Mittwoch, 30. November 2011

Geschichten aus 1111 Nächten (16)

Meineid und Gemeinheit

Wieder einmal hatte Anton keinen müden Cent mehr auf der Tasche gehabt. Alles versoffen. Und wieder einmal war er bei seinem alten, wohlhabenden Freund Jean vorstellig geworden, der ihm nach innigem Klagen des ersteren und langem Zögern seinerseits 150 Euro geliehen hatte. So weit lagen die Tatsachen klar auf dem Tisch, von beiden bestätigt. Nur dass der Anton behauptete, er habe Jean das Geld zurückgegeben. Und Jean das Gegenteil beschwor.
Ganz Köln schaute zu, als sich die beiden alten Thekenkumpane auf dem Rathausplatz beschimpften. Und der Mob frohlockte, als sie sich gegenseitig vor Gericht zerrten: Jean habe es zu unterlassen, Anton des Betrugs zu zeihen, forderte dieser. Anton habe unverzüglich seine Schulden zu begleichen, forderte Jean. Und war zugleich guter Dinge, denn einen Meineid traute er seinem dicknasigen Kontrahenten nun doch nicht zu.
Rappelvoll war der Saal des Amtsgerichts, und nicht gerade nüchtern erschienen auch die beiden Kläger, die zugleich Beklagte waren. Zu groß war ihre Aufregung gewesen, als dass sie sie ohne ein temperierendes Gläschen überstanden hätten. Wie nun im Saale, so hatten sie auch in ihrer Stammkneipe eng beieinandergesessen, ohne sich eines Blickes zu würdigen. Als der Richter daranging, Anton zu vereidigen, erreichte die Spannung ihren Höhepunkt. Aber was tat er, der Anton? – Kramte seine Fuselpulle aus der Brusttasche, nahm einen letzten Schluck und reichte sie unter unverständlichem Gemurmel dem Jean. Dann hob er die Hand und schwor, dass er das verdammte Geld auf Heller und Pfennig zurückgegeben habe.
So blieb dem Richter nichts anderes, als Jean ein für alle Male jede üble Nachrede auf Anton zu verbieten. Jeans schielendes Auge begann zu triefen, so sehr verwirrte ihn der Richterspruch. Erst als Anton vor der Tür lauthals seine Flasche von Jean zurückforderte, erwachte er aus seinem Nebel. Eine unbändige Wut erfasste den um sein Geld wie seine Ehre Betrogenen, als er in Antons hämisches Grinsen blickte. Eilig hatte sich wieder ein Kreis um die beiden gebildet, als Jean ausholte und die Flasche auf Antons Schädel zerschmetterte. Schmerzfrei, wie der frühe Korn ihn gemacht hatte, torkelte Anton lediglich einen Schritt zur Seite. Die Flasche jedoch zerbarst von der Wucht, auch das Label löste sich über einer Scherbe. Und siehe da, was war darunter, sauber gefaltet, versteckt? - Drei 50-Euro-Scheine.


 
 Noch zwei Typen, die irgendwie gut zusammenpassen


Wer diese Kolumne zukünftig jeden Mittwoch zugeschickt bekommen möchte, schreibe eine Mail an thekentaenzer@netcologne.de, Stichwort: Die Köln-Kolumne.

Mittwoch, 23. November 2011

Thekentänzer (51)

Der IT-Spacken

Jerôme hat endlich seinen Stalker angezeigt. Und hadert trotzdem mit sich:
„Ich bin der einzige Typ, der von einem dicken, alten Mann verfolgt wird.“
Der dicke, junge Mann, der neben ihm sitzt, findet das aufregend:
„Bist du etwa prominent?“
Und dann wiehert er los, ein fürchterliches Lachen aus der Comedy-Kiste.
„Also ich, ne? Ich heiße Karl-Ernst und bin überhaupt nicht prominent. Ich mache IT-Outsourcing. Also ich erzähle den Firmen, die mich beauftragen, wie sie am besten Leute entlassen können.“
„Du bist ein Schwein“, sagt Jerôme. „Aber wahrscheinlich ein verdammt reiches.“
Offenbar fühlt Karl-Ernst sich dadurch so geschmeichelt, dass er einen Schritt weiter geht: „Seid ihr hier an Rückmeldungen von Kunden interessiert?“
„Nein“, sage ich.
„Nein“, sagt Jerôme.
„Weil nämmich die Musik hier. Die ist voll Selbstmord.“ Und da lacht er schon wieder.
„Das ist Tom Waits“, sage ich.
„Kenne ich nicht, jedenfalls, Tom Astor wär mir lieber. Der macht wenigstens Stimmung.“
Gut, dass in dem Moment zwei Frauen hereinkommen. Karl-Ernst fühlt sich nun heimisch: „Wenn eine Frau allein eine Kneipe betritt, sollte man sie respektvoll allein lassen“, sagt er respektlos laut. Dann geiert er wieder. Aber die Mädels ignorieren ihn ausgesprochen effektiv.
„All inclusive, hab ich zum ersten Mal gemacht“, sagt die eine. „Ägypten is so supa.“
„Und? Ein Cocktail nachm nächsten, nehm ich an“, sagt die andere.
„Zum Beispiel, wenn der Postbote klingelt“, sagt Karl-Ernst. „Dann denk ich immer, ich muss jetzt meinen Papa an die Tür holen. Dabei bin ich doch 32!“
„Ja“, sagt Jerôme, „das kommt vom Tom-Astor-Hören.“
„Da waren eigentlich nur Deutsche“, sagt die Ägypten-Reisende. „Außer einem Pärchen, die waren Schweizer. Glaub ich.“
„Oder wenn ich ein Bier bestelle: Dann werd ich immer rot, weil ich denke, ich darf das noch gar nicht.“
„Und dann hab ich halt den Daniel kennengelernt, der war so süß. Zwischen zwei Caipis, echt, am Strand, ich glaub, ich ruf den mal gerade an.“
„Ja, tu das“, sagt die Freundin und liest den Spruch über der Theke: „Liebe Mädchen kommen in den Himmel, böse überall hin.“ Als sie kichert, zuckt Karl-Ernst zusammen. Er greift sich an die Brust, streicht die Haare glatt, sieht Jerôme panisch an, lacht hysterisch auf und reimt:
„Eigentlich wollte ich immer Polizist werden. Aber weißt du, ich habe so eine extrem starke Homophobie. Deshalb mach ich jetzt eben nur IT.“

Als Polizist weiß man, wo es langgeht




Wer diese Kolumne zukünftig jeden Mittwoch zugeschickt bekommen möchte, schreibe eine Mail an thekentaenzer@netcologne.de, Stichwort: Die Köln-Kolumne.

Mittwoch, 16. November 2011

Fundstücke (13)

„Traumschiff Ahoi“ auf der MS RheinEnergie

11.11., Hahnwald
Die neue Karnevalsjungfrau erklärt dem Kölner Stadt-Anzeiger, welch ein bodenständiger, sparsamer Mann er ist:
Seit 1995 ist der Rechtsanwalt (...) im Rheinauhafen tätig. Von dort hat er es nicht allzu weit bis ins Heim im Kölner Süden. Da seien die Grundstücke günstiger als in Lindenthal oder Sülz. Seit viereinhalb Jahren lebt die Familie (...) dort. „Das Leben im Hahnwald ist besser als der Ruf. Man lebt zurückgezogen, aber sehr familiär (...). Wer hier sonst noch wohnt, wissen wir nur aus den Zeitungen.“

11.11., Kneipe, nachts
Dieter wird Didi gerufen und nennt Dirk Dirki. Didi sagt immer „Runter mit der Hose“, wenn er sein Glas leert. Dirki hat eine Tätowierung am Hals, einen verwaschenen Stern unterm rechten Auge und mehr Zähne verloren als vorrätig.
„(...) und dann hat er ihm ins Handgelenk geschossen“, sagt Didi.
„Klar“, sagt Dirki, „wir feiern halt so feste, wie wir fallen.“
„So is dat und so bleibt dat. Ein Mann ist so alt, wie er sich fühlt. Eine Frau ist so alt, wie sie sich anfühlt.“
„Ich weiß dat doch, Didi, ich weiß dat doch. Und rum haste se erst, wenn se nur noch Vokale kann.“
Didi nickt mit dem Kopf, bestellt zwei Bier und zwei Korn, stößt mit seinem Kumpel an und sagt: „Du kennst mich doch: Nüchtern bin ich schüchtern.“

11.11., die Bandliste am Heumarkt:
Jot Drup, Casalla, Altreucher, Stroßefäjer, Kläävbootze, Wanderer, Cölln Girls, Papalappap, Peter Schmitz Hellwing, Cat Balou, Höhner, Bruce Kapusta, ML Nikuta, Bläck Fööss, Rheinländer, Colör, Bernd Stelter, Boore, Kölsch Fraktion, Räuber, Blom un Blömcher, Brings, Funky Marys, Bengels, Kalauer, Rabaue, Domstürmer, Klüngelköpp, Paveier, Filue, Junge Trompeter, Bobby Baboons, Ech Lecker, Kölschraum, Hanak, Vajabunde, For Example

Unentschuldigt gefehlt haben: De Tütenüggel, De Schrammelbröder und Die Vier Aaschjeseechtere.


Ein bisschen Spaß muss sein


11.11., Werbung
Die Aktion „Heimvorteil“ offeriert dem RheinEnergie-Kunden u.a. folgende Gutschein-Optionen:
- beim Kauf eines Tickets eine kostenlose Leihausrüstung in der Skihalle Neuss
- 22% Ermäßigung auf einen Besuch des Kabarettprogramms von Konrad Beikircher oder wahlweise auf das „Große Neujahrskonzert“ der Jungen Philharmonie Weißrussland – beides im Bürgerhaus Hürth
- 10% Ermäßigung auf die Dinnershow „Traumschiff Ahoi“ auf der MS RheinEnergie
- 2 Karten zum Preis von einer für die Touren „Köln ist ein Gefühl“ bzw. „Die „Dämmerschoppen-Kölschtour“ von KölnTourismus
- 50% Rabatt für bis zu 3 Kinder bei den Kinderweihnachtsaktionenen Weihnachts-Plätzchen-Werkstatt, Lichterglanz und Engelchen-Bastel-Straße des Krewelshofs

11.11., Dönerbude, nachts
Arabischstämmiger Gast: “What´s your Name?”
Türkisch-kölscher Dönermann: „Warum?“
Arabischstämmiger Gast: „Okay, Warum, one Döner-Sandwich, please.“
Türkisch-kölscher Dönermann: „Warum nicht?!“


Wer diese Kolumne zukünftig jeden Mittwoch zugeschickt bekommen möchte, schreibe eine Mail an thekentaenzer@netcologne.de, Stichwort: Die Köln-Kolumne.

Mittwoch, 9. November 2011

Geschichten aus 1111 Nächten (15)

Die Lumpen vom Stadtrat

Es war einer dieser Tage, an denen Anton seine Stadt einfach nicht mehr ertragen konnte. Die Bahnen waren ausgefallen, die Straßen verstopft mit Baustellen, und seinen rostigen, gleichwohl intakten Drahtesel hatte das Ordnungsamt ohne Vorwarnung vom Lampenmast geflext. Und weil er in seiner Stammkneipe nicht mehr rauchen durfte; und weil er zum Monatsende hin ohnehin viel zu blank für die Kneipe war, beschloss Anton, eine Ratssitzung zu besuchen.
„Die han ming Rädche vum Mast jeflex!“ ging er die von überall herbeischlendernden Volksvertreter an. Der von der CDU sah sich nach einem Ordnungshüter um, der von der SPD grinste. Der von der FDP blickte angewidert weg, die von den Grünen drückte ihm einen Euro in die Hand. Und der von der Linken ballte die Faust gen Himmel. Anton verstand nichts von alledem und setzte sich auf den Balkon für die Zuschauer.
Als es nach drei Stunden noch immer nicht um sein Fahrrad ging, platzte ihm der Kragen:
„Die Hälfte von euch sind verdammte Lumpen!“
Das wollten die Politiker natürlich nicht auf sich sitzen lassen. Anton wurde aus dem Saal geführt, und statt seinem Fahrrad bekam er eine Ordnungsstrafe über 50 Euro. Anton besann sich. Und überlegte. 50 Euro, dachte er, das sind 200 Kippen. Das sind 40 Kölsch. Das sind zehn Fahrradschläuche. Also ging er im Monat darauf wieder zur Ratssitzung. Und als sich alle gesetzt hatten und der Herr Oberbürgermeister die Eröffnung verkündete, da beugte sich der Anton über die Brüstung und rief:
„Die Hälfte von euch sind keine verdammten Lumpen!“

Streng bewacht: Das Rathaus zu Köln


Wer diese Kolumne zukünftig jeden Mittwoch zugeschickt bekommen möchte, schreibe eine Mail an thekentaenzer@netcologne.de, Stichwort: Die Köln-Kolumne.

Mittwoch, 2. November 2011

Thekentänzer (50)

Fleischwurst, Schmuck und Aufgesetzter

Ort:
Kneipe „Bei Peggy“ in Bad L.

Personen:
Peggy, die Wirtin
Helga, ebenfalls aus Bad L.
Erwin, Gelsenkirchener
Ein Kellner

Der alte Kurort ist auf den Hund gekommen, denn Kuren werden kaum noch verschrieben. Viele der klassizistischen Hotels stehen leer oder wurden zu Altenheimen umfunktioniert. 18 Uhr, die Bürgersteige sind längst hochgeklappt. Nur in einer kleinen, schummrigen Kneipe brennt noch Licht.
Helga, über und über mit Schmuck behängt, reicht nicht an die Kleiderhaken. Erwin, durch seine platte Nase zu ewigem Schnaufen verdammt, nimmt ihr die Jacke ab.

Helga: Was glaubst du, wie nervös ich heute morgen war!
Peggy: Erzähl!
Helga: Ja, wir sehen uns ja heute das erste Mal.
Erwin: Genau, und vorher nur im Internet, ich sach immer: Von nichts kommt nichts, man muss den Arsch schon hochkriegen.
Helga: Ich war so aufgeregt, ich konnte kaum die Kaffeetasse halten.

Helga gleitet vom Barhocker, der ihr nun fast bis unters Kinn reicht. Dann klettert sie wieder hoch.

Erwin: Zwerg bleibt eben Zwerg, woll.
Helga (lacht): Das war mein Tarnname im Chat. Ich war der Zwerg.
Peggy: So hätte ich mich aber nicht genannt.
Erwin: Als ich noch Geschäftsführer beim Toom war, hatten wir auch so eine Zwergin. Die konnte immer nur unten das Katzenstreu auffüllen. Für alles andere hat die ne Leiter gebraucht.
Helga: Also, Erwin ist noch immer Geschäftsführer. Nur jetzt eben woanders. Bei was Größerem.
Peggy: Oho!
Erwin: Ihr müsst mal meinen Namen googeln. Ich hab letztens mit meinem Neffen die Arena auf Schalke nachgebaut. Mit Bierkästen. Und dann haben die vom Fan TV das gefilmt und ich bin im Internet. Ich sach immer: Man muss halt Ideen haben.

Peggy zapft zwei weitere Pils. Erwin und Helga sehen sich einen Moment schweigend an, er klimpert mit ihren Armreifen.

Helga: Aber gefällt dir doch in Bad L., oder?
Erwin: Na klar, sach ich doch schon den ganzen Tag. Du bist mir wirklich angenehm, auch jetzt in echt hier. Aber dann kam neulich mein Neffe an und sacht, Onkel Erwin, ich will nen Ohrring haben.
Helga: Hihi.
Erwin: Nee, aber da kannst du mich mit jagen. Männer und Schmuck, das hasse ich wie die Pest.
Helga: Wie bei mir mit Fleischwurst, die kann ich nichtmal von Weitem sehen.
Erwin: Ich sach immer: Uhr und Schluss. Und das hat der Bursche dann auch eingesehen.
Peggy: Das ist aber wirklich ein Braver, was!

Erwin geht pinkeln. Peggy und Helga kniepen sich zu.

Helga: Mein Sohn hat n Piercing in der Augenbraue.
Peggy: Weiß ich doch. Den stellste dem Erwin besser erst mal nicht vor.

Erwin kehrt zurück, an seiner Krawatte nestelnd und sich räuspernd.

Helga: Und willst du denn jetzt mal unseren Aufgesetzten probieren? Oder bist du dann betrunken?
Erwin: Nie im Leben, her damit! Bist du eigentlich geschieden oder Witwe?
Helga: Witwe.
Erwin: Ich bin geschieden, ich sach immer: Man muss auch wieder von vorne anfangen können. Nur so Typen wie der Beckham oder so, mit 1000 Schmuck und Tätowierungen und so: Da könnt ich halt kotzen.
Helga: Ja. Genau wie ich, wenn ich Fleischwurst sehe.

Irgendwann macht auch Peggy dicht. Am nächsten Morgen sitzen Erwin und Helga im Hotel beim Frühstück. Die Fleischwurst auf dem Tisch hat sie schon mit ihrer Serviette abgedeckt, als der Kellner kommt.

Kellner: Trinken Sie Kaffee oder Tee?
Erwin: Kaffee bitte, und sagen Sie: Ich würde gern noch einen Tag verlängern.

Kuren werden kaum noch verschrieben


Wer diese Kolumne zukünftig jeden Mittwoch zugeschickt bekommen möchte, schreibe eine Mail an thekentaenzer@netcologne.de, Stichwort: Die Köln-Kolumne.