Antrag auf Veröffentlichungsgenehmigung, welchen Sie bitte ausgefüllt an uns zurücksenden. Die Reproduktionsgebühr entnehmen Sie dem Auszug aus unserer
Benutzerordnung. Wir werden Ihnen nach Eingang des Antrags unsere Konditionen mitteilen.
Bei Einverständnis erhalten Sie dann umgehend eine Digitalaufnahme der Stifterfigur Uta aus
unserem Bildarchiv.

Mit freundlichen Grüßen, YYY


Sehr geehrte Frau YYY,
Sie können auch mit mir gut zusammenarbeiten. Es ist allerdings auffällig, dass außer Ihnen praktisch jede deutsche Kultureinrichtung einsieht, dass Sie von meinem Buch profitiert und mir deshalb diese ja längst gemachten und archivierten Fotos kostenlos zur Verfügung stellt. Schließlich verlange ich ja auch nicht Geld von Ihnen, weil ich Uta, den Dom und Naumburg promote. Vielleicht lassen wir die Sache mal ruhen und denken nochmal nach.

Besten Gruß, Bernd Imgrund


Zwei Monate später nehme ich einen neuen Anlauf:

Sehr geehrte Frau YYY,
meine Fotorecherche neigt sich dem Ende zu.
Wie Sie sicher wissen, kann man Uta-Fotos zu Hauf im Internet finden. Ich würde dennoch lieber mit Ihnen zusammenarbeiten, weil das für mein Buch und den Naumburger Dom am fruchtbarsten ist.
Bislang habe ich für keines der 111er-Fotos einen Cent bezahlen müssen – im Gegenteil haben sich die Institutionen gefreut, bei mir aufgenommen zu werden. Und schon gar nicht habe ich irgendeinen Vertrag unterschrieben.
Obwohl Sie also vergleichsweise völlig unüblich vorgehen, biete ich Ihnen an, für ein Uta-Portrait 20 Euro zu überweisen.
Ich bräuchte es in den nächsten Tagen.

Mit besten Grüßen, Bernd Imgrund


Sehr geehrter Herr Imgrund,
gern können wir die Reproduktionsgebühr auch für Sie um die Hälfte ermäßigen. Bei einer Auflagenhöhe bis 5000 Stück beträgt dann die ermäßigte Gebühr für eine s/w Abbildung 20,00 EUR und für ein Colorabbildung 40,00 EUR. Von der geplanten Publikation „111 berühmte Deutsche“ erbitten wir uns ein Belegexemplar. Nach Eingang des Belegexemplars erfolgt die Rechnungslegung. Anbei übersenden wir Ihnen nochmals den Antrag auf Veröffentlichungsgenehmigung. Bei Einverständnis mit unseren Konditionen übersenden wir Ihnen die gewünschte Bildvorlage.

Mit freundlichen Grüßen, YYY


Hier der mitgelieferte Vertrag, wohlgemerkt: es geht um ein einziges Foto einer weltweit millionenfach abgelichteten Steinfigur:

VEREINIGTE DOMSTIFTER ZU MERSEBURG UND NAUMBURG
UND DES KOLLEGIATSTIFTS ZEITZ
DOMSTIFTSARCHIV UND DOMSTIFTSBIBLIOTHEK NAUMBURG

Antrag auf Veröffentlichungsgenehmigung

Firma : ........................................................................................................................................

Firmensitz : …………………………………………………………………………………….

(vollständige Adresse) ......................................................................................................................

bzw.

Name : ........................................................................................................................................

Beruf/Tätigkeit :...........................................................................................................................

Ständiger Wohnsitz : ...................................................................................................................

(vollständige Adresse) .......................................................................................................................

Titel: ……………………………………………………………………………………………

………………………………………………………………………………………………….

Verfasser : ...................................................................................................................................

Reihe : .........................................................................................................................................

Verlag : ………………………………………………………………………………………...

ISBN bzw. ISSN ….............................. Höhe der Auflage: ...............................

Auflage : ............................................... Weitere Auflage geplant: ja / nein

Voraussichtlicher Preis : ................. Voraussichtlicher Erscheinungstermin : …….…


Anzahl, Motiv, Größe sowie Art und Weise der Abbildung (bitte einzeln anführen)

……………………………………………………………………………………………….

……………………………………………………………………………………………….

………………………………………………………………………………………………..

Gewerbliche Dreh- bzw. Fotogenehmigung liegt vor : ja / nein

Die Gebührenordnung der Vereinigten Domstifter
zu Merseburg und Naumburg und des Kollegiatstifts
Zeitz erkenne ich an : ja / nein


........................................., den ... Unterschrift



Guten Tag Frau YYY,

dieser Antrag ist in seiner Detailiertheit zugleich albern und grotesk.
Außerdem hatte ich Ihnen 20 und nicht 40 Euro geboten, obwohl ich für Ihre Uta Werbung mache.
Ich nehme jetzt das Foto von Wikipedia,
Besten Gruß, Bernd Imgrund


Eigentlich könnte die Sache hier zuende sein. Aber dann dachte sich Frau YYY wohl, sie könne mich beim Verlag anschwärzen. Schickte also das gewünschte Foto samt erneuter Gebührenanweisung und dem kompletten Schriftverkehr gen Emons Verlag:


Betreff: WG: Bildvorlage Stifterfigur Uta
Sehr geehrte Damen und Herren,

in einer zweiten Mail erhalten Sie über „WeTransfer“ eine Digitalaufnahme der Stifterfigur
Uta aus dem Naumburger Dom. Bei Einverständnis mit unseren Konditionen vom
29.07.15 erhalten Sie die einmalige Abdruckerlaubnis für unsere Bildvorlage in der
Publikation „111 berühmte Deutsche“. Als Bildnachweis wünschen wir die Angabe:
Vereinigte Domstifter zu Merseburg und Naumburg und des Kollegiatstifts Zeitz,
Bildarchiv Naumburg, Fotograf: ZZZ.

Mit freundlichen Grüßen, YYY


Habe ich dankend abgelehnt.


Foto:


Wikimedia Commons/Linsengericht; „Naumburg-Uta“ von Linsengericht - Eigenes Werk. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons - http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Naumburg-Uta.JPG#/media/File:Naumburg-Uta.JPG