Mittwoch, 30. Oktober 2013

Geschichten aus 1111 Nächten (44)

Der Düsseldorfer, der Wolf, die Prinzessin und der Baum

Ein mürrischer kleiner Düsseldorfer machte sich auf den Weg nach Köln, um sich beim heiligen Willy über sein Schicksal zu beschweren: „Warum, lieber Willy, wurde ich ausgerechnet in diesem unseligen Dorf an der Düssel geboren?“ wollte er den weisen Mann fragen.
In Dormagen begegnete er einem Wolf, dem er von seinem Vorhaben erzählte.
„Dann frag doch mal den heiligen Willy“, entgegnete der Wolf, „ob ich wirklich nur geschaffen wurde, um hier zu verhungern.“
Der Düsseldorfer versprach es und traf in Worringen eine Prinzessin. Als sie von seinem Plan hörte, bat sie ihn: „Frag den heiligen Willy, warum ich, die ich doch jung, hübsch und gesund bin, dennoch unglücklich dahinlebe.“
Der Reisende sagte auch dies zu. Auf dem Marsch durchs Nippeser Wäldchen sprach ihn schließlich ein Baum an: „Sag dem Willy, dass es schrecklich ist, als Baum ganz ohne Laub dahinzuvegetieren. Lieber will ich sterben.“
Endlich erreichte der Düsseldorfer den Kölner Heiligen, der gerade in seinem Beichtstuhl saß und eine Pulle Messwein vertilgte. Nachdem der Gast seine Klagen vorgebracht hatte, erhob Willy seine donnernde Stimme: „Ich gebe dir eine Chance, du Männchen. Ergreife sie, dann wirst du reich und glücklich.“
Danach gab er ihm auch noch alle anderen gewünschten Antworten, bevor er sich wieder seinem Fläschchen widmete.
Der Düsseldorfer traf auf dem Rückweg den Baum und sagte: „Unter deiner Wurzel liegt ein Goldschatz, der dich vom Wasser trennt. Wird er geborgen, wirst du auch wieder sprießen.“
„Na, dann fang doch schnell an zu graben“, frohlockte der Baum, „und nimm dir das Gold.“
„Nein“, entgegnete der Düsseldorfer, „der heilige Willy von Köln hat mir eine Chance gegeben. Ich muss nach Hause und sie nutzen.“
Bald darauf stand er vor der unglücklichen Prinzessin.
„Der Weise sagt, du brauchst einen Ehemann, um glücklich zu werden.“
„Dann heirate mich, Düsseldorfer, ich bin dein!“
Aber der Düsseldorfer antwortete: „Nein, Gott hat mir eine Chance gegeben ...“
Und wer jetzt noch immer nicht weiß, was mit dem Manne geschieht, wenn er den Wolf wiedertrifft, der kommt mit ziemlicher Sicherheit aus Düsseldorf.

... zo Foß noh Kölle ...

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Mittwoch, 23. Oktober 2013

Interviews (17)

Heute: Der Skat-Weltmeister

Jörg Hussong, geboren 1962 in Köln, gehört zu den weltweit besten Skatspielern. Nach der Mittleren Reife absolvierte er eine Lehre als KFZ-Mechaniker, ab 1987 arbeitete er im Kundendienst verschiedener Autohäuser. Vor zwei Jahren stieg er um und betätigt sich zur Zeit als Kraftfahrer. Dem Euroskat Team Köln gehört er seit 1988 an. Seinen größten Einzelerfolg feierte er als 5. bei der WM 2000. 2006 und 2008 wurde er Mannschafts-Weltmeister, 2012 gewann er die Einzelwertung der Skat-Bundesliga West.
In seinem Vereinslokal, dem Porzer Gasthaus Kranz, hat sich Jörg Hussong in die hinterste Ecke gesetzt, mit Blick zur Tür und den Fenstern. Die Pokerzocker im Western machen das genauso - nur ja niemanden im Rücken haben!

Spielen Sie lieber ein Solo oder mit einem Partner?

Skat ist in der Bundesliga ein Mannschaftssport. Wenngleich es hier auch eine Einzelrangliste gibt, stellt man sich doch vorwiegend in den Dienst der Mannschaft. Mir machen beide Konstellationen Spaß.

Ich meinte eigentlich: Gewinnen Sie einen kleinen Karo lieber alleine oder zu zweit gegen den Solospieler?

Ein Solo ist das A und O beim Skat, ohne Punkte keine Preise. Steht mein Blatt allerdings auf wackeligen Füßen, mache ich lieber ein Spiel des Gegners kaputt, als selber Miese zu riskieren. Auch dafür bekommt man nach der Wettspielordnung 30 Punkte. Im Wettkampfbereich gilt: Wenn Sie ein Spiel verlieren, müssen Sie dafür drei gewinnen.

Deshalb sind die Profis bei Turnieren wohl auch so oft schon bei 18 weg.

Ein Spiel muss Stabilität und Substanz haben, auf starke Karten aufbauen. Dann kannst du das auch reizen.

Was macht die Substanz eines Blattes aus?

Ein kleines Beispiel: Bei einem hohlen As, also etwa As, 9, 7, können Sie die Dame der Gegner schon dazuaddieren. Haben Sie die allerdings selbst auf der Hand, geht sie wahrscheinlich weg.

Wie würden Sie einem Marsmännchen die Faszination des Skat erklären?

Ich würde ihm sagen, dass er es hier mit einem Spiel zu tun hat, bei dem sich der Glücksfaktor und das logische Denken auf sehr spannende Art ergänzen.

Dennoch schrumpft der Skatverband Jahr für Jahr.

Stimmt, in Deutschland können rund 15 Millionen Menschen, manche sagen: 30, Skat spielen. Aber nur 35.000 sind in Skatvereinen organisiert, das ist schade. Uns fehlen sowohl die Sponsoren als auch der Nachwuchs.

Die Jugend pokert heutzutage lieber.

Pokern boomt, auch dieses Spiel kann man mathematisch spielen. Auf lange Distanz setzt sich immer der Bessere durch, genau wie beim Skat. Aber Pokern tut man immer allein, beim Skat gibt es den dritten Mann. Es sind Strategien und Kalkulationen gefordert, die das Spiel meines Erachtens interessanter machen als Poker.

Beim Pokern spielt das Bluffen eine große Rolle. Beim Skat auch?

Den Anteil des Bluffens würde ich auf vielleicht fünf Prozent schätzen. Wer unbedingt seinen einfachen Karo spielen will, der sagt seine 18 einschüchternd forsch, damit der andere vielleicht beeindruckt ist und passt.

Hat man an Tagen, an denen man sich gut fühlt, auch bessere Karten?

(grinst) Das kann ich bestätigen. An guten Tagen fühlst du dich fit und spielst hochkonzentriert. Du bist nicht zu vorsichtig, du überziehst deine Blätter nicht und machst im Spielverlauf alles richtig.

Gibt es also einen Skatgott?

Skat ist in meinen Augen ein Phasenspiel, mal hat man anhaltend Glück, mal die Pechsträhne. Ich kenne Leute, die setzen dann lieber vier Wochen aus, als schlechte Listen zu spielen. Von daher würde ich sagen: Ja, es gibt einen Skatgott, und die meisten Skater sind abergläubisch.

Wie äußert sich das bei Ihnen?

Wenn mein erster WM-Tag gut gelaufen ist, ziehe ich das T-Shirt am nächsten Tag wieder an. Blödsinn eigentlich, aber das muss sein!

Kann man mal riskieren. Aber nur bei eigenem Aufspiel (siehe unten).
 
Das erinnert an Ewald Lienens blaues Hemd und Udo Latteks blauen Pullover. Gibt es unter Ihren Kollegen weltweit auch einen irdischen Skatgott, einen Messi?

Nein. Es gibt in der Weltspitze einige wirklich sehr gute Spieler, aber keinen, der irgendwie gottähnlich herausragt.

Eine Frage, um die seit Jahrzehnten gestritten wird: Ist Skat Sport?

In meinen Augen ja! Skat unterhält schließlich wie jede Sportart einen Ligabetrieb und daneben zahlreiche kleine und große Turniere bis hin zu EMs und WMs. Leider ist unser Spiel allerdings nicht besonders publikums- und medienwirksam.

Welche Leute trifft man auf diesen internationalen Turnieren?

Alles vom Harz-IV-Empfänger bis zum Doktor und millionenschweren Firmenchef. Der eine kommt im Anzug, der nächste im ausgefransten T-Shirt, es gibt bei uns keine Kleiderordnung.

Aber wohl ein paar Benimmregeln?

Mal ein Bier oder eine Schnapsrunde - das kann vorkommen, wenn man mit lustigen Leuten am Tisch sitzt. Eingeschritten wird, wenn jemand zu viel trinkt oder sich sonstwie daneben benimmt.

Es kursieren einige Vorurteile über Skatspieler. In welchem Verhältnis stehen Skat, Zigaretten und Bier?

Alkohol geht eigentlich gar nicht, wenn man etwas erreichen will. In der Spitze wird praktisch nichts getrunken beim Spiel, aber beim Kneipenskat auf der Ecke ist das natürlich etwas anderes.

Bereiten Sie sich konditionell vor auf eine WM? Und nehmen Sie während des Turniers ab wie ein Leistungssportler?

Nee, eigentlich passiert das Gegenteil. Beim Skat verbrennt man nichts, so richtig gesund ist das nicht. Aber das Spiel ist wie der Fußball von oben nach unten durchorganisiert.

Müssen Sie vor einem Bundesligamatch trainieren?

Nach 25 Jahren nicht mehr, ich weiß, was ich wann zu tun habe.

Sie arbeiten als Kraftfahrer. Welche Opfer bringen Sie für ihr Hobby?

Der Job leidet nicht darunter, denn Skatevents spielen sich am Wochenende ab. Aber für Turniere und Skatreisen geht bei mir fast der ganze Urlaub drauf. Dieses Frühjahr haben wir in Köln die Deutschen Meisterschaften organisiert, da war schon einiges zu stemmen.

Ich als reiner Kneipenskater halte stets die Punkte nach und weiß, wieviel Trümpfe noch draußen sind. Was haben Sie alles im Kopf?

Natürlich alle Punkte, die Trümpfe und wenn ich mir Mühe gebe, auch alle noch nicht gefallenen Karten. Wenn ein guter Skater merkt, dass das Spiel aus dem Ruder zu laufen droht, rekonstruiert er für sich auch alle vorigen Stiche, um sich über die Verteilung der gegnerischen Blätter klarzuwerden.

Unterlaufen Ihnen dabei auch schon mal Fehler?

(lacht) Auch ich liege nicht immer richtig. Manchmal spekuliert man die ganze Zeit auf diesen König im letzten Stich, mit dem man auf 61 Augen käme. Aber dann fällt stattdessen die Dame, und das Spiel ist verloren. Aber um mal eines klarzustellen: Ich sehe mich nicht als Profi, denn ein Profi lebt von seinem Sport. Das kann bei den derzeitigen Konstellationen kein Skatspieler.

Sie treten bei EMs und WMs an. Und am Ende gewinnt immer Deutschland?

In der Nationenwertung fast immer, ja. Und die Einzelwertung gewinnen auch zu neunzig Prozent Deutsche.

Es gibt Skatclubs auf den Bahamas und in Chile. Aber die Mitglieder heißen Meier, Lehmann und Krause.

Genau, das sind fast immer Auswanderer. In Gegenden, wo viele Deutsche zusammenkommen, wird dann natürlich das deutsche Traditionsspiel gepflegt.

Wie sieht es - national und international - mit weiblichen Skatern aus?

Es gibt, im Vergleich zu den Männern, nur wenige. Daran wird es wohl auch liegen, dass Frauen sich insgesamt kaum einmal in die Siegerlisten eintragen können. Hin wieder werden Mixed-Turniere angeboten, man kann auch Mixed-Weltmeister werden.

Wann hatten Sie zum letzten Mal ein Blatt, das man, wie früher üblich, an die Kneipenwand hängen könnte?

(lacht) Letztens im Internet. Man kann auf verschiedenen Websites rund um die Uhr Skat spielen, und vor einiger Zeit hatte ich einen Grand Ouvert: Die ersten drei Buben, die obersten sechs Kreuz und ein blankes As dazu. Das ging natürlich nur sicher durch, weil ich zudem noch am Aufspiel war.

Stimmt, sagt selbst der schlichte Kneipenskater. Denn ansonsten hätte Hussong fürchten müssen, gegen Kreuz 7 und Karo Buben einen Stich abzugeben, der die Schneider-Schwarz-Pflicht des Ouverts zerstört hätte. 






Mittwoch, 16. Oktober 2013

Fundstücke (24)

Jazz ist, wenn du die Bässe rausdrehst

Griechenmarktviertel, vor der Kneipe Metronom
Frau um die 40: „Jetzt komm, jetzt gehen wir da mal rein, Jazz tut doch nicht weh.“
Mann mit schwarzer Lederjacke: „Genau! Weil Jazz ist, wenn du die Bässe rausdrehst.“

Zollstock, Höninger Weg
Frau mit Kind an der Hand I: „Nicole, sach ma, wie määst du dat, dat du dä Pascal nit schlächs?“
Frau mit Kind an der Hand II: „Dun ich nit, basta.“
Frau mit Kind an der Hand I: „Bei dem Dominik jing dat ja nit, do es dä vill zo frech för.“

Das Kölner Stadtmuseum kündigt eine Veranstaltung an:
„Streunende Hunde, Gänse in Körben, eine Frau, die in einem Käfig eingesperrt ist - auf dem Alter Markt war früher wirklich viel los.“
Kann man wohl sagen.

Südstadt, Lottoannahmestelle
Ältere Frau mit Dauerwelle: „Die alte Frau Müller ist ja wirklich nett.“
Jüngere Frau mit Kinderwagen: „Der ihr Sohn aber auch!“
Ältere Frau mit Dauerwelle: „Ija, nur dass der doch diese Krankheit hat, ne.“
Jüngere Frau mit Kinderwagen: „Welche Krankheit denn jetzt?“
Ältere Frau mit Dauerwelle: „Ja, weil, der ist doch schwul, soweit ich jetzt weiß.“

Kneipe, Nordstadt
Typ um die 60 mit nach hinten gegelten Resthaaren zu seinem krausköpfig-vollbärtigen Kumpel: „Ich bin altersmilde, sagst du? - Das klingt ja wie ne Krankheit.“

Neumarkt, Puszta-Hütte
Kleiner Kerl mit Leinenhose: „Ich bin aus Salzburg und war vor 50 Jahren schonmal hier.“
Wirt: „Klar, ich hab oben noch Fotos von dir.“

Gibt´s auch so richtig doitschen Jazz?

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Mittwoch, 9. Oktober 2013

Geschichten aus 1111 Nächten (43)

Die Blume

Über mehrere Tage hatte der heilige Willy geheimnisvoll getan mit seiner Kirche im Vringsveedel. Eines Morgens jedoch weckte er den Anton aus dem Schlaf und forderte ihn auf mitzukommen. Es gehe um nichts weniger als ein Wunder und ein Fläschchen Wein.
Anton war nun nicht gerade der hellste aller Kölner, und außerdem hatte er den Abend zuvor in einer üblen Kaschemme am Großen Griechenmarkt verbracht. Unwillig wie ein geprügelter Hund folgte er dem heiligen Willy.
In der Kirche angekommen, fand sich Anton inmitten einer Zauberlandschaft wieder. Abertausende künstliche Blumen, Kräuter und Grasbüschel schmückten das Gotteshaus, Anton fühlte sich wie in einem der wohligen Träume aus der vergangenen Nacht.
„Und jetzt kommt mein Rätsel“, hob der Willy an: „Nur eine einzige Blume hier ist echt. Wenn du sie mir zeigen kannst, bekommst du eine ganze Flasche Messwein.“
Anton blinzelte über seinen gewaltigen Kolben hinweg durch den Raum, unterschied jedoch kaum mehr als die vielen Farben. Aber weil er wusste, dass des Willys Messwein ein außerordentlich lieblicher Tropfen war, jagte er ein paar Neuronen durchs gepeinigte Hirn.
„Mir ist fürchterlich heiß“, sagte er schließlich zum heiligen Willy, „könntest du vielleicht ein Fenster öffnen?“
Willy tat wie ihm geheißen, und es geschah, was Anton sich ausgedacht hatte: Eine Biene flog herein und setzte sich auf die einzig echte Blume.

Noch viele weitere Gäste besichtigten danach das Blumenmeer des heiligen Willy. Antons Geschichte jedoch ging in der Stadt von Mund zu Mund und führte die Kölner zu folgenden Erkenntnissen:

1) Es ist schwierig, einer wie der Anton zu sein.
2) Es ist noch schwieriger, die Biene zu sein.
3) Es ist am allerschwierigsten, jene Blume zu sein.

Erkennen Sie den einzigen echten?

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Mittwoch, 2. Oktober 2013

Interviews (16)

Heute: Die Frauen-Historikerin

Zur Person
Irene Franken wurde 1952 in Düsseldorf geboren. Ab 1972 studierte sie in Köln die Fächer Deutsch und Geschichte und absolvierte die Ausbildung zur Realschullehrerin. 1986 gründete sie mit anderen den Kölner Frauengeschichtsverein, um ´weibliche´ Geschichte in der Stadt sichtbar zu machen. In der Folge sorgte er etwa dafür, Straßen nach Frauen zu benennen und den Rathausturm mit 18 statt der vorgesehenen 5 Frauenfiguren zu bestücken. Neben Stadtführungen übernimmt Irene Franken regelmäßig Lehraufträge im Seniorenstudium der Kölner Universität. Ihre erfolgreichste Publikation ist der historische Stadtführer „Frauen in Köln“ (Bachem Verlag).


BI: Sie stammen aus Düsseldorf. Warum sind Sie nach Köln gekommen?

IF: Damals wollte ich weg von Düsseldorf und habe einen neuen Studienort gesucht. Über Köln wusste ich zu dem Zeitpunkt nichts.

BI: Sie wollten raus aus dieser Stadt im Norden?

IF: Ich habe sie sehr genossen, allein schon wegen meiner damaligen Trendkneipe CreamCheese. Da hingen avantgardistische Bilder von Günther Uecker an der Wand, und es lief Undergroundmusik.

BI: Finden Sie, nach mittlerweile 40 Jahren in Köln, die Kabbeleien zwischen den Städten lustig?

IF: Die tangieren mich überhaupt nicht. In Düsseldorf interessiert das sowieso niemanden, das geht eher von Köln aus. Ich vergleiche das gern mit dem Windhund, der vom kleinen Straßenköter angekläfft wird.

BI: Lassen Sie das wirklich so stehen?

IF: (lacht) Es ist ja nicht so, dass ich die Windhunde lieber mag als die Mischlinge.

BI: Gibt es frauenhistorische Unterschiede zwischen Düsseldorf und Köln?

IF: Ja, schon. In Düsseldorf gab es einen Hof, hier nicht. Also existierten auch keine Salons, keine Hofdamen undsoweiter. Außerdem hatte Köln sowohl Juden/Jüdinnen als auch Protestanten aus der Stadt geworfen. Köln war dadurch spätestens ab dem 17. Jahrhundert kulturell eher randständig, hier brodelte man im eigenen Mief.

BI: Einige berühmte Frauen hat Köln aber schon hervorgebarcht. Dass wir sie kennen, verdanken wir nicht zuletzt dem von Ihnen gegründeten Frauengeschichtsverein.

IF: Große Möglichkeiten bot das Kölner Zunftrecht. Während Frauen im Privatleben unter der Vormundschaft eines Mannes standen, war es ihnen hier dennoch möglich, Handel zu treiben, eine eigene Werkstatt zu leiten und auf eigene Rechnung zu wirtschaften.

Vorher

BI: Auch Clara Schumann, zugewanderte Düsseldorferin und Namenspatin Ihres ehemaligen Gymnasiums, stand unter der Fuchtel eines Mannes. Haben Sie ein besonderes Verhältnis zu ihr?

IF: Nicht wirklich. Über ihre Wiederentdeckung als Komponistin und Musikerin habe ich mich gefreut. Aber ich muss gestehen, mein Herz hing immer ein bisschen an Robert Schumann, der ja tragisch umnachtet starb.

BI: Gab es eine Initialzündung zur Beschäftigung mit Frauenhistorie?

IF: Während meines Studiums der Geschichte in Köln wurden wir mit einer einzigen Frau bekannt gemacht: Bertrada, der Großmutter Karls des Großen. Und auf der Leseliste, einem Kanon für die Deutschstudenten, stand außer Annette von Droste-Hülshoff auch keine Frau. Irgendwann dachte ich, hier stimmt doch etwas nicht.

BI: Anfang der 1970er begann auch die Frauenbewegung.

IF: Schon, aber bis an die Kölner Universität war die noch nicht vorgedrungen. Zusammen mit ein paar Kommilitoninnen haben wir erstmal eine neue Leseliste erstellt. Und auf der stand dann nur ein Mann, ist klar.

BI: Wie wurde diese Pionierarbeit gewürdigt?

IF: An der Uni sind Einige heute dankbar dafür, das war ein Aufbruch. Aber es gab durchaus Vorwürfe aus verschiedenen Ecken, wir würden die Geschichte verfälschen.

BI: Sie arbeiten heute selbst für die Kölner Universität an einem Forschungsprojekt zu Krankenakten der Frauenklinik aus der NS-Zeit. Wie gehen Sie da vor?

IF: Ich versuche, nicht nur – wie üblich - Zwangssterilisierungen aufzulisten. Mir geht es eher darum, die Machtverteilung in den einzelnen sozialen und diskursiven Räumen darzustellen, zum Beispiel die Gleichzeitigkeiten von konfessionellem und parteigebundenem Glauben, was mit erklärt, wie so viele Menschen aktiv beteiligt werden konnten.

BI: Der Frauengeschichtsverein hat 1985 angefangen, frauenspezifische Stadtrundgänge zu veranstalten.

IF: Ja, anfangs sogar nur für Frauen, aber nach lautstarker Kritik auch schon viele Jahre für Männer.

BI: Warum waren Männer ausgeschlossen?

IF: Ich habe selbst erlebt, wie es ist, keine historischen Wurzeln vorzufinden und sich auf keine Vorgängerin beziehen zu können. Wir wollten zunächst einmal allen Kölnerinnen die Augen dafür öffnen, dass es in ihrer Stadt auch eine Geschichte der Frauen gibt.

BI: Und kommen denn inzwischen auch Männer?

IF: Zur Melatenführung sehr gern, das sind die Kölschen. Ansonsten eher wenige, ich denke mir, dass es Männer vielleicht kränkt, zwei Stunden nur etwas über Frauen zu hören.

BI: Was hat sich bei den weiblichen Besuchern in den mittlerweile 28 Jahren geändert? Weniger bunte Latzhosen?

IF: Die Frauenbewegung war nie unsere Hauptklientel. Zu uns kommt vor allem das Bildungsbürgertum reiferen Alters. Ich glaube, Frauen entwickeln das Interesse für unsere Themen allmählich mit den Jahren - sie bringen dann z.B. eigene Erfahrungen mit, die sie historisch vergleichen wollen.

BI: Haben Sie mal einen Junggesellinnenabschied geführt?

IF: Ja, tatsächlich, aber einen sehr zielgerichteten. Die wollten speziell zu historischen Aspekten von Liebe und Ehe informiert werden, und das habe ich gern gemacht.

BI: Haben Sie auch mitgetrunken?

IF: Erst hinterher. Während der Führung hatte ich mir das verbeten.

BI: Ein erster Erfolg des Frauengeschichtsvereins war 1986 die Umbenennung von Unter Seidmacher in Seidmacherinnengässchen. Worin lag der Symbolwert?

IF: Darin, dass Frauen im Stadtbild repräsentiert werden. Uns geht es nie darum, den Frauenstempel unhistorisch aufzudrücken. Aber es war im Mittelalter und der frühen Neuzeit nun einmal so, dass Seide in reinen Frauenzünften hergestellt wurde.


Nachher

BI: Ein Freund von mir wohnt dort und stöhnt noch immer darüber, dass seine Adresse nun so lang sei. Was würden Sie ihm erwidern?

IF: Es gibt größere Probleme. Ich würde ihm raten, sich einen Stempel anzuschaffen. (lacht)

BI: Ist Köln heutzutage eine frauenfreundliche Stadt?

IF: Ich finde, ja. Viele Männer können Frauen stark sein lassen, ohne sich permanent profilieren und in den Mittelpunkt stellen zu müssen.

BI: Ist das eine kölsche Eigenart?

IF: Meiner Meinung nach schon, auch in vielen kölschen Liedern wird die selbstbewusste, oft stämmige Frau gefeiert. Da fallen einem natürlich direkt Trude Herr und Grete Fluss ein, ein Frauenschlag, der am besten zu gemütlichen Männern passt.

BI: Ist der kölsche Straßenköter in der Hinsicht umgänglicher als der Düsseldorfer Windhund?

IF: Definitiv! (lacht)

Kurze Straße, langer Name: das Seidmacherinnengässchen heute

BI: Sollte die Jungfrau des Dreigestirns in absehbarer Zeit weiblich werden?

IF: Nein, das ist für mich eine historische Konstruktion und sollte so bleiben. Emanzipation muss für mich nicht über Traditionsaufweichung laufen.

BI: Also zukünftig auch kein Ruf à la „Die Prinzessin kütt“?

IF: Nein, mir reicht Weiberfastnacht. Wobei ich es schon spannend finde, dass Frauen inzwischen in den Schützenvereinen den Vogel abschießen.

BI: Wie gut vernetzt ist die Kölner Frauenszene? Arbeiten Sie etwa mit dem FrauenMediaTurm, mit dem dortigen Archiv und der Emma-Redaktion zusammen?

IF: Wir arbeiten viel mit örtlichen Projekten zusammen, während Emma ja ein bundesweiter, kommerzieller Betrieb ist. Mit dem Frauenarchiv gibt es allerdings häufiger Kooperationen, wir recherchieren dort auch selbst.

BI: In einem Interview vor einigen Wochen klagte mir gegenüber ein Lokalhistoriker über extreme Nachwuchsprobleme. Wie sieht es im Frauengeschichtsverein aus?

IF: Heutige Studentinnen sind so eingespannt, dass sie keine Chance sehen, bei uns aktiv mitzuarbeiten. Die Jüngsten bei uns sind Anfang 40.

BI: Was bedeutet das für die Zukunft?

IF: Ich habe unseren Verein bei der Gründung 1985 nie als ewig angesehen. Aber die Intervention war nötig, und es gibt noch viel zu tun. Dass Frauen in allen historischen Zusammenhängen wie selbstverständlich auch als Akteurinnen vorkommen, haben wir noch nicht erreicht.



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