Mittwoch, 30. März 2011

Thekentänzer (43)

Die jungen Leute tragen jetzt wieder Hut

„Ich hätte gern einen Eierlikör.“
„Wir haben hier keinen Eierlikör, tut mir leid.“
„Dann hätte ich gern ein Glas Bier.“
Olaf, so nennt er sich, hat abgefressene Fingernägel, spreizt aber den Kleinen ab beim Trinken. Das „Glas Bier“ ist ruckzuck alle, Olaf bestellt ein neues: „Ich hätte gern ...“
Der Fernseher oben in der Ecke zeigt ein Fußballspiel, ohne Ton. Aber alle schweigen.
„Ich bin ja eigentlich eher so der Minigolftyp“, sagt Olaf.
Die beiden Frauen neben ihm kichern, Olaf nimmt das als Ansporn.
„Ich war sogar mal in einem Minigolfverein.“
„Warst du gut?“ fragt der Kellner.
„Eher nicht so“, sagt Olaf, und die beiden Frauen kichern erneut.
Das könnte nun immer so weiter gehen, aber dann kommt der Künstler rein. Der Künstler ist groß und dick und hat nie auch nur das kleinste Fitzelchen an Lebensmitteln in der Bude.
„Ich lebe doch in einer Großstadt“, sagt er. Wenn ich Hunger habe, bestell ich mir was. Und wenn ich Durst habe, komm ich hier hin.“
„Das finde ich toll“, sagt Olaf, „darf ich fragen, was für Kunst Sie machen?“
Beim Fußball ist Halbzeit, die Frauen drehen sich zum Tresen. Ohne diese Bewegung hätte der Künstler vermutlich nicht geantwortet.
„Ich bin Bildhauer“, sagt er jetzt.
„Das imponiert mir außerordentlich“, sagt Olaf. „Das habe ich nämlich auch mal probiert.“
„Im Verein?“ fragt die Frau mit dem sehr kurzen Pony und der großen Brille. Ihre Freundin kichert, aber Olaf antwortet: „Nein, in einem Kursus. Ich habe mir da einen Aschenbecher geformt und den dann gebrannt und der tut´s immer noch.“
Weil niemand darauf reagiert, fügt Olaf hinzu: „Aber das ist natürlich kein Kunstwerk.“
Der Künstler blättert im Express, Olaf bestellt sich ein weiteres Glas Bier. Mit der Linken dreht er den Aschenbecher um dessen Achse.
„Die jungen Leute tragen jetzt wieder Hut“, sagt er irgendwann. Aber der Künstler hat ein Gespräch mit der Pony-Frau angefangen. Die beiden haben sich abgewandt und starren zum Fernseher hinauf. Es steht noch immer 0:0.
„Die jungen Leute tragen jetzt wieder Hut“, sagt Olaf und dreht den Aschenbecher. Ziemlich lange, eine Stunde lang, immer den Aschenbecher mit der gespreizten Hand um die Achse.
„Die jungen Leute tragen jetzt wieder Hut“, sagt Olaf noch einmal. Und dann schreit er es heraus. Immer wieder, bis der Wagen kommt.

Die jungen Leute tragen jetzt wieder Hut

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Mittwoch, 23. März 2011

Coloniales (30)

Friedrich und sein Kölner Wiedergänger

Wer immer in Köln seine Flegeljahre verbringt, fährt zahllose Male über den Hohenstaufenring, um vom Zülpicher Platz aus in die Saufmeile zu fallen. Der berühmteste Hohenstaufe heutzutage ist Friedrich Barbarossa, also der vom gleichnamigen Platz. Weitaus stärker verehrt wurde aber zunächst sein Enkel und Nachfolger auf dem Kaiserthron, Friedrich II.
Wie alle Hohenstaufer war er Schwabe, und wie manche Herrscher hatte er schräge Interessen, die er mithilfe abseitiger Experimente verfolgte. So wollte er zum Beispiel in Erfahrung bringen, welche die Ursprache sei. Dazu ließ Friedrich II. etliche Neugeborene von ihren Müttern entfernen. Den Ammen befahl er, jene weder zu liebkosen noch je anzusprechen. Mit Spannung wartete der Kaiser darauf, ob die Kinder wohl in Hebräisch, Griechisch, Latein, Arabisch oder in der Sprache ihrer Eltern zu sprechen begännen. Nichts davon geschah, die armen Wesen starben allesamt am totalen Liebesentzug.
Und um herauszufinden, auf welche Art man besser verdaue, ließ er zwei Männern ein reiches Mahl vorsetzen. Danach schickte er den einen zur Jagd, den anderen ins Bett. Schließlich ließ er beiden den Bauch aufschneiden und erwartete das Urteil seiner Ärzte.
Als Friedrich II. starb, ging schnell die Rede um, er werde eines Tages zurückkehren, um das Reich zu einen. Wegen des markanten Bartes seines Großvaters fiel die edle Bürde jedoch im Laufe der Jahrhunderte dem Barbarossa zu. Und seine Wartehalle wurde bekanntlich der Kyffhäuser, nach dem die Ergänzungsfurt des Kwartier Latäng benannt ist.
Zunächst jedoch, noch im 13. Jahrhundert, tauchten zahllose Scharlatane auf den deutschen Dorfplätzen auf, die sich allesamt als wiedergeborener Staufenkaiser ausgaben. Der erste trat 1283 in Köln an die Öffentlichkeit. Im Buch „Barbarossa“ heißt es über ihn: „Er sagte, er sei Kaiser Friedrich, und viele glaubten ihm. Er führte auch zwei Mohren und Maultiere mit und wusste vieles, was nur einer wissen konnte, der den Kaiser genau gekannt hatte. In der Stadt Neuss jubelte ihm das Volk zu, aber in Wetzlar (und jetzt geht es leider ganz schnell, B.I.) wurde er später verbrannt.“
Und was das Verdauungs-Experiment betrifft: Die Mediziner entschieden, dass jener, der geruht hatte, die bessere Verdauung gehabt habe. Dasselbe gilt auch für Katerkuren.

Saufen wie die Hohenstaufen, Futtern wie bei Muttern


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Und hier noch ein Tipp: Der Bettler vom Kölner Dom
Die Doppel-DVD präsentiert eine neue, digital restaurierte Fassung des Stummfilms Der Bettler vom Kölner Dom von Rolf Randolf aus dem Jahr 1927 mit zwei neuen Musikbegleitungen: eine Orchestermusik von Pierre Oser, entstanden im Auftrag und eingespielt vom WDR-Rundfunkorchester, und der Mitschnitt einer Live-Improvisation von Günter A. Buchwald bei den Internationalen Stummfilmtagen in Bonn 2010. Außerdem bietet die DVD die ersten Köln-Filme der Gebrüder Lumière, Werbe- und Dokumentarfilme sowie Wochenschauberichte über Köln, die in der Stummfilmzeit entstanden sind. Sehr schöne Sache, ganz wundervoll nicht zuletzt die frühen Werbetrickfilme für Stollwerck-Schokolade.
Zu bestellen unter www.edition-filmmuseum.com

Mittwoch, 16. März 2011

Geschichten aus 1111 Nächten (4)

It never rains in Düsseldorf

Es trug sich zu in jenen Tagen, da der Rhein so furchtbar dreckig war, dass er zu nichts mehr taugte. Anton hatte lange geschlafen und nach einem ausgiebigen Frühschoppen entschieden, ein wenig das erweiterte Umland seiner Heimatstadt zu erkunden. Und so gelangte er nach Düsseldorf.
Meteorologische Verwerfungen und der Wettergott hatten dafür gesorgt, dass dortselbst seit Monaten kein einziges Tröpfchen Regen gefallen war. Die Einwohner litten schlimmen Durst, auf den Feldern verdorrte die Ernte. So groß war der Kummer, dass sie in Anton den Heilsbringer erkannten, der sie aus ihrer Not befreien würde.
„Lieber Kölner, kannst du uns Regen bringen?“ bettelten sie ihn an.
„Natürlich kann ich das“, antwortete Anton ohne Umschweife. Und dann verlangte er, dass man ihm eine große Wanne frischen Wassers bringe.
„Wasser, lieber Anton, ist doch genau das, was uns fehlt! Willst du Spaß treiben mit unserem Elend?“
„Ohne Wanne Wasser kein Regen“, sagte Anton entschieden.
Und so sammelten die Düsseldorfer ihre letzten Wasservorräte ein und füllten Anton die Wanne.
Dieser ließ ein großes Feuer entfachen, mit dem das Wasser erhitzt wurde. Nachdem etwas Seifenlauge addiert worden war, zog Anton seinen Mantel aus und ließ ihn von einer örtlichen Magd ordentlich durchwaschen. Danach verlangte er eine weitere Wanne mit frischem Wasser.
„Aber Anton!“ schrien die Düsseldorfer. „Was willst du denn nun mit einer weiteren Wanne Wasser? Siehst du nicht, wie schlecht es uns geht!“
„Ohne Wanne Wasser kein Regen“, wiederholte Anton.
Und so zogen die Düsseldorfer los, um die letzten bislang versteckten Vorräte zusammenzuklauben. Mit äußerster Mühe und gegen arge Widerstände trugen sie eine weitere Wanne Wasser zusammen.
Anton schien zufrieden und ließ den eingeseiften Mantel im klaren Wasser gründlich auswaschen. Dann verlangte er nach einer Wäscheleine.
Die Düsseldorfer, verzweifelt und am Ende ihrer Kraft, erfüllten ihm auch diesen letzten Wunsch. Kaum aber hatte Anton seine Kleidung an den Klammern befestigt, begann es zu regnen, kräftige Schauer benetzten die darbende Erde.
„Wusst ich´s doch“, hob der Anton an, „immer wenn ich meinen Mantel zum Trocknen aufhänge, fängt es an zu sicken.“

Düsseldorfer Wasser ist von Natur aus nie ganz klar


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Mittwoch, 9. März 2011

Deutschlandreisen (6)

Westerwelle – Aknedelle

Knäblein Hi
Knäblein Ho
Reinhard Mey
und Status Quo.



Vorm Tor benamt nach Brandenburg
steht ein klitzekleiner Zwurg
das heißt, dem Brandenburger Tor
steht ein kleiner Zwurgel vor.

Knäblein Hi
Knäblein Ho
Einheitsbrei
und Katzenklo.


Am Reichstag weht ein eiser Wind
es blickt recht maliziös, das Kind.
Und oben spachtelt Westerwelle
seine jüngste Aknedelle.

Knäblein Hi
Knäblein Ho
letzter Schrei
und erstes Oh.


Im weiten Park von Sanssouci
herrscht spätbarocker Minipli
der Große Friedrich samt Kokotte
vergnügt sich in der Neptungrotte.

Knäblein Hi
Knäblein Ho
Brücke am Kwai
und Waterloo.


15 Korn Bei Angelo
der Rentner bricht ins Wasserklo
droben schläft das Knäblein still
Gute Nacht hat´s noch gesagt
und drunten Angelo nun fragt
ob man noch ein Schultheiß will.

Knäblein Hi
Knäblein Ho
heute Hai
und morgen Floh.



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Mittwoch, 2. März 2011

Geschichten aus 1111 Nächten (3)

Als Anton einmal ein weiches Gefühl überkam

Anton war in seinen mittleren Jahren und wohnte auf der Weidengasse. Eines Nachts erwachte er, und die enge, sonst so lichtscheue Straße war mit Schnee bedeckt. Ihn ergriff ein weiches Gefühl, und so öffnete er den edlen schottischen Malzwhiskey, den er für besondere Momente bereithielt. Er trank sich ein erstes Gläschen, rezitierte ein Gedicht aus den Buckower Elegien von Bertolt Brecht, und plötzlich kam ihm sein alter Freund Jean in den Sinn.
Sofort verspürte er ein heftiges Bedürfnis, diesen zu sehen. Obwohl es halb drei Uhr in der Nacht war, zog er sich seine Hosen an und machte sich auf den Weg nach Lindenthal, wo Jean seinerzeit ein schickes, nicht ganz legitim erstandenes Apartment bewohnte.
Lange war er unterwegs, der Anton. Kein Geld für ein Taxi, und den KVB traute er ohnehin nicht über den Weg. Schusters Rappen also.
Und dennoch: Anton erreichte Jeans Haus, bevor seine Uhr die 4 anzeigte. Er las Jeans Namen auf dem Klingelschild, und noch einmal überkam ihn jenes liebevolle Gefühl. Dann drehte er sich um und ging wieder nach Hause.
Gerade als er dort anlangte, kam der ihm sehr gut bekannte Express-Mann des Veedels entgegen, auf dem Weg von einer Kneipe in die nächste.
„Na, bist du wieder hacke, Anton?“ fragte er.
„Nein, ich wollte meinen alten Freund Jean besuchen“, antwortete Anton.
„Und warum hast du´s nicht getan?“
„Nun“, hob Anton an, „just in dem Moment, da ich den Klingelknopf drücken wollte, war mein Verlangen verschwunden. Es war gestillt und entschlafen. Warum also hätte ich Jean noch besuchen sollen?“
Dann gingen die beiden in eine kleine Kaschemme am Ring und tranken ein stilles Kölsch.

***

Anton und das frühe Aufstehen

Es war fast Mittag, als Anton dem heiligen Willy über den Weg lief. Anton hatte schwer gebechert den Abend zuvor, seine knollige Nase schimmerte noch einen Tick roter als gewöhnlich. Ein Gespräch war jedenfalls nicht gerade das, worauf er nun aus war.
„Du solltest früher aufstehen, mein Sohn“, sagte der heilige Willy.
„Und warum das, heiliger Willy?“ fragte Anton so müde wie fahrig zurück.
„Weil es eine sehr sinnvolle Angewohnheit ist. Einmal bin ich um 7 durch die Straßen gelaufen und habe in der Gosse einen 100-Euro-Schein gefunden.“
„Vielleicht hat ihn dort jemand am Abend davor verloren.“
„Nein, ganz bestimmt nicht“, sagte der heilige Willy entschieden. „Denn auch am Abend zuvor bin ich dort entlangspaziert.“
„Na dann“, erwiderte Anton, „dann ist der Mann, der die 100 Euro verloren hat, also noch früher aufgestanden als du. Du siehst, dass es nicht für jeden gut ist, allzu früh aufzustehen.“
Und der heilige Willy, leicht verdutzt, ging seines Wegs.

Der heilige Willy als Mauer-Scratching auf einer Kölner Kneipentoilette

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