Thekentänzer (56)
15 Büchsen Gaffel
Kaum sitzt er neben mir, fängt er auch schon ein Gespräch
an:
„Man gönnt sich ja sonst nichts“, sagt er. Dann nimmt er
einen kräftigen Schluck aus seinem Glas und atmet genießerisch aus.
„Ich hab 38 Jahre gearbeitet, immer auf Montage. Aber meinst
du, ich würd ne Rente kriegen? Meine Beine sind kaputt. Meine Arme sind kaputt.
Weißt du, was als einziges noch geht?“
Er sieht mich an, mit seinen rotunterlaufenen Augen, und
irgendwo unterm Ziegenbart verzieht sich ein Paar aufgeplatzter Lippen. Dann
hebt er demonstrativ sein Bierglas und führt es an den Mund.
„Bier ist doch der einzige Trost, der einem bleibt. Gleich
muss ich ins Krankenhaus, weil ich meine Medikamente verloren hab. Keine
Ahnung, wo. Im Marienhospital im Kunibertsviertel haben die mich letztens ne
ganze Woche kostenlos dabehalten. Das war früher ein Armenhospital. Ich habe
keine Krankenversicherung, weißt du.“
Die Kellnerin zapft unsere nächsten beiden Guinness. Noch
immer sitzt hier niemand sonst, aber es ist ja auch erst kurz nach 12 Uhr mittags.
Die Dubliners erzählen, recht passend, von den „Seven drunken nights“.
„Ich lebe jetzt seit zwei Jahren auf der Straße. Aber ich
habe einen guten Schlafsack! 18 Grad minus machen mir nichts aus. Die sind
sogar besser für mich als Hitze. Wegen meiner Atembeschwerden.“
Seine Kippen dreht er superdünn, die transparenten
Rizlablättchen gehen aus, bevor der wertvolle Tabak verqualmt.
„Deshalb rauch ich auch nie mit Filter. Weil man da noch
mehr von husten muss. Früher gabs für mich nur Rote Hand. Das ist noch eine
Zigarrette! Selbst Reval ist Kinderkram. Nur Rote Hand!“
Die Kippe liegt auf Stand-by im Aschenbecher, während er in
seiner Jacke fummelt. Sein Kleingeld zählt er mit ruhigen Fingern.
„Letztens war ich am Gürzenich, Hinterausgang, da kamen die
Bringse raus. Als die mich sahen, haben die in den Kofferaum gegriffen. 15
Dosen Gaffel haben die mir geschenkt. Die sind schwer in Ordnung, die Jungs.“
Offenbar reicht das Geld nicht für ein drittes Glas, aber er
trägt das mit Fassung. In der Tür dreht er sich noch einmal um.
„Hab ich mit meinen Leuten auf der Domplatte geteilt. Ich
trink doch keine 15 Büchsen Bier alleine. Obwohl: Ich hab schon ganz anderes
geschafft.“
Wir haben schon ganz anderes geschafft
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Die Köln-Kolumne.
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