Mittwoch, 7. Dezember 2016

Kölner Gespräche (58): Volker Kutscher, Krimi-Bestsellerautor

Volker Kutscher wurde 1962 in Wipperfürth geboren. In Köln studierte er Germanistik und arbeitete danach wiederum in wipperfürth für die Kölnische Rundschau als Redakteur. Nach drei Bergischen Krimis ab 1995 erschien 2007 mit „Der nasse Fisch“ der erste Gereon-Rath-Band. Die sehr erfolgreiche Reihe um den Kölner Kommissar spielt im Berlin der Weimarer Republik. Soeben wurde mit „Lunapark“ der sechste von geplanten neun Bänden veröffentlicht. Volker Kutscher ist Vater einer Tochter und wohnt in Merheim.

Kennen Sie die Mulackritze?

Das war eine Kaschemme im Berliner Scheunenviertel, in der die Halbwelt verkehrte. Zur Zeit meiner Gereon-Rath-Romane, also in den 1920ern und frühen 30ern, war das gesamte Viertel eine Verbrechergegend.

 Foto: Monika Sandel (Kiepenheuer & Witsch)

Charlotte von Mahlsdorf überführte die komplette Kneipe dann in ihr Museum im Berliner Osten. Unter anderem verkehrten in diesen Kaschemmen die sogenannten Ringvereine, die auch in Ihrem neuesten Krimi eine Rolle spielen.

Gerungen wurde dort allerdings nicht. Der Name rührt vom Zusammenschluss „Berliner Ring“ her. Offiziell sorgten diese Vereinigungen für die Resozialisierung von Knastis. Getan haben sie allerdings das Gegenteil, nämlich: die Fähigkeiten der Mitglieder genutzt, um weiterhin dem organisierten Verbrechen zu frönen.

Eine Art deutscher Vorkriegsmafia?

Genau. Was die Mafia auf familiärer Basis betrieb, kombinierte man in Deutschland mit dem klassischen Vereinswesen. Inklusive Vorsitzendem und Kassenwart.

Waren die Ringvereine nur kriminell oder auch politisch?

Am ehesten sympathisierten sie mit den Kommunisten, weil sie aus demselben Milieu kamen.

Welches Milieu?

Wenn man Kreuzberg heute sieht, kann man sich nicht mehr vorstellen, was damals Armut bedeutete: Enge, schlechte Luft, verpilzte Wände, Etagenklos für dutzende Menschen undsoweiter. Die Gangsterszene war eine Option, um da rauszukommen.

Wie veränderte die Machtübernahme der Nazis dieses Milieu der Ringvereine?

Die Bürger waren zunächst einmal erfreut: Diese Nazis schaffen uns die Berufsverbrecher vom Hals. Auch die Polizeiarbeit wurde durch die Abschaffung des Rechtsstaats einfacher. Jeder konnte ohne Begründung eingesperrt werden, sodass die Ringvereine ziemlich bald kein Thema mehr waren.

Horst Wessel starb nach einer gemeinsamen Aktion von KPD und Ringvereinen. Eigentlich war der Mann ein billiger Stenz, der nach seinem Tod von den Nazis zum Märtyrer verklärt wurde.

Das stimmt, aber er war durchaus auch eine wichtige Figur der damaligen SA.

Viele Ringvereinsmitgliedern landeteten ab 1933 ebenfalls schnell bei der SA.

Die frühe SA propagierte ja tatsächlich noch eine Art nationalen Sozialismus. Für viele war das kein Etikettenschwindel, deshalb war der Schritt in die SA gar nicht so weit.

Für Berlin haben Sie diese Zeitläufte der späten Weimarer Republik en detail recherchiert. Wissen Sie von Vergleichbarem in Köln?

Bisher noch nicht, obwohl mein Protagonist Gereon Rath ja gebürtiger Kölner ist. Vielleicht gehe ich schon im nächsten Band mal wieder nach Köln. Die Verbindung liefe dann über Gereons Vater Engelbert, der, weil Adenauer- und Zentrumsfreund, als Polizeibeamter von den Nazis kaltgestellt wird. Aber das weiß ich noch nicht so genau.

Wie wild war Wipperfürth, wo Sie aufwuchsen?

(lacht) Meine Jugend war so mittelwild. Bewegungen wie Hippies und Punks, die in der Großstand streng getrennt waren, mischten sich bei uns durcheinander.

Wozu tendierten Sie eher?

Ich war eher Punk. Anfangs hatte ich lange Haare und so, aber dann war mir die Teetrinkerei zu blöd. Ich stand auf die düsteren Sachen, die aus Düsseldorf kamen, also Bands wie etwa DAF/Deutsch-Amerikanische Freundschaft.

Gibt es, analog zu Köln, Songs über Wipperfürth?

Ja, einen. Wir sind ja die älteste Stadt des Bergischen und werden nächstes Jahr 800. Und aus diesem Anlass wurde eine Stadthymne komponiert. Zum Glück nichts Mundartmäßiges, sondern ein sehr schönes, chansonhaftes Lied des Jazzpianisten Andreas Schnermann.

Hatten Sie als Jugendlicher mal mit der Polizei zu tun?

Nicht ernsthaft. Aber unsere Einstellung war natürlich, dass die „Bullen“ der Feind waren.

„Wir woll´n keine Bullenschweine“ war ein oft benutzter Demo-Spruch.

Das hat man früher so gebracht, sehe ich inzwischen allerdings ganz anders. Mir ist immer klarer geworden, dass wir hier etwas zu verteidigen haben. Wenn man sich andere Staatsformen ansieht, sei es das „Dritte Reich“, seien es viele diktatorische Regime heutzutage, dann merkt man, was man an der Demokratie hat.

Vor Ihrer Karriere als Schriftsteller waren Sie Rundschau-Redakteur in Wipperfürth. Was macht man da so?

Alles, wobei mein Schwerpunkt die lokale Politik war.

Und der unter Jungjournalisten berühmt-berüchtigte Kaninchenzücherverein?

Den überlässt man, sobald man Redakteur ist, den freien Mitarbeitern. (lacht)

Was bringt einem der Journalismus fürs literarische Schreiben?

Ganz viel! Als ich als Freier anfing, bin ich ganz schnell von meinem hohen Germanistenross abgestiegen. Weil ich merkte: Auch eine Polizeimeldung will erstmal anständig geschrieben werden. Als Journalist lernt man, dass Schreiben Arbeit ist, sprich: Schreibblockade ist nicht, man muss da durch. Selbst wenn man gerade denkt, das ist alles Mist, was ich da tippe.

Sie haben das Genre des Kölnkrimis großwerden sehen. Was war das für eine Entwicklung?

Letztlich hat mich der Kölnkrimi zum Schreiben gebracht. Den allerersten, „Tödlicher Klüngel“ habe ich mir 1984 sofort gekauft. Ich denke, die Leser fasziniert vor allem der Wiedererkennungseffekt. Ich selbst habe ja dann auch zuerst drei Bergische Krimis geschrieben.

Ein Kölnkrimi wird immer ein Kölnkrimi bleiben. Ihre Bücher hingegen nennt niemand Berlinkrimi, obwohl sie in jener Stadt spielen.

Das ist so, muss mit der Kölner Selbstbeweihräucherung zu tun haben. Als ich mit Gereon Rath und Berlin anfing, wollte ich weder den Stempel als Lokal- noch als Historienkrimi. Deshalb habe ich damals auch den Verlag gewechselt.



Ihre Hauptfigur heißt Gereon, wie der Stadtpatron Kölns. Absicht?

Zuerst ging es um den Nachnamen, da war ich mal bei Herkenrath, Overath und so. Letztlich habe ich ihn beim Großvater meiner Frau entliehen und schlicht Rath genannt. Der Mann war übrigens auch Polizist. Der Vorname sollte kölnisch klingen, und über Severin landete ich dann bei Gereon.

In Köln ist ihm eine romanische Kirche geweiht.

Und ganz in der Nähe, am Hansaring, habe ich zu Studienzeiten gewohnt.

Was ist das Kölsche an Gereon Rath?

Er wurstelt sich gerne durch, er kann mit der preußischen Prinzipienreiterei nichts anfangen. Ein echter Widerständler wird aus ihm nicht, aber gegen gewisse fanatische Auswüchse, zum Beispiel der Nazis, ist er immun.

„Es fällt dem Kölner schwer, sich in Berlin einzuleben“, heißt es auf Ihrer „Gereon Rath“-Website. Gilt das auch für Sie?

Mir selbst hat Berlin immer gefallen. Diese großen Straßen, das viele Grün faszinieren mich genauso wie die Tatsache, dass Berlin keine glatte Schönheit ist. Schon in den 80ern hatte ich Bekannte dort, auch aus der Hausbesetzerszene. Im Rückblick muss man sagen: Die ersten Wessi-Hausbesetzungen im Prenzlauer Berg, das war zugleich der Anfang der Gentrifizierung.

Die Gereon-Rath-Reihe wird von Tom Tykwer in eine 16-teilige Fernsehserie gegossen. Klingt nach Döblins „Berlin Alexanderplatz“, anno 1980 verfilmt von Rainer Werner Faßbinder.

Das Projekt wird sicher einen anderen Look haben, nicht ganz so dunkel. (lacht) Die Drehbücher haben Tom Tykwer und seine Kollegen geschrieben. Die schreiben auch einiges um, da bin ich nicht beteiligt. Aber Kästner und Döblin sind natürlich die Autoren, die mich in Hinsicht auf die Rath-Krimis am meisten beeinflusst haben. Auch in den 80ern war ich in Berlin schon auf den Spuren von Franz Biberkopf unterwegs.

Da sind wir dann wieder in der Mulackritze und ähnlichen Kaschemmen, in denen sich der Biberkopf herumgetrieben hat. Döblins Protagonist endet erbärmlich. Wie wird es Gereon Rath am Ende Ihrer auf acht Bände angelegten Serie ergehen?

Einen groben Plan habe ich, aber so genau kann ich das heute noch nicht sagen. Ursprünglich wollte ich 1936 mit den Olympischen Spielen enden. Aber das war mir doch zu positiv besetzt, deshalb wird es einen neunten Band geben. Und der soll im Jahr der „Kristallnacht“ 1938 spielen. Das wird allerdings noch gut sechs Jahre dauern, denke ich.





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