Mittwoch, 25. Februar 2009

Thekentänzer (11)

„Isch bin ein schöner Mann“

Kurz vor Mitternacht ist die Kneipe plötzlich wie ausgestorben. Bis auf die beiden Weizentrinker, von deren einem ich vor Stunden den Spruch aufschnappte: „Dat is son Herr Lehmann, weißte. Der is halt Kellner, weil er Kellner is.“
Wie ich solch eine Einschätzung meiner Person hervorrufen kann, ist mir schleierhaft. Aber lieber Herr Lehmann als Weizen trinken.
Gegen halb Zwei gesellt sich ein Pärchen aus dem Münsterland zu den beiden Weizenköpfen. „Ich mag es, wenn die Gespräche so komplett sinnlos werden“, sagt Simone. Ich auch, es sei denn, ich bin so stocknüchtern wie heute.
„Wir sind jetzt Freunde“, sagt ihr Freund, völlig sinnlos. „Also keine richtigen und so, aber eben Freunde.“ Draußen stehen derweil schon seit geraumer Zeit, und wie eine Drohung, zwei unglaubliche Zombies. Beide um die 50, lange Haare, lange Bärte, ein Brüderpaar aus Flittard, woher auch sonst.
„Isch bin ein schöner Mann“, sagt der eine, ohne Unterlass und in so einem verqäkten, extrem langgezogenen Rheinisch. Weizen-Andreas sieht ihn so ungläubig wie verkeimt an. „Da brauchst du gar nischt neidisch zu werden, das is numa so“, sagt der Flittarder. Sein Bruder hat sich ans andere Ende der Theke verdrückt und ist eingeschlafen.
„Isch geh über die Straße, und dann fallen mir die Frauen auch schon um den Hals.“
Weizen-Andreas gönnt sich nicht das kleinste Gekicher. „Glaub ich nich“, sagt er stattdessen.
„Ja meinst du, das juckt misch, wat du jlöüvs?“ sagt der Flittarder aufgebracht und ergänzt: „Du muss dir ens dat Jesischt eincremen. Du kriss Falten.“
Weiter rechts hat sich der Münsterländer von seiner Freundin gelöst und geht auf Recherche. „Hast du dich schomma geprügelt?“ fragt er den gerade aufgewachten Zombiebruder.
„Schon überall“, antwortet der. „Alle meine Freunde sind am Heroin gestorben.“
„Du hast bestimmt mehr zu erzählen als ich.“
„Das kannst du glauben.“
Irgendwann ist es Drei, ich halte ab: „16 Weizen, macht 48 Euro, Jungs.“
„Ich hab doch keine 16 Weizen getrunken, dat kannze mir doch nich erzähln“, sagt der Typ, der mich für einen Herrn Lehmann hält.
„Ich aber auch nich“, ergänzt Andreas.
„Nee“, sage ich, „aber jeder von euch 8.“
„Ja gut, das is was anderes.“
Endlich draußen, besprechen die Flittarder, wo es um diese Zeit noch ein Kölsch geben könnte. Auf dem Weg zur Bahn kommt mir ein schwankender Migrant entgegen: „Wissen Sie, wo hier Puff 80?“
„Nein“, sage ich, „ich bin ein schöner Mann.“



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Mittwoch, 18. Februar 2009

Surfin´Cologne (2)

Der betrunkene Indianer

Im Radio lief ein trauriges Lied. Es handelte von einem „drunken indian“, einem betrunkenen Indianer. Sein Name war Ira Hayes.
Es gibt ein trauriges Indianerlied von Hank Williams. Koo-Liga ist eine Schnitzfigur, die das weibliche Pendant im anderen Regal anbetet, sich ihm aber – als statisches Holzmännchen – niemals nähern kann. Irgendwann wird das Mädchen verkauft und der „poor ol´indian“ bleibt mit gebrochenem Herzen zurück.
Hank Williams wurde 1923 geboren, im selben Jahr wie der Pima-Indianer Ira Hayes. Dieser nahm im Februar/März 1945 an der ebenso legendären wie blutigen Schlacht um die Insel Iwojima teil. Als er schließlich mit einigen Kameraden die amerikanische Flagge hisste, drückte der Kriegsfotograf Joe Rosenthal auf den Auslöser. Das Bild wurde weltberühmt und die Fahnenträger zu Helden. Ira Hayes, gerade 22, wurde zu Propagandazwecken zurück in die Heimat beordert und herumgereicht.
Irgendwann jedoch verblasste der Ruhm, und der schwer traumatisierte Hayes kehrte zurück in sein Indianerreservat. Er verfiel dem Alkohol. 1953 starb Hank Williams, die Todesursache war ein Herzinfarkt in Folge von übermäßigem Alkoholgenuss. Zwei Jahre später, am 24. Januar 1955, nach einer Nacht voller Schnaps, Kartenspiel und Prügeleien, fand man Ira Hayes tot in einem Graben nahe seinem Haus. Hayes lag in seinem eigenen Blut und Erbrochenen, er war erfroren.
Wieder ein paar Jahre darauf schrieb der Liedermacher Peter La Farge seinen berühmtesten Song: „The Ballad of Ira Hayes“, die Geschichte des „Whiskey drinkin´ Indian“ und „Marine that went to war“. Er wurde von Größen wie Bob Dylan und Johnny Cash interpretiert, die ergreifendste Version stammt allerdings von Townes van Zandt. Das war die, die ich im Radio hörte. Wie Williams, Hayes und La Farge erlag auch van Zandt später seinem Alkoholismus.
1968 veröffentlichte Edward Kienholz sein Kunstwerk „Portable War Memorial“, das die berühmte Fahnen-Szene von Iwojima nachstellt, den größten Moment im Leben des Ira Hayes. Es war das selbe Jahr, in dem Iwojima von den Amerikanern zurück unter japanische Obhut gegeben wurde.
Das Tragbare Kriegerdenkmal steht heute in der Pop-Art-Abteilung des Museum Ludwig. Wer daran vorbeikommt: Ira Hayes ist der hinterste der Männer.



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Mittwoch, 11. Februar 2009

Straßenkämpfer (4)

„Ich arbeite an mir“

Die 12 irgendwo in Zollstock, 1-Euro-Läden bis zum Horizont. Der junge Typ neben mir trägt schwere Arbeitsschuhe, Blaumann und Kopfhörer. An der nächsten Station steigt ein Kumpel von ihm zu.
„Alles klar, Alter? Langenichgesehnwokommsteher.“
Sie klatschen sich ab, drehen die Handgelenke, tocken die Fäuste aneinander.
„Ich war arbeiten“, sagt der Neue, der eine Sporttasche dabeihat.
„Un wat machste inzwischen?“
„Nee, ich war Boxen, weißte. Ich boxe nur noch.“
Er sitzt kerzengerade, beide Hände auf den Oberschenkeln, und blickt seinem Gegenüber sehr ernst in die Augen bei diesen Worten.
„Ich arbeite an mir, so nennt das mein Trainer. Ich bin gut, sagt der, und dann hatte ich ja auch letztens schon meinen ersten Kampf.“
„Und? Wie wars?“
„Der Typ nach´m Gong direkt voll auf mich zu, aber ich hab den ausgepowert, verstehste. 3. Runde war der so um, hab ich ihn ausgeknockt. Solarplexus.“
„Hm?“
„Sowas hast du noch nich gesehn, wenn einer am Boden liegt und keine Luft mehr kriegt. Das sind einfach unglaubliche Schmerzen, ich bin mal beim Sparring k.o. gegangen.“
„Und wie geht´s der Jaqueline?“
„Das ist praktisch so, dass ich direkt nach der Arbeit ins Gym gehe. Und auch wenn ich nachts aufwache: Zieh ich mich an und renne ummen Block. Immer in Bewegung, Alter, das is wie ne Sucht.“
„Die Jaqueline hab ich nämlich letztens gesehen. Aufm Ring.“
„Das is eben, weil ich das voll ernst nehme, weißte. Das sind die Körpertreffer. Die meisten Typen gehn aufn Kopf, aber ich gehe aufn Körper, Leberhaken und so, das is meine Spezialität, is imgrunde seit fünf Wochen Schluss mit.“
„Mit ner Freundin stand die da, ich glaub, die kannte ich auch irgendwoher.“
„Das is viel schwerer, jemanden übern Körper auszuknocken, weil da ja auch die Deckung is und so. Deckung is sowieso alles, verstehste? Deckung is alles, seit fünf Wochen, is ja okay, ne. Wir reden noch und so, ich hab eben keine Zeit mehr für sowas. Frauen, da musst du einfach mehr reinstecken in sowas, und ich eben immer ins Gym und so, wie gesagt: Ich arbeite an mir.“



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Mittwoch, 4. Februar 2009

Thekentänzer (10)

Hirn, Herz und Hoden

Ein Brauhaus in der Altstadt, früher Nachmittag. Im Restaurantbereich sitzen ein paar Grüppchen und essen. An den Hochtischen um die Theke herum jedoch ist es noch gähnend leer, außer mir lehnt da nur noch ein Pärchen. Über meine Zeitung gebeugt bekomme ich peu à peu mit, wie die beiden zueinander stehen.
So nämlich:

- Sie arbeiten, seit kurzem, im selben Betrieb.
- Sie haben sich jetzt schon häufiger hier getroffen und schätzen den jeweils anderen dafür, dass man sich ganz toll mit ihm unterhalten könne.
- Beide sind verheiratet und haben Kinder.
- Ins Körperlich-Sexuelle hat sich ihre Beziehung noch nicht ausgewachsen.
- Mit diesem letzten Fakt scheint zumindest der Mann inzwischen zu hadern.

„Das wird ja sonst schal“, sagt er, trinkt ihr Kölsch aus und bestellt zwei neue. Damit hat er ganz ohne Diskussion verhindert, dass sie am Fuße des Bieres womöglich auf die Idee kommt zu gehen. Um sie das nicht merken zu lassen, schwenkt er gleichzeitig auf lustige Kindergeschichten über: dass er seinem Sohn letztens die Schokolade weggegessen hat und dass der ihn dafür ausgeschimpft hat und so weiter.
Die Frau lacht, ein bisschen gezwungen zwar, aber aufmunternd genug, um den Mann unterm Tisch ihre Hand ergreifen zu lassen. Schnell sind alle zehn Finger ineinander verschränkt.
„Was machst du Montag zwischen 12 und 2?“, fragt er. Direkt nach der Kindergeschichte ist das natürlich ein Frontalangriff. Gigoloesk, wagemutig und gesegnet mit dieser Prise Dreistheit, ohne die ein Mann keiner wäre.
Aber Montag Mittag kann sie nicht.
„Ah, ja, na gut“, sagt er und lacht, verlegen nun. „Noch zwei Kölsch?“
Zum Austrinken des vorigen Glases löst sie ihre Hand aus der seinen. Er kontert dies, indem er ihr den freigewordenen Arm um die Schultern legt. Nicht nur seine Gesten, auch seine Stimme wird mit jedem Glas lauter. Der Mann heißt Klaus, und Bier reimt sich auf Gier. Um einen Kuss zu inszenieren, lobt er die Frau, sie heißt Ute, für irgend etwas. Und drückt ihr dann so eine Art Belohnungsschmatzer auf die Wange.
„Sollen wir noch irgendwo hingehen?“, fragt er, als sein Glas wieder einmal leer ist. Die Uhr hinter der Theke geht auf 4 zu, aber Ute will nirgendwo anders mehr hin. Und Ute hat, das ist mehr als gewiss, auch keinen Durst mehr. Und jeder Beobachter würde genau wie ich merken, dass der Zeitpunkt überschritten ist, der magische. Der Moment, in dem es Klick hätte machen müssen. Auch Klaus merkt das, aber er kann es nicht zugeben. Ein Mann, eingeklemmt zwischen Hirn, Herz und Hoden. Catch 22.
Und darum geht Klaus nun erst einmal pinkeln.
„Die Natur ruft“, sagt er.
Ich zahle.



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