Mittwoch, 29. September 2010

Thekentänzer (34)

Die Frau mit dem Fahrrad

Die Frau mit dem Fahrrad, die Tasche im Körbchen der Fahrradfrau. „Neurologische Klinik Daundda“, steht da drauf. Man sieht nur ihren Hinterkopf, hört sie aber reden:
„Das hättest du nicht tun dürfen“, sagt sie immer wieder. „Das hättest du nicht tun dürfen.“
Später in der Kneipe steht ein junger Angeber neben einem etwas älteren Polen.
„Du hast echt bei euch im AKW gearbeitet?“
„Ja“, sagt der Pole und versucht, amüsiert zu lächeln.
„Da habt ihr die Atomkerne noch mit Hammer und Meißel gespalten, wa.“
Schon um halb 8 stand Konrad am Fenster, so nannte der sich. Und wollte rein.
„Inner halben Stunde, Konrad.“
Und jetzt ist er wieder da, um die 60, schwer betrunken.
„So einen wie mich“, lallt er, „so einen wie mich kannst du nicht ersetzen. Den kannste nur erlegen.“ Sein heiseres Lachen geht in einen grauenhaften Husten über, der nicht aufhören will, immer wieder hochschwappt und schwächlich versinkt.
Der junge Angeber spricht in irgendeinem alpinen Dialekt. Er will noch einen doppelten Jim Beam, na gut. Aber die Eismaschine ist kaputt, gibt keine Würfel dazu.
„Und Brezn ham wir auch nich“, sagt der Pole, um mal seinerseits ein kleines Zeichen zu setzen.
„Bayern ist mir scheißegal. Ich bin a Österreicher“, erwidert der Angeber. „Kann ich Eis in den Whiskey haben?“
Ich dimme das Licht, um ihn schlechter zu sehen.
„Ach Gott, is dat schön hier“, singt Konrad. „Gipß hier auch Weiber?“
Hinter ihm am Hochtisch sitzen zwei Frauen. Sie beachten keinen von uns. Aus den Boxen schallt In-A-Gadda-Da-Vida von Iron Butterfly, die volle 17-Minuten-Version. Angeblich wollte Doug Ingle eigentlich „In the Garden of Eden“ singen, war dazu aber nach mehreren Litern Wein nicht mehr in der Lage.
„Hast du mal Richie Havens gesehen, wie der in Woodstock ´Freedom´ bringt?“ fragt der Österreicher in die Runde. – „Da kannst du dem alle klassische Musik in sein zahnloses Maul stopfen.“
Je länger man über diesen Satz nachdenkt, desto weniger Sinn macht er. Das scheint auch der alpine Angeber zu merken: „I nehm noch aan Doppelten.“
Der Pole hat sein drittes Kölsch geleert und will bezahlen.
„Grüß deine Frau“, rufe ich ihm hinterher.
„Mach ich“, sagt er geknickt, „wenn die wieder mit mir redet.“
Der alte Säufer ist merklich stiller geworden. In seinem Fischgrätmantel nisten die Motten. Aber plötzlich schnellt sein Kinn vor.
„Weißt du was?“ sagt er und winkt mir mit einem dreckigen Zeigefinger. „Das Leben ist ein Boxkampf. Und Boxkämpfe! – Die müssen schwarzweiß sein.“


Peter Müller schlägt 1952 den Ringrichter Max Pippow k.o. Die Zeichnung darunter stammt auch von Müller und soll eine Maus darstellen. (Aufgenommen im „Mauseum“ in Glessen)


Wer diese Kolumne zukünftig jeden Mittwoch zugeschickt bekommen möchte, schreibe eine Mail an thekentaenzer@netcologne.de, Stichwort: Die Köln-Kolumne.

Mittwoch, 22. September 2010

Deutschlandreisen (2)

Ein Morgen im Westwallbunker

„Da haben Sie Glück, ich habe gerade ein paar Tage Urlaub“, sagt Herr Dräger, weil ich jenseits der Öffnungszeiten anrufe.
Er betreut ehrenamtlich den Bunker 20 in Dillingen an der Saar. Ein Relikt von Hitlers Westwall: 630 Kilometer Festungslinie entlang der deutschen Westgrenze; 1,2 Mio. Tonnen Stahl, 8 Mio. Tonnen Zement. Beim Bunker in Dillingen handelt es sich um einen Regelbau 114 b SK der Wandstärke A, das heißt, die Decken und Wände bestehen hier aus 3,50 m dickem Beton.
„Da konnte keine damalige Waffe gegen an“, sagt Dräger.
Ende 1944 war hier die Hölle los. Der Bunker wechselte mehrmals den Besitzer, mehrere hundert Soldaten starben auf beiden Seiten. Zwar steht man hier ausschließlich zwischen kaltem Beton und Stahl, dennoch besticht die beinahe liebevoll zu nennende Präzision, mit der alles ineinanderpasst. Die Patronenhülsen des MG wurden über einen Trichter entsorgt, damit nichts im Weg lag, Frischluft wurde im Notfall per Hand nach innen gepumpt, und das Winkelfernrohr ist ein Traum der Feinmechanik.
Die fast 50 Tonnen schwere Turmkuppel verfügt über sechs Schießscharten, durch die man das komplette Gelände im Blick hat:



Gemütlich war es hier trotzdem nicht:



Dräger hat schon an der Aufarbeitung eines anderen Bunkers mitgewirkt. Aber da wollten die Politiker zuviel mitreden. Hier in Pachten führt er allein Regie. Als draußen ein Schrottsammler vorbeifährt, schmeißt er sich an eine der Sichtluken:
„Einmal haben wir hier, direkt vorm Bunker, eine Original-Werkzeugkiste vom Lader geholt.“
Sammlererfolge, so sind die alle.
Gesammelt wird auch in der Eifel, im Panzerwerk Katzenkopf in Irrel. Zum Beispiel Helme, deutsche, amerikanische, chinesische. Dort stoße ich auch auf eine dieser lebensgroßen Museumsfiguren, die immer so schaurig faszinieren.
„Der liegt hier schon lange auf Wache“, sagt Thomas, mein Führer von der Freiwilligen Feuerwehr.


Ami in Irrel


Bevor ich aufs Motorrad steige, spaziere ich zur Saar. Ein alter Kerl mit Schiffermütze kommt mir mit seinem jungen Schäferhund entgegen. Das Tier kläfft mich wie verrückt an, der Alte sagt etwas auf Dudenhöfferisch. Ich verstehe kein Wort und gehe weiter. Er wiederholt sich, verständlicher diesmal. Ich soll den Hund streicheln, damit der sich an Menschen gewöhnt. Ist das ein Trick?
In Dillingen floss die Saar um 1940 gut 100 Meter weiter landeinwärts. Der Bunker lag also viel näher am Ufer. Heutzutage, und das ist vielleicht der symbolträchtige Clou, wurde über dem Bunkergelände ein Spielplatz angelegt. Und der Schartenturm, in Tarnfarben gestrichen, dient als Klettergerät.
„Ich bin ungedient“, sagt Herr Dräger, als ich ihn auf sein Bundeswehrhemd anspreche. Und weil ich dieses Wort so lange nicht mehr gehört habe, spreche ich ihm nach:
„Ich bin auch ungedient.“


Wer diese Kolumne zukünftig jeden Mittwoch zugeschickt bekommen möchte, schreibe eine Mail an thekentaenzer@netcologne.de, Stichwort: Die Köln-Kolumne.

Mittwoch, 15. September 2010

Deutschlandreisen (1)

Helmut und ich in Aachen

Ich betrete die Aachener Innenstadt durch das Marschiertor. Genau wie in den Kölner Torburgen residiert auch hier eine Karnevalsgesellschaft. Bis zum berühmten Dom Karls des Großen sind es nur ein paar hundert Meter, aber ein heftiger Regenschauer zwingt mich in die nächste Kneipe. Sie heißt Aachener Brauhaus. Linkerhand geht es in den riesigen Speisesaal, der um diese Tageszeit noch ziemlich leer ist. Die Kellnerin trägt einen Stapel Speisekarten unter dem Arm, und bevor es zu Missverständnissen kommt, sage ich: „Ich will nur ein Bier trinken.“
„Können Sie gern hier an einem der Tische machen“, antwortet die junge Frau. „Oder Sie gehen nach nebenan in den Schankraum.“ Ihr Blick wandert zu der kleinen Quertür mit den Butzenscheiben. Hinter bunten Glasscherben sehe ich verschwommene Männergestalten und trete ohne weitere Fragen ein. Zwei Uhr, und der Laden ist voll. – Laden? Nun ja, eher handelt es sich um ein kleines Rechteck von vielleicht fünf mal zwei Metern. Hier steht man entlang der Theke oder sitzt auf dem niedrigen Bänkchen an der Wand. Die Leute, die sich hier treffen, wollen ihr Bier nicht allein trinken. Nein, die wollen gemeinsam rauchen und lachen und ihren üblichen Verzäll loswerden. Und dementsprechend muss ich auch nicht lange warten, bis ich angesprochen werde. Noch steht mein Bier nicht vor mir, da schielt der alte Kerl zu meiner Linken schon rüber.
„Da kommt man von Dortmund hierher und die setzen einem ein Sauerländer Pils vor die Nase“, sagt er mit Blick auf sein Warsteiner. Und schiebt nach: „Ich bin der Helmut.“
Angeblich ist der Helmut genau wie ich vor dem Regen geflohen, also zwangsweise hier. Aber als kurz darauf sein nächstes Pils ankommt, erhasche ich einen Blick auf seinen Deckel: Schon sechs Striche drauf, so lange regnet es noch gar nicht.
„Spricht der Aachener Platt?“ frage ich in die Runde. Gegenüber am Fenster ist es laut geworden, es scheint um Steuern zu gehen. Um die Biersteuer vielleicht.
„Nee“, sagt der dickbäuchige Bartträger rechts von mir. „Der ist Holländer. Das klingt aber tatsächlich so ähnlich wie unser Platt, ist ja auch alles nicht weit von hier.“
Und dann erklärt er mir, dass die Holländer vor allem wochenends in Aachen einfallen wie die Heuschrecken.
„Überall Holländer, man meint, die hätten bei sich außer Windmühlen nichts. Die sind beim Knipsen noch verrückter wie der Chinese. Aber sagen wir mal so: Der Aachener Dom ist ja auch wirklich was Besonderes.“
Genau, der Dom. Wegen dem bin ich ja eigentlich hier. Ich mag keine Printen, für die die Stadt genau so berühmt ist. Später, beim Kaffee auf dem Marktplatz, sehe ich an einer Ecke das Printenhaus von diesem Bühlbecker. Der Mann mit der Frisur aus Stirlingsilber, der sich auf absolut jedes Promifoto schleicht. Angeblich gibt der keine müde Mark für Werbung aus, sondern vertickt seinen Lebkuchen allein durch seine Präsenz in der Yellow Press. Bühlbecker mit Dita von Teese, Bühlbecker mit Mario Adorf und Bühlbecker in dieser Kolumne. Tja, ich bin also auch auf den reingefallen.
Dort hinter dem Rathaus findet sich im übrigen auch der berühmte Karlsbrunnen. Großer Brunnen, kleiner Karl. Die Knochen im Karlsschrein, so sie denn seine sind, weisen den Herrscher als 2,04 Meter großen Riesen aus – ein echtes Monster, zumal für das 8. Jahrhundert. Auf dem Karlsbrunnen hingegen steht ein Hampelmann von vielleicht 1,50 Metern. Machen die das, um jede Breker-Assoziation zu vermeiden? Um ja nicht in die Nähe von braunem Kolossalismus gerückt zu werden? – Also wenn es nach mir ginge, wäre der Brunnen-Charlie größer.
Oft sind es die ganz kleinen Dinge, eine scheinbare Nebensächlichkeit, die einem ein Kunstwerk näherbringen. So ein goldener Schrein wie der im Aachener Dom zum Beispiel: Der glänzt, klar! Aber ein Sahnebonbon von Werther glänzt auch (erst recht, wenn er einmal angelutscht ist). Das ist echtes Gold, kann man sich einreden, wenn man diesen Sarg sieht. Und da liegen die Gebeine Karls des Großen drin, einer der bedeutendsten Kaiser der deutschen Geschichte. Aber all das kickt nicht so richtig, denn das Gold kann man nicht anfassen und die Knochen nicht sehen. Dann jedoch erklärt die Führerin jene Figurenkonstellation auf dem westlichen Ende des Schreins. Dass da der liebe Karl riesenhaft in der Mitte thront, dass er – genau, jetzt sehe ich es auch! – selbst sitzend noch die beiden stehenden Figuren an seiner Seite überragt. Und dass der Mann zu seiner Linken der Papst sein soll: klein, unscheinbar und dazu auch noch in einer furchtbar unbequemen gebückten Haltung, die durch seine viel zu kleine Nische erzwungen wird. Karls Sarg entstand kurz nach seiner Heiligsprechung, da waren Ruhm und Ehrfurcht noch frisch. Und mit dieser figürliche Demütigung des Kirchenoberhaupts hatte jemand klar Stellung bezogen im ewigen Machtkampf zwischen Kaisern und Papsttum.
Als ich den Dom wieder verlasse, hat der Regen aufgehört. Mal sehen, ob ich irgendwo den Helmut treffe.


Karls Thron, ca. 400 Meter hinter dem Aachener Brauhaus


Wer diese Kolumne zukünftig jeden Mittwoch zugeschickt bekommen möchte, schreibe eine Mail an thekentaenzer@netcologne.de, Stichwort: Die Köln-Kolumne.

Mittwoch, 8. September 2010

Fundstücke (8)

Junge Mütter und ältere Startbahnhüttendörflerinnen
Schildergasse
Joggender Typ mit Knopftelefon, extrem laut: „Du willst nicht zu mir zurückkommen?“
Frau: ???
Joggender Typ: „Ja aber warum denn nich?“
Frau: ???
Joggender Typ: „Das is doch totaler Scheiß, was du da ...“
Frau: ???
Joggender Typ: „Dann leck mich, weißt du dat!“
Frau: ???
Joggender Typ: (nimmt Stöpsel aus dem Ohr und entschwindet hinter C&A)

Die Zeitschrift Graswurzelrevolution zum „Anarchafeministischen Sommercamp“ in Alsfeld
„Sie kamen aus verschiedenen sozialen Bewegungen: Ältere ehemalige Startbahnhüttendörflerinnen und junge Genfeldbesetzerinnen, Antifa-Aktivistinnen, Frauen der Uni-Hochschulpolitik, eine anarchistisch denkende Direktkandidatin der Linken für den Bundestag, zwei Autorinnen des Kommunefrauenbuches, eine Kommunebewohnerin, Theaterschaffende, eine ehemalige Mutlangen-Friedensaktivistin, zwei Syndikalistinnen der FAU und in Nachbarschaftsaktionen Aktive versammelten sich bei Alsfeld, um sich über verschiedene Themen und ihre Erfahrungen auszutauschen.“

Südstadion, Fankurve
Junge Frau mit Bockwurst, deren Baby plötzlich kreischt wie am Spieß, zu ihrem Mann: „Hier, iss du die Wurst.“
Mann, die Wurst entgegennehmend, während die Frau das Baby tröstet: „Aber da ist ja gar kein Senf drauf!“

Mutter-Kind-Bindung in den 1930er Jahren

Katharina Petzoldt, aus dem Gedicht „Zollstock, Endstatiun“, in: Dat es Kölle, wie et läv, 1991
„Jrad üvver uns, das Herrmanns Nett
zick einem Johr kein Arbeit hät.
Schon morjens fröh süht mer et laufe,
för jeden Dach Schabau zo kaufe.
Et dort nit lang, do weesch et sinn,
kütt dat noch en de Aanstalt ren.“

Geißbockecho, Vortext zum Gespräch mit Rheinenergiechef Dieter Steinkamp
„(Rheinenergie, das sind) die, denen die Menschen wichtig sind. Die, die wissen, dass sie mit ihren Produkten in die intimsten Bereiche ihrer Kunden vordringen und diese Verantwortung ernst nehmen. Die, die bewusst dafür sorgen, dass im Kinderzimmer ein Notlicht glimmt, die Suppe im Winter auch warm wird, die Toilette voll Spülwasser ist, bei der Party die Musik aus den Boxen wummert und das Handy, der mp3-Player und das Laptop jederzeit aufgeladen werden können.“

Wer diese Kolumne zukünftig jeden Mittwoch zugeschickt bekommen möchte, schreibe eine Mail an thekentaenzer@netcologne.de, Stichwort: Die Köln-Kolumne.

Mittwoch, 1. September 2010

Coloniales (29)

Friedrich Schiller und die Heinzelmännchen

Hat Friedrich Schiller sein berühmtes Gedicht „Die Glocke“ bei August Kopisch („Die Heinzelmännchen zu Köln“) geklaut? Gleich mehrere überregionale Feuilletons griffen den spektakulären Vorwurf in den letzten Wochen auf, ohne dass eine einzige Kölner Zeitung reagierte. Grund genug also, wenigstens in dieser Kolumne die Fakten zusammenzutragen.
Zunächst einmal springt auf sprachlich-strukturalistischer Ebene die Homogenität der Ereignisse und Biographien ins Auge. Schiller erklärt den Werdegang einer - zwischenzeitlich berstenden - Glocke, und eins auf die Glocke bekamen auch die Heinzelmännchen. Beide, Schiller und Kopisch, sind Maienkinder, und beide fordern in ihren moralisch intendierten Werken zu Fleiß und Anstand auf. Schillers „Glocke“ erschien anno 1799, genau hundert Jahre, bevor man in Köln den Heinzelmännchenbrunnen errichtete. Und während Schiller seine Glocke in die Hand der „frisch Gesellen“ legt, steht Kopischs Brunnen vor dem „Brauhaus Früh“. „Frisch“ und „Früh“, das ist selbstverständlich ein Analogon zum idiomatischen Brüderpaar „Fromm“ und „Frei“.
Mindestens doppelt unterstrichen wird die These von Schillers Nacheiferung bei der Gegenüberstellung der beiden Poeme. Hier zwei exemplarische Auszüge:


Friedrich Schiller: Die Glocke

Und drinnen waltet
Die züchtige Hausfrau,
Die Mutter der Kinder,
Und herrschet weise
Im häuslichen Kreise,
Und lehret die Mädchen
Und wehret den Knaben,
Und reget ohn´ Ende
Die fleißigen Hände,
Und mehrt den Gewinn
Mit ordnendem Sinn,
Und füllet mit Schätzen die duftenden Laden,
Und dreht um die schnurrende Spindel den Faden,
Und sammelt im reinlich geglätteten Schrein
Die schimmernde Wolle, den schneeigen Lein,
Und füget zum Guten den Glanz und den Schimmer,
Und ruhet nimmer.


August Kopisch: Die Heinzelmännchen zu Köln

Die faulen Burschen legten sich,
Die Heinzelmännchen regten sich -
Und ächzten daher
Mit den Säcken schwer!
Und kneteten tüchtig
Und wogen es richtig,
Und hoben
Und schoben,
Und fegten und backten
Und klopften und hackten.
Die Burschen schnarchten noch im Chor:
Da rückte schon das Brot, das neue, vor!


Sofort erkennt auch der Laie die thematischen und rhetorischen Parallelen: In beiden Gedichten geht es um die Arbeit, um den mühseligen, dennoch mit Mut und Emphase zu bewätigenden Alltag. Wie Kopisch, so reiht auch Schiller einen „und“-Satz an den anderen, um so die Monotonie des Vorgangs sprachlich abzubilden. Auf den ersten Blick erkennt man auch das metrische Muster, das der Weimarer Dichterfürst bei Kopisch abgekupfert hat: Hier wie dort bestimmen stampfende Daktylen den Rhythmus: „Und lehret die Mädchen“ (Schiller) - „Und kneteten tüchtig“ (Kopisch).
Hier könnte man enden, der Beweis ist erbracht, zumal im Familiennamen „Kopisch“ nicht zufällig das Nomen „Kopie“ anklingt. Der große, 1802 geadelte Friedrich von Schiller hat eines seiner berühmtesten Gedichte dem kleinen Breslauer August Kopisch zu verdanken. Wäre da nicht noch ein weiteres Detail, das hier schlussendlich zu erwähnen ist.
Denn bezeichnend für den Weimarer Geist ist nicht zuletzt die reaktionäre Wendung, die der Dichterfürst dem kölnischen Original verpasste. Statt auf fleißige Männlein stößt man in der „Glocke“ auf Heimchen am Herd. „Die züchtige Hausfrau“ hütet die Küche, „lehret die Mädchen“, kurzum: hält das ganze Haus in Ordnung, während es den Mann nach draußen, in die weite Welt treibt, wie es an anderer Stelle sinngemäß heißt. Rückwärtsgewandter kann ein Frauenbild kaum sein, Schiller übertrifft hier jedes patriarchale Klischee. Bei Kopisch hingegen sind es die Zwerge, die schaffen, hier scheint bereits die Idee vom modernen, im Haushalt wie selbstverständlich mitwirkenden Mann auf. - Wenn man auch zugeben muss, dass die der Schneidersfrau zugeschriebene Neugier gleichfalls nicht ganz frei von geschlechterspezifischen Ressentiments ist.


Die Heinzelmännchen zu Köln. Man beachte die glockenhafte Mütze des 2. von links.



Wer diese Kolumne zukünftig jeden Mittwoch zugeschickt bekommen möchte, schreibe eine Mail an thekentaenzer@netcologne.de, Stichwort: Die Köln-Kolumne.