Mittwoch, 25. Dezember 2013

Interviews (20)

Heute: Honig Müngersdorff

Wolfgang Müngersdorff wurde 1963 in Köln geboren. Nach dem Realschulabschluss absolvierte er eine Schlosserlehre. In den Familienbetrieb trat er 1984 ein - „ganz unten“ in der Produktion. Weil sein Vater noch immer „das letzte Wort“ habe, kann man Müngersdorffs Übernahme der Geschäftsführung nicht genau datieren. „Ungefähr 2010“, sagt er.
Mit seiner Frau und den beiden erwachsenen Kindern wohnt Wolfgang Müngersdorff in Lülsdorf.

Was machen Bienen in der Weihnachtszeit?

Schlafen. Die Biene fängt erst ab elf Grad an zu fliegen. Bei niedrigeren Temperaturen hängt sie auf einer Traube im Volk und hält Winterschlaf.

Läuft Ihr Geschäft im Dezember anders als etwa im August?

Wachskerzen gehen im Winter natürlich besser als im Sommer. Ansonsten hat sich das Kaufverhalten der Menschen in den letzten Jahrzehnten verändert. Früher wurde im Winter deutlich mehr Honig verkauft als zu anderen Jahreszeiten.

Warum?

Das hatte zum Beispiel mit der klassischen Hausapotheke zu tun. Wer erkältet war, bekam eine heiße Milch mit Honig. Oder man nahm Propolis, auch Bienenharz genannt. Das ist ein natürliche Antibiotikum, das die Bienen absondern und auch selbst zum Abtöten von Viren nutzen.

Sie bieten hier auch Kosmetik auf Honigbasis an. Warum sollte ich statt herkömmlicher Seife eine mit Honig benutzen?

Weil der Honig in all diese Produkte ganz unbehandelt kommt und dadurch all seine positiv wirkenden Enzyme und den Fruchtzucker behält.

In welchem Verhältnis steht Honig zu Zucker?

Für die Steinzeitmenschen war Honig der einzige Süßstoff. Man braucht auch viel weniger Honig als Zucker für die gleiche Süße. Aber heutzutage dominiert auf diesem Gebiet der Zucker, weil er in viel größeren Massen und billiger hergestellt werden kann.

War Met, also Alkohol mit Honig, tatsächlich so ein Klassiker bei den Germanen, wie die Kreuzworträtsel einem das vorgaukeln?

Ja, wobei der eine sagt, dabei handelte es sich um Bier, und der andere glaubt, Met war Honigwein.

Ich habe gelesen: Wenn die Germanenhäuptlinge eine Entscheidung nüchtern getroffen hatten, mussten sie sich nochmal darüber betrinken. Und andersrum.

(lacht) Klingt vernünftig.

Und nochmal zur Historie: 1847 herrschte in Europa eine schlimme Hungersnot, in Irland starben 100.000e Menschen, die Eifel wurde durch Auswanderung entvölkert. Und ausgerechnet in dem Jahr gründete Ihr Urahn in Köln einen Honigladen? Klingt mutig.

War es aber nicht, weil es einen anders gelagerten Grund hatte. Jener Urahn war eigentlich Winzer gewesen, und 1847 trat das Reinheitsgebot für Wein in Kraft. Bis dato hatte er seinen Wein wohl mit Honig verschnitten, das ging nun nicht mehr. Deshalb sattelte er auf Honig um.

Den Kölner Wein nannte man damals auch „Suuren Hungk“, der dürfte ein bisschen Süßstoff nötig gehabt haben.

Genau. Die Imkerei gehörte zum Weinanbau dazu, und ab 1847 konzentrierte er sich nur noch auf die Bienen.

Der erste Honig-Müngersdorff-Laden lag auf der Sternengasse - wo übrigens auch das erste Hänneschen residierte. Auf welcher Höhe war das?

Direkt an der Nord-Süd-Fahrt, wo heute der hohe Turm steht. Gleich zu Anfang des Zweiten Weltkriegs wurden wir dort ausgebombt und zogen zunächst nach Overath um.

Sie bilden zur Zeit die sechste Generation. Damals war Ihr Großvater am Ruder.

Ja, der wurde eingezogen und diente als einfacher Soldat - ich glaube, er war Fahrer - in Paris. Der galt als echter Lebemann und wäre dort auch gern geblieben. Aber als Führer eines Lebensmittelgeschäfts wurde er dann zurückbeordert.

War Ihnen immer klar, dass Sie auch in den Honigbetrieb einsteigen würden?

Ja. Noch nicht als kleiner Junge, aber doch schon sehr früh.

Nie von etwas anderem geträumt?

Na, ich habe ja Schlosser gelernt. Das hätte mir sicher auch Spaß gemacht.

Ein sehr bescheidener Wunsch. Der Autor und Kisch-Preisträger Hans Conrad Zander hat mir gegenüber gesagt, er führe auswärtige Gäste immer zu Gummi Grün und Honig Müngersdorff.

(lacht) Ja, und dass das hier das beste Honiggeschäft der Welt sei, hat er auch gesagt. Wir haben auch wirklich sehr viele Touristen aus aller Welt hier.

Und wer kauft vorzugsweise was?

Japaner kaufen alles, was sie zuhause offenbar nicht kriegen, Fenchelhonig zum Beispiel.

Und Engländer räumen die Regale mit Honigbier leer?

Nein, die kaufen oft Kölner Honig, als lokales Mitbringsel. Und Gäste aus Dubai nehmen sich gern ein Glas Gelée Royale mit. Das ist der edle Futtersaft, den nur die Larven der Bienenköniginnen bekommen.

Was bewirkt der denn beim Menschen?

Man sagt, es steigert die Konzentration und Vitalität.

So eine Art Bienen-Viagra?

(lacht) Ja, man sagt dem Gelée Royale auch in dieser Hinsicht eine positive Wirkung nach.

Früher hatten Sie Ihre eigene Imkerei. Warum endete diese Zeit?

Ganz einfach: Weil die Bahn uns das Grundstück gekündigt hat. Danach kamen unsere Bienen noch eine Weile nach Bayern, aber das ist auch vorbei. Dafür haben wir aber in Porz noch einen Laden für Imkereibedarf.

Was ist für Sie der Unterschied zwischen Bienen- und Industriehonig?

Es gibt keinen Industriehonig.

Aber man bekommt Honiggläser für zwei und für zwanzig Euro.

Trotzdem ist jeder Honig ein Naturprodukt, auch die billigen Honigsorten schneiden in Untersuchungen oft gut ab. Die Großhändler kaufen riesige Mengen ein, mischen sich ihre eigenen Geschmäcker und können das dann entsprechend preiswert vertreiben.

Aber der ländlicher Imker macht den besten Honig?

Nicht unbedingt. In der Stadt herrscht eine größere Blütenvielfalt als in Gebieten mit ländlicher Monokultur. Dadurch gewinnt Stadthonig ein reichhaltigeres Aroma.

In den letzten Jahren ist viel vom mysteriösen Bienensterben die Rede. Merken Sie das an den Einkaufspreisen?

Eigentlich nicht. Aber ein Jahr wie dieses, ein dermaßen kalt-verregnetes Frühjahr und ausgebliebene Obstblüten treiben die Preise enorm in die Höhe. Dafür entschädigte dann erst der Sommer ein wenig.

Was wissen Sie über das Bienensterben?

Dass es existiert! Man spürt es vor allem am Anfang des Jahres, wenn die Imker erzählen, dass ihnen viele, manchmal alle Völker eingegangen sind. Die müssen dann mühsam neu aufgebaut werden, da fängt man immer wieder bei Null an.

Haben Sie als Fachmann eine Idee, was die globale Ursache sein könnte?

Tja, es gibt die von einer Milbe übertragene Bienenkrankheit Varroose. Es können klimatische Veränderungen schuld sein. Mancher vermutet auch, dass die Strahlung von Funkmasten und Handys die Bienenvölker stören könnte.

Wenn die Bienen weg sind, ist auch Ihr Geschäft weg.

Stimmt, aber dann sind auch Sie weg. Und wir alle! Bienen sichern über ihre Bestäubung unsere Ernährung. So einfach ist das.


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Mittwoch, 18. Dezember 2013

Geschichten aus 1111 Nächten (47)

Alkohol, Erfindungsreichtum und weibliches Multitasking

Der kleine Anton war beim heiligen Willy zu Besuch, als dieser zu einem seiner gefürchteten Monologe ansetzte. Die Menschen seien doch furchtbar oberflächlich geworden, niemand höre niemandem zu, und Wissenschaft und Fortschritt lägen darnieder.
„Ich hingegen habe soeben eine Methode gefunden, wie ich die Trauben für meinen Messwein zugleich mit Händen und Füßen zerstampfen kann.“
„Wie sollte das gehen, heiligster Willy?“ fragte Anton.
„Ganz einfach: In einen Pressbottich stelle ich mich mit meinen Füßen, wie gehabt. Den anderen hingegen hänge ich über meinem Kopf auf, um die Früchte per Hand zu entsaften. So spare ich beim Keltern die Hälfte der Zeit.“
Anton sah den Willy ungläubig an. „Das klingt genial, Willy. Aber dafür müssten die Trauben im oberen Bottich ja der Schwerkraft trotzen.“
„Das stimmt“, gab der Heilige unumwunden zu. „Aber daran arbeite ich noch.“

Alkohol, Sex und weibliches Multitasking: Dieses ägyptische Relief (um 2000 v. Chr.) zeigt ein kopulierendes Paar. Die Frau trinkt währenddessen per langem Strohhalm aus einem Bierbottich.


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Mittwoch, 11. Dezember 2013

Coloniales (35)

Echt Kölnisch Wasser – Der Zaubertrank

Ursprünglich wurde Kölns bekanntester Exportartikel, das Eau de Cologne, nicht als Duftwasser, sondern als Medizin vertrieben. Statt es auf die Haut aufzutragen, wurde es eingenommen, z.B. mit „Wein, Brunnenwasser, warmer Brühe oder anderen fließenden Sachen“. Seine Wirkung wurde als so allumfassend angepriesen, dass es – die Wahrheit der Angaben vorausgesetzt – den berühmten Zaubertrank des Miraculix deutlich in den Schatten stellte. Die Fabrikation „Johann Maria Farina gegenüber dem Jülichs-Platz“ (gegr. 1709) behauptete etwa, ihr Heilwasser sei ein

„Präservativ gegen die Pest“. Es „genest die Gelbsucht, Catharren, Ohnmachten, stinkenden Athem, vertreibt die Collic, und stillet das Magenwehe, zertheilet das Seitenstechen und Brustkrankheiten, so von aufsteigenden Winden und kalten Füßen herrühren, es heilet den Brand*, ist vortrefflich wider die Zahnschmerzen, tröstet ohnfehlbar die Weiber in beschwerlichen Kindbetten, und befördert die Nachgeburt, vertreibet alle durch die Hitze unrühriger Winden erhärtete zähe Schleimigkeit, wie auch das ungestümme Ohrenklingeln.“

Zum Parfüm von heute wurde Kölnisch Wasser erst durch ein Dekret vom 18. August 1810. Kaiser Napoleon verfügte darin für sein Staatsgebiet, zu dem damals auch Köln zählte, dass die Rezepturen für Heilmittel offen gelegt werden müssen. Dadurch sollte die ganze Bevölkerung davon profitieren. Farina und andere Fabrikanten gingen daraufhin dazu über, ihr Produkt nicht mehr als Medizin, sondern als Duftwasser zu vertreiben.

* Gemeint ist der Wundbrand. Was das Wässerchen jedoch ganz und gar nicht heilt, sondern im Gegenteil befördert, ist der Durst-Brand. Kölnisch Wasser besteht zu etwa 85 Prozent aus Alkohol. Der Ethnologe und Sammler Wilhelm Jost urteilte 1895 mit Bezug auf einen sibirischen „Alkoholisten“: „Jedenfalls schmeckt Eau de Cologne besser als Petroleum.“



Kölnisch Wasser fördert auch den Haarwuchs - wie hier beim Sänger der Höhner.


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Mittwoch, 4. Dezember 2013

Geschichten aus 1111 Nächten (46)

Trans-Lojistik

Der heilige Willy, der triefäugige Jean und der rotnasige Anton saßen in einem Altstadt-Brauhaus. Vor allem Willy war schon ziemlich hinüber, hatte er doch zum Aufwärmen zwei volle Kelche Messwein aus dem Tabernakel geleert. Trotzdem war er zu einer sportlichen Wette aufgelegt.
„Wenn ihr zwei jungen Burschen mir nur zehn Meter Vorsprung gebt, werdet ihr mich nie einholen. Nicht bis ans Ende aller Tage.“
„Du Schwadlappen“, höhnte Jean, „selbst wenn es nur bis zum Jan-von-Werth-Denkmal ginge, käme ich vor dir an.“
„Ich sowieso“, setzte Anton nach, „ich war schon immer gut im Weglaufen.“
Der heilige Willy strich sich den Bart glatt, grinste feist und hob an:
„Passt mal auf, Kameraden, bevor ihr mich überholen könnt, müsst ihr zuerst meinen Vorsprung einholen. Stimmt´s?“
„Das ist richtig“, gaben die beiden Freunde zu.
„In der Zeit aber , die ihr zum Einholen braucht, habe ich einen neuen, wenn auch etwas kleineren Vorsprung gewonnen. Stimmt´s?“
„Auch das ist richtig, heiliger Willy, aber komm mal zum Punkt.“
„Eigentlich liegt doch bereits alles klar auf der Hand, ihr Erzdeppen. Denn wenn ihr meinen neuerlichen Vorsprung einholt, habe ich wiederum einen zwar noch kleineren, aber existenten Vorsprung erlaufen. Der wird zwar immer kleiner, je weiter unser Rennen führt. Aber überholen könnt ihr mich niemals, da ist die Logik vor.“
Anton und Jean schwiegen eine Weile und süffelten an ihrem Kölsch. Dann sagte zweiterer:
„So gesehen hast du recht. Wir werden dich nie überholen. Also werde ich es auch nicht darauf ankommen lassen, sondern hier sitzen bleiben.“
„Ich auch“, ergänzte Anton, „denn du gewinnst dieses Rennen unter allen Umständen, heiliger Willy.“

Logistik kommt von logisch. Auch mit kölschem j, wie hier im Niehler Hafen.


P.S.: Selbstverständlich hatten Willy, Anton und Jean Unrecht. Aber warum?
Sie berücksichtigten nicht, dass eine unendliche Reihe eine endliche Summe haben kann. Der Weg, den Willy vor dem echten Einholen zurückgelegt hat, kann zwar potenziell unendlich oft in Vorsprünge unterteilt werden. Daraus folgt aber nicht, dass die Laufstrecke unendlich wäre oder dass unendlich viel Zeit erforderlich wäre, sie zu bewältigen.


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Mittwoch, 27. November 2013

Interviews (19)

Der Mann vom GeißbockEcho

Frederic Latz wurde 1977 in Düren geboren. Nach Abitur und Zivildienst ging er 2000 für ein Jahr als Musiker nach London. Darauf folgte ein Medien- und Kommunikationsstudium an der Kölner Sporthochschule. Der eingefleischte FC-Fan kam 2007 als Praktikant zum GeißbochEcho, dem Clubmagazin des 1. FC Köln. 2009 wurde er Redaktionsleiter, und seit Oktober 2013 fungiert er als Medienbeauftragter/Pressesprecher des Clubs. Ende November erscheint sein zusammen mit Dirk Unschuld verfasstes Kompendium „Mit dem Geißbock auf der Brust“, das jetzt schon bestellt werden kann.
Frederic Latz wohnt mit seiner Frau und seinem Sohn in Sülz.

In der Redaktion des GeißbockEchos wird auf Hochtouren gearbeitet. Das nächste Heimspiel und mithin die nächste Ausgabe der Vereinszeitung steht an. Ruhe für ein Gespräch finden wir im hintersten Raum des Geißbockheims, mit Blick auf einen asiatischen Steingarten.

Was bedeutet Köln für einen jungen Dürener?

Die große weite Welt. Obwohl Aachen geografisch näher liegt, ist man als Dürener voll auf Köln ausgerichtet, den riesengroßen Magneten.

Über Düren-Birkesdorf haben die Bläck Fööss mit dem Buuredanz eine Art Spottlied verfasst. Wie kommt sowas an?

Ein Dürener ist so schnell nicht gekränkt. In diesem Fall fühlt man sich sogar geehrt, von so einer Band überhaupt erwähnt zu werden. Düren nennt sich selbst „Das Tor zur Voreifel“, dass es dort eher ländlich zugeht, bestreitet niemand.

Toni Schumacher sprach anno 1987 in seiner Autobiografie „Anpfiff“ von „meinem Slum“ und nannte sich den „Fußball-Rocky“. Was meinte er?

Toni musste sich bei Schwarz-Weiß Düren durchboxen. Wegen dem „Slum“ fühlten sich einige Dürener damals auf den Schlips getreten. Aber es gibt auch Stimmen, die bestätigen, dass sein Heimatort Rölsdorf seinerzeit durchaus ein ziemlich rauhes Pflaster war.

Und Sie wuchsen eher im kleinbürgerlichen Reihenhaus auf?

Ich bin etwas außerhalb von Düren aufgewachsen, in einem Dorf namens Stockheim. Da traf man sich als Kind nach der Schule zum Bolzen.

Wie verlief Ihre eigene Fußballkarriere?

(lacht) Die begann in der F-Jugend des TSV 09 Stockheim, genau wie beim Vater und großen Bruder. Irgendwann ging ich zum größeren Verein in Düren-Niederau und schaffte es in die Kreisauswahl. Ich war bis zur B-Jugend ein solider Abwehrspieler, aber meine Karriere beendete letztlich die Leidenschaft für die Musik.

Klassik oder Pop?

Wir haben damals eine Rockband mit englischen Texten gegründet, und ich spielte Gitarre. Mit 18 wollte ich Johnny Marr, werden, der Gitarrist von den Smiths.

Was kann Musik, was Fußball nicht kann?

In der Musik kann man sich viel freier bewegen, dort gibt es fast keine Grenzen. Im Fußball wird streng trainiert und einer Taktik gefolgt.

Was halten Sie in diesem Zusammenhang von der Floskel des „Künstlers am Ball“?

Kunst kommt von Können, deshalb ist ein Littbarski oder Messi in gewisser Weise auch ein Künstler - in dem Rahmen, den der Sport vorgibt.

In beiden Metiers ist der Sprung an die Spitze sehr schwierig.

Das stimmt. Ich habe sogar ein Jahr als Musiker in London verbracht. Mit der Band waren wir manchmal nahe an einem Plattenvertrag, aber es hat dann doch nicht geklappt.

Das Kölner Stadion haben Sie folglich noch nicht gerockt?

(lacht) Nein, obwohl wir tatsächlich mal das Angebot bekamen, bei einem Heimspiel vor der Südkurve aufzutreten. Aber wir fanden, dass Fußballfans nicht gerade die Zielgruppe unserer Musik waren.

Haben Sie mal versucht, eine FC-Hymne zu komponieren?

Klar, wer auf emotional tiefgehende Musik wie etwa von Bruce Springsteen steht, der kann sich so etwas vorstellen. Aber der FC hat eine Hymne, an der keiner vorbeikommt.


Wie sind Sie statt bei den Smiths bei den Geißböcken gelandet?

Das kommt aus der Familie. Als ich nach meiner Geburt aus dem Krankenhaus kam, hing schon ein FC-Poster an meiner Zimmerwand, und ein Ball lag im Gitterbett. Ich zitiere da immer gerne Nick Hornby: „Einen Verein sucht man sich nicht aus, er wird dir gegeben.“

Gerade lief hier Peter Stöger vorbei, ein Ösi. Alexander Wehrle ist Stuttgarter, und sein Co-Geschäftsführer Jörg Schmadtke sogar Düsseldorfer. Wie leben die den Hornby-Spruch?

Dieses Zitat betrifft ausschließlich die Fan-Seite des Fußballs. Wer im Profisport arbeitet, muss eine klare Grenze ziehen zwischen seinen Gedanken als Fan und seinem Beruf. Jörg Schmadtke macht zurecht keinen Hehl daraus, wo er herkommt. Aber seine Arbeitskraft investiert er zu hundert Prozent in den FC.

Sie könnten sich also auch vorstellen, mal in ähnlicher Funktion in Gladbach, Düsseldorf oder Leverkusen zu wirken?

(gemeinsames Lachen) Da nennen sie jetzt natürlich die allerschwierigsten Kandidaten. Sagen wir so: Da ich hier momentan überglücklich bin, stellt sich mir diese Frage nicht.

Hat es denn Vorteile, hier als echter Eingeborener zu arbeiten?

Ich kann mich in die Gemüter des Umfelds wohl besser hineindenken als andere. Der Rheinländer zeichnet sich durch hohe Emotionalität aus, sei es in der Freude oder in der Trauer. Der FC ist dafür das beste Beispiel, wenn man sich den explodierenden Fanzuspruch seit dem ersten Abstieg ansieht.

Stimmt, 45.000 Zuschauer gegen einen Verein wie Sandhausen, das sagt alles. Sie haben sich mal als Fan für „Pro Bier um halb 4“ engagiert. Was war das?

Das wurde in einer Gruppe von Fußballautoren aus einer Bierlaune heraus geboren. Damals kursierte die Idee, Alkohol komplett zu verbieten in Stadien.

Aber Sie meinen wie ich, dass der mündige Bürger selbst entscheiden sollte, wo und wann er Bier trinkt?

Grundsätzlich teile ich Ihre Meinung. Bier gehört doch irgendwie zum Fußball dazu. Bei Spielen mit hohem Konfliktpotenzial muss man aber auch hierbei Ausnahmen machen.

Bierbembelkunst in Bayern


Das passt gut zu jenem Hobby, das Sie auf Befragen gern angeben: Grillen.

Ich liebe den Sommer, das Gesellige, ich könnte jeden Abend grillen. Wenn da so ein schönes Steak auf dem Rost liegt, ist das für mich unglaublich entspannend. Wie für manch anderen das Angeln.

Aber Sie würden den Bären nicht selber erlegen?

(lacht) Mein Großvater mütterlicherseits war Förster und Jäger. Aber ich selbst bin übers Zielscheibenschießen mit dem Luftgewehr nicht hinausgekommen.

Tierfreund ja, Vegetarier nein?

Genau. Für mich gehören auch gefüllte Paprika, Kartoffeln und ähnliches nicht auf den Grill.

Vom dicken Steak zum dicken Buch. Ihr dieser Tage erschienenes Kompendium „Mit dem Geißbock auf der Brust“ ist das umfassendste, das je über den FC erschienen ist. Wieviel wiegt es?

Ich schätze, so um die drei Kilo.

Gibt es Dinge, die Sie überrascht haben bei der Recherche?

Klar, Dirk Unschuld und ich haben versucht, jede Spieler-Biografie seit der Gründung 1948 zu vervollständigen. Spontan fällt mir der mühevolle Weg von Andrzej Rudy ein, der sich als polnischer Nationalspieler absetzte und über ein Jahr gesperrt war, bevor er beim FC spielen durfte.

Rudy, geboren 1965, war insgesamt fünf Jahre in Köln, absolvierte hier 134 Bundesligaspiele und schoss 14 Tore. Inzwischen arbeitet er als Trainer.

Auch im dicksten Buch muss noch immer etwas fehlen. Bei Ihnen sicher auch.

Stimmt, vor allem Vorgänge mit juristischer Relevanz im Privatleben mancher Spieler. Da sagt einem der Verlag, dass er da nichts riskieren will.

Von einem FC-Fachmann wie Ihnen kann man einen Ausblick verlangen: Wie schafft es der FC zukünftig in die Champions League?

Mit ruhiger, kontinuierlicher, qualitativ hochwertiger Arbeit.

Hm, ich hätte jetzt gesagt: Indem er dieses Jahr aufsteigt und nächste Saison Dritter wird.

Im Profifußball sind viele Dinge nicht wirklich planbar. Alle müssen sich aufs Tagesgeschäft konzentrieren und einen Schritt nach dem nächsten machen.


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Mittwoch, 20. November 2013

Geschichten aus 1111 Nächten (45)

Die weiße und die schwarze Kuh

Ein ruhiger, schweigsamer Eifelbauer hütete zwei Kühe, die auf einer Wiese grasten, und tat nichts anderes. Da kam ein Städter des Wegs, setzte sich neben ihn, schwieg anstandshalber einen Moment und fragte dann:
„Fressen die Kühe gut?“
„Welche von beiden?“ entgegnete der Eifelbauer.
Da sagte der Städter, leicht aus der Fassung gebracht: „Die weiße.“
„Die weiße: ja“, antwortete der Bauer.
„Und die schwarze?“
„Die schwarze auch.“
Nach diesem ersten Wortwechsel schwiegen die beiden Männer eine ganze Weile und betrachteten die Hügel und das Dorf. Irgendwann jedoch wurde der Städter unruhig und fragte:
„Und geben sie viel Milch?“
„Welche von beiden?“ sagte der Bauer.
„Die weiße.“
„Die weiße: ja.“
„Und die schwarze?“
„Die schwarze auch.“
Wieder folgte eine lange Pause. Die Männer blickten sich nicht an, sondern lauschten dem Bach und den grasenden Kühen. Aber dann unterbrach der Städter die Stille:
„Warum fragst du mich eigentlich immer: ´Welche von beiden?´“
„Weil“, antwortete der Bauer, „die weiße mir gehört.“
„Ach so“, entfuhr es dem Städter. Als er jedoch über diese Entgegnung nachdachte, wurde ihm ein wenig mulmig. Mit banger Vorahnung rang er sich schließlich zu einer letzten Frage durch:
„Und die schwarze? Gehört die auch dir?“
„Die schwarze auch.“


P.S.: Wer tiefer in die Gedankengänge des weisen Eifelbauern eindringen möchte, möge sich auch mit folgenden berühmten Fragen beschäftigen:
Welche Hand macht welches Geräusch, wenn zwei Hände gegeneinanderklatschen?
Was ist der Unterschied zwischen einem Raben?
Wie alt war Rimbaud?

Wie alt war Rimbaud?

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Mittwoch, 13. November 2013

Interviews (18)

Heute: Der Tatort-Regisseur

Kaspar Heidelbach ist einer der renommiertesten deutschen Filmregisseure. Geboren 1954 in Tettnang am Bodensee, kam er 1967 nach Köln. Nach einem Studium der Kunstgeschichte, Theater-, Film- und Fernsehwissenschaft arbeitete er acht Jahre als Regieassistent. Als junger Regisseur drehte er u.a. zahlreiche Folgen der „Lindenstraße“, bald kamen auch Krimiserien hinzu. Heidelbachs Name verbindet sich mit diversen Münster- und Köln-Tatortfolgen sowie mit den serienunabhängigen Spielfilmen um den ausgestiegenen Kommissar Schimanski. Darüber hinaus zeichnet er für einige aufwendige Fernsehfilme verantwortlich, unter anderem den „Untergang der Pamir“ (2006). Für „Das Wunder von Lengede“ erhielt er den Adolf-Grimme- und den Bayrischen Fernsehpreis, zwei seiner zahlreichen Auszeichnungen.
Kaspar Heidelbach ist Vater von zwei erwachsenen Kindern und lebt mit seiner Frau in der Kölner Südstadt.


Eigentlich hätte dieses Gespräch in der Ubierschänke am gleichnamigen Ring stattfinden müssen. Aber dort kennt Kaspar Heidelbach zu viele Leute. Also haben wir uns für das ruhigere Café Schulze auf der Severinstraße entschieden.

Um direkt kritisch einzusteigen: Warum steht ein gutaussehender Kerl wie Sie hinter statt vor der Kamera?

Als Kind habe ich in Schulstücken mitgemacht. Aber eigentlich reizt mich das Schauspielern nicht. Im Gegenteil, ich werde sogar noch nicht einmal gerne fotografiert. Was mich an meinem Beruf interessiert, ist das Geschichtenerzählen.

Das tut man doch auf beiden Seiten des Objektivs.

Aber als Regisseur habe ich die Fäden in der Hand, das ist mir wichtig.

Gibt es von Ihnen Camouflage-Auftritte à la Hitchcock?

Ja, vor allem, weil dann das Team seinen Spaß hat. Zuletzt stand ich in „Mord mit Aussicht“ als Freier im Flur eines Stundenhotels. Mit weißen Socken, Bademantel und Bierflasche.

Waren Sie als Kind eher der Clown, der Zuhörer oder schon der Regisseur?

Der Clown mit der spitzen Zunge. So ist das heute noch in der Ubierschänke, meiner Stammkneipe in der Südstadt.

Wie interpretieren Sie die Kontrollmacht des Regisseurs?

Das ist durchaus auch ein manipulativer Job - im positiven Sinn. Man versucht, das Beste aus den Leuten herauszuholen, seien es der Kamermann, die Kostümbildner, Ausstatter oder eben die Schauspieler.

Aber Kontrolle ist nicht alles, nehme ich an.

Nein, ich trage auch eine nicht gerade kleine Verantwortung. Für die Zeit des Filmdrehs ist mir etwas in die Hand gegeben worden: eine Geschichte, die ich ordentlich umsetzen muss, und natürlich auch ein Haufen Geld. Ein Tatort zum Beispiel kostet zwischen 1,3 und 1,4 Millionen Euro.


Heidelbachs Stammkneipe

Viele Ihrer Filme erreichen ein Millionenpublikum, Sie haben zahlreiche Preise gewonnen. Zuletzt haben Sie nun einen Schimanski abgedreht. Was war damals, Anfang der 80er, das Neue an diesem Kommissar?

Schimanski war eine kleine Revolution, weil er sich völlig vom Beamtenhabitus seiner Vorgänger gelöst hat. Denken Sie an den „Kommissar“ mit Erik Ode, an Derrick und Ähnliches. Schimanski war anders angezogen, hatte Krach mit seinen Vorgesetzten und trank rohe Eier. Die Bildzeitung hat ihn nicht umsonst die ersten acht Folgen lang als „Schmuddelkommissar“ niedergeschrieben.

Aber er erreichte andere Bevölkerungsschichten?

Mit Schimanski konnten sich Jugendliche eher identifizieren als mit seinen TV-Kollegen. Und auch für Nach-68er wie mich, für Antiautoritäre war er attraktiv.

Mit wem würden Sie in der Ubierschänke am liebsten ein Bier trinken: mit Börne und Thiel aus dem Münster-Tatort oder mit Schimanski?

(lacht) Am besten mit allen Dreien, das könnte lustig werden.

Sie haben mehrere Münster-Tatortfolgen gedreht. Wieviel Börne, also wieviel Pedanterie und Perfektionismus, steckt in Ihnen?

Als Regisseur muss man auch pedantisch sein können und sich ab und zu unbeliebt machen. Sei es gegenüber den Leuten am Set oder dem Sender, den Geldgebern. Einen Film zu machen, ist immer auch ein großer Kampf.

Dabei hört man doch immer, Filmen sei Teamarbeit.

Das ist auch so, absolut. Aber einer muss der Bestimmer sein. (lacht) Wir hängen alle voneinander ab, wir arbeiten alle zusammen. Trotzdem ist Filmen kein demokratischer Prozess.

Axel Prahl sagt, er kenne niemanden, der exakter vorbereitet ans Set komme als Kaspar Heildelbach. Was meint er damit?

Prahls Thiel aus dem Münster-Tatort hat einiges von Schimanski, dies nur nebenbei. Was meine Arbeit betrifft: Ich kann besser schlafen, wenn ich ein Konzept habe. Und wenn gute Änderungsvorschläge kommen, wandele ich lieber mein Konzept ab, als einfach ins Blaue zu proben.

Lassen Sie Ihre Schauspieler zuweilen improvisieren oder sagen Sie: Mach dieses Gesicht und sprich deinen Text in jener Tonlage?

Nein, das würde ich nie tun. Ich spreche auch nie Texte vor, sondern sage höchstens, dass das gerade aus diesem oder jenem Grund nicht gut war. Dabei sollte man allerdings möglichst diplomatisch vorgehen, denn wenn ein Schauspieler einmal eingeschnappt ist, wird die Szene bestimmt nicht besser.

Wie überzeugt man einen Götz George, wenn er anderer Meinung ist?

Das geht nur über Annäherung. Man muss allerdings wissen, dass Götz ein besonderer Fall ist. Der sitzt morgens in seinem Wohnmobil und platzt fast, bis er endlich loslegen kann. Immer perfekt vorbereitet, immer sofort präsent, einfach toll. Das ist die alte Schule, Götz begrüßt auch jeden Morgen alle Kollegen per Handschlag, bis hin zu den Praktikanten.

Südstadt, Schoko-Fabrik

Was ist für Sie anders, wenn Sie in Köln drehen?

Köln ist heimisches Terrain. Wenn ich ein Kölner Drehbuch lese, fallen mir sofort Bildmotive ein, die man ergänzen könnte. Ich bin übrigens die Geißel jedes Fahrers, weil ich den hiesigen Taxischein besitze. Meinen Zivildienst habe ich nämlich als Rettungsfahrer absolviert, da muss man sich sogar noch ein bisschen besser auskennen als der normale Chauffeur.

Sind Sie in Köln pingeliger, was Anschlussfehler betrifft?

Ich bemühe mich, das zu vermeiden, ja. Du kannst schlecht vom Neumarkt über den Rhein fahren und dann am Dom ankommen.

Wie wichtig ist Lokalkolorit für Serien wie den Tatort?

Die ursprüngliche Idee war, in verschiedenen deutschen Städten Kriminalgeschichten zu erzählen, die zugleich die Eigenheiten der Region transportieren. Das darf allerdings nicht so weit gehen, dass man daraus Mundartstücke macht.

Bei den Münchnern und Österreichern hat man diesen Eindruck zuweilen schon.

Naja, aber das ist nie tiefster Dialekt. Mit Willy Millowitsch haben wir uns damals bei Kommissar Klefisch auf eine Sprache verständigt, die er „Rheinisch“ nannte. (lacht)

Müssten die Kommissare Ballauf und Schenk nicht eigentlich Kölner sein?

Noch nicht mal unser Oberbürgermeister ist ein Kölscher! Aber ich versuche schon, die Stadt möglichst häufig einzufangen. In meinem letzten Kölner Tatort habe ich mir den Spaß erlaubt, sämtliche Brücken mindestens einmal zu zeigen. In einer anderen Folge haben wir einen Hausmeister „Kaczmarek“ genannt, nach dem Bläck-Fööss-Song. Der schließt da eine Wohnung auf, und Dietmar Bär sagt: „Danke, Kaczmarek.“

Jenseits von Köln haben Sie schon fast überall auf der Welt gedreht. Wo war´s am spannendsten?

Auf Malta, ganz klar, wo wir den „Untergang der Pamir“ drehten. In der Realtät war die 122 Meter lang. Ich habe das Schwesterschiff, die „Passat“ in Travemünde besichtigt und dachte: Heidelbach, du bist größenwahnsinnig. Es gibt eine Formel, mit deren Hilfe man errechnen kann, wie groß das Filmmodell sein muss, um im Zusammenspiel von Kamera und Wellen am realistischsten zu wirken. So kamen wir zu unserem 23-Meter-Modell.

Klingt recht aufwendig.

Ist aber noch lange nicht alles. Außerdem hatten wir zum Beispiel Wellenmaschinen, Wasserrutschen, Wasserkanonen und ein separates Hauptdeck, das um 90 Grad kippbar war. Das Ganze war ein Sandkastenspiel in riesengroß.

Der nächste Schritt wäre dann die Neuverfilmung von Werner Herzogs „Fitzcarraldo“.

Würde ich nie machen, denn für diesen Film sind Menschen gestorben. Das muss nicht sein, für keinen Film der Welt.

Zurück nach Deutschland: Sie stammen aus Tettnang am Bodensee. Gibt es noch Beziehungen dorthin?

Viele Verwandte leben noch da, eine wunderschöne Gegend. Aber wenn ich ein paar Stunden dort bin, weiß ich, warum Köln meine Stadt ist.

Inwiefern?

Immerhin lebe ich hier nun seit 1967. Um einen guten Film zu drehen, würde ich überall hingehen. Aber wohnen möchte ich immer hier, in der Südstadt. Wissen Sie, so gern ich über Filme rede, so wohl fühle ich mich in meiner Stammkneipe. „Du warst ja lange weg“, sagen die Jungs da. Und dann ist das Thema durch.


Die schiefe Kirche von der Südstadt - erinnert sich noch jemand?


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Mittwoch, 6. November 2013

Thekentänzer (70)

Jäger M und Happy Birthday

Eine der Frauen ist 30 geworden. Sie trägt eine dicke, silberne Kette und ein knielanges, schwarzes Kleid.
„Mach mal 13 Red Bull-Jägermeister.“
„Red Bull haben wir nicht“, sagt der Kellner.
„Scheiße.“
Die Frau berät sich mit ihren Freundinnen, ein paar von ihnen schütteln den Kopf und blicken vorwurfsvoll zum Kellner hin. Aber sie werden sich einig.
„Dann 11 Jäger M mit Cola und zwei mit Cola light.“
Der Kellner verzieht nun seinerseits das Gesicht: „Cola light ham wir auch nicht. Und auch keine gelbe Limo oder KiBa-Saft oder sowas.“
„Was ist denn das fürn Laden hier?“ sagt das Geburtstagskind.
Aber die Front der Feiernden bröckelt. Vier der Frauen sind so durstig, dass sie sich hinterrücks ein Kölsch bestellt haben. Eine weitere trinkt heimlich Wasser aus einer in der Handtasche verstecktes Flasche. Die neuerliche Beratung ergibt:
„Also jetzt zwölf Jäger M mit Cola und eine Frikadelle oder was ihr so habt.“
„Wir haben Nüsschen, Chips und Bifis.“
„Oh Gott! Aber mach jetzt auf jeden Fall mal die Schnäpse, sonst dreh ich langsam durch. Angelika, die ham hier keine scheiß Frikadellen, jetzt trink doch nen Jägermeister mit, verdammt nochmal.“
Die Angesprochene - es ist die mit der heimlichen Wasserflasche - denkt kurz nach und sagt dann: „Ja gut, aber ohne Cola.“
Der Kellner greift ins Regal mit den Rialtogläsern und gießt 13 Jägermeister ein, zwölf davon mit Cola.
Die Mädels prosten sich zu, stoßen an, trinken aus.
Und dann Happy Birthday.

Nudeln gibt´s auch nicht


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Mittwoch, 30. Oktober 2013

Geschichten aus 1111 Nächten (44)

Der Düsseldorfer, der Wolf, die Prinzessin und der Baum

Ein mürrischer kleiner Düsseldorfer machte sich auf den Weg nach Köln, um sich beim heiligen Willy über sein Schicksal zu beschweren: „Warum, lieber Willy, wurde ich ausgerechnet in diesem unseligen Dorf an der Düssel geboren?“ wollte er den weisen Mann fragen.
In Dormagen begegnete er einem Wolf, dem er von seinem Vorhaben erzählte.
„Dann frag doch mal den heiligen Willy“, entgegnete der Wolf, „ob ich wirklich nur geschaffen wurde, um hier zu verhungern.“
Der Düsseldorfer versprach es und traf in Worringen eine Prinzessin. Als sie von seinem Plan hörte, bat sie ihn: „Frag den heiligen Willy, warum ich, die ich doch jung, hübsch und gesund bin, dennoch unglücklich dahinlebe.“
Der Reisende sagte auch dies zu. Auf dem Marsch durchs Nippeser Wäldchen sprach ihn schließlich ein Baum an: „Sag dem Willy, dass es schrecklich ist, als Baum ganz ohne Laub dahinzuvegetieren. Lieber will ich sterben.“
Endlich erreichte der Düsseldorfer den Kölner Heiligen, der gerade in seinem Beichtstuhl saß und eine Pulle Messwein vertilgte. Nachdem der Gast seine Klagen vorgebracht hatte, erhob Willy seine donnernde Stimme: „Ich gebe dir eine Chance, du Männchen. Ergreife sie, dann wirst du reich und glücklich.“
Danach gab er ihm auch noch alle anderen gewünschten Antworten, bevor er sich wieder seinem Fläschchen widmete.
Der Düsseldorfer traf auf dem Rückweg den Baum und sagte: „Unter deiner Wurzel liegt ein Goldschatz, der dich vom Wasser trennt. Wird er geborgen, wirst du auch wieder sprießen.“
„Na, dann fang doch schnell an zu graben“, frohlockte der Baum, „und nimm dir das Gold.“
„Nein“, entgegnete der Düsseldorfer, „der heilige Willy von Köln hat mir eine Chance gegeben. Ich muss nach Hause und sie nutzen.“
Bald darauf stand er vor der unglücklichen Prinzessin.
„Der Weise sagt, du brauchst einen Ehemann, um glücklich zu werden.“
„Dann heirate mich, Düsseldorfer, ich bin dein!“
Aber der Düsseldorfer antwortete: „Nein, Gott hat mir eine Chance gegeben ...“
Und wer jetzt noch immer nicht weiß, was mit dem Manne geschieht, wenn er den Wolf wiedertrifft, der kommt mit ziemlicher Sicherheit aus Düsseldorf.

... zo Foß noh Kölle ...

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Mittwoch, 23. Oktober 2013

Interviews (17)

Heute: Der Skat-Weltmeister

Jörg Hussong, geboren 1962 in Köln, gehört zu den weltweit besten Skatspielern. Nach der Mittleren Reife absolvierte er eine Lehre als KFZ-Mechaniker, ab 1987 arbeitete er im Kundendienst verschiedener Autohäuser. Vor zwei Jahren stieg er um und betätigt sich zur Zeit als Kraftfahrer. Dem Euroskat Team Köln gehört er seit 1988 an. Seinen größten Einzelerfolg feierte er als 5. bei der WM 2000. 2006 und 2008 wurde er Mannschafts-Weltmeister, 2012 gewann er die Einzelwertung der Skat-Bundesliga West.
In seinem Vereinslokal, dem Porzer Gasthaus Kranz, hat sich Jörg Hussong in die hinterste Ecke gesetzt, mit Blick zur Tür und den Fenstern. Die Pokerzocker im Western machen das genauso - nur ja niemanden im Rücken haben!

Spielen Sie lieber ein Solo oder mit einem Partner?

Skat ist in der Bundesliga ein Mannschaftssport. Wenngleich es hier auch eine Einzelrangliste gibt, stellt man sich doch vorwiegend in den Dienst der Mannschaft. Mir machen beide Konstellationen Spaß.

Ich meinte eigentlich: Gewinnen Sie einen kleinen Karo lieber alleine oder zu zweit gegen den Solospieler?

Ein Solo ist das A und O beim Skat, ohne Punkte keine Preise. Steht mein Blatt allerdings auf wackeligen Füßen, mache ich lieber ein Spiel des Gegners kaputt, als selber Miese zu riskieren. Auch dafür bekommt man nach der Wettspielordnung 30 Punkte. Im Wettkampfbereich gilt: Wenn Sie ein Spiel verlieren, müssen Sie dafür drei gewinnen.

Deshalb sind die Profis bei Turnieren wohl auch so oft schon bei 18 weg.

Ein Spiel muss Stabilität und Substanz haben, auf starke Karten aufbauen. Dann kannst du das auch reizen.

Was macht die Substanz eines Blattes aus?

Ein kleines Beispiel: Bei einem hohlen As, also etwa As, 9, 7, können Sie die Dame der Gegner schon dazuaddieren. Haben Sie die allerdings selbst auf der Hand, geht sie wahrscheinlich weg.

Wie würden Sie einem Marsmännchen die Faszination des Skat erklären?

Ich würde ihm sagen, dass er es hier mit einem Spiel zu tun hat, bei dem sich der Glücksfaktor und das logische Denken auf sehr spannende Art ergänzen.

Dennoch schrumpft der Skatverband Jahr für Jahr.

Stimmt, in Deutschland können rund 15 Millionen Menschen, manche sagen: 30, Skat spielen. Aber nur 35.000 sind in Skatvereinen organisiert, das ist schade. Uns fehlen sowohl die Sponsoren als auch der Nachwuchs.

Die Jugend pokert heutzutage lieber.

Pokern boomt, auch dieses Spiel kann man mathematisch spielen. Auf lange Distanz setzt sich immer der Bessere durch, genau wie beim Skat. Aber Pokern tut man immer allein, beim Skat gibt es den dritten Mann. Es sind Strategien und Kalkulationen gefordert, die das Spiel meines Erachtens interessanter machen als Poker.

Beim Pokern spielt das Bluffen eine große Rolle. Beim Skat auch?

Den Anteil des Bluffens würde ich auf vielleicht fünf Prozent schätzen. Wer unbedingt seinen einfachen Karo spielen will, der sagt seine 18 einschüchternd forsch, damit der andere vielleicht beeindruckt ist und passt.

Hat man an Tagen, an denen man sich gut fühlt, auch bessere Karten?

(grinst) Das kann ich bestätigen. An guten Tagen fühlst du dich fit und spielst hochkonzentriert. Du bist nicht zu vorsichtig, du überziehst deine Blätter nicht und machst im Spielverlauf alles richtig.

Gibt es also einen Skatgott?

Skat ist in meinen Augen ein Phasenspiel, mal hat man anhaltend Glück, mal die Pechsträhne. Ich kenne Leute, die setzen dann lieber vier Wochen aus, als schlechte Listen zu spielen. Von daher würde ich sagen: Ja, es gibt einen Skatgott, und die meisten Skater sind abergläubisch.

Wie äußert sich das bei Ihnen?

Wenn mein erster WM-Tag gut gelaufen ist, ziehe ich das T-Shirt am nächsten Tag wieder an. Blödsinn eigentlich, aber das muss sein!

Kann man mal riskieren. Aber nur bei eigenem Aufspiel (siehe unten).
 
Das erinnert an Ewald Lienens blaues Hemd und Udo Latteks blauen Pullover. Gibt es unter Ihren Kollegen weltweit auch einen irdischen Skatgott, einen Messi?

Nein. Es gibt in der Weltspitze einige wirklich sehr gute Spieler, aber keinen, der irgendwie gottähnlich herausragt.

Eine Frage, um die seit Jahrzehnten gestritten wird: Ist Skat Sport?

In meinen Augen ja! Skat unterhält schließlich wie jede Sportart einen Ligabetrieb und daneben zahlreiche kleine und große Turniere bis hin zu EMs und WMs. Leider ist unser Spiel allerdings nicht besonders publikums- und medienwirksam.

Welche Leute trifft man auf diesen internationalen Turnieren?

Alles vom Harz-IV-Empfänger bis zum Doktor und millionenschweren Firmenchef. Der eine kommt im Anzug, der nächste im ausgefransten T-Shirt, es gibt bei uns keine Kleiderordnung.

Aber wohl ein paar Benimmregeln?

Mal ein Bier oder eine Schnapsrunde - das kann vorkommen, wenn man mit lustigen Leuten am Tisch sitzt. Eingeschritten wird, wenn jemand zu viel trinkt oder sich sonstwie daneben benimmt.

Es kursieren einige Vorurteile über Skatspieler. In welchem Verhältnis stehen Skat, Zigaretten und Bier?

Alkohol geht eigentlich gar nicht, wenn man etwas erreichen will. In der Spitze wird praktisch nichts getrunken beim Spiel, aber beim Kneipenskat auf der Ecke ist das natürlich etwas anderes.

Bereiten Sie sich konditionell vor auf eine WM? Und nehmen Sie während des Turniers ab wie ein Leistungssportler?

Nee, eigentlich passiert das Gegenteil. Beim Skat verbrennt man nichts, so richtig gesund ist das nicht. Aber das Spiel ist wie der Fußball von oben nach unten durchorganisiert.

Müssen Sie vor einem Bundesligamatch trainieren?

Nach 25 Jahren nicht mehr, ich weiß, was ich wann zu tun habe.

Sie arbeiten als Kraftfahrer. Welche Opfer bringen Sie für ihr Hobby?

Der Job leidet nicht darunter, denn Skatevents spielen sich am Wochenende ab. Aber für Turniere und Skatreisen geht bei mir fast der ganze Urlaub drauf. Dieses Frühjahr haben wir in Köln die Deutschen Meisterschaften organisiert, da war schon einiges zu stemmen.

Ich als reiner Kneipenskater halte stets die Punkte nach und weiß, wieviel Trümpfe noch draußen sind. Was haben Sie alles im Kopf?

Natürlich alle Punkte, die Trümpfe und wenn ich mir Mühe gebe, auch alle noch nicht gefallenen Karten. Wenn ein guter Skater merkt, dass das Spiel aus dem Ruder zu laufen droht, rekonstruiert er für sich auch alle vorigen Stiche, um sich über die Verteilung der gegnerischen Blätter klarzuwerden.

Unterlaufen Ihnen dabei auch schon mal Fehler?

(lacht) Auch ich liege nicht immer richtig. Manchmal spekuliert man die ganze Zeit auf diesen König im letzten Stich, mit dem man auf 61 Augen käme. Aber dann fällt stattdessen die Dame, und das Spiel ist verloren. Aber um mal eines klarzustellen: Ich sehe mich nicht als Profi, denn ein Profi lebt von seinem Sport. Das kann bei den derzeitigen Konstellationen kein Skatspieler.

Sie treten bei EMs und WMs an. Und am Ende gewinnt immer Deutschland?

In der Nationenwertung fast immer, ja. Und die Einzelwertung gewinnen auch zu neunzig Prozent Deutsche.

Es gibt Skatclubs auf den Bahamas und in Chile. Aber die Mitglieder heißen Meier, Lehmann und Krause.

Genau, das sind fast immer Auswanderer. In Gegenden, wo viele Deutsche zusammenkommen, wird dann natürlich das deutsche Traditionsspiel gepflegt.

Wie sieht es - national und international - mit weiblichen Skatern aus?

Es gibt, im Vergleich zu den Männern, nur wenige. Daran wird es wohl auch liegen, dass Frauen sich insgesamt kaum einmal in die Siegerlisten eintragen können. Hin wieder werden Mixed-Turniere angeboten, man kann auch Mixed-Weltmeister werden.

Wann hatten Sie zum letzten Mal ein Blatt, das man, wie früher üblich, an die Kneipenwand hängen könnte?

(lacht) Letztens im Internet. Man kann auf verschiedenen Websites rund um die Uhr Skat spielen, und vor einiger Zeit hatte ich einen Grand Ouvert: Die ersten drei Buben, die obersten sechs Kreuz und ein blankes As dazu. Das ging natürlich nur sicher durch, weil ich zudem noch am Aufspiel war.

Stimmt, sagt selbst der schlichte Kneipenskater. Denn ansonsten hätte Hussong fürchten müssen, gegen Kreuz 7 und Karo Buben einen Stich abzugeben, der die Schneider-Schwarz-Pflicht des Ouverts zerstört hätte. 






Mittwoch, 16. Oktober 2013

Fundstücke (24)

Jazz ist, wenn du die Bässe rausdrehst

Griechenmarktviertel, vor der Kneipe Metronom
Frau um die 40: „Jetzt komm, jetzt gehen wir da mal rein, Jazz tut doch nicht weh.“
Mann mit schwarzer Lederjacke: „Genau! Weil Jazz ist, wenn du die Bässe rausdrehst.“

Zollstock, Höninger Weg
Frau mit Kind an der Hand I: „Nicole, sach ma, wie määst du dat, dat du dä Pascal nit schlächs?“
Frau mit Kind an der Hand II: „Dun ich nit, basta.“
Frau mit Kind an der Hand I: „Bei dem Dominik jing dat ja nit, do es dä vill zo frech för.“

Das Kölner Stadtmuseum kündigt eine Veranstaltung an:
„Streunende Hunde, Gänse in Körben, eine Frau, die in einem Käfig eingesperrt ist - auf dem Alter Markt war früher wirklich viel los.“
Kann man wohl sagen.

Südstadt, Lottoannahmestelle
Ältere Frau mit Dauerwelle: „Die alte Frau Müller ist ja wirklich nett.“
Jüngere Frau mit Kinderwagen: „Der ihr Sohn aber auch!“
Ältere Frau mit Dauerwelle: „Ija, nur dass der doch diese Krankheit hat, ne.“
Jüngere Frau mit Kinderwagen: „Welche Krankheit denn jetzt?“
Ältere Frau mit Dauerwelle: „Ja, weil, der ist doch schwul, soweit ich jetzt weiß.“

Kneipe, Nordstadt
Typ um die 60 mit nach hinten gegelten Resthaaren zu seinem krausköpfig-vollbärtigen Kumpel: „Ich bin altersmilde, sagst du? - Das klingt ja wie ne Krankheit.“

Neumarkt, Puszta-Hütte
Kleiner Kerl mit Leinenhose: „Ich bin aus Salzburg und war vor 50 Jahren schonmal hier.“
Wirt: „Klar, ich hab oben noch Fotos von dir.“

Gibt´s auch so richtig doitschen Jazz?

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Mittwoch, 9. Oktober 2013

Geschichten aus 1111 Nächten (43)

Die Blume

Über mehrere Tage hatte der heilige Willy geheimnisvoll getan mit seiner Kirche im Vringsveedel. Eines Morgens jedoch weckte er den Anton aus dem Schlaf und forderte ihn auf mitzukommen. Es gehe um nichts weniger als ein Wunder und ein Fläschchen Wein.
Anton war nun nicht gerade der hellste aller Kölner, und außerdem hatte er den Abend zuvor in einer üblen Kaschemme am Großen Griechenmarkt verbracht. Unwillig wie ein geprügelter Hund folgte er dem heiligen Willy.
In der Kirche angekommen, fand sich Anton inmitten einer Zauberlandschaft wieder. Abertausende künstliche Blumen, Kräuter und Grasbüschel schmückten das Gotteshaus, Anton fühlte sich wie in einem der wohligen Träume aus der vergangenen Nacht.
„Und jetzt kommt mein Rätsel“, hob der Willy an: „Nur eine einzige Blume hier ist echt. Wenn du sie mir zeigen kannst, bekommst du eine ganze Flasche Messwein.“
Anton blinzelte über seinen gewaltigen Kolben hinweg durch den Raum, unterschied jedoch kaum mehr als die vielen Farben. Aber weil er wusste, dass des Willys Messwein ein außerordentlich lieblicher Tropfen war, jagte er ein paar Neuronen durchs gepeinigte Hirn.
„Mir ist fürchterlich heiß“, sagte er schließlich zum heiligen Willy, „könntest du vielleicht ein Fenster öffnen?“
Willy tat wie ihm geheißen, und es geschah, was Anton sich ausgedacht hatte: Eine Biene flog herein und setzte sich auf die einzig echte Blume.

Noch viele weitere Gäste besichtigten danach das Blumenmeer des heiligen Willy. Antons Geschichte jedoch ging in der Stadt von Mund zu Mund und führte die Kölner zu folgenden Erkenntnissen:

1) Es ist schwierig, einer wie der Anton zu sein.
2) Es ist noch schwieriger, die Biene zu sein.
3) Es ist am allerschwierigsten, jene Blume zu sein.

Erkennen Sie den einzigen echten?

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Mittwoch, 2. Oktober 2013

Interviews (16)

Heute: Die Frauen-Historikerin

Zur Person
Irene Franken wurde 1952 in Düsseldorf geboren. Ab 1972 studierte sie in Köln die Fächer Deutsch und Geschichte und absolvierte die Ausbildung zur Realschullehrerin. 1986 gründete sie mit anderen den Kölner Frauengeschichtsverein, um ´weibliche´ Geschichte in der Stadt sichtbar zu machen. In der Folge sorgte er etwa dafür, Straßen nach Frauen zu benennen und den Rathausturm mit 18 statt der vorgesehenen 5 Frauenfiguren zu bestücken. Neben Stadtführungen übernimmt Irene Franken regelmäßig Lehraufträge im Seniorenstudium der Kölner Universität. Ihre erfolgreichste Publikation ist der historische Stadtführer „Frauen in Köln“ (Bachem Verlag).


BI: Sie stammen aus Düsseldorf. Warum sind Sie nach Köln gekommen?

IF: Damals wollte ich weg von Düsseldorf und habe einen neuen Studienort gesucht. Über Köln wusste ich zu dem Zeitpunkt nichts.

BI: Sie wollten raus aus dieser Stadt im Norden?

IF: Ich habe sie sehr genossen, allein schon wegen meiner damaligen Trendkneipe CreamCheese. Da hingen avantgardistische Bilder von Günther Uecker an der Wand, und es lief Undergroundmusik.

BI: Finden Sie, nach mittlerweile 40 Jahren in Köln, die Kabbeleien zwischen den Städten lustig?

IF: Die tangieren mich überhaupt nicht. In Düsseldorf interessiert das sowieso niemanden, das geht eher von Köln aus. Ich vergleiche das gern mit dem Windhund, der vom kleinen Straßenköter angekläfft wird.

BI: Lassen Sie das wirklich so stehen?

IF: (lacht) Es ist ja nicht so, dass ich die Windhunde lieber mag als die Mischlinge.

BI: Gibt es frauenhistorische Unterschiede zwischen Düsseldorf und Köln?

IF: Ja, schon. In Düsseldorf gab es einen Hof, hier nicht. Also existierten auch keine Salons, keine Hofdamen undsoweiter. Außerdem hatte Köln sowohl Juden/Jüdinnen als auch Protestanten aus der Stadt geworfen. Köln war dadurch spätestens ab dem 17. Jahrhundert kulturell eher randständig, hier brodelte man im eigenen Mief.

BI: Einige berühmte Frauen hat Köln aber schon hervorgebarcht. Dass wir sie kennen, verdanken wir nicht zuletzt dem von Ihnen gegründeten Frauengeschichtsverein.

IF: Große Möglichkeiten bot das Kölner Zunftrecht. Während Frauen im Privatleben unter der Vormundschaft eines Mannes standen, war es ihnen hier dennoch möglich, Handel zu treiben, eine eigene Werkstatt zu leiten und auf eigene Rechnung zu wirtschaften.

Vorher

BI: Auch Clara Schumann, zugewanderte Düsseldorferin und Namenspatin Ihres ehemaligen Gymnasiums, stand unter der Fuchtel eines Mannes. Haben Sie ein besonderes Verhältnis zu ihr?

IF: Nicht wirklich. Über ihre Wiederentdeckung als Komponistin und Musikerin habe ich mich gefreut. Aber ich muss gestehen, mein Herz hing immer ein bisschen an Robert Schumann, der ja tragisch umnachtet starb.

BI: Gab es eine Initialzündung zur Beschäftigung mit Frauenhistorie?

IF: Während meines Studiums der Geschichte in Köln wurden wir mit einer einzigen Frau bekannt gemacht: Bertrada, der Großmutter Karls des Großen. Und auf der Leseliste, einem Kanon für die Deutschstudenten, stand außer Annette von Droste-Hülshoff auch keine Frau. Irgendwann dachte ich, hier stimmt doch etwas nicht.

BI: Anfang der 1970er begann auch die Frauenbewegung.

IF: Schon, aber bis an die Kölner Universität war die noch nicht vorgedrungen. Zusammen mit ein paar Kommilitoninnen haben wir erstmal eine neue Leseliste erstellt. Und auf der stand dann nur ein Mann, ist klar.

BI: Wie wurde diese Pionierarbeit gewürdigt?

IF: An der Uni sind Einige heute dankbar dafür, das war ein Aufbruch. Aber es gab durchaus Vorwürfe aus verschiedenen Ecken, wir würden die Geschichte verfälschen.

BI: Sie arbeiten heute selbst für die Kölner Universität an einem Forschungsprojekt zu Krankenakten der Frauenklinik aus der NS-Zeit. Wie gehen Sie da vor?

IF: Ich versuche, nicht nur – wie üblich - Zwangssterilisierungen aufzulisten. Mir geht es eher darum, die Machtverteilung in den einzelnen sozialen und diskursiven Räumen darzustellen, zum Beispiel die Gleichzeitigkeiten von konfessionellem und parteigebundenem Glauben, was mit erklärt, wie so viele Menschen aktiv beteiligt werden konnten.

BI: Der Frauengeschichtsverein hat 1985 angefangen, frauenspezifische Stadtrundgänge zu veranstalten.

IF: Ja, anfangs sogar nur für Frauen, aber nach lautstarker Kritik auch schon viele Jahre für Männer.

BI: Warum waren Männer ausgeschlossen?

IF: Ich habe selbst erlebt, wie es ist, keine historischen Wurzeln vorzufinden und sich auf keine Vorgängerin beziehen zu können. Wir wollten zunächst einmal allen Kölnerinnen die Augen dafür öffnen, dass es in ihrer Stadt auch eine Geschichte der Frauen gibt.

BI: Und kommen denn inzwischen auch Männer?

IF: Zur Melatenführung sehr gern, das sind die Kölschen. Ansonsten eher wenige, ich denke mir, dass es Männer vielleicht kränkt, zwei Stunden nur etwas über Frauen zu hören.

BI: Was hat sich bei den weiblichen Besuchern in den mittlerweile 28 Jahren geändert? Weniger bunte Latzhosen?

IF: Die Frauenbewegung war nie unsere Hauptklientel. Zu uns kommt vor allem das Bildungsbürgertum reiferen Alters. Ich glaube, Frauen entwickeln das Interesse für unsere Themen allmählich mit den Jahren - sie bringen dann z.B. eigene Erfahrungen mit, die sie historisch vergleichen wollen.

BI: Haben Sie mal einen Junggesellinnenabschied geführt?

IF: Ja, tatsächlich, aber einen sehr zielgerichteten. Die wollten speziell zu historischen Aspekten von Liebe und Ehe informiert werden, und das habe ich gern gemacht.

BI: Haben Sie auch mitgetrunken?

IF: Erst hinterher. Während der Führung hatte ich mir das verbeten.

BI: Ein erster Erfolg des Frauengeschichtsvereins war 1986 die Umbenennung von Unter Seidmacher in Seidmacherinnengässchen. Worin lag der Symbolwert?

IF: Darin, dass Frauen im Stadtbild repräsentiert werden. Uns geht es nie darum, den Frauenstempel unhistorisch aufzudrücken. Aber es war im Mittelalter und der frühen Neuzeit nun einmal so, dass Seide in reinen Frauenzünften hergestellt wurde.


Nachher

BI: Ein Freund von mir wohnt dort und stöhnt noch immer darüber, dass seine Adresse nun so lang sei. Was würden Sie ihm erwidern?

IF: Es gibt größere Probleme. Ich würde ihm raten, sich einen Stempel anzuschaffen. (lacht)

BI: Ist Köln heutzutage eine frauenfreundliche Stadt?

IF: Ich finde, ja. Viele Männer können Frauen stark sein lassen, ohne sich permanent profilieren und in den Mittelpunkt stellen zu müssen.

BI: Ist das eine kölsche Eigenart?

IF: Meiner Meinung nach schon, auch in vielen kölschen Liedern wird die selbstbewusste, oft stämmige Frau gefeiert. Da fallen einem natürlich direkt Trude Herr und Grete Fluss ein, ein Frauenschlag, der am besten zu gemütlichen Männern passt.

BI: Ist der kölsche Straßenköter in der Hinsicht umgänglicher als der Düsseldorfer Windhund?

IF: Definitiv! (lacht)

Kurze Straße, langer Name: das Seidmacherinnengässchen heute

BI: Sollte die Jungfrau des Dreigestirns in absehbarer Zeit weiblich werden?

IF: Nein, das ist für mich eine historische Konstruktion und sollte so bleiben. Emanzipation muss für mich nicht über Traditionsaufweichung laufen.

BI: Also zukünftig auch kein Ruf à la „Die Prinzessin kütt“?

IF: Nein, mir reicht Weiberfastnacht. Wobei ich es schon spannend finde, dass Frauen inzwischen in den Schützenvereinen den Vogel abschießen.

BI: Wie gut vernetzt ist die Kölner Frauenszene? Arbeiten Sie etwa mit dem FrauenMediaTurm, mit dem dortigen Archiv und der Emma-Redaktion zusammen?

IF: Wir arbeiten viel mit örtlichen Projekten zusammen, während Emma ja ein bundesweiter, kommerzieller Betrieb ist. Mit dem Frauenarchiv gibt es allerdings häufiger Kooperationen, wir recherchieren dort auch selbst.

BI: In einem Interview vor einigen Wochen klagte mir gegenüber ein Lokalhistoriker über extreme Nachwuchsprobleme. Wie sieht es im Frauengeschichtsverein aus?

IF: Heutige Studentinnen sind so eingespannt, dass sie keine Chance sehen, bei uns aktiv mitzuarbeiten. Die Jüngsten bei uns sind Anfang 40.

BI: Was bedeutet das für die Zukunft?

IF: Ich habe unseren Verein bei der Gründung 1985 nie als ewig angesehen. Aber die Intervention war nötig, und es gibt noch viel zu tun. Dass Frauen in allen historischen Zusammenhängen wie selbstverständlich auch als Akteurinnen vorkommen, haben wir noch nicht erreicht.



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