Mittwoch, 28. Dezember 2011

Geschichten aus 1111 Nächten (17)

Der Apfelbaum oder Die Aufteilung Gottes

Im alten, katholischen Köln war die Welt noch gut sortiert. Jean, der verschlagene, schielende Schlawiner wohnte in einem großen Haus am Buttermarkt in der Altstadt. Sein Kumpel Anton hingegen, der rotnasige Einfaltspinsel, hauste direkt nebenan in einer erbärmlichen, düster-verrußten Hütte. Weil ihre Gärten, ausladend der eine, kaum handtellergroß der andere, aneinanderstießen, stritten sie sich auch diesen Herbst wieder um die Äpfel von Jeans Obstbaum.
Dessen Äste nämlich ragten über den Zaun hinweg, und was an Fallobst auf seinem Grund landete, beanspruchte Anton für sich. Jean jedoch widersprach und behauptete, was von seinem Baum plumpse, gehören niemand anderem als ihm. So disputierten sie also seit Tagen und hatten sich dabei wohl sogar schon regelrecht in die Haare bekommen. Auch das ein oder andere Fläschchen wurde geleert, ohne die Gemüter zu kühlen.
Am vierten Tag nach dem ersten Apfelfall kam der Heilige Willy am Gartenzaun längs. Ein wenig verlottert sah er aus, dieser Kirchenmann, aber die Kontrahenten ergriffen die Chance auf ein gerechtes Urteil.
„Ich frage dich, hoher Herr“, hob Jean an, „wem gehören die Äpfel, die von meinem Baume fallen, und sei es, sie landeten auf dem Grund dieses Unwürdigen dort.“
„Mir gehören sie selbstverständlich“, krächzte Anton unter seiner großen Knollennase hervor, „denn auch aus meiner Erde Nahrung speiste sich dieser Baum.“
Der Heilige Willy senkte den Kopf, legte das Kinn in die Hand und dachte nach. Schließlich fragte er:
„Wollt ihr eine Aufteilung nach menschlichem oder nach göttlichem Ermessen?“
Die beiden Kölschkatholen antworteten wie aus einem Munde:
„Nach göttlichem Ermessen.“
„Und ihr versprecht, die Entscheidung nicht anzufechten?“
„Wir versprechen es, heiliger Bruder.“
Da sammelt der Heilige Willy die Äpfel ein. Er türmt auf der eine Seite einen großen Haufen auf und legt auf die andere nur einen einzigen Apfel. Danach gibt er, ohne hinzusehen und ohne jegliche Regung, dem einen Streithahn den Haufen und schiebt dem anderen den Einzelapfel zu.
Und geht sodann, ohne ein weiteres Wort, davon.

Äpfel kann man für alles Mögliche brauchen

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Mittwoch, 21. Dezember 2011

Fundstücke (15)

Schrille Nacht, eilige Nacht

Kneipe, Nordstadt, 2 Uhr nachts
Blonde Frau Ende 20: „Hach, ist das kalt draußen, was?“
Kellner: „Weiß nich, ich stehe hier ja schon sechs Stunden.“
Blonde Frau Ende 20: „Doch, is saukalt draußen, weißte was? Ich brauch jetzt mal nen Whiskey-Cola und nen doppelten Ouzo.“

Kneipe, Belgisches Viertel, 19.30 Uhr
Vor der Tür stehen drei Zigarre rauchende Schnösel.
1. Schnösel, mit dem starken Kinn auf einen Passanten weisend: „Kuck dir den Schwachmaten mit dem Parka an.“
2. Schnösel: „Ich finde, mit so einem Kleidungsstück disqualifiziert man sich fürs Leben.“
3. Schnösel: „Mein Vater hat immer gesagt: Es kann nicht nur Häuptlinge geben.“

Kneipe, Nordstadt, 20.50 Uhr
Wiederum drei Männer, A ist neu hier, B und C kennen sich, es läuft eine Fußball-Übertragung.
A, lallend: „Ich hab überhaupt keine Ahnung für Fußball.“
B zu A: „Du kennst dich wohl nur mit Taschenbillard aus, wa?“
B lacht.
C zu B: „Und du warst schon immer so hell wie´n Eimer Ruß.“
A, lallend zum TV: „Na jedenfalls, da scheint´s jetzt schon 4:4 zu stehen.“
B: „Der Schiri hat doch gerade erst angepfiffen.“
A, lallend: „Ja, aber wisst ihr: Ich sehe auch sehr schlecht.“

Manchmal wünscht man sich ganz weit weg

Irischer Pub, 4 Uhr nachmittags, alter Ire und junger Deutscher
Alter Ire: „Ich bin jetzt das 30. Mal in Köln.“
Junger Deutscher: „Echt?“
Alter Ire: „Ja, ich komme jedes Jahr drei oder vier Mal. Und dann gehe ich immer in den Corkonian (Pub am Alter Markt, Anm. d.A.) oder zu Charlie (Inhaber des Pubs Barney Vallely´s direkt um die Ecke in der Budengasse, Anm. d.A.).“
Junger Deutscher: „Beides gute Läden.“
Alter Ire: „Genau, ich wechsle auch ein paar Mal am Tag hin und her. Und ich interessiere mich für den Krieg.“
Junger Deutscher: „Hitler und so, nehm ich an.“
Alter Ire: „Exakt, Junge! Seit ich nach Köln komme, will ich unbedingt die Brücke von Remagen sehen.“
Junger Deutscher: „Aber?“
Alter Ire: „Naja, ich hab´s noch nie geschafft.“

Kneipe, Nordstadt, 2:30 Uhr nachts
Blonde Frau Ende 20: „Hi, erinnerst du dich noch an mich?“
Kellner: „Klar: Whiskey-Cola, doppelter Ouzo.“
Blonde Frau Ende 20: „Genau, und mir is immer noch kalt.“


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Mittwoch, 14. Dezember 2011

Straßenkämpfer (20)

Moderne Märtyrer

Mir sollte kalt sein, aber ich friere nicht. Die Augen geschlossen, mein Nacken genau auf der Schiene, vielleicht hat mich jemand so hingelegt. Der Regisseur. Ich mag es nicht, dass mein Kopf so nach hinten klappt. Die Menschen sehen mir in den Mund, sie sehen in meine Nasenlöcher, ich sehe sie nicht. Hingegossen, ich liege da wie hingegossen. Auch das Blut ist nicht echt. Die andere Schiene, meine Knöchel darauf, meine Wade. Wie ein zu kurzes Sofa, wie eine viel zu kurze Badewanne. Warum sind alle Badewannen zu kurz, ich weiß es nicht.
Die Bahn starrt mich an. Direkt vor mir, die großen Augen der U-Bahn. Ich habe die Vollbremsung im Ohr, lange her muss das sein. So gerade noch geschafft, knapp vor dem verletzten Mann zum Stehen gekommen. Auch das gehört wohl zu dieser Inszenierung, wie die Frau, die da schreit. Alle schreien. Alle schreien durcheinander, aber ich höre die Frau.
Ich blute, ganz bestimmt blute ich, das muss so sein. Aber ich bin ein Kaltbluter. Auch in Filmen, das ging mir schon immer so: Blut ist kalt, weil die Situationen kalt sind, in denen es zum Einsatz kommt. Hitziges Gefecht, kalter Tod. Ich wüsste gern, ob mir etwas wehtut. Ich würde gern ächzen, vielleicht ächze ich ja. Ich möchte mich krümmen vor Schmerzen, nur natürlich wäre das doch. Das wäre beruhigend, ich könnte mich krümmen immerhin.
Das müsste mir mal jemand bestätigen, Jawohl der Herr, Sie ächzen und krümmen sich. Aber die schreien ja alle nur rum. Für sich, für sich selbst schreien die, Zeigt mir ja keinen Spiegel, Leute. Ist besser so, ist ganz bestimmt besser so. Ganz automatisch macht man das, die Arme um den Kopf legen. Sich zusammenrollen zum Paket, so wenig Angriffsfläche wie möglich bieten. Und vor allem die Arme um den Kopf schließen, denn der ist empfindlich. Der ist wertvoll, den wollten sie treffen. Volltreffer, die wichtigen Targets, das Freispiel. Freie Hand hatten die. Alle Hände voll zu tun, alle Füße voll. Denn dann lag ich ja da. Rumms, und die Hände über den Kopf.
Die Frau schreit, ist das meine? Das ist momentan ganz schwer zu sagen. Das Spinnennetz eines Stadtplans, und von wo und mit wem man da aufgebrochen ist. Und die anderen auch, all die Menschen hier. Aufgebrochen am Morgen, irgendwann geboren worden, um genau jetzt hier zu sein. Die da oben, ich hier unten. Hingestreckt, hingerichtet, das ist ein ganz konsequentes Drehbuch. Hardboiled, aber mit sozialer Komponente. Der Ausländerjunge, die Ausländerfeinde. Der Unbeteiligte, der helfen will. Der Ich.
Zusammengeschlagen, das Wort macht mich wütend. Und wie gut diese Wut tut. Der Binnenreim eine Freude, die Wut übers Wort. Eine ganz kalte Formulierung ist das. Die entspricht nur den Tatsachen, mehr nicht. Trifft nicht den Schläger und nicht den Geschlagenen. Den schon gar nicht.
Ich bin nicht zusammengeschlagen worden.
Ich bin kleingemacht worden. Man hat mich gedemütigt.
Der Kleingemachte. Der, der seinen Körper nicht spürt, der hier nicht teilnimmt. Alle anderen nehmen teil, nehmen Anteil, nehmen sich ihren Anteil. Schreien, beschreiben, gestikulieren, tauschen sich aus. Ich kann mich nicht austauschen. Nicht mich, mich nicht mit anderen. Diese Rolle wurde mir auf den Leib geschrieben, sie gefällt mir nicht. Nur Komparse bin ich, den Text haben andere.
Dem läuft das Blut runter. Prellungen, hoffentlich ist nichts gebrochen. Hoffentlich behält der keine dauerhaften Schäden zurück. Ein Veilchen, nun gut. Das schwillt wieder ab, das schillert und verblüht, es sind die Worte, die schmerzen. Demut und Demütigen, eigentlich dürfte das gar nicht so gleich klingen. Haben nichts miteinander zu tun, diese Worte. Demut ist freiwillige Unterwerfung, Demütigen erzwungene. Höllenweiter Unterschied, der Unterschied liegt auf den Gleisen.
Es ist nicht das Veilchen, es ist der Schlag. Das Erstaunen, die Angst, der Schmerz, das Zubodengehen, die Entstellung. Die Demütigung. Nur dem Getretenen erschließt sich der Tritt. Wie ein Stück Land, da öffnet sich ein zuvor verschlossenes Wortfeld. Kurios. Der Tritt als der Schlüssel zum Treten. Als Getretener eintreten in den Bedeutungsraum des Trittes.
Worte schaffen Tatsachen im Jetzt. Schneiden sie von ihrer Vergangenheit ab. Schütten die Abgründe zu, die vor ihnen lagen. Meine Vergangenheit, die Tritte. Veilchen blühen, meine Augen sind zu. Ich möchte sie öffnen, denen allen da oben die Augen öffnen. Sagt nicht Veilchen, ich bitte Euch. Seid leise. Nehmt Euch Euren Anteil, aber tut es dezent. Reicht doch, dass ich so liege vor Euch. Reicht doch vollkommen.
Die Frau schreit, warum holt mich hier eigentlich niemand hoch? Warum berührt mich hier niemand? Ich fürchte, das muss mich beunruhigen. Das sollte mich, der ich vollkommen ruhig bin, beunruhigen. Kein Schmerz. Nicht im Nacken, der auf der Schiene liegt. Nicht im Kopf, an den Armen, zwischen den Beinen. Und nicht mehr gekrümmt, sondern hingestreckt. Nicht mehr gekrümmt, als ein Zeichen meiner Stärke will ich das nehmen. Der Nichtmehrgekrümmte, der Entspanntliegende. Jetzt schreien sie alle, wo waren die damals? Vorhin, zu diesem weit zurückliegenden Damals, als der Abgrund sich auftat. Als die Worte noch lebten. Hört das auf, habe ich gesagt, als die den schubsten. In den Arm gefasst habe ich dem einen, und dann war es schon zu spät. Rumms, dann lag ich schon da. Wo waren die alle, waren die feige? Dann wäre ich mutig gewesen, auch das ist ein Sieg. Ich sollte mich hochziehen an dem. Aufstehen, Nase abputzen und weiter.
Die sahen gar nicht so aus. Ich habe die gesehen, die standen da. Turnschuhe, Kapuzenjacken, alle drei. Und dann ging alles ganz schnell, ganz schnell, vielleicht war ja auch ich – zu schnell? Dass man vielleicht hätte abwarten sollen. Sich nicht einmischen sollen. Sind doch fast noch Kinder, diese Jungs, müssen sich ihre Hörner noch abstoßen. Alter Sack, hast aber auch gar nichts kapiert. Wolltest den Helden spielen, was? Keinen blassen Schimmer, aber den großen Mann markieren. So einer braucht dann eben ´ne Abreibung, und die hat er bekommen. Ziemlich abgerieben ist der jetzt, dem wächst so schnell kein Gras mehr. Abgeweidet, ausgeweidet.
Kein Schmerz, das ist die Demut: dass ich sehnlich den Schmerz erwarte. Die Kälte, die Wärme wenigstens. Selbst meine kleine Wut ist verebbt, keinen einzigen, winzigen Rachegedanken hat die an mein Land gespült. Das war nur so ein ganz schlappes Rinnsal, ich sollte aufstehen. Ihr müsst mir helfen, Leute. Ihr müsst mir aufhelfen, vielleicht bereitete mir das Schmerzen. Dass ich mich krümmte aufs Neu und die Worte wieder lebendig würden. Die waren in der Überzahl. Die haben mich ausgezählt, das war so abgesprochen. Hinter meinem Rücken, ich war der einzige, der hier improvisiert hat. Ich friere.



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Mittwoch, 7. Dezember 2011

Fundstücke (14)

Männer und Hüte, Frauen und Bäume

McDonalds, Klobereich
Junge Frau mit pinken Lackschuhen: „He, bei Frauen is kein Klopapier mehr aufm Klo.“
Klomann: „Ich komme gleich.“
Junge Frau mit pinken Lackschuhen: „Da ist aber nicht gleich, sondern jetzt kein Papier mehr.“
Klomann: „Ich komme.“
Junge Frau mit pinken Lackschuhen: „Na also.“

Köln, Mittelalter
Als Ganzes evoziert das charakteristische Äußere der Kölner Madonnen geradezu die Braut des Hoheliedes mit Granatapfelwangen und goldstrahlender Erscheinung und entspricht zugleich zeitgenössischen Beschreibungen von Marienvisionen.
(aus: Dagmar Täube/Miriam Verena Fleck: Glanz und Größe des Mittelalters. Kölner Meisterwerke aus den großen Sammlungen der Welt)

Nordstadt-Kneipe, Mann und Frau jenseits der 40 an der Theke
Mann: „Du findest Michael Schumacher sexy?“
Frau: „Ja, son bisschen schon. Nicht hübsch, weißte, aber irgendwie hat der was.“
Mann: „Wenn du mich fragst, hat der n schnelles Auto und sonst nix. Und auch sonst nix im Kopp. Fragst du den nach seinem Schwanz, erklärt der dir die Zündkerze.“
Frau: „Ja, ich würd ja auch nicht reden mit dem.“
Mann: „Sondern bumsen, is klar, also weißt du was: Du bist ne echt dämliche Kuh, ich gehe jetzt.“
Frau, später, als der Mann längst weg ist, zu einer anderen Frau: „ .... blablabla, und dann ist er abgerauscht.“
Andere Frau: „Klar, und jetzt spielt er bestimmt an seinem Zündkerzchen rum.“

H&M, Untergeschoss
Ein Mann Mitte 40 schleicht fünf Mal am Hutregal vorbei. Immer wieder blickt er sich verstohlen um, macht kehrt und fixiert einen der Filzhüte. Schließlich fasst er sich ein Herz, setzt ihn ruckartig auf und springt wie ein Schneiderlein vor den Spiegel. Im selben Moment kommt eine Verkäuferin auf ihn zu. Sie lächelt, er reißt sich den Hut vom Kopf. Schnell will er ihn wieder an seinen Haken hängen, aber der Hut fällt zu Boden. Die Verkäuferin lächelt noch immer. Der Mann bückt sich, nimmt den Hut, hängt ihn gründlich auf. Und geht.


Verordnung der Grafen von Reifferscheid/Eifel aus dem Jahr 1643
Bei Heirat und Geburt müssen wegen der Abholzung der arg strapazierten Wälder Bäume gepflanzt werden. Und zwar:
Zur Geburt eines Knaben: 4 Obst- oder 10 Waldbäume
Zur Geburt eines Mädchens: 2 bzw. 5.
(aus: Sophie Lange: Küche, Kinder, Kirche. Aus dem Leben der Frauen in der Eifel)

Brauhaus Altstadt
Köbes: „Kloleute verdienen richtig viel Geld. Viel mehr wie son Köbes. Da reißen die sich drum, ans Klo zu kommen. Gibt ne richtige Mafia, die die guten Klos verteilt.“
Gast: „Würdest du tauschen?“
Köbes: „Nein.“

Männer und ihre Zündkerzen


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Mittwoch, 30. November 2011

Geschichten aus 1111 Nächten (16)

Meineid und Gemeinheit

Wieder einmal hatte Anton keinen müden Cent mehr auf der Tasche gehabt. Alles versoffen. Und wieder einmal war er bei seinem alten, wohlhabenden Freund Jean vorstellig geworden, der ihm nach innigem Klagen des ersteren und langem Zögern seinerseits 150 Euro geliehen hatte. So weit lagen die Tatsachen klar auf dem Tisch, von beiden bestätigt. Nur dass der Anton behauptete, er habe Jean das Geld zurückgegeben. Und Jean das Gegenteil beschwor.
Ganz Köln schaute zu, als sich die beiden alten Thekenkumpane auf dem Rathausplatz beschimpften. Und der Mob frohlockte, als sie sich gegenseitig vor Gericht zerrten: Jean habe es zu unterlassen, Anton des Betrugs zu zeihen, forderte dieser. Anton habe unverzüglich seine Schulden zu begleichen, forderte Jean. Und war zugleich guter Dinge, denn einen Meineid traute er seinem dicknasigen Kontrahenten nun doch nicht zu.
Rappelvoll war der Saal des Amtsgerichts, und nicht gerade nüchtern erschienen auch die beiden Kläger, die zugleich Beklagte waren. Zu groß war ihre Aufregung gewesen, als dass sie sie ohne ein temperierendes Gläschen überstanden hätten. Wie nun im Saale, so hatten sie auch in ihrer Stammkneipe eng beieinandergesessen, ohne sich eines Blickes zu würdigen. Als der Richter daranging, Anton zu vereidigen, erreichte die Spannung ihren Höhepunkt. Aber was tat er, der Anton? – Kramte seine Fuselpulle aus der Brusttasche, nahm einen letzten Schluck und reichte sie unter unverständlichem Gemurmel dem Jean. Dann hob er die Hand und schwor, dass er das verdammte Geld auf Heller und Pfennig zurückgegeben habe.
So blieb dem Richter nichts anderes, als Jean ein für alle Male jede üble Nachrede auf Anton zu verbieten. Jeans schielendes Auge begann zu triefen, so sehr verwirrte ihn der Richterspruch. Erst als Anton vor der Tür lauthals seine Flasche von Jean zurückforderte, erwachte er aus seinem Nebel. Eine unbändige Wut erfasste den um sein Geld wie seine Ehre Betrogenen, als er in Antons hämisches Grinsen blickte. Eilig hatte sich wieder ein Kreis um die beiden gebildet, als Jean ausholte und die Flasche auf Antons Schädel zerschmetterte. Schmerzfrei, wie der frühe Korn ihn gemacht hatte, torkelte Anton lediglich einen Schritt zur Seite. Die Flasche jedoch zerbarst von der Wucht, auch das Label löste sich über einer Scherbe. Und siehe da, was war darunter, sauber gefaltet, versteckt? - Drei 50-Euro-Scheine.


 
 Noch zwei Typen, die irgendwie gut zusammenpassen


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Mittwoch, 23. November 2011

Thekentänzer (51)

Der IT-Spacken

Jerôme hat endlich seinen Stalker angezeigt. Und hadert trotzdem mit sich:
„Ich bin der einzige Typ, der von einem dicken, alten Mann verfolgt wird.“
Der dicke, junge Mann, der neben ihm sitzt, findet das aufregend:
„Bist du etwa prominent?“
Und dann wiehert er los, ein fürchterliches Lachen aus der Comedy-Kiste.
„Also ich, ne? Ich heiße Karl-Ernst und bin überhaupt nicht prominent. Ich mache IT-Outsourcing. Also ich erzähle den Firmen, die mich beauftragen, wie sie am besten Leute entlassen können.“
„Du bist ein Schwein“, sagt Jerôme. „Aber wahrscheinlich ein verdammt reiches.“
Offenbar fühlt Karl-Ernst sich dadurch so geschmeichelt, dass er einen Schritt weiter geht: „Seid ihr hier an Rückmeldungen von Kunden interessiert?“
„Nein“, sage ich.
„Nein“, sagt Jerôme.
„Weil nämmich die Musik hier. Die ist voll Selbstmord.“ Und da lacht er schon wieder.
„Das ist Tom Waits“, sage ich.
„Kenne ich nicht, jedenfalls, Tom Astor wär mir lieber. Der macht wenigstens Stimmung.“
Gut, dass in dem Moment zwei Frauen hereinkommen. Karl-Ernst fühlt sich nun heimisch: „Wenn eine Frau allein eine Kneipe betritt, sollte man sie respektvoll allein lassen“, sagt er respektlos laut. Dann geiert er wieder. Aber die Mädels ignorieren ihn ausgesprochen effektiv.
„All inclusive, hab ich zum ersten Mal gemacht“, sagt die eine. „Ägypten is so supa.“
„Und? Ein Cocktail nachm nächsten, nehm ich an“, sagt die andere.
„Zum Beispiel, wenn der Postbote klingelt“, sagt Karl-Ernst. „Dann denk ich immer, ich muss jetzt meinen Papa an die Tür holen. Dabei bin ich doch 32!“
„Ja“, sagt Jerôme, „das kommt vom Tom-Astor-Hören.“
„Da waren eigentlich nur Deutsche“, sagt die Ägypten-Reisende. „Außer einem Pärchen, die waren Schweizer. Glaub ich.“
„Oder wenn ich ein Bier bestelle: Dann werd ich immer rot, weil ich denke, ich darf das noch gar nicht.“
„Und dann hab ich halt den Daniel kennengelernt, der war so süß. Zwischen zwei Caipis, echt, am Strand, ich glaub, ich ruf den mal gerade an.“
„Ja, tu das“, sagt die Freundin und liest den Spruch über der Theke: „Liebe Mädchen kommen in den Himmel, böse überall hin.“ Als sie kichert, zuckt Karl-Ernst zusammen. Er greift sich an die Brust, streicht die Haare glatt, sieht Jerôme panisch an, lacht hysterisch auf und reimt:
„Eigentlich wollte ich immer Polizist werden. Aber weißt du, ich habe so eine extrem starke Homophobie. Deshalb mach ich jetzt eben nur IT.“

Als Polizist weiß man, wo es langgeht




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Mittwoch, 16. November 2011

Fundstücke (13)

„Traumschiff Ahoi“ auf der MS RheinEnergie

11.11., Hahnwald
Die neue Karnevalsjungfrau erklärt dem Kölner Stadt-Anzeiger, welch ein bodenständiger, sparsamer Mann er ist:
Seit 1995 ist der Rechtsanwalt (...) im Rheinauhafen tätig. Von dort hat er es nicht allzu weit bis ins Heim im Kölner Süden. Da seien die Grundstücke günstiger als in Lindenthal oder Sülz. Seit viereinhalb Jahren lebt die Familie (...) dort. „Das Leben im Hahnwald ist besser als der Ruf. Man lebt zurückgezogen, aber sehr familiär (...). Wer hier sonst noch wohnt, wissen wir nur aus den Zeitungen.“

11.11., Kneipe, nachts
Dieter wird Didi gerufen und nennt Dirk Dirki. Didi sagt immer „Runter mit der Hose“, wenn er sein Glas leert. Dirki hat eine Tätowierung am Hals, einen verwaschenen Stern unterm rechten Auge und mehr Zähne verloren als vorrätig.
„(...) und dann hat er ihm ins Handgelenk geschossen“, sagt Didi.
„Klar“, sagt Dirki, „wir feiern halt so feste, wie wir fallen.“
„So is dat und so bleibt dat. Ein Mann ist so alt, wie er sich fühlt. Eine Frau ist so alt, wie sie sich anfühlt.“
„Ich weiß dat doch, Didi, ich weiß dat doch. Und rum haste se erst, wenn se nur noch Vokale kann.“
Didi nickt mit dem Kopf, bestellt zwei Bier und zwei Korn, stößt mit seinem Kumpel an und sagt: „Du kennst mich doch: Nüchtern bin ich schüchtern.“

11.11., die Bandliste am Heumarkt:
Jot Drup, Casalla, Altreucher, Stroßefäjer, Kläävbootze, Wanderer, Cölln Girls, Papalappap, Peter Schmitz Hellwing, Cat Balou, Höhner, Bruce Kapusta, ML Nikuta, Bläck Fööss, Rheinländer, Colör, Bernd Stelter, Boore, Kölsch Fraktion, Räuber, Blom un Blömcher, Brings, Funky Marys, Bengels, Kalauer, Rabaue, Domstürmer, Klüngelköpp, Paveier, Filue, Junge Trompeter, Bobby Baboons, Ech Lecker, Kölschraum, Hanak, Vajabunde, For Example

Unentschuldigt gefehlt haben: De Tütenüggel, De Schrammelbröder und Die Vier Aaschjeseechtere.


Ein bisschen Spaß muss sein


11.11., Werbung
Die Aktion „Heimvorteil“ offeriert dem RheinEnergie-Kunden u.a. folgende Gutschein-Optionen:
- beim Kauf eines Tickets eine kostenlose Leihausrüstung in der Skihalle Neuss
- 22% Ermäßigung auf einen Besuch des Kabarettprogramms von Konrad Beikircher oder wahlweise auf das „Große Neujahrskonzert“ der Jungen Philharmonie Weißrussland – beides im Bürgerhaus Hürth
- 10% Ermäßigung auf die Dinnershow „Traumschiff Ahoi“ auf der MS RheinEnergie
- 2 Karten zum Preis von einer für die Touren „Köln ist ein Gefühl“ bzw. „Die „Dämmerschoppen-Kölschtour“ von KölnTourismus
- 50% Rabatt für bis zu 3 Kinder bei den Kinderweihnachtsaktionenen Weihnachts-Plätzchen-Werkstatt, Lichterglanz und Engelchen-Bastel-Straße des Krewelshofs

11.11., Dönerbude, nachts
Arabischstämmiger Gast: “What´s your Name?”
Türkisch-kölscher Dönermann: „Warum?“
Arabischstämmiger Gast: „Okay, Warum, one Döner-Sandwich, please.“
Türkisch-kölscher Dönermann: „Warum nicht?!“


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Mittwoch, 9. November 2011

Geschichten aus 1111 Nächten (15)

Die Lumpen vom Stadtrat

Es war einer dieser Tage, an denen Anton seine Stadt einfach nicht mehr ertragen konnte. Die Bahnen waren ausgefallen, die Straßen verstopft mit Baustellen, und seinen rostigen, gleichwohl intakten Drahtesel hatte das Ordnungsamt ohne Vorwarnung vom Lampenmast geflext. Und weil er in seiner Stammkneipe nicht mehr rauchen durfte; und weil er zum Monatsende hin ohnehin viel zu blank für die Kneipe war, beschloss Anton, eine Ratssitzung zu besuchen.
„Die han ming Rädche vum Mast jeflex!“ ging er die von überall herbeischlendernden Volksvertreter an. Der von der CDU sah sich nach einem Ordnungshüter um, der von der SPD grinste. Der von der FDP blickte angewidert weg, die von den Grünen drückte ihm einen Euro in die Hand. Und der von der Linken ballte die Faust gen Himmel. Anton verstand nichts von alledem und setzte sich auf den Balkon für die Zuschauer.
Als es nach drei Stunden noch immer nicht um sein Fahrrad ging, platzte ihm der Kragen:
„Die Hälfte von euch sind verdammte Lumpen!“
Das wollten die Politiker natürlich nicht auf sich sitzen lassen. Anton wurde aus dem Saal geführt, und statt seinem Fahrrad bekam er eine Ordnungsstrafe über 50 Euro. Anton besann sich. Und überlegte. 50 Euro, dachte er, das sind 200 Kippen. Das sind 40 Kölsch. Das sind zehn Fahrradschläuche. Also ging er im Monat darauf wieder zur Ratssitzung. Und als sich alle gesetzt hatten und der Herr Oberbürgermeister die Eröffnung verkündete, da beugte sich der Anton über die Brüstung und rief:
„Die Hälfte von euch sind keine verdammten Lumpen!“

Streng bewacht: Das Rathaus zu Köln


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Mittwoch, 2. November 2011

Thekentänzer (50)

Fleischwurst, Schmuck und Aufgesetzter

Ort:
Kneipe „Bei Peggy“ in Bad L.

Personen:
Peggy, die Wirtin
Helga, ebenfalls aus Bad L.
Erwin, Gelsenkirchener
Ein Kellner

Der alte Kurort ist auf den Hund gekommen, denn Kuren werden kaum noch verschrieben. Viele der klassizistischen Hotels stehen leer oder wurden zu Altenheimen umfunktioniert. 18 Uhr, die Bürgersteige sind längst hochgeklappt. Nur in einer kleinen, schummrigen Kneipe brennt noch Licht.
Helga, über und über mit Schmuck behängt, reicht nicht an die Kleiderhaken. Erwin, durch seine platte Nase zu ewigem Schnaufen verdammt, nimmt ihr die Jacke ab.

Helga: Was glaubst du, wie nervös ich heute morgen war!
Peggy: Erzähl!
Helga: Ja, wir sehen uns ja heute das erste Mal.
Erwin: Genau, und vorher nur im Internet, ich sach immer: Von nichts kommt nichts, man muss den Arsch schon hochkriegen.
Helga: Ich war so aufgeregt, ich konnte kaum die Kaffeetasse halten.

Helga gleitet vom Barhocker, der ihr nun fast bis unters Kinn reicht. Dann klettert sie wieder hoch.

Erwin: Zwerg bleibt eben Zwerg, woll.
Helga (lacht): Das war mein Tarnname im Chat. Ich war der Zwerg.
Peggy: So hätte ich mich aber nicht genannt.
Erwin: Als ich noch Geschäftsführer beim Toom war, hatten wir auch so eine Zwergin. Die konnte immer nur unten das Katzenstreu auffüllen. Für alles andere hat die ne Leiter gebraucht.
Helga: Also, Erwin ist noch immer Geschäftsführer. Nur jetzt eben woanders. Bei was Größerem.
Peggy: Oho!
Erwin: Ihr müsst mal meinen Namen googeln. Ich hab letztens mit meinem Neffen die Arena auf Schalke nachgebaut. Mit Bierkästen. Und dann haben die vom Fan TV das gefilmt und ich bin im Internet. Ich sach immer: Man muss halt Ideen haben.

Peggy zapft zwei weitere Pils. Erwin und Helga sehen sich einen Moment schweigend an, er klimpert mit ihren Armreifen.

Helga: Aber gefällt dir doch in Bad L., oder?
Erwin: Na klar, sach ich doch schon den ganzen Tag. Du bist mir wirklich angenehm, auch jetzt in echt hier. Aber dann kam neulich mein Neffe an und sacht, Onkel Erwin, ich will nen Ohrring haben.
Helga: Hihi.
Erwin: Nee, aber da kannst du mich mit jagen. Männer und Schmuck, das hasse ich wie die Pest.
Helga: Wie bei mir mit Fleischwurst, die kann ich nichtmal von Weitem sehen.
Erwin: Ich sach immer: Uhr und Schluss. Und das hat der Bursche dann auch eingesehen.
Peggy: Das ist aber wirklich ein Braver, was!

Erwin geht pinkeln. Peggy und Helga kniepen sich zu.

Helga: Mein Sohn hat n Piercing in der Augenbraue.
Peggy: Weiß ich doch. Den stellste dem Erwin besser erst mal nicht vor.

Erwin kehrt zurück, an seiner Krawatte nestelnd und sich räuspernd.

Helga: Und willst du denn jetzt mal unseren Aufgesetzten probieren? Oder bist du dann betrunken?
Erwin: Nie im Leben, her damit! Bist du eigentlich geschieden oder Witwe?
Helga: Witwe.
Erwin: Ich bin geschieden, ich sach immer: Man muss auch wieder von vorne anfangen können. Nur so Typen wie der Beckham oder so, mit 1000 Schmuck und Tätowierungen und so: Da könnt ich halt kotzen.
Helga: Ja. Genau wie ich, wenn ich Fleischwurst sehe.

Irgendwann macht auch Peggy dicht. Am nächsten Morgen sitzen Erwin und Helga im Hotel beim Frühstück. Die Fleischwurst auf dem Tisch hat sie schon mit ihrer Serviette abgedeckt, als der Kellner kommt.

Kellner: Trinken Sie Kaffee oder Tee?
Erwin: Kaffee bitte, und sagen Sie: Ich würde gern noch einen Tag verlängern.

Kuren werden kaum noch verschrieben


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Mittwoch, 26. Oktober 2011

Straßenkämpfer (19)

Jamie Müller

Draußen schneit es, dicke Flocken, die nicht lange auf dem Asphalt, wohl aber ein Weilchen auf Haaren und Jacken liegenbleiben. Aus den Boxen singen die Gebrüder Ween über den Herumtreiber im Dunkeln, der eigentlich nur auf der Suche nach einem Streichholz ist. Als der erste Gast durchs Fenster auf den Gehweg schielt, zapfe ich mir gerade ein Kölsch.
Kurz darauf sind es schon zwei, die spinksen. Der Winkel zum Objekt liegt so, dass ich hinter der Theke nichts sehen kann. Die beiden Typen grinsen, lachen, zeigen mit dem Finger, bis auch das Pärchen neben ihnen aufmerksam wird. Der Mann lacht ebenfalls. Weil die Frau ihr Gesicht schnell abwendet, ein bisschen entsetzt, ein bisschen angeekelt, gehe ich nach draußen.
Und da steht Jamie.
Jamie war einmal ein junger Schriftsteller. Hat ein paar kleine Nachwuchspreise gewonnen, einen Lyrikband und schließlich einen Roman veröffentlicht. Besonders erfolgreich war der nicht, aber Jamie sah aus wie Kris Kristofferson und war immer gut drauf. Außerdem hatte er sich inzwischen einen Namen gemacht, bekam das ein oder andere Stipendium, ein paar Tantiemen und fast jedes Mädel, das er wollte.
25 Jahre her, diese Zeit.
Und jetzt steht er da. Ein Bein verrenkt über dem Gepäckträger seines Fahrrads, das sich halb umgekippt um den Lampenmast gewunden hat, an dem es angeschlossen ist. Das andere Bein zittrig den großen, schweren Körper ausbalancierend und in den Armen eine Tüte, aus der irgendwas schon auf die Straße fällt. Groteskes Bild, dieser völlig besoffene, völlig paralysierte Mensch dort, der nicht ein noch aus weiß.
Jamies lange Haare sind dünn geworden. Ein dicker grüner Schal hüllt sein Gesicht ein, und seine Hände sehen aus, als wären sie nicht zum ersten Mal erfroren.
„Komm, ich nehm dir die Tüte ab“, sage ich.
„Du musst mir helfen“, sagt Jamie.
„Will ich ja, gib mir die Tüte.“
„Nein.“
Jamie klammert sich an die Tüte, als stecke sein Leben darin. Er muss jetzt schon mindestens fünf Minuten in dieser Position verharren, ein Wunder, dass er noch steht. Ich will sein Bein von dem Gepäckträger heben, aber da fängt Jamie an zu schreien, Nein, Nein! Drüben im Türkencafé feixen sie auch schon alle.
„Jamie, ich muss arbeiten. Wenn du willst, hol ich dir ein Taxi.“
„Mein Rad ist nicht abgeschlossen.“
„Doch, ist es. Das kannst du hierlassen.“
„Kannst du mich nach Hause tragen? Du musst mich nach Hause tragen.“
„Nein, das kann ich nicht.“
Jamie will den Kopf gegen den Mast lehnen und schlägt ihn sich dabei auf. Zwei Idioten klopfen von innen gegen die Scheibe und deuten auf ihre leeren Biergläser. Als Jamie sich zurückdrückt, rutscht auch sein Bein vom Rad. Er steht, droht rücklings umzufallen, stellt sich breitbeiniger auf.
„Liebe Kinder kommen in den Himmel“, sagt er.
Seine Tüte, das sehe ich nun, ist voller Bücher. Alle sind schwarz, das sind alles die gleichen Bücher. Das ist immer das selbe Buch. Und drauf steht: Jamie Müller.

Die Orientierung fällt manchmal schwer in diesen Tagen

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Mittwoch, 19. Oktober 2011

Geschichten aus 1111 Nächten (13)

Der Kölner Erzbischof im Himmel

Und es kam der Tag, da war die Erdenzeit des Kölner Erzbischofs vorbei. Er fuhr zum Himmel auf, wo Gott ihn schon erwartete.
„Hast es ja ganz schön lange ausgehalten da unten“, begrüßte er ihn. „Und dann auch noch in Köln.“
Der Erzbischof stieß sich ein wenig an der Flapsigkeit seines höchsten Herrn. Dann jedoch erspähte er etwas zwischen zwei Wolken und erstarrte vor Schreck.
„Aber, allergnädigster Hirte“, rief er aus, „ist das etwa der Erzbischof von Canterbury?“
„Warum nicht?“ erwiderte Gottvater. „Denn hier, in meinem Paradies, sind alle menschlichen Kreaturen, die sich, so wie du, auf Erden als gerecht und gütig erwiesen haben.“
„Ohne Rücksicht auf ihre Religion?“
„Ach je“ antwortete Gott, „Religionen sind doch nur irdische Kategorien. Und hier sind wir im Himmel. Was ist besser: Religion oder Opium? – Darüber diskutieren Buddha und ich beinahe alltäglich.“
„Buddha ist hier?“ fragte der Kölner Erzbischof aufs höchste verblüfft.
„Wie sollte er nicht hier sein! Er war einer der Besten, die je auf der Erde gelebt haben. Auch du solltest von Zeit zu Zeit seine Nähe suchen.“
„Und ... Luther?“ Des Erzbischofs Stimme zitterte nun. „Ist dieser Luther etwa auch unter uns?“
„Ich gebe zu“, sagte Gott, „dass ich ein Weilchen uneins war mit meinem Sohn und dem Heiligen Geist. Aber schließlich, nach einer kurzen Reinigung im Fegefeuer, haben wir ihn eingelassen.“
Der Kölner Erzbischof öffnete den obersten Knopf seiner Soutane und schnappte nach Luft.
„Also“, so hob er dann an, „muss ich davon ausgehen, dass auch Konfuzius hier herumgeistert?“
„Auch der“, bestätigte Gott, „aber spar dir das mit dem ´geistern´.“
„Und Zarathustra?“
„Natürlich.“
„Ramakrishna?“
„Selbstverständlich.“
Da senkte der Erzbischof den Kopf und formte das Wort, dem selbst seine Lippen wiederstreben wollten: „Und Mohammed? Ist Mohammed hier?“
„Aber natürlich ist Mohammed hier. Wo sollte er sonst sein?“
Und Gott drehte sich um und rief mit lauter Stimme: „Mohammed! Zwei Kaffee!“

Auch im Himmel fährt man Auto


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Mittwoch, 12. Oktober 2011

Schöne Schilder (3)

Karotten, Küssen, Köln


Verboten in Gerolstein


Verboten im Bayreuther Festspielhaus - ob mit oder ohne n


Verboten auf La Gomera


Verboten in Boos am Nürburgring


Verboten in Kuala Lumpur


Erlaubt in Köln



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Mittwoch, 5. Oktober 2011

Fundstücke (12)

Das Mittel ist probat

Kaiser

Die Eifel:
Zum Jagen: Hervorragend!
Für Manöver: Erstklassig!
Zum Wohnen: Unmöglich!


(Kaiser Wilhelm II. am 15. Oktober 1913)


Kirmes

Und Kirmes wurde gefeiert. Sie brachte einmal eine Abwechslung in den eintönigen Alltag. Verwandte und Freunde aus nah und fern stellten sich ein. Berge von Bunnes, Reis-, Grießmehl- und Streufladen wurden vertilgt. Die Schnapsflasche kreiste in der Runde und das Tanzbein wurde bei fröhlichem Umtrunk geschwungen. Wehe dem Eintretenden, der das dargereichte Glas zum Freundschaftstrunk verweigerte. Feinfühlend war der Dörfler trotz aller Bescheidenheit und treu blieb er dem alten Brauchtum.


(Lehrer Herber, Ahrweiler, Heimat-Jahrbuch Kreis Ahrweiler 1953)


Knochen

Da kommt vor drei Wochen ein netter, schmächtiger junger Mann hier in meine Amtsstube und fragt mich: ´Herr Justizrat, wer hat in der Ehe zu sagen?´
Ich antworte: ´Das kommt drauf an; in manchen Dingen der Mann, in den meisten die Frau.´
´Nein, ich meine nicht praktisch, sondern juristisch´, formulierte er ganz geschickt.
´Juristisch hat der Mann zu sagen´, erklärte ich ihm. (...)
´Und nun erklärt meine Frau, sie zieht nicht zu mir in das kleine Häuschen.´ (...)
´Schreiben Sie Ihrer Frau´, rate ich ihm, ´sie soll nicht riskieren, noch jemals Ihre Schwelle zu betreten; Sie würden ihr alle Knochen kaputtschlagen und sie hinauswerfen. Wenn Sie das schreiben, kommt sie sofort.´

(aus: Heinrich Krautwig: Ein Landnotar, Roman, Schleiden 1951, zitiert nach: Küche, Kinder, Kirche, Aus dem Leben der Frauen in der Eifel)

Eine echt harte Gegend: die Eifel


Kahl

Ein kahler Boden, Gebirge mit nackter Oberfläche, aus deren Eingeweiden man mühsam Eisen hervorzieht – eine schneidend kalte Luft, wie bei uns mitten im Winter; mit diesen Zügen lässt sich die unwirtschaftliche Landschaft malen, in die wir kamen, nachdem wir Jülich verließen. Die Städte tragen das Gepräge der Verarmung, worin sie die französische Herrschaft oder Unterjochung stürzte. Um in einer so jämmerlichen Gegend auch noch des mindesten Beistands beraubt zu sein, waren alle Dörfer verlassen. Die Bauern flohen bei unserer Annäherung entweder in feste Plätze oder nach den Wäldern, und schleppten von ihren Habseligkeiten, soviel sie konnten, mit sich fort. Kurz, es gebricht uns, den vorenehmsten Offizieren, wie den Gemeinen an Allem, und ich brauche nur zu sagen, dass die Schottländer behaupten, in ihrem Hochlande würde ein Heer besser gelebt haben.

(Mr. Hare, Hauskaplan des engl. Feldherrn Marlborough, in einem Brief von 1705 über die Eifel)


Kur

Die Mönche und geistlichen Herren des Ahrtals haben vorlängst die Regel entdeckt, dass man den Weißen Wein trinken soll als Kur wider den zu stark genossenen Roten: Das Mittel ist probat.

(Gottfried Kinkel 1849)


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Mittwoch, 28. September 2011

Thekentänzer (49)

Klosterfrau Melissengeist

4 Uhr nachmittags, die lange Theke ist fast voll besetzt, und eine der Frauen heißt Else.
„Ach, halt die Klappe, Else“, hat gerade einer der Rentner gesagt.
Im Eingangsbereich stehen schon drei Rollatoren und zwei Einkaufsrollis.
„Du befiehlst he janix“, gibt Else zurück. Dicke Schminke verdeckt die Reste jenes Schlaganfalls, von dem sie gerade erzählt.
„Ming Mutter, die is ja an Klosterfrau Melissengeist gestorben“, erzählt Else dem Saal.
„Ja, wie“, sagt ihre Nachbarin, „das ist doch gesund!“
„Ja, weißt du nit, wievill Umdrehungen dat Zeusch hätt?“
„Und dann?“
„Jeden Tag son Fläschchen Klosterfrau, und dann is die de Trepp eraff jefalle un hätt sich d´r Hals jebroche.“
Elses Nachbarin spendet Trost: „Das ist aber traurig“, sagt sie.
„Ach, hör doch op, dat is doch allt 30 Johr her.“
Der Mann, der sie zum Schweigen hatte bringen wollen, heißt Heinz. Auf seinem rechten Unterarm schwärt eine dicke, eitrige Beule.
„Gib mir mal den Express, André“, sagt er zum Kellner. Aber den Express lese ich gerade.
Heinz ist offenkundig stinksauer, sagt jedoch nichts. Aus den Boxen plärren Roy Black und diese kleine blonde Rotznase namens Anita: „Schön ist es, auf der Welt zu sein.“ Und Anita singt: „ßein“.
André, der Kellner, ist schwul wie Winnetou. Jedes Bier kredenzt er mit einem warmen „Prösterchen“. Die alten Frauen schmelzen unter seinen Begrüßungsküsschen dahin. Nach dem vierten Kölsch fühle ich mich so betrunken, dass ich den Sportteil nochmal von vorn anfange. Heinz kann mich mal.
„Und bei dir? Alles gut?“ fragt Else.
„Nein“, sagt ihre Thekenfreundin, „aber egal.“ Und dann fügt sie an, mit einem leeren Blick auf ihr Bierglas: „Eigentlich trinke ich ja nichts. Tagsüber.“
Der Koch hat eine bayrische Woche ausgeschrieben. Auf der Tafel am Eingang steht irgendetwas mit Knödel, Halsgrat, Geselchtem. Im ersten Moment nehme ich mir vor, Halsgrat zu googeln. Im zweiten wird mir ein bisschen übel.
„Kennst du den mit dem Supermacho?“ fragt Heinz nun laut in die Runde. Der Korn scheint ihm immer mehr Eiter aus seiner Beule zu pumpen, er suppt bereits den Tresen voll.
„Verzäll!“ sagt Else.
„Also der Macho lässt sich ja einen blasen und fragt dann ´Wie war ich?´ Und der Supermacho kriegt beim Blasen keinen hoch und fragt ´Baby, passiert dir das öfter?´“
Else schenkt ihm einen müde verzerrten Mund. Ihre Freundin kichert, die blauen Dauerwellen tanzen im Kippenqualm. Bevor ich Heinz die Zeitung rüberreiche, lege ich sie ordentlich zusammen. Am liebsten würde ich jetzt rüber zur Else gehen und mit ihr einen Melissengeist trinken. Aber die ist so lang, die Theke, inzwischen kommt sie mir noch länger vor. Also schnappe ich mir meinen Rollator und mache mich vom Acker.



In Würde altern




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Mittwoch, 21. September 2011

Momentaufnahmen (19)

Beziehungs- und andere Probleme

Cäcilienstraße, rote Ampel, 13 Uhr mittags

Junge Frau mit zu enger Hose, links Kippe, rechts Handy: Ja, was denkst du dir denn? Ich bin 24. 24einhalb, genauer gesagt.
(Pause)
Frau: 24einhalb, und ich will schließlich auch mal irgendwann an die Familienplanung denken.
(kurze Pause)
Frau, nun lauter: Familienplanung! Verstehst du?!
(Pause)
Frau, sehr laut: Nee, überhaupt nicht! Familienplanung! Dafür muss man dann auch fest im Berufsleben stehen, für so was. Und auch der Mann!!!
(kurze Pause)
Frau, außer sich: Was willst du? Dich erstmal orientieren? Ich sag dir mal was, Kevin: Ich muss mich jetzt glaub ich auch mal neu orientieren.
Die Frau beendet das Gespräch, überquert die Straße, wirft die Kippe weg. Und dann steht sie da und sieht sich um.


Brauhaus in der Altstadt, ein Pärchen mit Köbes

Frau, die seit 15 Minuten die Karte studiert und den Köbes schon drei Mal vertröstet hat: Ist die Sülze richtig lecker?
Köbes: Wie, richtig?
Frau: Ja, so richtig, dass man die unbedingt haben will.
Köbes: Und wenn ich jetzt ja sage?
Frau: Dann nehme ich die.
Köbes: Und wenn die Ihnen dann nicht schmeckt?
Frau: Na gut, ich kuck noch mal.


Südstadion, zwei Jugend-Fußballer

1. Jugend-Fußballer: Und wo bist du auf der Schule?
2. Jugend-Fußballer: Hildegard von Bingen.
1. Jugend-Fußballer: Oweia.
2. Jugend-Fußballer: Ja, ey, das war ne Nonne. Nich so richtig cool. Und du?
1. Jugend-Fußballer: Theo-Burauen-Schule.
2. Jugend-Fußballer: Kenn ich nich.
1. Jugend-Fußballer: Theo Burauen! Der war Kölner Oberbürgermeister!
2. Jugend-Fußballer: Na und?
1. Jugend-Fußballer: Ja, besser wie ne blöde Nonne.
2. Jugend-Fußballer: Überhaupt nich, nee. Der Burauen war Politiker, der war bestimmt ein Arsch. Und die Hildegard von Bingen: Nonne, klar, aber die war wenigstens ein guter Mensch.


Kneipe, Eigelstein, 10 Uhr abends

Gast: Hast du Ficken, Ficken, Ficken?
Kellner: Ficken, Ficken, Ficken?
Gast: Ja, Ficken, Ficken, Ficken. Das Lied.
Kellner: Und das heißt Ficken, Ficken, Ficken?
Gast: Genau. Oder wenigstens was anderes von dem Typ, der Ficken, Ficken, Ficken gesungen hat.
Kellner: Wie heißt der denn?
Gast: Weiß nich.
Kellner: Na dann.
Gast: Ich glaub von Dannen oder so.
Kellner: Ah, Fanny van Dannen.
Gast: Ja, der ist das. Von dem ist Ficken, Ficken, Ficken.
Kellner: Aber Ficken, Ficken, Ficken hab ich nicht von dem. Nur „Als Willy Brandt Bundeskanzler war“.
Gast: Das ist auch ein schöner Song. Nicht so gut wie Ficken, Ficken, Ficken. Aber auch schön.
Kellner: Okay, dann mach ich das mal an.
Gast: Astrein, Alter, dann mach mir doch direkt nochn Kölsch.


Kneipe, Eigelstein, gegen Mitternacht


Typ um die 50 mit loser Krawatte: Die Inge geht mir fremd, ich weiß es genau.
Geschniegelter Kumpel: Hast du Beweise?
Typ um die 50 mit loser Krawatte: Ja, ich habe ne fremde Wimper gefunden.
Geschniegelter Kumpel: Wo?
Typ um die 50 mit loser Krawatte: In ihrem Bauchnabel.
Geschniegelter Kumpel: (lacht)

Höchste Zeit, sich neu zu orientieren


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Mittwoch, 14. September 2011

Geschichten aus 1111 Nächten (12)

Der Tote und das Mädchen

In Köln streikten die Bierkutscher, und so machte sich Anton auf den so beschwerlichen wie gefährlichen Weg nach Porz, um dort ein Kölsch zu trinken. Kaum jedoch hatte ihn der Fährmann auf der anderen Seite des Flusses abgesetzt, zog dichter Nebel auf. Bald sah Anton nicht mehr die Hand vor Augen. Er fürchtete sich.
Als er endlich ein Licht erspähte, hielt er darauf zu. So gelangte er in das Haus einer jungen Diebesbande, ein bunt gemischter, schälsickiger Haufen von Mädchen und Jungen.
„Erzähl uns eine Geschichte“, forderten sie den Anton auf.
„Nichts liegt mir ferner“, rief er, „bei Gott, ich kann keine Geschichten erzählen.“
„Dann mach dich nützlich und schaufel die Latrine aus.“
Anton ging zum Klohäuschen am Rheinufer, aber gerade hatte er den Stiel gepackt, da kam eine Welle und spülte ihn hinfort. Unters Wasser wurde er gezogen, die wilden Strudel raubten ihm die Sinne.
Anton fand sich an einem Feuer wieder. Auf dem Bett lag ein Toter, neben ihm saß ein außerordentlich hübsches Weib.
„Wir brauchen einen Geiger, damit er uns ein Lied vom Ostermann spiele“, sagte einer der Trauergäste.
„Unsinn“, antwortete das Mädchen. „Denn neben mir sitzt der beste Geiger des Rheinlandes: Anton!“
„Nie und nimmer“, rief Anton, „ich kann noch nicht einmal das Wort schreiben.“
Aber im nächsten Moment hielt er eine Geige in der Hand und fidelte wie der Teufel.
„Jetzt wird es langsam Zeit für den Priester“, meinte irgendwann der selbe Mann.
„Unsinn“, entgegnete wiederum die hübsche Maid, „denn hier neben mir sitzt er doch, der trefflichste Priester im ganzen Lande: Anton.“
„Himmel hilf, nein“, rief Anton, „ich kann doch kaum das Vater Unser auswendig.“
Aber dann trug er plötzlich ein Messgewand und hielt eine dermaßen anrührende Trauerrede, dass alle Anwesenden in ein langanhaltendes Schluchzen verfielen.
Als man sich wieder gefangen hatte, wurde der Tote in seinen Sarg gelegt. Drei der Träger waren einer Größe, der vierte jedoch gut zwei Köpfe länger.
„Oh je!“ greinte da der Mann von vorhin. „Wir brauchen einen Arzt, der diesem Riesen ein Stück von den Beinen absägt.“
„Ach iwo“, sagte das Mädchen und fasste ihren Nachbarn sanft am Arm. „Hier unter uns sitzt er doch, der weltbeste Arzt: unser Anton.“
Und wiederum rief der Anton entsetzt: „Herrje, ich kann doch nicht einmal einen Schnupfen kurieren.“
Aber kaum hatte er ausgesprochen, da hielt er schon eine Säge in der Hand. Er schnitt dem zu groß gewachsenen Manne ein Stück seiner Beine heraus und setzte den Rest wieder ordnungsgemäß zusammen. Die vier Sargträger schritten nun perfekt auf einer Höhe.
Am Leinpfad entlang ging es zum Friedhof, mit dem Anton hintendrein. Plötzlich jedoch rauschte eine Welle heran, erfasste ihn und zog ihn schlingernd in den Fluss. Sofort verlor er das Bewusstsein, und viele Turbulenzen später stand er wieder an seiner Schaufel, um die Latrine auszuschachten. Als er seine Arbeit beendet hatte, schritt er zurück zum Haus und setzte sich auf seinen Platz zwischen die jungen Strauchdiebe. Der Anführer, ein frecher Kerl mit feuerroten Haaren, reichte ihm einen frisch gezapften Humpen Bier.
„Nun“, sagte er dann, „weißt du noch immer keine Geschichte zu erzählen, Anton?“

Der Rhein, ein Fluss mit Untiefen

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Mittwoch, 7. September 2011

Fundstücke (11)

Woman of the house, I´ll kiss your daughter


Ein kluger Kapitän

Augustus´ Tochter Julia hatte zahllose Affairen. Trotzem sahen alle ihre Kinder ihrem Ehemann Marcus Agrippa ähnlich. Ihr Rezept: „Ein kluger Kapitän lässt die Passagiere erst an Bord, wenn die Ladung verstaut ist.“


(aus: Philip Matyszak: Antikes Sammelsurium)


Reine Minne I

Züchtig ist der deutsche Mann,
deutsche Fraun sind engelschön und rein;
töricht, wer sie schelten kann,
anders wahrlich mag es nimmer sein;
Zucht und reine Minne
wer die sucht und liebt,
komm in unser Land, wo es noch beide gibt;
lebt ich lange nur darinne!

(Walter von der Vogelweide: Deutsche Zucht, übersetzt von Karl Simrock)



Walters Grabdenkmal in Würzburg


Reine Minne II

Woman of the house, I´ll kiss your daughter,
Every time she goes for water.
Woman of the house, I´ll kiss your daughter,
Every time she goes for water.

(irisch Trad.)


Schamlose Bauern

Auf den Dörfern ist auch eine sehr schändliche Gewohnheit eingerissen, dass die Bauern auf und an hohen Festen ihre Sauferei bald am Vorabend des Festes anfangen und die Nacht über treiben und morgens die Predigt entweder gar verschlafen oder betrunken in die Kirche kommen und drinnen wie die Säue schlafen und schnarchen.

(der Sächsische Kurfürst August im Jahr 1557, aus: Kneipen, Kotelett, Karneval, Werkstatt für Ortsgeschichte Köln-Brück)

Fauler Bauer


Überhebliche Jugendliche

Direkter Ausdruck davon, dass sich dein Stirnlappen noch im Aufbau befindet, ist dieses Gefühl, dass du ein Recht darauf hättest, alles um dich herum verächtlich zu finden. Aber damit bist du nichts weiter als ein biologisches Klischee. Dein Gehirn braucht noch ein paar Jahre, und bis dahin bist du bloß eine Maschine, die vorschnelle Urteile produziert, und alles, was du fühlst und tust, ist das Ergebnis lückenhafter kortikaler Verbindungen und hormongesteuerter Macken. Also komm bloß nicht auf die Idee, dich aufzuspielen, als wärst du der Größte, denn für mich ist das, was du irrigerweise für deine Persönlichkeit hältst, bloß ein lästiges Hindernis zwischen mir und dem, was ich wissen will.


(aus: Douglas Coupland: Generation A)


Pubertierender Jugendlicher

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Mittwoch, 31. August 2011

Geschichten aus 1111 Nächten (10)

Das erste Kölsch

Anton war 12 Jahre alt geworden, als der Hl. Willy entschied: „Es ist an der Zeit, dass du dein erstes Kölsch trinkst. Lass uns zum Sünner gehen.“
Anton fürchtete sich ein wenig vor dem Gerstensafte, denn, einmal daran gerochen, schien er ihm doch gar zu eigenartig. Andererseits wollte er den Buben seines Alters in nichts nachstehen, und seinem Lehrer widerspricht man ohnehin nicht. Also willigte er ein und beschloss insgeheim, sich nichts anmerken zu lassen.
„Nun sag schon“, drängte der Hl. Willy, „wie findest du das Kölsch? Schmeckt es dir gut, wie sich das für einen Kölner gehört?“
Den kleinen Anton schüttelte es heftig, aber er antwortete tapfer: „Ja, Hl. Willy, ich finde es außerordentlich lecker.“
Der Hl. Willy lächelte listig und wohl auch ein wenig boshaft, um dann weiter auf den Jungen einzudringen: „Dann sage mir doch, mein Sohn: Wo befindet sich der Geschmack? Im Bier oder auf deiner Zunge?“
Anton dachte lange nach. Beinahe ohne es zu bemerken, nahm er gar noch einen Schluck des garstigen Getränks, um seine Sinne zu befeuern. Endlich erwiderte er: „Der Geschmack entspringt wohl einer gegenseitigen Abhängigkeit zwischen dem Bier und meiner Zunge, denn letztere, ohne ersteres, könnte doch wohl kaum ...“
Der Hl. Willy verdrehte die Augen, baute sich vor dem Kleinen auf und unterbrach ihn brüsk: „Du Viollidiot! Wonach suchst du? Das Kölsch ist gut. Und das genügt.“

Brauhaus Sünner, um 1900, Deutzer Freiheit


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Mittwoch, 24. August 2011

Straßenkämpfer (18)

Ernie der Otter

Sein Holz reichte noch für vier Jahre. Eigentlich hatte Ernie sich genau danach richten wollen, nach dem Holz. Aber dann packte er doch seine paar Sachen und verließ die kleine, schäbige Hütte.
In der Stadt erkannten sie ihn nicht wieder. Sein langer, grauer Bart und auch, dass er Selbstgespräche führte, machte die Leute misstrauisch. Erst als sie ihn Whiskey trinken sahen, schienen sie ihn als Menschen in ihrer Menschenrunde aufzunehmen.
„Nun kuck dir den alten Runzelspecht an“, sagte ein junger Kerl vom Ende der Theke, „trinkt Whiskey wie ein Otter.“
Und damit war Ernie ja doch wieder irgendwie nur ein Tier.
Und da stand er also: Ernie Otter im Saloon seiner Wahl bestellte sich einen Whiskey.
„Geht klar, Ernie“, sagte der Wirt.
Er trug eindreckiges altes Handtuch über der Schulter, und als er sich nach dem Schnaps umdrehte, fiel Ernie die schwarze, krustige Delle in seinem Nacken auf.
„Was hast du denn da für ein widerliches Loch im Nacken?“ fragte Ernie.
„Ne alte Schusswunde“, sagte der Wirt, „geht dich garnix an, Ernie.“
„Na, aber für ne gute Geschichte aus alten Zeiten bin ich immer zu haben“, hakte Ernie nach.
„Trink deinen Schnaps und halt´s Maul“, sagte der Wirt.
Aber dann, viel später, stellte sich ein steinalter Cowboy neben Ernie, und der erzählte ihm die Geschichte von der Schusswunde. Ernie amüsierte sich hervorragend beim Zuhören, aber er war zu dem Zeitpunkt schon dermaßen besoffen, dass er am nächsten Morgen alles komplett vergessen hatte.

Später hat Ernie es dann doch noch zu was gebracht



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Mittwoch, 17. August 2011

Thekentänzer (48)

Mit Patrick Duffy aufm Frauenklo

Es gibt kein
schlechtes Wetter, es gibt nur
schlechten Alkohol. Verstehst du, ich

bin nicht über dir, aber ich bin
dir über. Das ist,
das ist Dialektik. Mindestens.

Und hast du etwa wirklich heimlich
aufm Frauenklo
Bier gesoffen? Du

hast doch noch Bewährung, du
klaust Klopapier, Benzin-
Feuerzeuge und alles.

Und sagt der, er war Fußballtrainer,
2. Liga Brasilien, und sagt beim nächsten Mal
Eishockeytrainer, Kanada. Auch 2. Liga.

So Typen, weißte, Patrick Duffy
erinnert mich immer an die Daltons. Wie der
so guckt und wie der so scheitert.

Und klar, ich hab meine Fehler, aber
ich bin klug, ich bin
nicht artig, ich bin

abartig.

Irgendwann wird alles gut


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Mittwoch, 10. August 2011

Geschichten aus 1111 Nächten (11)

Hüpfende Fische

Anton und Jean waren auf dem Weg zu einer Feier im Rechtsrheinischen. Weil Anton zu knapp bei Kasse und Jean zu geizig war, beschlossen sie, zu Fuß zu gehen. Eben überqueren sie die Deutzer Brücke, als sich folgender Dialog entspinnt:
Anton: „Ich habe fürchterlichen Durst.“
Jean: „Oh Gott, ich auch, vielleicht sollten wir zur Ablenkung ein bisschen philosophieren.“
„Nein, auf keinen Fall!“
„Schau doch mal, da unten, der Rhein. Und wie die Fische vor Freude in die Luft springen.“
„Du bist doch gar kein Fisch. Du bist doch bloß der Jean. Wie also kannst du wissen, was Fischen Freude bereitet?“
„Lieber Anton, du hast zwar eine dicke rote Nase, aber das Hirn eines Herings“, erwiderte Jean. „Und du bist ganz sicher nicht ich. Wie kannst du also wissen, dass ich nicht weiß, was Fischen Spaß macht?“
„Und du bist ein schmieriger Aal. Schon immer gewesen. Es stimmt, ich bin nicht du, und da bin ich auch froh drum. Ich weiß nicht, was du weißt und was nicht. Aber eines weiß ich ganz gewiss, nämlich, dass du kein Fisch bist. Und also weißt du auch nicht, ob die Fische vor Freude hüpfen oder vielleicht weil sie Durst haben.“
„Wir wollten doch nicht über den Durst reden. Aber lass mich noch einmal auf deine Eingangsfrage zurückkommen. Du hast mich gefragt: ´Wie kannst du wissen, was Fischen Freude bereitet?´ - Und so, wie diese Frage formuliert ist, räumst du bereits ein, dass ich die Antwort weiß.“
Anton gestand sich ungern ein, dass Jean recht hatte. Vor allem, weil sein schielender Freund schon immer ein furchtbarer Besserwisser gewesen war. Aber dieses Mal musste er nachgeben.
„Na gut, das gebe ich zu. Aber wie konntest du es wissen?“
„Ganz einfach, mein Lieber, ganz einfach: Indem ich die Deutzer Brücke überquerte.“

Die Deutzer Brücke, 2. v.u.


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Mittwoch, 3. August 2011

Momentaufnahmen (18)

Zigeunereinschlag, Berufsboxer, Analphabet

Zwei Mädels um die 16 in der Straßenbahn

Mädel 1: „Die Spanier spinnen sowieso. Die übersetzen einfach alle Namen.“
Mädel 2: „Ja wie jetzt?“
Mädel 1 „Die übersetzen alle Namen auf Spanisch, dass man die gar nicht mehr wiedererkennt.“
Mädel 2: „So´n Quatsch, weil ich heiße doch, wie ich heiße.“
Mädel 1: „Ja aber Charles heißt bei denen Carlos.“
Mädel 2: „Carlos?“
Mädel 1: „Ja, Carlos. Also der Prinz Charles heißt bei denen Prinz Carlos.“
Mädel 2: „Die spinnen ja echt, ey. Wie können die denn sowas machen?“


Deutscher Student mit us-amerikanischem Freund im Tunnel am Rudolfplatz

Deutscher Student: „Du kannst bei mir mitfahren.“
Amerikanischer Student: „Echt?“
Deutscher Student: „Ja, das ist so ein Angebot von der KVB, das sind die Kölner Verkehrsbetriebe.“
Amerikanischer Student: „Ist ja toll, sowas gibt´s bei uns nicht.“
Deutscher Student: „Ja, finde ich auch.“
Pause. Beide Jungs sehen eine Weile aus dem Fenster.
Amerikanischer Student: „Aber dafür habt ihr in Deutschland keinen Strand.“
Deutscher Student: „Doch, im Norden.“
Amerikanischer Student: „Okay, aber wir haben überall Strand.“
Deutscher Student: „Okay.“



Deutscher Strand mit Bockwurst, Bansin/Usedom


Osteuropäische Kellnerin, beliebte Innenstadtkneipe

„Heutige Prominente, wenn die hier reinkommen, dann sieht man nur die Löcher von der Nase von denen. Aber der Hans Süper , das ist ein ganz normaler Mensch geblieben.“


Aus dem „Spiegel“ vom 18.6.1952

„Peter Müller, in der Eifel als Sohn einer asozialen Familie geboren (Zigeunereinschlag), war gelernter Melker und kam 1947 durch das Boxen nach Köln. Als er die ersten Berufsboxer-Kontrakte unterzeichnen sollte, konnte er noch nicht seinen Namen schreiben. Er war Analphabet.“


Fußballheim, Kölner Süden

Person 1: „... der ist doch bestimmt Jude, oder sach mal...“
Person 2: „... ja, das ist ein echter Vaterlandsverräter ...“
Person 1: „... wie der das Auto parkt, direkt vorm Tor, der kann nur Jude sein...“


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Mittwoch, 27. Juli 2011

Schöne Schilder (2)

2 in 1 in Deutschland



2 in 1 in der Völklinger Hütte


2 in 1 auf Helgoland


2 in 1 in München, Allianz Arena


2 in 1 in Ziegelrode


2 in 1 in Mainz


2 in 1 in Wittenberg (o. lks.: „Thomas Müntzer, Theologe und Bauernführer)


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Mittwoch, 20. Juli 2011

Thekentänzer (47)

Trunksucht, Pfützen, Veitstanz

Es ist ätzend, mit solchen Spacken allein zu sein. Draußen regnet es wild gegens Fenster, drinnen dämmriges Zwielicht. Als erstes irritieren seine eng zusammenliegenden Augen. Knopfaugen. Seine Haare sind nass, tropfen die Theke voll. Er tut so, als wolle er eigentlich immer direkt zahlen, ist aber insgeheim stolz darauf, einen Deckel zu bekommen.
„Mach auf Ringo, und sag mal: Was ist denn das in den Fässern da?“
Vorm Fenster hackt eine Frau vorbei – Trunksucht, Pfützen oder Veitstanz.
„Brauner Tequila und ein Single Malt.“
„Dann nehme ich von jedem eins.“
Zum Glück ist der Whiskey längst alle. Die CD hat eine Macke und jagt durch bis zum Ende, an der Decke erstirbt eine Birne. Aber irgendwer hat die Klos geputzt.
„Entschuldigung, dass ich vielleicht ein bisschen dumm frage. Aber wofür steht hier die Kneipe?“
„Naja, laut, düster, verqualmt und so.“
„Ist keine Schwulenkneipe, oder?“
Er spricht mit süddeutschem Akzent. Über Köln weiß er immerhin so viel, dass man hier Bier aus „Reagenzgläsern“ trinkt. Findet er witzig, dieses Wort, und bestellt darum demonstrativ immer Kölsch im Halbliter-Weizenglas. Scheiß drauf, du Arsch.
„Und sag mal. Tschuldigung, noch ne dumme Frage, sag mir einfach, wenn du nicht mehr antworten willst. Hier in der Ecke soll´s doch viele kleine Puffs geben.“
„Keine Ahnung, ich geh immer nur hier hin.“
„Außer dem Pascha jetzt, das ist ja der große.“
„Keine Ahnung, ich glaub, du musst mal langsam nach Hause.“
Tatsächlich ist er inzwischen zwei Mal eingeschlafen. Ein paar weitere Gäste stehen um ihn herum. Wenn er aufwacht - immer jäh - sieht er sie unwirsch an.
„Ich geh nach Hause, wenn das mir passt, verstehst du.“
„Aber hier raus gehst du, wann es mir passt. Nach dem Bier nämlich.“
Der, der sich Ringo nennt, hebt sich nun vom Barhocker, drückt sich mit den Ellbogen über die Theke und stiert dämlich über den Zapfhahn. Erstarrt in dieser Haltung und bringt kein Wort heraus. Neben ihm, wie bestellt, taucht plötzlich ein kleiner Kerl mit schwarzem Schnurrbart auf.
„Haben Sie Döner?“
„Nur flüssig.“
„Gulasch?“
„Nee.“
„Wurst?“
„Bifi.“
„Nee.“
„Tut mir leid.“
„Schon gut, ich nehme ein Kölsch.“
Ringo sackt in sich zusammen. Trinkt sein Glas leer und geht. Der mit dem Schnurrbart feixt.
„Hey, super, komm ich hier rein und ist direkt ein Hocker frei.“
Netter Depp.


Irgendwer hat die Klos geputzt.


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Mittwoch, 13. Juli 2011

Schöne Schilder (1)

Alles Verboten!


Verboten in Köln-Heimersdorf



Verboten in der Eifel



Verboten in Bremen (jedenfalls zwischen 20 und 8 Uhr)



Verboten auf Usedom



Verboten in Sachsen-Anhalt



Verboten am Kyffhäuser-Denkmal



Mittwoch, 6. Juli 2011

Geschichten aus 1111 Nächten (9)

Der Eremit, die Tochter, der Milan und die Maus

Nach ausschweifenden Jahren im Friesenviertel hatte sich Jean in die Eifel zurückgezogen, in das trostloseste und verlassendste Nest von allen. Dort wohnte er, fernab des Dorfes, auf einem heruntergekommenen Bauernhof. Seine einzige Beschäftigung jenseits des Lebensnotwendigen bestand in der Lektüre alter Westernheftchen.
Eines Sommertages saß er im hüfthohen Gras, als ein Milan über ihn hinwegflog und ihm eine Maus in die geöffneten Handschalen fallen ließ.
„Sieh an“, sagte sich der Jean, „da muss mir der Himmel Gesellschaft in Form eines Töchterchens geschickt haben.“
Also sprach er einen jener derben Sprüche, die ihn der Heilige Willy gelehrt hatte, und schon hielt er ein blühendes junges Mädchen im Arm. Er taufte es auf den Namen Bärbel.
Schon am nächsten Tag begann Bärbel, ihrem Vater zu dienen. Sie verjagte die aufdringlichen Eifelfliegen, zog ihrem Vater die Zecken und wusch ihm die Füße. Des Nachmittags spazierte sie ins Dorf und holte ihm einen Kasten Bier für den Abend. Jean war überglücklich.
Nach etwa zwei Jahren jedoch trat ein trauriger Zug auf des Mädchens Antlitz. Jean, der sich noch nicht ganz blind getrunken hatte, begriff, dass es Zeit war, seiner Bärbel einen Ehemann zu suchen. Kaum hatte er ihr dies kundgetan, begann sie selig zu lächeln.
„Bärbel“, setzte Jean also an, „soll ich dich mit der Sonne verheiraten?“
„Ach nein“, sagte Bärbel, „die ist mir zu heiß, und außerdem verschwindet sie jede Nacht. Ich möchte einen Mann, der stärker ist als die Sonne.“
„So nimm die Wolke“, schlug Jean vor. „Denn die Wolke stellt selbst die Sonne in den Schatten.“
„Ganz bestimmt nicht“, entgegnete Bärbel entsetzt. „Die Wolke ist grau, kalt und feucht. Und wenn der Blitz sie zerreißt, dann grollt sie und macht mir Angst. Nein, ich möchte einen Mann, der stärker ist als die Wolke.“
„Dann fällt mir nur noch der Wind ein, liebstes Kind. Denn der treibt die Wolken auseinander und in die Ferne.“
„Auch der Wind ist mir nicht geheuer, mon Papa. Ist er doch ein unbeständiger Wüterich. Sei mir nicht bös, aber ich möchte einen Mann, der stärker ist als der Wind.“
Jean war verzweifelt, öffnete sein letztes Stubbi und nuckelte trostlos daran herum. Da kam ihm ein finaler, womöglich rettender Gedanke.
„Der Berg!“ rief er triumphierend. „Der Berg wird dein Mann, er ist stärker als der Wind, schließlich hält er ihn auf. Du wirst den Berg heiraten, Bärbel.“
Aber erneut erntete er eine Geste des Abscheus.
„Der Berg ist schwerfällig, er ist trübsinnig und scheint mir ein furchtbarer Langeweiler. Ich möchte einen Mann, mit dem ich reden und lachen kann. Einen Mann, lieber Papa, der stärker ist als der Berg.“
Jean hatte nun keine Antwort mehr für sein Kind. Er torkelte von dannen, gen Dorf, und betrat zum ersten mal in seinem Leben die dortige Schänke. Außer der Wirtin traf er nur eine einzige weitere Gestalt an, einen völlig abgerissenen Kerl von etwa 80 Jahren, dem dicke schwarze Haare aus den Ohren wuchsen.
Jean, der sich inzwischen für nichts mehr zu schade war, fütterte den Alten mit Mirabellen-Schnaps.
„Was ist stärker als der Berg?“ fragte er ihn mit jeder Runde.
Und nachdem er viele Male lediglich einen dämlichen Gesichtsausdruck geerntet hatte, erhielt er schließlich doch noch die richtige Antwort.
„Die Maus“, schredderte der Alte in einem hellen Moment zwischen seinen Zahnstümpfen hervor. „Die Maus ist stärker, denn sie kann Gänge in den Berg graben, ohne dass dieser sie daran zu hindern in der Lage wäre.“
Jean jubilierte innerlich, bis ihm der Obstler sauerscharf aufstieß. Zufrieden kehrte er nach Hause zurück und trat ins Zimmer seines schlafenden Töchterchens. Dort nuschelte er einen weiteren Spruch des Heiligen Willy und verwandelte Bärbel in die kleine graue Maus, als die sie einst in sein Leben getreten war.
Das Mäuschen, wie es halt seine Art war, lief durchs Gras, schnupperte hier und dort und fand schon am folgenden Tag ein agiles Männchen. Und weil sie ihr gemeinsames Mauseleben ganz in der Nähe des Jean lebten, konnte dieser mitverfolgen, wie sie zahllose Junge bekamen, die von den Milanen gejagt wurden.


Westernheftchen für die innere Einkehr

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Mittwoch, 29. Juni 2011

Straßenkämpfer (17)

Her mit dem schönen Leben!

„Es geht doch nicht um mich“, schreit der Mann. „Es geht um dich, es geht um dein verdammtes Leeeeben!“
Noch viele Male schreit er diesen Satz und tritt dabei auf die parkenden Autos der Sternengasse ein. Es scheppert, alle Fenster springen auf.
Auch die Frau blutet, das Blut rinnt ihr von der Hand zum Ellbogen. Mit hochgestelltem Unterarm kniet sie auf der Straße und sammelt das Geld ein, das ihr Freund dort hingeschmissen hatte.
„Du dreckiger Bastard, du kannst mich mal.“
„Jetz is aber gut“, ruft ein Anwohner vom Balkon. Das Handy hat er schon am Ohr, die Polizei wird bald da sein.
„Du hältst dich da raus, du fetter Arsch.“
Ihr Freund ist in die nächste Gasse abgebogen und wütet dort weiter.
„Nu lauf dem doch nicht auch noch hinterher, Mädchen“, sagt eine ältere Frau am Fenster.
Aber sie läuft ihm hinterher.
Acht Stunden später am Breslauer Platz: Die Frau steht an einem Tisch der Würstchenbude, neben ihr ein anderer Mann. Sie benehmen sich ruhig, unauffällig und diskutieren darüber, wer die nächste Flasche Bier kauft. Der Unterarm der Frau ist jetzt verbunden, der Verband ist schmutzig. Unter ihren Fingernägeln klebt getrocknetes Blut. Als sie zum letzten Schluck ansetzt, fließt ein Schwall Bier aus ihrem Mundwinkel.
„Ich liebe den nicht mehr“, sagt sie und wischt sich über den Mund. „Ich liebe den nicht mehr, den Wichser.“
Dann geht sie los, in den Bahnhof hinein. Auf ihrem rechten Unterschenkel trägt sie eine Tätowierung: einen Mann, der sich den Kopf wegschießt. Das Blut spritzt zu allen Seiten,
schräg weg, nach vorne zum Schienbein.



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Mittwoch, 22. Juni 2011

Geschichten aus 1111 Nächten (8)

Der Fremde vom Rheinauhafen

Als der Rheinauhafen noch von echten Schiffern angefahren wurde, lief dort eines Tages ein Boot mit einem ganz und gar ungewöhnlichen Kapitän ein. Kaum angelangt, steuerte er auch schon die erstbeste Hafenspelunke an. Und darinnen saßen, wie nicht anders zu erwarten, der rotnasige Anton und sein schielender Freund Jean.
Gerade hatte sich der fremde Kapitän sein erstes Seemanns-Gedeck bestellt, da sprach Anton ihn auch schon an:
„Wie wär´s denn mit einer Runde Skat, mein Bester?“
Der Kapitän ließ sich nicht lumpen, orderte ein zweites Gedeck und setzte sich zu den beiden. Ein großer, ruhiger Mensch war das, und den ganzen Weg von Holland hatte er gemacht, um in Köln ein paar Waren umzuschlagen. Mit einer Runde war es längst nicht getan, und bald saßen sie im Dämmerlicht, die Spieler. Jean rief den Wirt zu sich und ließ eine Kerze anzünden. Weil die Drei aber die Karten nach den zahlreichen Kölsch & Rum allzu hart droschen, fiel die Kerze andauernd um und verlosch. Jean verlangte nach einem Ständer, aber der weitgereiste Kapitän meinte, er habe eine bessere Idee. Indem griff er nach seinem Seesack und beförderte eine schwarze Katze ans Licht.
„Hier“, sagte er, „habt Ihr den besten Kerzenständer, den Ihr finden könnt. Einen besseren gibt es in ganz Köln nicht.“
Er setzte die Katze auf den Tisch, steckte ihr die entzündete Kerze zwischen die Vorderpfoten und mischte die Karten.
Schon bald war der ganze Hafen zusammengelaufen, um das Schauspiel zu bewundern. „Ohs“ und „Ahs“ schallten durch die öde Spelunke, die niemals solch einen Auflauf erlebt hatte. Von den Leuten befragt, erklärte der Kapitän:
„Die Katze trainierte ich einst auf dem Weg zum Indischen Ozean. Furchtbar rauh ist die See dort, und wer des Abends ein Spielchen machen will, dem hilft kein herkömmlicher Kerzenständer.“
Anton, der aufmerksam zugehört hatte, zog die Stirn kraus. Seine anfängliche Verblüffung war einem unbewussten Missgefühl gewichen. Dieser Kapitän, so sprach etwas in seinem rumverschwappten Hirn, ist ein gestrichener Angeber!
„So gut ist deine Katze nun auch wieder nicht. Die Natur ist schließlich noch immer stärker als jede Dressur.“
„Ich will verdammt sein“, erwiderte der Kapitän mehr als ein wenig zu laut, „ich will verdammt sein, wenn mein Kätzchen mir nicht folgt. Lass uns wetten, du schnapsnasiger Gesell.“
Und so wetteten sie. Anton setzte die Flönz, die er irgendwann heute morgen eigentlich für seine allzeit wachsende Familie erworben hatte. Und der Kapitän hielt – ein bisschen geheimnisvoll tuend – die neueste Gourmet-Erfindung aus Holland dagegen.
Dann nahmen sie das Spiel wieder auf. Schon längst war keiner der Drei mehr in der Lage, Augen und Trümpfe nachzuhalten, und so wechselte das Glück seinen Besitzer wie dieser die Unterhosen. Als Anton wieder einmal an der Pissrinne stand, kam ihm eine Idee. Schnell kroch er in eine der düsteren Ecken des Klosetts, wurde fündig und kehrte zum Tisch zurück. Kaum hatte er die Maus, denn nichts anderes hatte er in der Kloake gesucht, auf den Tisch gelegt, da ließ die Katze auch schon von der Kerze und jagte stattdessen sein Beutetier.
Womit bewiesen war, dass die Natur stärker ist als jede Dressur.
Auch der Fremde gab das ohne Umschweif zu, was die noch immer zahlreichen Umstehenden zu Applaus hinriss. Alle fragten sich neugierig, worin denn nun die allerneueste holländische Delikatesse bestünde, wie also der Kapitän seinen Wetteinsatz einzulösen gedächte. Und nachdem er sich ein letzten Gläschen Rum einverleibt hatte, schritt er zur Tat: Schnitt ein halbes Röggelchen entzwei, bestrich es mit Butter, legte reichlich holländischen Gouda darauf und erklärte, nicht ohne zuvor noch einen Strich Senf darüber verteilt zu haben, sein Gericht für fertig.
Anton und Jean, die seit dem Morgen nichts an fester Nahrung zu sich genommen hatten, schlangen das Röggelchen hinunter, ohne ein einziges Mal zu atmen. Und die Leute verstreuten sich und erklärten einem jeden das Rezept für den allerneuesten, alleredelsten Happen.

Am nächsten Morgen, das dürfte klar sein, gab es in ganz Köln niemanden, der nicht so ein Röggelchen mit Gouda probieren mochte. Und von diesem Tag an galt der Halve Hahn als kölsche Spezialität. Wenn Ihr mich jedoch nach dem fremden Kapitän fragt, muss ich passen. Er ward nie wieder gesehen.

Halver Hahn, holländischer Hype


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