Mittwoch, 29. Juni 2011

Straßenkämpfer (17)

Her mit dem schönen Leben!

„Es geht doch nicht um mich“, schreit der Mann. „Es geht um dich, es geht um dein verdammtes Leeeeben!“
Noch viele Male schreit er diesen Satz und tritt dabei auf die parkenden Autos der Sternengasse ein. Es scheppert, alle Fenster springen auf.
Auch die Frau blutet, das Blut rinnt ihr von der Hand zum Ellbogen. Mit hochgestelltem Unterarm kniet sie auf der Straße und sammelt das Geld ein, das ihr Freund dort hingeschmissen hatte.
„Du dreckiger Bastard, du kannst mich mal.“
„Jetz is aber gut“, ruft ein Anwohner vom Balkon. Das Handy hat er schon am Ohr, die Polizei wird bald da sein.
„Du hältst dich da raus, du fetter Arsch.“
Ihr Freund ist in die nächste Gasse abgebogen und wütet dort weiter.
„Nu lauf dem doch nicht auch noch hinterher, Mädchen“, sagt eine ältere Frau am Fenster.
Aber sie läuft ihm hinterher.
Acht Stunden später am Breslauer Platz: Die Frau steht an einem Tisch der Würstchenbude, neben ihr ein anderer Mann. Sie benehmen sich ruhig, unauffällig und diskutieren darüber, wer die nächste Flasche Bier kauft. Der Unterarm der Frau ist jetzt verbunden, der Verband ist schmutzig. Unter ihren Fingernägeln klebt getrocknetes Blut. Als sie zum letzten Schluck ansetzt, fließt ein Schwall Bier aus ihrem Mundwinkel.
„Ich liebe den nicht mehr“, sagt sie und wischt sich über den Mund. „Ich liebe den nicht mehr, den Wichser.“
Dann geht sie los, in den Bahnhof hinein. Auf ihrem rechten Unterschenkel trägt sie eine Tätowierung: einen Mann, der sich den Kopf wegschießt. Das Blut spritzt zu allen Seiten,
schräg weg, nach vorne zum Schienbein.



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Mittwoch, 22. Juni 2011

Geschichten aus 1111 Nächten (8)

Der Fremde vom Rheinauhafen

Als der Rheinauhafen noch von echten Schiffern angefahren wurde, lief dort eines Tages ein Boot mit einem ganz und gar ungewöhnlichen Kapitän ein. Kaum angelangt, steuerte er auch schon die erstbeste Hafenspelunke an. Und darinnen saßen, wie nicht anders zu erwarten, der rotnasige Anton und sein schielender Freund Jean.
Gerade hatte sich der fremde Kapitän sein erstes Seemanns-Gedeck bestellt, da sprach Anton ihn auch schon an:
„Wie wär´s denn mit einer Runde Skat, mein Bester?“
Der Kapitän ließ sich nicht lumpen, orderte ein zweites Gedeck und setzte sich zu den beiden. Ein großer, ruhiger Mensch war das, und den ganzen Weg von Holland hatte er gemacht, um in Köln ein paar Waren umzuschlagen. Mit einer Runde war es längst nicht getan, und bald saßen sie im Dämmerlicht, die Spieler. Jean rief den Wirt zu sich und ließ eine Kerze anzünden. Weil die Drei aber die Karten nach den zahlreichen Kölsch & Rum allzu hart droschen, fiel die Kerze andauernd um und verlosch. Jean verlangte nach einem Ständer, aber der weitgereiste Kapitän meinte, er habe eine bessere Idee. Indem griff er nach seinem Seesack und beförderte eine schwarze Katze ans Licht.
„Hier“, sagte er, „habt Ihr den besten Kerzenständer, den Ihr finden könnt. Einen besseren gibt es in ganz Köln nicht.“
Er setzte die Katze auf den Tisch, steckte ihr die entzündete Kerze zwischen die Vorderpfoten und mischte die Karten.
Schon bald war der ganze Hafen zusammengelaufen, um das Schauspiel zu bewundern. „Ohs“ und „Ahs“ schallten durch die öde Spelunke, die niemals solch einen Auflauf erlebt hatte. Von den Leuten befragt, erklärte der Kapitän:
„Die Katze trainierte ich einst auf dem Weg zum Indischen Ozean. Furchtbar rauh ist die See dort, und wer des Abends ein Spielchen machen will, dem hilft kein herkömmlicher Kerzenständer.“
Anton, der aufmerksam zugehört hatte, zog die Stirn kraus. Seine anfängliche Verblüffung war einem unbewussten Missgefühl gewichen. Dieser Kapitän, so sprach etwas in seinem rumverschwappten Hirn, ist ein gestrichener Angeber!
„So gut ist deine Katze nun auch wieder nicht. Die Natur ist schließlich noch immer stärker als jede Dressur.“
„Ich will verdammt sein“, erwiderte der Kapitän mehr als ein wenig zu laut, „ich will verdammt sein, wenn mein Kätzchen mir nicht folgt. Lass uns wetten, du schnapsnasiger Gesell.“
Und so wetteten sie. Anton setzte die Flönz, die er irgendwann heute morgen eigentlich für seine allzeit wachsende Familie erworben hatte. Und der Kapitän hielt – ein bisschen geheimnisvoll tuend – die neueste Gourmet-Erfindung aus Holland dagegen.
Dann nahmen sie das Spiel wieder auf. Schon längst war keiner der Drei mehr in der Lage, Augen und Trümpfe nachzuhalten, und so wechselte das Glück seinen Besitzer wie dieser die Unterhosen. Als Anton wieder einmal an der Pissrinne stand, kam ihm eine Idee. Schnell kroch er in eine der düsteren Ecken des Klosetts, wurde fündig und kehrte zum Tisch zurück. Kaum hatte er die Maus, denn nichts anderes hatte er in der Kloake gesucht, auf den Tisch gelegt, da ließ die Katze auch schon von der Kerze und jagte stattdessen sein Beutetier.
Womit bewiesen war, dass die Natur stärker ist als jede Dressur.
Auch der Fremde gab das ohne Umschweif zu, was die noch immer zahlreichen Umstehenden zu Applaus hinriss. Alle fragten sich neugierig, worin denn nun die allerneueste holländische Delikatesse bestünde, wie also der Kapitän seinen Wetteinsatz einzulösen gedächte. Und nachdem er sich ein letzten Gläschen Rum einverleibt hatte, schritt er zur Tat: Schnitt ein halbes Röggelchen entzwei, bestrich es mit Butter, legte reichlich holländischen Gouda darauf und erklärte, nicht ohne zuvor noch einen Strich Senf darüber verteilt zu haben, sein Gericht für fertig.
Anton und Jean, die seit dem Morgen nichts an fester Nahrung zu sich genommen hatten, schlangen das Röggelchen hinunter, ohne ein einziges Mal zu atmen. Und die Leute verstreuten sich und erklärten einem jeden das Rezept für den allerneuesten, alleredelsten Happen.

Am nächsten Morgen, das dürfte klar sein, gab es in ganz Köln niemanden, der nicht so ein Röggelchen mit Gouda probieren mochte. Und von diesem Tag an galt der Halve Hahn als kölsche Spezialität. Wenn Ihr mich jedoch nach dem fremden Kapitän fragt, muss ich passen. Er ward nie wieder gesehen.

Halver Hahn, holländischer Hype


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Mittwoch, 15. Juni 2011

Geschichten aus 1111 Nächten (7)

Anton und die Spargelstecherin

Anton fühlte sich einsam und wohl auch ein wenig brünftig, also beschloss er, sich eine Frau fürs Leben zu suchen. Kurz hinter Birkesdorf traf er auf eine junge Spargelstecherin namens Ursula, verliebte sich in sie und bat sie an Ort und Stelle um ihre Hand.
Aber Ursula antwortete: „Anton, du kennst die Wahrheit nicht. Finde sie, komm zurück, und dann will ich dich heiraten.“
Sofort machte sich Anton auf den Weg. Er suchte in Feldern und Wäldern, an Flüssen und Bächen und begegnete furchteinflößenden Menschen. Überall jedoch nahm er seinen Mut zusammen und fragte: „Habt ihr die Wahrheit gesehen? Wisst ihr, wo ich sie finden kann?“
Und überall lautete die Antwort: „Nein.“
Sicher, früher, die Alten! Die hatten sie noch gekannt, die Wahrheit. Aber die Wahrheit ist ein scheues Reh, ihre Bekanntschaft war den Menschen abhanden gekommen. Wie so Vieles. Also hetzte er weiter, der Anton, von Dorf zu Dorf und von Weiler zu Weiler, bis er in die Gegend von Mönchengladbach gelangte. Dort, in der Höhle eines kleinen Berges, setzte er sich zu Tode erschöpft nieder.
Alt war er geworden über seine schier endlose Suche, weißhaarig und ausgezehrt. Der Aufgabe nahe, hörte er plötzlich ein schleppendes, scharrendes Geräusch aus den Tiefen des Verlieses. Anton schüttelte sich vor Grauen, und im nächsten Moment stand ein altes, ungemein hässliches Weib vor ihm. Schrecklicher Gestank ging von diesem Wesen aus, furchtbare Geschwüre bedeckten seinen Körper. Mit allergrößter Mühe hob die Frau ihre triefenden Augen und fragte nach Antons Begehr.
„Ich suche die Wahrheit“, sagte er.
„Du sitzt vor ihr“, antwortete das Weib.
„Du sollst die Wahrheit sein?“
„Ja.“
„Kannst du das beweisen?“
Die Wahrheit nannte ihm Beweise: Seinen Namen, sein Alter, sein Muttermal an der rechten Wade, seine Torquote in der D-Jugend von Fortuna Köln. Dann zückte sie ein Foto der schönen Ursula, seiner geliebten Spargelstecherin. Anton war überzeugt.
„Bin ich der erste, der dich fand?“
„Ja, du bist der erste“, antwortete das Weib.
„Dann bin ich der glücklichste Mann auf Erden“, seufzte er. „Ich werde meine göttliche Ursula über die Schwelle tragen, und ich werde allen Menschen von der Wahrheit erzählen.“
„Nein“, sagte das Weib, „erzähle ihnen nichts.“
„Aber jeder will dich kennenlernen! Du bist schließlich die Wahrheit! Was also soll ich ihnen sagen von dir?“
Da antwortete das furchbare Weib dem Anton:
„So sage ihnen, dass ich jung und schön bin.“


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Mittwoch, 8. Juni 2011

Thekentänzer (46)

Die Einbeinigen sind ausgestorben

Der Typ schielt ein bisschen und hat ein Loch auf der Nasenspitze, in das man eine Erbse stecken könnte. Also eine Linse mindestens.
„Was koss Weizn?“ fragt er, und man hört, der Laden hier ist nicht seine erste Station heute.
„Weizn koss drei Euronen“, sagt der Kellner.
„Euronen, hahaha, dasiss gut. Nehmich!“
Vorm Fenster weht der Sturm den Kleinmüll auf. Plastiktüten, Verpackungen und Blätter tanzen Polka.
„In dieser scheiß Stadt kannst du nicht mal mehr ohne Mundtuch Fahrrad fahren“, sagt Silke und hebt ihre zugepiercte Braue.
Michel, so nennt sich der Weizentrinker, nickt. Er setzt sein Glas an, behält es ewig lang an seinen Lippen. Aber als er es wieder absetzt, fehlt nur ein knapper Zentimeter Flüssigkeit.
Weizen bestellen die, die keine Kohle haben. Ist vergleichsweise am billigsten, und man muss es nicht so schnell trinken wie Kölsch. Sondern so wie Michel. In dem Tempo kann er für seine drei Euro locker ein paar Stunden hier sitzen bleiben. Und Silke anmachen.
Der Sturm weht einen lila Flyer herein, der dann unter dem Ständer eines Hochtisches stecken bleibt.
„Eine Freundin meiner Mutter ist die Treppe runtergefallen. Elle gebrochen, die Arme. Und dabei hatte die sowieso schon nur ein Auge“, sagt Silke. In ihrer Familie scheint immer jemand zu leiden.
„Die Einbeinigen sind auch ausgestorben“, sagt der Kellner.
Michel nickt, heftig und zustimmend. Er benetzt seine Lippen mit Weizenschaum und leckt sie intensiv ab.
„Kumma, ich hab ja auch zwei Jahre Platte gemacht. Wenn dus genau nimmst, drei.“
Silke ist nun ganz Ohr. Sie hat Michel in ihre Familie aufgenommen.
Der Sturm hat die Wolken mobilisiert, Regen klatscht gegen das einzige Fenster. Eine Frau mit Hund drückt ihr Gesicht gegen die Scheibe und entscheidet sich dann, weiterzugehen. Silke legt ein Bein auf den Hocker, der sie von Michel trennt.
„Eine Tante von mir“, erzählt sie, „war Verkäuferin. Da klebte mal so eine braune Flüssigkeit an einer Mango. Hat die Kundin sich beschwert. Meine Tante wischt also die Mango ab, und was glaubst du: Hat sich dabei beide Hände verätzt.“
Michel nickt, nun eher mitleidig und nachdenklich: „Agent Orange“, sagt er dann. „Und das auf ner Mango.“

Aus so manchem Einarmigen wurde ein Einbeiniger

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Mittwoch, 1. Juni 2011

Fundstücke (10)

Sechs Gedichte

Griechische Hundenamen nach Xenophon

Porpax, Styrax, Lochos
Phrura, Phonax, Phlegon
Alké, Teuchon, Hyleus
Porthon, Sperchon, Bremon
Leusson, Augo, Oinas
Tyrbas, Aither, Aktis.


Buchveröffentlichungen der Benediktinerinnen in Raderberg

Atem Gottes, Im entscheidenden
Augenblick. Mit Benedikt
durch das Jahr, Benediktinische Impulse,
Befreiungen,
Freisein für Gott, Das Herz Gottes im
Wort Gottes entdecken. Die
Sehnsucht weiß mehr.
Du hast Menschen an meinen Weg gestellt,
Frauen mit Geschichte, Frauen
in Bewegung. Es singe das Leben.
Durch Bilder schau ich dir entgegen, Märchenhafte
Zeiten,
Paramente,
Dimensionen
der Zeichengestalt.


Kurse im Veranstaltungszentrum Tor 28 in der Machabäerstraße

Pilates, Waves 5 Rhythmen, Theraveda
Sangha.
Salsa Cubana, Schamanische
Energiearbeit.
Tanztherapie: Let your body tell the story!
Kraft der Freundlichkeit, Rumi on
Moving.
Body Balance, Body Temple – Tantrica
Abendgruppe.
Biodanza, Bauchtanz, Yoga
and Drums.
Rücken
Fit


Express-Anzeigen vom 28.5.2011

Reife Liebhaberin, Behaarte, vollbusige
Hausfrau. Hübsche Girls, Teenie- und Lolita-Girls, tabulose
Freundinnen, Feurige
Südländerinnen.
Attraktive, tabulose, schlanke, hemmungslose
Polin, schlanke Türkin, Griechischexpertin.
Neu! Vicky, Chinesische
Massagen, Reife, behaarte Türkin, erotische
Massagen.
Bizarrlady Katrin. Transsexuelle Sabine. Mollige Melanie.
Bumsfaldera Kokett Bar, Kleiner Teufel Stolberg,
Megamöpse Höhenberg, bild-
hübsch, leiden-
schaftlich, super-
geil.


Zweites Kepplersches Gesetz, von 1609

Wie sich die Fläche CDE zur
halben Umlaufzeit, die wir mit 180°
bezeichnen, verhält,
so verhalten sich die
Flächen CAG oder CAH zu den Zeiten,
die der Planer auf CG oder CH verweilt.
So wird also
die Fläche CGA ein Maß für die
Zeit oder die
mittlere Anomalie,
die dem Exzenterbogen CG entspricht,
weil die mittlere
Anomalie
ein Maß für die
Zeit ist.



Hostienpreise der Benediktinerinnen in Raderberg

Laienhostien,weiß und Brot,
1000 Stück 13 Euro
Priesterhostien (7 cm), weiß und
Brot, 100 Stück 9 Euro
Konzelebrationshostien (14 cm),
Brot, Stück 0,55 Euro
Monstranzhostien (6,
3 cm), Stück 0,09 Euro.


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