Montag, 22. Juni 2009

Thekentänzer (15)

Die Nuschel

Es ist kurz nach 8, und die beiden Typen wirken noch reichlich verstrahlt vom Vorabend. Er könne sich bis zum Weinhaus Vogel noch an alles erinnern, sagt der Rothaarige.
„Und vom Kölschen Boor weißt du nichts mehr?“ fragt sein Kumpel, der sich als Hannes vorgestellt hat. Sein Resthaar ist grau, oder wie man heute sagt: melatenblond.
Der Fussige sieht ihn auf eine sehr müde Art erstaunt an. Dann schüttelt er langsam den Kopf.
„Und wie wir in der Torburg gegen die Mauer gepinkelt haben und die Bullen kamen, und wo du denen dann ...“
„Halt´s Maul“, sagt der Fussige. Er heißt Franz, und da kommt er auch her.
Zwei Schnäpse lang schweigen sie, dann scheint Franz wieder zu alter Frische zu finden.
„In Füssen am Geldautomaten hab ich letztens einen getroffen“, hebt er an. „Zahnarzt war der, der isst nur noch Fleisch.“
„Den ganzen Tag?“
„Nur noch Fleisch, der will beweisen, dass der Mensch ein Fleischfresser ist.“
„Kann ich dem seine Adresse mal haben?“ bringt sich nun der dritte Gast ein. Er hat bislang geschwiegen und geraucht, zu seinen Füßen steht eine große bunte Einkaufstasche.
„Ich sag doch: am Geldautomaten! Was weiß denn ich, wie der Arsch heißt“, sagt Franz.
Der dritte Gast hat sich seinen Deckel auf den Namen Jean machen lassen: „Ja, weil ich nämlich Vegetarier bin.“
„Ach so“, sagt der Franz, während Jean in seiner Tüte kramt. Kurz darauf verlangt er nach einer Schere und öffnet einen Beutel mit einer bräunlich wabernden Asiasoße. Alle müssen probieren, ich auch. Das Zeug schmeckt scheußlich, aber zum Glück steht gerade vor jedem ein fast volles Bier.
„Treffen sich zwei teuer gekleidete Schicksen“, beginnt Hannes einen Witz. „Sagt die eine: Von Prada krieg ich immer Blasen.“
„Den kenn ich“, sagt Jean.
„Sagt die andere: Komisch, bei mir is das genau umgekehrt.“
Jean lacht trotzdem, wird dann aber plötzlich todernst: „Auf der Aachener Straße waren vor Jahren alle Hausdächer undicht. Da ist also Wasser eingedrungen und in der Folge bekamen alle Mauern Risse. Und die Hausbesitzer haben die Risse nur so halbherzig zuspachteln lassen. Und weil Köln ja Erdbebengebiet ist, werden die Fassaden von der Aachener eines Tages alle wie so Kartenhäuser zusammenklappen.“
„So´n Scheiß“, sagt Franz, „du bist ja voll der Psycho, wa!“
Hannes bestellt vier Saure, was zum jetzigen Zeitpunkt eine komplette Lokalrunde bedeutet. „Auf die Aachener“, sagt er, und dann: „Was liegt am Strand und man versteht es kaum?“
Und als er den für eine Scherzfrage angemessenen Moment der Stille hat verstreichen lassen, schreit er: „Ne Nuschel!“
Er legt den Kopf auf die Unterarme, stirbt fast vor Lachen, kommt nochmal hoch: „Ne Nuschel, glaubst du das? Ne Nuschel!“
„Is ja gut.“ Franz klopft ihm auf den Rücken. „Aber apropos Nuschel: Weißt du, weshalb Fleisch gar nicht so ungesund sein kann?“
Der Vegetarier verzieht sein Gesicht, spitzt aber die Ohren.
„Weil es keine fetten Tiger gibt“, sagt Franz.



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Mittwoch, 17. Juni 2009

Fränki (1)

Bifis und Nüsschen

Der Kümmel nebenan hat jetzt auch Softeis. Sone riesen Maschine, hat der direkt aufn Gehweg gestellt. Hundert pro hat der da keine Genehmigung für, aber was heißt schon Ordnungsamt auf Türkisch. Ürdnüngsümt oder so, is klar.
Aber auf jeden Fall kann man da jetzt Softeis kriegen, und in der scheiß Kneipe hier gibts immernoch nur Nüsschen und Bifis.
Wobei man natürlich sagen muss: Bifis sind echt lecker. Und wer will schon morgens um 5 ein Softeis.
Andererseits ist ja bei den Bifis das große Problem, dass jedes von denen anders schmeckt. Das is so, als wär eben jedes von diesen verkackten Salamiwürstchen vonnem anderen Schwein, und das Schwein hat sich wieder von was ganz anderem ernährt als das davor, und deshalb kommen bei dem auch ganz andere Bifis raus.
Wenn man zum Beispiel, sagen wir mal so um 3 oder so, voll Hunger kriegt und sich son Bifi bestellt. Dann ist das der absolute Hammer, sowas Leckeres hat man sein ganzes Leben nicht gegessen. Nur dass die Teile eben nicht besonders lang sind, höchstens so 14 Zentimeter oder so. Und dann hat man logo Hunger auf ein zweites.
Und dann reißt man da wieder den kleinen Spalt von der Aluverpackung auf. Und dann drückt man das Teil so voll gierig aus seiner Zellophanhülle raus. Und dann haut man die Zähne da rein und stellt fest: Das schmeckt nicht mehr ganz so gut wie das erste.
Aber klar, satt is man natürlich trotzdem noch nicht. Und logo könnte man sich jetzt mal zur Abwechslung ne Packung Ültjes bestellen. Abwechslung is ja immer gut, und Nüsschen wär sowas wien zweiter Gang, so fast schon menümäßig und so.
Aber macht man nicht.
Weil man voll gierig auf diesen verdammten Salamistengel ist.
Und weil da wahrscheinlich irgendwelche miesen Stoffe drin sind, die einen süchtig machen.
Und dann schiebt man sich das dritte Bifi rein und das schmeckt voll kotze.
Drei Bifis hintereinander, das geht einfach nicht. Das is so wie drei Softeis hintereinander. Da hat dann nur der Kümmel was von, weil einem schlecht is danach.
Sowas müsste mal in diesen scheiß Beratungsspalten von den Zeitungen stehen:

Liebe Frau Barbara,

immer wenn ich beim Saufen nachts totalen Kohldampf kriege und dann nach dem zweiten Bifi noch ein drittes esse, wird mir kotzübel. Haben Sie dafür eine Lösung? Da wär ich Ihnen aber schon im Voraus voll dankbar für.

Mit besten Grüßen,

Ihr Fränki Kattwinkel


Und klar, in der nächsten Ausgabe von dem Spackenblatt steht dann die Antwort:


Lieber Fränki,

dein Problem teilst du mit tausenden anderen Freunden der Gastronomie. Wie wäre es denn, wenn du einfach mal einen Abend zuhause bleiben würdest? Oder sagen wir, dass du dir mal n paar Butterbrote machst, bevor du ausgehst? Wobei, ich verstehe schon, dass das manchmal einfach nicht passt, weil man eben erst später Hunger kriegt. Wegen dem ganzen Bier und so. Und deshalb rate ich Euch, lieber Fränki und liebe andere Fränkis unseres Landes, ich rate euch: Lutscht einfach zwischendurch mal einzweidrei Softeis vom Kümmel nebenan, und der Hunger ist gestillt.

Herzlichst,

Eure Frau Barbara


Tja, und dann müsste ich rauskriegen, wer diese Frau Barbara is und müsste die mal ordentlich vermöbeln. Alles nur Arbeit, und außerdem geht der verdammte Hunger von soner Denkerei natürlich kein bisschen weg. Ich schätze, ich bestell mir erstmal ne Packung Nüsschen. Oder zwei. Wobei, Nüsschenpackungen aufmachen is natürlich erst recht der Horror.

Also am besten direkt so Nägel mit Köpfen: Ich hätt gern zweimal Nüsschen und zwei Bifis, du Spacken, aber die Nüsschenpackungen machst du mir vorher auf!



Bei den Fränki-Posts handelt es sich um die Fortschreibung des gleichnamigen Romans, s. www.emons-verlag.de
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Mittwoch, 10. Juni 2009

Coloniales (17)

Das Rubenshaus

Das Haus in der Sternengasse 10: ein roter Klinkerbau, vollkommen unspektakulär. An der Mauer vor dem Eingang jedoch: ein reliefartiges Denkmal, das offenbar Eindruck schinden soll. Was ist, besser: Was war hier einst los?
Ganz einfach: Hier lebte früher einer der berühmtesten Maler der Welt, nämlich Peter Paul Rubens. Zu seiner Kölner Zeit jedoch, das muss man dazusagen, war er noch ein Kind. 1577 geboren, wohnte er hier bis zu seinem 11. Lebensjahr. Das aus Bronze und Marmor gefertigte Denkmal zeigt ihn hingegen als Malerfürsten: mit wilder Pose und wehendem Mantel mehrere Pinsel und eine Farbpalette ausbalancierend.
Ursprünglich stammte die Familie aus Antwerpen, wohin sie nach dem Tod des Vaters 1587 auch wieder zurückkehrte. Während seiner Kölner Zeit entwickelte Rubens eine enge Bindung an die Peterskirche in der nahen Jabachstraße. Hier wurde er getauft, hier liegt sein Vater begraben. Und 1638, inmitten des Dreißigjährigen Religionskrieges und kurz vor seinem Tod, schuf er die Kreuzigung Petri*. Das beeindruckende Gemälde ziert seitdem den Hauptaltar der Kirche.
Auch späterhin war das Rubenshaus immer wieder Schauplatz historisch bedeutsamer Ereignisse. Am 3. Juni 1642 starb hier Maria von Medici**, französische Königin, die bei der befreundeten Familie Rubens Zuflucht gesucht hatte. 1883 eröffnete Hermann Päffgen in diesen Mauern sein erstes Brauhaus. Und von 1926 bis 1938 war die Sternengasse Nr. 10 Spielstätte einer kölschen Institution, des Hänneschen-Theaters nämlich.
Kurioserweise rankt sich um die Sternengasse auch eine Briefpost-Tradition. 1578, der kleine Peter Paul war gerade ein Jahr alt, wurde Jacob Henot***, wohnhaft in der Sternengasse, zum ersten Kölner Postmeister ernannt. Das Bürogebäude Sternengasse 1 gehört bis heute der Post AG, während der Neubau Nr. 10 auf dem Gelände des ehemaligen Rubenshauses als Fernmeldeamt 2 der Deutschen Telekom fungiert.

* Die Kirche St. Peter mit Rubens´ Gemälde von der „Kreuzigung Petri“ findet sich in der Jabachstraße 1, geöffnet Di-Sa 11-17, So 13-17 Uhr.
** Das Herz der Maria von Medici wird im Dom hinter dem Dreikönigsschrein aufbewahrt.
*** Jacob Henots Tochter Katharina wurde ein Opfer der Kölner Hexenprozesse, man verbrannte sie am 19. Mai 1627 auf Melaten. Heutzutage sind eine Straße und eine Schule nach ihr benannt, am Rathausturm wurde sie figürlich verewigt.



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Mittwoch, 3. Juni 2009

Thekentänzer (14)

Von einer, die auszog, kein einziges Bier zu bezahlen

Wie die sich schon aufbaut, kaum dass sie den Barhocker erobert hat. Legt auf die Theke: ein total zerfleddertes Päckchen Tabak, das wahrscheinlich irgendwer irgendwo vergessen hat, wo es starken Umwelteinflüssen ausgesetzt war; ein angefressenes Feuerzeug, mit dem mindestens zweitausend Flaschen Bier geöffnet worden sind; eine relativ neue Tüte mit Minifiltern und einen kleinen, irritierenden Handspiegel.
Und natürlich sieht sie gut aus. Groß, mindestens einsachtzig, blond, Walküre.
Als erstes verfällt ihr der alte Knabe aus dem Orient, der sonst immer nur zum Würfeln hier herkommt. Von den beiden Bieren, die er bei mir ordert, stellt er eins kommentarlos vor die Frau. Ihr „Danke“ bringt ihn in das avisierte Gespräch, und bald schon kann er ihr erzählen, dass er mitten in einer unglücklichen Ehe steckt. Nach dem dritten Glas jedoch scheint er Angst vor den möglichen Konsequenzen seines Handelns zu bekommen. Jedenfalls geht er erstmal nach nebenan. Falafel essen oder so.
Wie vorauszusehen war, ist dies der Zeitpunkt für den komischen Kauz am Fenster. Beim Reinkommen trug er einen Cowboyhut mit irgendwelchen Lederapplikationen, der nun neben ihm auf dem Tresen liegt. Genauso wie die Nischenzeitschrift zum Thema „Rafting“, die er beim Hinsetzen wie absichtlich aus seiner Brusttasche gezogen hat. Bevor die blonde Frau kam, hat er mir von seiner Idee für eine Porno-Komödie erzählt. Ausführlich und sehr detailliert, aber davon vielleicht ein andermal. Im Laufe dieses Abends wird er jedenfalls ausschließlich Gerri Zitrone trinken, aber mehrere Kölsch bestellen.
Die Frau, machen wir´s nicht allzu dramatisch, tut nichts Aufreizendes. Sie schnorrt auch nicht oder biedert sich irgendwie an. Sie ist einfach nur da. Andererseits: Walküren sind Todesengel, das Altnordische „valr“ bedeutet soviel wie „die auf dem Schlachtfeld liegenden Leichen“.
Der alte Würfler legt, bevor er die letzte Verbindung Richtung Meschenich nimmt, seinen Kopf an ihre weitaus höhere Schulter. Ich muss zapfen, glaube aber, dass sie ihm zum Abschied einen Kuss auf die ziemlich kahle Stirn gehaucht hat. Mal sehen, ob der je wiederkommt.
Der Porno-Comedian tippt sich quer durch den ganzen Laden bis zu ihr hinüber an die Hutkrempe. Eine Geste, auf die er wahrscheinlich sein ganzes Leben lang gewartet hat.
Und irgendwann bricht auch die Frau auf, deren Namen ich nicht kenne, weil sie nie einen Deckel gemacht hat.
„Was bin ich dir schuldig?“ fragt sie.



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