Mittwoch, 27. August 2008

Straßenkämpfer (2)

Bring Back God!

Vor der Malzmühle am Heumarkt steht eine Gruppe von Ordensschwestern, ihrem Tonfall nach stammen sie aus Osteuropa. Die mit der dicksten Brille begutachtet mein Motorrad.

„Bä-Äm-Wä,“ sagt sie, nachdem sie sogar andeutungsweise in die Hocke gegangen war, „Sährr gutt!“ Über ihrer Tracht trägt sie einen Anorak mit dem Aufdruck „Yellowstone“.

Kurz darauf bin ich im Hansasaal des Rathauses, wo Jugendchöre aus den Partnerstädten Kyoto und Wolgograd empfangen werden.

Cultural Studies also: Die Japaner singen viel besser als die Russen. Die japanische Übersetzerin lächelt bei jedem Satz, und sie braucht immer doppelt so lang wie Bürgermeisterin Scho-Antwerpes. Der Russe hingegen scheint die Kunst der Verknappung zu beherrschen. Oder er hört sich nicht gerne reden. Vor jedem Einsatz dreht er sich nach allen Seiten um, als wolle er sich vergewissern, dass niemand unbefugt zuhört. Seiner Miene nach scheint er außerdem immer das Gleiche zu sagen: Dass der Russenchor leider wieder ausgeladen wird, weil er so schlecht singt.

Die Wolgograder sind auch ganz anders angezogen als die Japaner, vor allem die Mädchen. Nagellack und Schminke bekommt man an der Wolga offensichtlich früher und billiger als am Hozugawa. Eines der japanischen Mädchen trägt einen Schriftzug auf dem T-Shirt: „Bring Back God“, steht da. Das wird nichts, sage ich mir, der trinkt sich gerade in der Malzmühle fest.

Das Mittagessen nehme ich nach all diesen internationalen Affairen in meiner neuen Lieblings-Pommesbude in Neubrück ein. Am Stehtisch vor der Tür sitzen zwei Männer beim Frühschoppen, beide Schnäuzer, einer schlapp und verpickelt, einer muskulös und tätowiert.

„Ich wor en d´r DomRep“, sagt der Tätowierte. „All inclusiff, versteist´e.“

Der kleine Schlappe nippt an seiner Flasche und lacht in sich hinein.

„Fünnef Stääne, versteist´e, met Animateure un allem Pipapo, ävver do künne die mich met jare.“

„Womit?“

„Met Animateure un esu, die leefe do met enem Clownskostüm eröm, do komste d´r füür wie opem Rusemondachszoch.“

„Ja leck mich.“

„Ich will ming Rauh han, versteist´e. Un ich suffe jo och nix em Urlaub, nur fresse dun ich jään, ich han dat Büfett immer vun vürre bes hinge un widder anderseröm jeplündert, jlöuvste dat?“

Der Schlappe lacht. „Dat glaub ich dir aufs Wort.“

Meine Currywurst ist fertig. In dem kleinen Pommeskabuff riecht es nach Essig, und die Gedankenkette läuft so: Essig - Gewürze - Fernost - Bring Back God!

Mein Plan steht: Heute Abend gehe ich in die Malzmühle.

Mittwoch, 20. August 2008

Coloniales (1)

Adenauergrün

Wer in New York aufwächst, für den sind alle Taxis gelb. Wer in Köln geboren wird, für den sind alle Brücken grün.

Zum ersten Mal aufgefallen ist mir das vorigen Freitag. In der Deutzer Brücke lief eine Ausstellung, Subkulinaria, es ging um Kunst und Essen. Einer der Teilnehmer lag vor einem Topf, in dem Reis köchelte. Der ganze, ewig lange Raum roch danach, und wenn man dort übernächtigt-hungrig hindurchlief, war das ein echtes Problem. Zum Glück verfügt der Brückenbauch über ein paar Fenster. Winzig sind sie und vergittert, aber sie offerieren Frischluft und zugleich einen atemberaubenden Blick. Der Rhein, steil unten, präsentiert sich hier als uferlose Wassermasse, wild wogend und schwindelerregend. Und dann hebt man also den Kopf, sucht den blauen Himmel, aber findet: Grün.

Die Deutzer Brücker ist ein Zwitter. Bei ihrer Erweiterung 1976 baute man der alten Stahlkonstruktion flussaufwärts eine aus Spannbeton daneben. Das ist die, die heute begehbar, weil hohl ist. Aber da die Fensterchen nur flussabwärts sitzen, versperren die grünen Stahlrippen des Altbaus den Himmelsblick. Wie der Grüngürtel verdankt sich auch das Kölner Brückengrün dem Ex-OB Adenauer. Er hatte sich diese Farbe zur Einweihung der Mülheimer Brücke 1929 gewünscht, und die Bayer AG erhielt den Auftrag, sie zu entwickeln. Chemisch ausgedrückt entstand dabei ein Chromoxidgrün auf der Basis künstlich-anorganischer Pigmente mit der Formel Cr2O3. Es gilt als besonders lichtbeständig und wetterfest. Weil auch alle weiteren städtischen Brücken damit bestrichen wurden, bewarb man es in Leverkusen bald unter dem Namen Kölner oder Adenauergrün.

Brücken schlagen Bögen und dieser Text jetzt auch, so elegant wie möglich: Der Vorgänger der Deutzer, die Hindenburgbrücke, stammt nämlich von 1915. Im selben Jahr gründete der slowakische Emigrant John Daniel Hertz in den USA ein Taxi-Unternehmen, das ihn reich und berühmt machen sollte. Analog zu jener Farbe, die laut zeitgenössischen Studien auch auf große Entfernung noch auffällig wirkte, nannte er es: Yellow Cab Company.

Mittwoch, 13. August 2008

Thekentänzer (1)

Miou-Miou

Jerôme hat Depressionen. Sagt er.

Den gebrauchten Jaguar, zwölf Jahre alt, 6.000 Euro, bekommt er erst nächste Woche, und seine Freundin hat aus dem Urlaub bei ihren Eltern noch immer nicht angerufen. Oder wenigstens gesimst, aber gut, sie ist ja auch erst seit heute Mittag weg. Jetzt sitzt er, Jerôme, beim fünften Jägermeister, und wartet darauf, dass Didi, mit dem er sich bei den Bestellungen abwechselt, endlich mit ihm anstößt.

„Mein Vater hat schon immer gesagt, dass aus mir nix wird.“

Jerômes Depressionen sind eng mit seinem Erzeuger verknüpft. Der war bis zu seiner Pensionierung Stahlarbeiter im Saarland und versteht nicht, was ein Gagschreiber wie Jerôme eigentlich macht. So leistungsmäßig und für die Gesellschaft undsoweiter. Jerôme versteht das auch nicht, bewundert seinen Vater für dieses Unverständnis und potenziert damit seine Depressionen. Außerdem ist er inzwischen 33 und hat mehrere graue Haare im Dreitagebart.

Didi bereitet der scharfe Abgang des Kräuterschnapses langsam Probleme. Es ist erst kurz nach 9, bevor hier die ersten Mädels auftauchen, wird er wieder vor seinem Sodbrennen nach Hause geflüchtet und dort von ihm gestellt worden sein. Aber klar, er hebt das Glas, Jerôme ist ungeduldig.

„Den noch, und dann ist für mich Schluss mit Schnaps. Dass du das weißt!“

„Is klar, Didi.“

Didi nippt, Jerôme kippt. Als er sich reckt und den Kopf kreisen lässt, sieht er die Dreiergruppe an der Tür. Zwei Männer, eine Frau. Blond, ein spitzmäusiges, lasterhaftes Gesicht.

„Wie Miou-Miou“, sagt Jerôme, „das heißt Schmusekätzchen.“

Didi schiebt das sechste Glas von sich weg. Die Frau trägt ein geblümtes Kleid der genau richtigen Länge und keine Socken in den Chucks. Mit ihren Begleitern verzieht sie sich an einen Tisch hintendurch. Aber immerhin ist sie es, die jeweils zur Theke kommt und die Runden bestellt.

„Drei Kölsch“, sagt sie und hebt dabei enorm schlanke Finger. Didi fixiert den Jägermeister.

„Meine Putzfrau dealt“, sagt Jerôme und entlockt der Frau damit ein Lächeln. Aber dann setzt die Musik wieder ein, mit einem Lied von Billy Bragg. Draußen dämmert es, die Frau verschwindet ins Dunkel des Hinterraums.

„Russland marschiert in Georgien ein“, sagt der Kellner. „Damit haben heute 45 deutsche Tageszeitungen getitelt.“

„Haben die nur drauf gewartet“, sagt Didi. Er scheint plötzlich Oberwasser zu kriegen. „Haben die nur drauf gewartet, dass die mal wieder sowas schreiben können. Da fühlen die sich wichtig, die kleinen Pisser.“

Der Gartenbaufachbetrieb, bei dem er angestellt ist, kümmert sich auch um einige Villen in Marienburg. Entschlossen greift er zum Schnapsglas und leert es: „Mach noch zwei.“ Seine Stimme ist tiefer geworden.

Eine halbe Stunde später steht die Frau zum dritten Mal am Tresen. Sie bestellt ihre drei Bier und beobachtet den Kellner. In ein lächerliches Gitarrensolo hinein sagt sie:

„Du zapfst unheimlich elegant, weißt du das?“

Didi ist gegangen, an seinem Platz stehen jetzt zwei Betrunkene und würfeln.

„Schock Doof ist tief“, sagt der eine.

„Ich hab Depressionen.“ Sagt Jerôme.

Mittwoch, 6. August 2008

Straßenkämpfer (1)

Mauselbärchen

Ein Vormittag in der Linie 1 Richtung Bensberg. Ich will Camus lesen, Die Pest, ideale KVB-Lektüre. Aber der Plan scheitert, als an der Haltestelle Moltkestraße eine Frau mit glühendem Handy einsteigt.

„Mauselbärchen, ich bin gleich bei dir.“

Sie ist Mitte 40, spindeldürr und trägt rote Flip Flops zu hautfarbenen Strumpfhosen. Aber vor allem redet sie sehr laut.

„Jetzt beruhig dich doch, Mauselbärchen, ich sitz schon in der Bahn, Moltkestraße, ich bin gleich da reingesprungen, Viertelstunde vielleicht. Und dann bin ich bei dir.“

Die beiden Mädchen, deren Rückenlehne an meine grenzt, kichern.

„Hast du das gehört? – Mauselbärchen!“

„Voll schwul irgendwie.“

Bisher hat die Frau gestanden, mehrmals ist ihr die Handtasche von der Schulter gerutscht und fahrig wieder justiert worden. Am Rudolfplatz setzt sie sich endlich, vornübergebeugt und knapp auf die Kante. Sie fährt sich mit der Hand durchs Haar, reibt sich Knie und Schienbein. Beim Sprechen wippt sie mit dem Oberkörper vor und zurück.

„Jetzt klingelt´s auf der anderen Leitung, Mauselbärchen. Das ist bestimmt der Herr Doktor Rüdiger, Mauselbärchen, ich hab den von zu Hause schon ein paar mal versucht, ich ...“

Während der letzten Sätze hat sie einhändig in ihrer Tasche gekramt und ein Klapphandy geöffnet. An jedem Ohr liegt jetzt ein Telefon an, ihre Finger waren einmal mattweiß lackiert. Von Leitung 1 aus wird länger auf sie eingeredet, bevor sie nervös unterbricht.

„Der Doktor Rüdiger, genau, und dann wird alles gut, dann muss ich dich jetzt mal gerade auflegen, ja? Und, und Mauselbärchen: Sag denen einfach nix! Sag denen garnix, bis ich komme!“

Leitung 1 wird gekappt.

„Der Herr Doktor Rüdiger, ja gottseidank, es geht um meinen Sohn. Ich ...“

Völlig entsetzt starrt sie auf den Apparat, schüttelt ihn, drückt alle Tasten: „Ein Funkloch? Jetzt?“

Ihre Stimme ist die pure Verzweiflung. Ihr Blick irrt Hilfe, Halt suchend durch den Waggon und bleibt kurz an mir hängen. Aber als ich sie ansehe, klingelt schon wieder das andere Telefon.

„Mauselbärchen, ja, das ist zum Verrücktwerden hier.“

Die beiden Mädchen, deren eines Samantha heißt, lesen sich nun offenbar Handy-Witze vor.

„Was macht ein schwuler Adler nach der Arbeit?“ fragt Samantha.

„Keine Ahnung“, sagt ihre Freundin.

„Er fliegt zu seinem Horst.“

„Horst?“

„Ja, steht hier.“

„Hm.“

Über das pisanische Gerede habe ich den Anfang des Telefonats von gegenüber verpasst. Die Frau belästigt ihre Umwelt nicht zum Spaß, soviel ist klar. Sie hat ein existenzielles Problem. In Camus´ Buch gibt es einen kleinen Beamten, der seit Jahren an einem Roman schreibt, aber nie über den ersten Satz hinausgekommen ist. Ständig tauscht er Adjek- und Substantive aus, ohne je seinen idealen Anfang zu finden. Der Mann heißt Grand und wirkt durchaus zufrieden. Die Frau spricht immer noch.

„Das können die nicht machen, Mauselbärchen, glaub mir das. Der hilft uns, der ist doch Rechtsanwalt, der Herr Rüdiger. Und nur weil du auch schon wegen dem anderen Auto ..., nein, die bringen dich nicht nach Ossendorf!“

Am Polizeipräsidium steigt sie aus, telefonierend. Eine Variante von Grands Satz lautet: „An einem schönen Morgen des Monats Mai durchritt eine elegante Amazone auf einer wunderbaren Fuchsstute die blühenden Alleen des Bois de Boulogne.“ Am Ende erwägt er, alle Adjektive einfach wegzulassen.