Mittwoch, 25. Dezember 2013

Interviews (20)

Heute: Honig Müngersdorff

Wolfgang Müngersdorff wurde 1963 in Köln geboren. Nach dem Realschulabschluss absolvierte er eine Schlosserlehre. In den Familienbetrieb trat er 1984 ein - „ganz unten“ in der Produktion. Weil sein Vater noch immer „das letzte Wort“ habe, kann man Müngersdorffs Übernahme der Geschäftsführung nicht genau datieren. „Ungefähr 2010“, sagt er.
Mit seiner Frau und den beiden erwachsenen Kindern wohnt Wolfgang Müngersdorff in Lülsdorf.

Was machen Bienen in der Weihnachtszeit?

Schlafen. Die Biene fängt erst ab elf Grad an zu fliegen. Bei niedrigeren Temperaturen hängt sie auf einer Traube im Volk und hält Winterschlaf.

Läuft Ihr Geschäft im Dezember anders als etwa im August?

Wachskerzen gehen im Winter natürlich besser als im Sommer. Ansonsten hat sich das Kaufverhalten der Menschen in den letzten Jahrzehnten verändert. Früher wurde im Winter deutlich mehr Honig verkauft als zu anderen Jahreszeiten.

Warum?

Das hatte zum Beispiel mit der klassischen Hausapotheke zu tun. Wer erkältet war, bekam eine heiße Milch mit Honig. Oder man nahm Propolis, auch Bienenharz genannt. Das ist ein natürliche Antibiotikum, das die Bienen absondern und auch selbst zum Abtöten von Viren nutzen.

Sie bieten hier auch Kosmetik auf Honigbasis an. Warum sollte ich statt herkömmlicher Seife eine mit Honig benutzen?

Weil der Honig in all diese Produkte ganz unbehandelt kommt und dadurch all seine positiv wirkenden Enzyme und den Fruchtzucker behält.

In welchem Verhältnis steht Honig zu Zucker?

Für die Steinzeitmenschen war Honig der einzige Süßstoff. Man braucht auch viel weniger Honig als Zucker für die gleiche Süße. Aber heutzutage dominiert auf diesem Gebiet der Zucker, weil er in viel größeren Massen und billiger hergestellt werden kann.

War Met, also Alkohol mit Honig, tatsächlich so ein Klassiker bei den Germanen, wie die Kreuzworträtsel einem das vorgaukeln?

Ja, wobei der eine sagt, dabei handelte es sich um Bier, und der andere glaubt, Met war Honigwein.

Ich habe gelesen: Wenn die Germanenhäuptlinge eine Entscheidung nüchtern getroffen hatten, mussten sie sich nochmal darüber betrinken. Und andersrum.

(lacht) Klingt vernünftig.

Und nochmal zur Historie: 1847 herrschte in Europa eine schlimme Hungersnot, in Irland starben 100.000e Menschen, die Eifel wurde durch Auswanderung entvölkert. Und ausgerechnet in dem Jahr gründete Ihr Urahn in Köln einen Honigladen? Klingt mutig.

War es aber nicht, weil es einen anders gelagerten Grund hatte. Jener Urahn war eigentlich Winzer gewesen, und 1847 trat das Reinheitsgebot für Wein in Kraft. Bis dato hatte er seinen Wein wohl mit Honig verschnitten, das ging nun nicht mehr. Deshalb sattelte er auf Honig um.

Den Kölner Wein nannte man damals auch „Suuren Hungk“, der dürfte ein bisschen Süßstoff nötig gehabt haben.

Genau. Die Imkerei gehörte zum Weinanbau dazu, und ab 1847 konzentrierte er sich nur noch auf die Bienen.

Der erste Honig-Müngersdorff-Laden lag auf der Sternengasse - wo übrigens auch das erste Hänneschen residierte. Auf welcher Höhe war das?

Direkt an der Nord-Süd-Fahrt, wo heute der hohe Turm steht. Gleich zu Anfang des Zweiten Weltkriegs wurden wir dort ausgebombt und zogen zunächst nach Overath um.

Sie bilden zur Zeit die sechste Generation. Damals war Ihr Großvater am Ruder.

Ja, der wurde eingezogen und diente als einfacher Soldat - ich glaube, er war Fahrer - in Paris. Der galt als echter Lebemann und wäre dort auch gern geblieben. Aber als Führer eines Lebensmittelgeschäfts wurde er dann zurückbeordert.

War Ihnen immer klar, dass Sie auch in den Honigbetrieb einsteigen würden?

Ja. Noch nicht als kleiner Junge, aber doch schon sehr früh.

Nie von etwas anderem geträumt?

Na, ich habe ja Schlosser gelernt. Das hätte mir sicher auch Spaß gemacht.

Ein sehr bescheidener Wunsch. Der Autor und Kisch-Preisträger Hans Conrad Zander hat mir gegenüber gesagt, er führe auswärtige Gäste immer zu Gummi Grün und Honig Müngersdorff.

(lacht) Ja, und dass das hier das beste Honiggeschäft der Welt sei, hat er auch gesagt. Wir haben auch wirklich sehr viele Touristen aus aller Welt hier.

Und wer kauft vorzugsweise was?

Japaner kaufen alles, was sie zuhause offenbar nicht kriegen, Fenchelhonig zum Beispiel.

Und Engländer räumen die Regale mit Honigbier leer?

Nein, die kaufen oft Kölner Honig, als lokales Mitbringsel. Und Gäste aus Dubai nehmen sich gern ein Glas Gelée Royale mit. Das ist der edle Futtersaft, den nur die Larven der Bienenköniginnen bekommen.

Was bewirkt der denn beim Menschen?

Man sagt, es steigert die Konzentration und Vitalität.

So eine Art Bienen-Viagra?

(lacht) Ja, man sagt dem Gelée Royale auch in dieser Hinsicht eine positive Wirkung nach.

Früher hatten Sie Ihre eigene Imkerei. Warum endete diese Zeit?

Ganz einfach: Weil die Bahn uns das Grundstück gekündigt hat. Danach kamen unsere Bienen noch eine Weile nach Bayern, aber das ist auch vorbei. Dafür haben wir aber in Porz noch einen Laden für Imkereibedarf.

Was ist für Sie der Unterschied zwischen Bienen- und Industriehonig?

Es gibt keinen Industriehonig.

Aber man bekommt Honiggläser für zwei und für zwanzig Euro.

Trotzdem ist jeder Honig ein Naturprodukt, auch die billigen Honigsorten schneiden in Untersuchungen oft gut ab. Die Großhändler kaufen riesige Mengen ein, mischen sich ihre eigenen Geschmäcker und können das dann entsprechend preiswert vertreiben.

Aber der ländlicher Imker macht den besten Honig?

Nicht unbedingt. In der Stadt herrscht eine größere Blütenvielfalt als in Gebieten mit ländlicher Monokultur. Dadurch gewinnt Stadthonig ein reichhaltigeres Aroma.

In den letzten Jahren ist viel vom mysteriösen Bienensterben die Rede. Merken Sie das an den Einkaufspreisen?

Eigentlich nicht. Aber ein Jahr wie dieses, ein dermaßen kalt-verregnetes Frühjahr und ausgebliebene Obstblüten treiben die Preise enorm in die Höhe. Dafür entschädigte dann erst der Sommer ein wenig.

Was wissen Sie über das Bienensterben?

Dass es existiert! Man spürt es vor allem am Anfang des Jahres, wenn die Imker erzählen, dass ihnen viele, manchmal alle Völker eingegangen sind. Die müssen dann mühsam neu aufgebaut werden, da fängt man immer wieder bei Null an.

Haben Sie als Fachmann eine Idee, was die globale Ursache sein könnte?

Tja, es gibt die von einer Milbe übertragene Bienenkrankheit Varroose. Es können klimatische Veränderungen schuld sein. Mancher vermutet auch, dass die Strahlung von Funkmasten und Handys die Bienenvölker stören könnte.

Wenn die Bienen weg sind, ist auch Ihr Geschäft weg.

Stimmt, aber dann sind auch Sie weg. Und wir alle! Bienen sichern über ihre Bestäubung unsere Ernährung. So einfach ist das.


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Mittwoch, 18. Dezember 2013

Geschichten aus 1111 Nächten (47)

Alkohol, Erfindungsreichtum und weibliches Multitasking

Der kleine Anton war beim heiligen Willy zu Besuch, als dieser zu einem seiner gefürchteten Monologe ansetzte. Die Menschen seien doch furchtbar oberflächlich geworden, niemand höre niemandem zu, und Wissenschaft und Fortschritt lägen darnieder.
„Ich hingegen habe soeben eine Methode gefunden, wie ich die Trauben für meinen Messwein zugleich mit Händen und Füßen zerstampfen kann.“
„Wie sollte das gehen, heiligster Willy?“ fragte Anton.
„Ganz einfach: In einen Pressbottich stelle ich mich mit meinen Füßen, wie gehabt. Den anderen hingegen hänge ich über meinem Kopf auf, um die Früchte per Hand zu entsaften. So spare ich beim Keltern die Hälfte der Zeit.“
Anton sah den Willy ungläubig an. „Das klingt genial, Willy. Aber dafür müssten die Trauben im oberen Bottich ja der Schwerkraft trotzen.“
„Das stimmt“, gab der Heilige unumwunden zu. „Aber daran arbeite ich noch.“

Alkohol, Sex und weibliches Multitasking: Dieses ägyptische Relief (um 2000 v. Chr.) zeigt ein kopulierendes Paar. Die Frau trinkt währenddessen per langem Strohhalm aus einem Bierbottich.


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Mittwoch, 11. Dezember 2013

Coloniales (35)

Echt Kölnisch Wasser – Der Zaubertrank

Ursprünglich wurde Kölns bekanntester Exportartikel, das Eau de Cologne, nicht als Duftwasser, sondern als Medizin vertrieben. Statt es auf die Haut aufzutragen, wurde es eingenommen, z.B. mit „Wein, Brunnenwasser, warmer Brühe oder anderen fließenden Sachen“. Seine Wirkung wurde als so allumfassend angepriesen, dass es – die Wahrheit der Angaben vorausgesetzt – den berühmten Zaubertrank des Miraculix deutlich in den Schatten stellte. Die Fabrikation „Johann Maria Farina gegenüber dem Jülichs-Platz“ (gegr. 1709) behauptete etwa, ihr Heilwasser sei ein

„Präservativ gegen die Pest“. Es „genest die Gelbsucht, Catharren, Ohnmachten, stinkenden Athem, vertreibt die Collic, und stillet das Magenwehe, zertheilet das Seitenstechen und Brustkrankheiten, so von aufsteigenden Winden und kalten Füßen herrühren, es heilet den Brand*, ist vortrefflich wider die Zahnschmerzen, tröstet ohnfehlbar die Weiber in beschwerlichen Kindbetten, und befördert die Nachgeburt, vertreibet alle durch die Hitze unrühriger Winden erhärtete zähe Schleimigkeit, wie auch das ungestümme Ohrenklingeln.“

Zum Parfüm von heute wurde Kölnisch Wasser erst durch ein Dekret vom 18. August 1810. Kaiser Napoleon verfügte darin für sein Staatsgebiet, zu dem damals auch Köln zählte, dass die Rezepturen für Heilmittel offen gelegt werden müssen. Dadurch sollte die ganze Bevölkerung davon profitieren. Farina und andere Fabrikanten gingen daraufhin dazu über, ihr Produkt nicht mehr als Medizin, sondern als Duftwasser zu vertreiben.

* Gemeint ist der Wundbrand. Was das Wässerchen jedoch ganz und gar nicht heilt, sondern im Gegenteil befördert, ist der Durst-Brand. Kölnisch Wasser besteht zu etwa 85 Prozent aus Alkohol. Der Ethnologe und Sammler Wilhelm Jost urteilte 1895 mit Bezug auf einen sibirischen „Alkoholisten“: „Jedenfalls schmeckt Eau de Cologne besser als Petroleum.“



Kölnisch Wasser fördert auch den Haarwuchs - wie hier beim Sänger der Höhner.


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Mittwoch, 4. Dezember 2013

Geschichten aus 1111 Nächten (46)

Trans-Lojistik

Der heilige Willy, der triefäugige Jean und der rotnasige Anton saßen in einem Altstadt-Brauhaus. Vor allem Willy war schon ziemlich hinüber, hatte er doch zum Aufwärmen zwei volle Kelche Messwein aus dem Tabernakel geleert. Trotzdem war er zu einer sportlichen Wette aufgelegt.
„Wenn ihr zwei jungen Burschen mir nur zehn Meter Vorsprung gebt, werdet ihr mich nie einholen. Nicht bis ans Ende aller Tage.“
„Du Schwadlappen“, höhnte Jean, „selbst wenn es nur bis zum Jan-von-Werth-Denkmal ginge, käme ich vor dir an.“
„Ich sowieso“, setzte Anton nach, „ich war schon immer gut im Weglaufen.“
Der heilige Willy strich sich den Bart glatt, grinste feist und hob an:
„Passt mal auf, Kameraden, bevor ihr mich überholen könnt, müsst ihr zuerst meinen Vorsprung einholen. Stimmt´s?“
„Das ist richtig“, gaben die beiden Freunde zu.
„In der Zeit aber , die ihr zum Einholen braucht, habe ich einen neuen, wenn auch etwas kleineren Vorsprung gewonnen. Stimmt´s?“
„Auch das ist richtig, heiliger Willy, aber komm mal zum Punkt.“
„Eigentlich liegt doch bereits alles klar auf der Hand, ihr Erzdeppen. Denn wenn ihr meinen neuerlichen Vorsprung einholt, habe ich wiederum einen zwar noch kleineren, aber existenten Vorsprung erlaufen. Der wird zwar immer kleiner, je weiter unser Rennen führt. Aber überholen könnt ihr mich niemals, da ist die Logik vor.“
Anton und Jean schwiegen eine Weile und süffelten an ihrem Kölsch. Dann sagte zweiterer:
„So gesehen hast du recht. Wir werden dich nie überholen. Also werde ich es auch nicht darauf ankommen lassen, sondern hier sitzen bleiben.“
„Ich auch“, ergänzte Anton, „denn du gewinnst dieses Rennen unter allen Umständen, heiliger Willy.“

Logistik kommt von logisch. Auch mit kölschem j, wie hier im Niehler Hafen.


P.S.: Selbstverständlich hatten Willy, Anton und Jean Unrecht. Aber warum?
Sie berücksichtigten nicht, dass eine unendliche Reihe eine endliche Summe haben kann. Der Weg, den Willy vor dem echten Einholen zurückgelegt hat, kann zwar potenziell unendlich oft in Vorsprünge unterteilt werden. Daraus folgt aber nicht, dass die Laufstrecke unendlich wäre oder dass unendlich viel Zeit erforderlich wäre, sie zu bewältigen.


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