Mittwoch, 28. Januar 2009

Surfin´ Cologne (1)

Tracy Austin

In einer Sülzer Turnhalle wird Tischtennis gespielt. Einer der Männer stöhnt bei jedem Schlag. Wie Tracy Austin, denke ich, kennt die noch jemand?
Das war das amerikanische „Wunderkind“, das 1982 in Filderstadt die damals 14-jährige Steffi Graf besiegte. In den USA gebe es hunderte solcher Talente, behauptete sie nachher auf der Pressekonferenz. Elf Jahre später war Graf die erfolgreichste Tennisspielerin aller Zeiten und besiegte Austin bei einem kläglichen Comeback-Versuch mit 6:0 und 6:0.
Mit der 11 sind wir schon nahe an Köln, aber es kommt noch besser. Tracy Austin wurde an einem 2. Dezember geboren, genau wie der berühmte Soziologe Leopold von Wiese. Der wirkte ab 1915 in Köln, wo er 1969 auch starb. Bis 1933 fungierte Wiese als Sekretär der Deutschen Gesellschaft für Soziologie (DGS), bevor er in die USA emigrierte. Von hier aus ließe sich sicherlich der Kreis zu Tracy Austin schließen, aber das wäre ein bisschen zu einfach. Also: Wieses Nachfolger bei der DGS hieß Hans Freyer. Der Mann kam an einem 31. Juli auf die Welt, genau wie Jimmy Evert. Und Jimmy Evert, die Sportfreunde unter den Lesern werden es bereits ahnen, ist der Vater von Chris Evert.
Genau diese Chris Evert war 1969 die beste U14-Tennisspielerin der USA, in jenem Jahr also, in dem sowohl Leopold von Wiese als auch Hans Freyer starben. Zehn Jahre später wurde ein 16-jähriges Mädchen die jüngste US-Open-Siegerin aller Zeiten, und zwar durch einen Sieg gegen Chris Evert, die dieses Turnier zuvor viermal in Folge gewonnen hatte. Ihr Name: Tracy Austin. Bald darauf beendete sie auch Everts Serie von 125 Siegen auf Sand.
Das macht die Sache beinahe rund, fehlt nur noch der Sprung zurück nach Sülz. Aber die Internet-Suchmaschinen, ansonsten auskunftsfreudig bis hin zur überbordenden Geschwätzigkeit, versagen hier den Dienst. Oder auch nicht, denn schließlich handelt es sich auch bei der folgenden Auskunft um eine sinnhafte, beide Elemente zusammenführende Information:

„Es wurden keine mit Ihrer Suchanfrage - "Tracy Austin" +Sülz - übereinstimmenden Dokumente gefunden.“



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Mittwoch, 21. Januar 2009

Coloniales (11)

Der Kallendresser – Faulheit, Rache und Eifersucht

Nach dem Kallendresser am Alter Markt befragt, werden neun von zehn kundigen Kölnern antworten, die Figur mit dem blanken Hintern sei eine Anspielung auf die bedenklichen hygienischen Gepflogenheiten der mittelalterlichen Stadt. Das ist aber falsch!
Tatsache ist, dass die von Ewald Mataré geschaffene Plastik auf ein altes Wandrelief zurückgeht, das ursprünglich ein paar Meter weiter hing – am dem Krieg zum Opfer gefallenen Haus Nr. 40. Dieses Relief wiederum soll einen Dachdeckermeister des frühen 18. Jahrhunderts verewigt haben, der einen Streit mit dem Bauherrn mit den Worten beendete: „Ich dress üch jet in de Kall.“ Zuweilen liest man jedoch auch von einem dort oben gewohnt habenden Handwerker, den die Faulheit dazu brachte, seine Notdurft in die Kalle, also in die Regenrinne zu verrichten. Andere Auslegungen vermuten wiederum, hier sei es ursprünglich um Rache gegangen. Ein Schneider aus dem Dachgeschoss habe einem allzu lauten Musiker aus der Etage darunter einen derben Streich gespielt, heißt es. Und eine eher in Richtung Eifersucht gehende Deutung handelt von zwei Jungmännern, die in dieselbe Maid verliebt waren.
Ins Politische driftet die Genese, wo das gegenüberliegende Rat- und nahegelegen Gotteshaus des hl. Martin ins Spiel kommen. Demnach hätten entrüstete Bürger jenen Wandschmuck als Zeichen des Protestes gegen die Klüngeleien der städtischen und klerikalen Machthaber anbringen lassen. Ein Übeltäter war, so behaupten diese Quellen, in die Immunität von Groß St. Martin geflüchtet, nur um vom dortigen Abt schmählich dem städtischen Büttel ausgeliefert zu werden.
Die historische Wahrheit ist nicht mehr zu ermitteln, wohl aber, wem die Kölner die Wiederbelebung dieser Legenden zu verdanken haben. Es war der Architekt und Brauchtumspfleger Jupp Engels, der das Trümmergrundstück Nr. 24 nach dem Krieg erwarb und der sodann Mataré den Auftrag für den kupferblechernen Blankzieher gab.



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Mittwoch, 14. Januar 2009

Thekentänzer (9)

9 Cent

Die Theke ist voll und die Kellnerin hübsch. Im Fernsehen läuft Manchester - Chelsea, ManU führt 2:0, das ist gut. Als endlich einer zahlt, besetze ich flink seinen Hocker.
Der Typ sah ranzig aus, er hinterlässt einen vollgerauchten Aschenbecher und ein Häufchen Geld. 9 Cent genaugenommen, einen 5er, einen 2er und zwei 1er. 9 Cent, die dieser stillose, verschissene Kerl offenbar als Trinkgeld für die Kellnerin gedacht hat.
Und dann nebenan die beiden, rechts unterhalb des Fernsehers. Machen so schleimig aneinander rum, streicheln sich die Schultern, die Oberschenkel und haben diesen glückselig-dämlichen Ausdruck auf dem Gesicht. Und immer zwischendurch lächeln sie sich völlig verstrahlt an oder liegen sich mit geschlossenen Augen wie tot in den Armen.
Die 9 Cent stören mich, die sind mir peinlich. Anfangs habe ich sie ein bisschen von mir weggeschoben und gedacht, die räumt die Lady gleich einfach mit ab. Hat sie aber nicht. Der Aschenbecher ist geleert, aber das erbärmliche Häufchen Kupfergeld liegt noch immer anklagend vor mir. Es sagt: Ja, lieber Bernd, solche Mitmenschen gibt es, ihrer viele gar, und ein Drittel aller Schweizer hält die biblische Schöpfungsgeschichte für wahr, kein Wunder, dass die Welt vor die Hunde geht.
Und die Kellnerin denkt sich dasselbe, und deshalb rührt sie die Münzen nicht an.
Das trostlose Schmusepärchen lässt nun kurz voneinander. Anscheinend ist ihnen für einen Moment eingefallen, dass sie sich hier in der Öffentlichkeit befinden. In einer Kneipe zudem. Der männliche Klettenteil – kurz rasierte Glatze, randlose Deppenbrille – bestellt zwei Kölsch. Als die Kellnerin sie abstellt, getraut er sich tatsächlich zu sagen: „Schreib die auf mich.“
Als Berbatov kurz vor dem Ende das 3:0 für Manchester schießt, geht es mir wieder ein bisschen besser. Das Pärchen scheint den Schlusspfiff auf sich zu münzen und schlüpft in seine Parkas. Leider wechselt nun aber auch die Bedienung hinter der Theke. Niemand mehr da, der bezeugen kann, dass die elenden 9 Cent nicht von mir sind. Mir scheint, die neue Kellnerin hat auch schon einen ziemlich irritierten Blick darauf geworfen. Also tue ich, was ich vielleicht schon vor einer Stunde hätte tun sollen: Ich stecke das Geld ein.
Wurde noch ein prima Abend, ehrlich. Fragt Andy Cremer!


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Mittwoch, 7. Januar 2009

Thekentänzer (8)

Die Würfler

Von einer größeren Würfelgruppe sind zwei Typen übriggeblieben, die sich überhaupt nicht kennen. Nach zwei Stunden und zahllosen Schnäpsen kommen sie nun dazu, sich ihre Vornamen zu nennen.
„Was, echt, du heißt Klaus, soll ich dir mal was sagen, dann bin ich am selben Tag geboren, an dem du Geburtstag hast.“
Den meisten Umstehenden ist klar, dass Würfler 1 den Namenstag meint, aber aus Klausens Augen spricht totales Unverständnis.
„Echt?“, fragt er nach gefühlten fünf Minuten des Rätselns und Staunens.
„Is´n Ding, wa?“, sagt Würfler 1, bevor er die nächste Runde mit einem Schock Drei eröffnet.
Auf dem Klo ächzt ein alter Kerl vor dem Pissoir, dessen Bier schon länger schal auf der Theke steht.
„Ich hab da manchmal arge Probleme mit dem Pinkeln“, sagt er, traurigen Blicks und mit schwerer Zunge. Dann lehnt er die Stirn an die Kacheln und drückt weiter.
Die beiden Würfler spielen nun „Jeder Mensch kann irgend etwas ganz Besonderes“. Würfler 1 behauptet, er könne mit den Ohren wackeln. Alle sehen ihm zu, wie er eine grauenhafte Grimasse nach der nächsten schneidet, aber die Ohren bewegen sich dabei keinen Deut. Das muss das Pinkler-Syndrom sein. Klaus hingegen kommt mit der Zungen- an die Nasenspitze, schneidet in der B-Note jedoch genauso schlecht ab wie sein neuer Kumpel.
„Ich gehöre zu einem Verein, der die englische Science-Fiction-Fernsehserie Dr. Who verehrt“, sagt der Schweizer Koloss, der zum ersten Mal hier ist. „Wir haben weltweit nur 50 Mitglieder, ist aber ein riesen Spaß!“
Er wird seine Geschichte heute Abend noch zwanzig weitere Male erzählen, insgesamt zehn Pints Guinness trinken und dennoch mit perfekter Grandezza aus der Tür gehen. Ganz im Gegensatz zu Klaus.
„Hasse ma Johnny Cash?“, fragt er, aber als dann „Delia´s gone“ läuft, ist er schon eingeschlafen. Seine Position – Hocker unterm Hintern, Kopf auf den verschränkten Armen – wirkt stabil, also was soll´s. Würfler 1, der Felix oder Till heißt, hat durch diesen Ausdauersieg Oberwasser bekommen und reicht mir eine gebrannte CD rüber:
„Kannse die ma auflegn?“, fragt er und schiebt nach, was er gar nicht hätte ergänzen brauchen: „Is von mir, die Mucke.“
Der Alte vom Pissoir steht nach einem erneuten Ausflug wieder an der Theke. Ein Blickkontakt, er hebt resigniert die Schultern. Durch sein andauerndes Klogerenne ist er der einzige im Laden, der Dr. Who noch nicht kennt.
Ich lege die CD von Till oder Felix ein und gottseidank: Sie funktioniert nicht.


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