Mittwoch, 30. September 2009

Thekentänzer (17)

Erdbeerfleisch und blonde Mäuse

„Alles klar?“ fragt Didi.
„Nee“, sagt die Budweiser-Biggi.
„Dann bist du hier richtig.“
Didi wirkt unruhig. Seit er aufgehört hat zu rauchen, weiß er nicht mehr wohin mit seinen Fingern.
„Sollen wir denn jetzt mal ne Runde würfeln?“ fragt er.
Jerômes Stirn wirkt nach dem achten Whiskey ziemlich zerfurcht, als hätte er große Sorgen.
„Scheiß Wochenende war das“, sagt er, „musste ich mich unbedingt irgendwie abreagieren.“
„Haste wen vermöbelt?“
„Nee, aber in der Spielebude war ich. Sag ich zu dem Typ: ´Ich will ein Ballerspiel.´ Sagt der: ´Da gibt´s viele.´ Sag ich: ´Ja, so richtig mit innen Kopf schießen und so. Und auch auf keinen Fall mit irgendwelchen Monstern, weil ich will richtige Menschen abknallen.´“
„Du bist ja n echter Rocker, was?“ sagt die Budweiser-Biggi.
Didis Stimme klingt belehrend, als er ihr entgegnet: „Rocker sind auch nur Hippies in Lederhosen. Kommt, lasst uns ne Runde würfeln.“
„Was laberst denn du?“ geifert die Budweiser-Biggi. “Ich war mal mit nem Rocker zusammen, du Flasche.“
„´Born to be wild´ ist nichts als ein verdammtes Hippielied. Hör dir doch nur mal dieses Genöhle im Refrain an: ´Born to be wa-ha-ha-ha-eild´. Dann weißt du bescheid.“
Didi ist jetzt in voller Fahrt, die Würfelsucht für einen Moment heruntergedimmt.
„Gibt sowieso keine echten Rocker mehr, haste gelesen? Die Kölner Hell´s Angels ham sich von denen aus Frechen vertrimmen lassen. Also der FC verliert zuhause gegen Leverkusen und die Kölner Angels gegen welche, wo hinten auf der Karre BM draufsteht.“
„BM“, brabbelt Jerôme und ordert einen neuen Jamie. „Blonde Mäuse. Weißt du, was ne gute Frau is?“
„Okay, sag es uns“, sagt die Budweiser-Biggi.
„Die sich nach´m Poppen in zwei Kumpels und nen Kasten Bier verwandelt.“
„Stimmt, das wär super“, sagt Didi ungerührt. „Und´n paar Frikadellen fänd ich auch noch gut.“
Jerôme sieht ihn entgeistert an: „Meinst du das jetzt ernst?“ Bald darauf bezahlt er und geht, Didi und Biggi bleiben allein zurück.
„Komm, lass uns ne Runde würfeln,“ sagt Didi.
„Okay“, sagt die Biggi.
Beim ersten Wurf fliegen zwei der drei Würfel ins Spülbecken. So gegen 2 ist die Flasche mit dem Birnenschnaps leer. Biggi und Didi sind in ein Gespräch vertieft, dem nur sie beide folgen können. Immer wenn Biggi in einen ihrer Sekundenschläfe sinkt, nippt Didi heimlich an ihrer Flasche.
„Wenn deine Katze Marmelade frisst ...“, hebt Didi träge an.
„Was dann?“ fragt die Budweiser-Biggi.
„ ...dann war Fleisch in den Erdbeeren.“


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Mittwoch, 23. September 2009

Momentaufnahmen (5)

Pornographische Kurzgeschichte nachts um 3 im McDonald´s an der Bonner

Kino, Ringe
Fönfrisiertes Jüngelchen: „Sind die gesüßt?“
Popcorn-Verkäuferin: „Ja.“
Fönfrisiertes Jüngelchen: „Dann nehm´ ich die nicht.“

Kneipe, Altstadt
Gast: „Ich hätte gern zwei Tannenzäpfle, ein Radler und einen halben Salatteller.“
Kellner: „Aber sonst geht´s noch, ja?“

Heimwegslyrik: Krieger
Der Ventilator dreht seine Runden, der
Flipper fiept sein Dideldidu und der Rosenverkäufer
ist nur 1,50 und kriegt jetzt
einen Schnaps.
Der langsame Karl bestellt sich sein
Kristallweizen, während der Arab immer
zwei Wasser vorm Trinken trinkt. „Ich
heiße Ingomar“, sagt der Neue, „ich
bin ein Krieger, ich krieg jetzt
ein Kölsch.“

Kneipe, Nordstadt
„Ich hab´ das Spiel schon auf Sky gesehen“, sagt der Typ bei der Übertragung um 10. Und das bedeutet: Er trinkt mindestens seit halb 4.

Aldi, jene der beiden Kassenschlangen, wo´s mal wieder viel länger dauert
1. Mann: „Mahatma Glück.“
2. Mann: „Mahatma Pech.“
Ich: „Mahatma Gandhi.“
1. Mann, 2. Mann & Ich: (lachen)

Pornographische Kurzgeschichte nachts um 3 im McDonald´s an der Bonner
Felicia Ulrich aus Solingen, zweifache Mutter, Unternehmerin und neuerdings McDonald´s Qualitäts-Scout. Dieses Amt hat sie in die Pfalz geführt: auf die Salatfelder von Landwirt Thomas Gödelmann (sic!). Denn während der Saison stammt der McDonald´s Salat fast nur aus deutschem Freilandanbau.
Lediglich im Winter wird er aus Südeuropa bezogen, aber immer aus kontrolliertem Landbau. Felicia Ulrich ist verblüfft: „Was ich nie gedacht hätte: Der Salat wird von Hand geerntet (sic!) und weiterverarbeitet. Und weil die Wege zum Restaurant möglichst kurz sind, schmeckt´s da auch immer knackig frisch.“


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Mittwoch, 16. September 2009

Coloniales (23)

Kammerjäger Ostermann

Willi Ostermann steht in Köln auf einer Stufe mit seinem Namensvetter Millowitsch und der heiligen Ursula. Seine Lieder gelten als Evergreens, wenn nicht gar als Hymnen, und in der Altstadt wurde ihm ein denkmalgekrönter Platz gewidmet. Aber hat der Mann all dies auch wirklich verdient?
Ostermann starb 1936. Angeblich ist er erst 1934 in die NSDAP eingetreten. Das stimmt vermutlich genauso wenig wie die Behauptung, dass er mit den Nazis nichts am Hut hatte. Seit 2007 sind seine Werke „gemeinfrei“, das heißt, jeder darf sie nach Belieben veröffentlichen und kopieren. Das ausführlichste Archiv zum heiligen Willi hat die Kölschband „De Kallendresser“ aufgebaut und ins Netz gestellt (www.kallendresser.de). Dort findet man auch einen Hinweis auf Ostermanns Gedichtband „Plattkölsche Kriegsgedichte“. Es ist einer von insgesamt lediglich zweien, auf die man bei der Google-Eingabe „Willi Ostermann“ + „Plattdeutsche Kriegsgedichte“ stößt. Und hier wie da wird lediglich der Titel angeführt, ohne Hinweis auf den Inhalt dieses Büchleins oder gar den Abdruck eines der Poeme.
Den erwähnten Band bekam ich von Volker Gröbe, viele Jahre Vorsitzender der Akademie för uns kölsche Sproch. Das Buch stammt aus dem Jahr 1914 und heißt mit vollem Titel: „Plattkölsche Kriegsgedichte über die großen Ereignisse im Jahre 1914“. Ostermann war damals bereits berühmt, erfolgreich und wohlhabend. Auch war er kein junger Stürmer mehr, sondern ging auf die 40 zu. Ich erwähne dies, um deutlich zu machen, dass das gleich folgende Gedicht nicht der widerwärtige Auswuchs eines kriegslüsternen Heißsporns oder frustrierten Künstlers ist. Sondern das Werk eines erwachsenen, chauvinistischen Volkshelden.
Aber lesen Sie selbst, wie Ostermanns Willi sich (in der Original-Rechtschreibung) seinerzeit die Entsorgung der russischen Kriegsgefangenen vorstellte:

Russe!

(Russen hintereinander gefangen am 30., 31. August und 4. September 1914)

En dreßigtausend Russe
Am Mondagmeddag hat
Eet deutsche Heer gefange,
Su heeß et en d´r Stadt.

Doch schon am selbe Ovend
Schlog en Tepesch mer ahn,
Dat et kein dreßigtausend.
Nä, sechszigtausend Mann.

Un dann des andren Morgens
Ich nix mie sage kund,
Wie jet vun sibbzigtausend
Dann en d´r Zeidung stund.

Die sin noch jitz am zälle,
Un mich nit wundre soll,
Wenn Engk diss Woch mer höre,
Das Hunderttausend voll.

Wat mäht mer no, ich froge,
Met all däm fremb Gemöß,
Dat Ungeziefer födere,
Beß dat se engelöß?

Beß jetz han Kammerjäger
För Russe sich bewäht.
Die sollen se vertilge,
Mie sin se doch nit wäht.


Darauf ein dreifaches: „Ich mööch zo Fooß noh Kölle jonn“!


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Mittwoch, 9. September 2009

Straßenkämpfer (8)

Neulich in der Muckibude

Mist, der Typ geht genau an das Gerät, das ich gerade verlassen habe. Morgens um halb 9 trifft man in der Muckibude normalerweise nur alte Damen, die ein paar Einheiten BauchBeinePo mit einem gepflegten Schwätzchen verbinden. Aber der junge Mann da, der hat so ziemlich meine Figur (jedenfalls brust- und bizepsmäßig, der Rest ist ja sowieso egal). Nur dass der Sack 60 Kilo auflegt, wo ich auf 30 eingestellt hatte.
Dass man auf die Gewichtsmargen der anderen Kraftbolzer spinkst, ist normal. Und genauso, dass man sich nichts anmerken lässt. Aber der Angeber hier, also ich glaube, der hat mich so ein bisschen verächtlich von der Seite gemustert.
Während er an Gerät 1 seine 60-Kilo-Einheiten wegpumpt, sitze ich an Station 2. Da schaffe ich normalerweise noch weniger. Über 25 Kilo bin ich da noch nie gekommen, jedenfalls nicht, wenn ich mich an den empfohlenen Turnus von 3 mal 15 Aktionen halte. Zum Glück stöhnt und prustet der Typ gerade, als ich an der 2 fertig werde. Schnell ziehe ich den Pin raus und stecke ihn in die 50. Wirst schon noch sehen, Bürschchen!
Eigentlich sieht der Kerl ganz sympathisch aus. Aber ich kann ihn trotzdem nicht leiden. Offenbar macht er kürzere Pausen zwischen den Blocks, an der sechsten Station hat er mich ein. Die ist ganz schlimm, da geht´s um die Oberschenkelmuskulatur. Ich habe halt schlanke Beine, sage ich mir. Kein Problem, dass ich hier nur 55 wegpumpe, während der Typ mit 95 hantiert. Irgendwann, Bürschchen, hast du Beine wie ein bulgarischer Gewichtheber. Dann geht gar nix mehr.
Erst als wir an die Innenschenkelmaschine kommen, fällt mir auf, dass mein Konkurrent fingerfreie Handschuhe trägt. Einen gewissen Sinn machen die durchaus, weil man schonmal schweißnass abrutschen kann. Aber der Typ ist bei mir jetzt erst recht unten durch. Fingerfreie Handschuhe sind Schaumacher-Accessoires, völlig klarer Fall.
Die Endstation bildet immer die lange Bank, auf der man die Knie anwinkelt und Sit-ups für die Bauchmuskeln macht. Höllische Schmerzen bereitet das, aber ich beiße mich stumm durch. Als ich zur Seite blicke, bemerke ich, dass dem anderen etwas aus der Tasche gefallen ist: eine etwa zehn Zentimeter lange, flache Röhre mit anscheinend pulverigem Inhalt. Aha, denke ich, der verdammte Angeber dopt! Hundert pro hat der da irgendein Muskelpräparat drin, Anabolika, Stereoide, Epo, was weiß ich. Klar, dass der dann immer das Doppelte pumpt, der Sack.
Als er sich erhebt und breitbeinig Richtung Umkleide stolziert, will ich meinen Triumph auskosten.
„Hey“, rufe ich, „du hast da was verloren.“
Zum ersten mal seit dem Beginn unserer gemeinsamen Runde sieht er mich voll an. Kurze blonde Haare, blaue Augen, offenener Blick.
„Super. Danke“, sagt er, „das war der Zucker von McDonald´s.“


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Mittwoch, 2. September 2009

Coloniales (22)

Soeben ist der zweite Band der „111 Kölner Orte, die man gesehen haben muss“ erschienen. Als Appetizer hier einer meiner neuen Lieblingsorte. „Lieblings-„, weil er nicht nur originell daherkommt, sondern zudem so unauffällig mitten in der Stadt liegt.


Das Anamorphische Deckengemälde

Das griechische Wort Anamorphose bedeutet soviel wie Umformung. In der Kunst versteht man darunter solche Bilder, die ihre wahre Gestalt erst unter einem bestimmten Blickwinkel preisgeben. Im Mittelalter diente diese Technik der illusionistischen Deckenmalerei ebenso wie zur Verschlüsselung von Verbotenem, also etwa von erotischen Szenen. Längenanamorphosen werden heutzutage gern bei auf der Straße angebrachten Verkehrszeichen verwendet, um den flachen Winkel der heranfahrenden Autofahrer auszugleichen. Außerdem findet man sie inzwischen in jedem Fußballstadion: Horizontale Werbebanner neben den Toren wandern für den TV-Zuschauer scheinbar in die Vertikale.
Eine Sonderform dieses Verfahrens ist die sogenannte katoptrische Anamorphose, bei der die Dekodierung über einen Spiegel läuft. In der Passage am Hohenzollernring erkennt man auf dem Deckengemälde zunächst einmal nur eine zerlaufene, weißlich-graue Ringfläche, die entfernt an entsprechende Formen bei Dalí erinnert. Erst ein Blick in den zentral angebrachten zylindrischen Spiegel enthüllt dem Betrachter die Taubenschar, die den Spiegel umkreist. Die Lichtverhältnisse in der Ringpassage sind zwar alles andere als optimal, aber der Effekt ist immer wieder verblüffend.
Insgesamt erstreckt sich das Deckengemälde in dem schmalen Durchgang zwischen Ringen und Friesenwall über 200 Quadratmeter. Jenseits der Tauben sind verschiedene Landschaftselemente zu entdecken: sphärische Wolken-, Wasser-, Wald- und Wiesenflächen, zumeist jedoch eher konturlos und lediglich farblich angedeutet. Das 1980 geschaffenen Werk von Peter Möbus und Klaus Weidner überdacht seit Anfang 2009 eine komplett neue Verkaufslandschaft. Die Ringpassage wurde renoviert, vom Boden bis hin zu den Schaufenstern der kleinen Modeläden, Cafés und Antiquariate, die hier angesiedelt sind.


Infos

Adresse: Hohenzollernring 16-18 bzw. Friesenwall 13-17
ÖPNV: Bahn 1, 7, 12, 15, Haltestelle Rudolfplatz
Tipp: Historisch interessant ist das kleine Haus am Friesenwall 47a, in dessen Giebel noch der Balken für den ehemaligen Lastenaufzug steckt.



Bernd Imgrund: 111 Kölner Orte, die man gesehen haben muss, Emons Verlag, Köln 2009, 12,90 Euro. Mit Fotografien von Britta Schmitz.


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