Mittwoch, 24. April 2013

Geschichten aus 1111 Nächten (37)

Ein Reim auf „Frau“

Anton war dermaßen auf den Hund gekommen, dass er sich bei seinem alten Kumpel Jean als Köbes in dessen Brauhaus verdingt hatte. Tagein tagaus schleppte er Kölschgläser, leerte Aschenbecher und wischte Tische, bis ihn die Füße schmerzten. Jean, der zwar kein gutes, aber immerhin ein Herz unter der Brust trug, sah das Elend seines überforderten Freundes gar wohl. Eines Tages in der (viel zu kurzen) Mittagspause setzte er sich für ein Minütchen neben Anton, der gerade gierig die von einem japanischen Pärchen nur angenagten Reste eines Halven Hahns verschlang.
„Sag an, lieber Freund“, schlug Jean ihm auf die Schulter, „wie wäre es mit einem kleinen Reimwettbewerb, ganz wie in der alten Zeit?“
Anton hatte zwar nicht die geringste Lust dazu, aber er war auch kein Mensch, der gern aufbegehrte. Also fügte er sich in sein Schicksal, und Jean begann zu deklamieren:

„Ich heiße Sylvester
und schlafe bei deiner Schwester.“

Anton erwiderte irritiert: „Du heißt doch gar nicht Sylvester.“
„Na und?“
„Und eine Schwester habe ich auch nicht.“
„Aber es geht doch um den Reim, du Erzdepp!“
Anton wusste weder ein noch aus, aber irgend etwas antwortete aus ihm:

„Lieber Jean, ich heiße Anton
und schlafe mit deiner Frau.“

„Das reimt sich ja gar nicht“, schrie Jean empört und stampfte zurück in sein Chefbüro. Am nächsten Tag jedoch, nach einer fürchterlichen Nacht, zahlte er dem Anton ein Jahresgehalt und entließ ihn aus seinem Frondienst:
„Zieh hin, Freund Anton“, gab er ihm mit auf den Weg, „ich habe viel von dir gelernt, denn du bist mir im Reimen deutlich überlegen.“

Man nimmt, was man kriegt

Wer diese Kolumne zukünftig jeden Mittwoch zugeschickt bekommen möchte, schreibe eine Mail an thekentaenzer@netcologne.de, Stichwort: Die Köln-Kolumne.

Mittwoch, 17. April 2013

Interviews (11): Sylvia Arndt

Die Frauenhaus-Leiterin

Zur Person:
Sylvia Arndt wurde 1958 in Leverkusen geboren. In Köln studierte sie Sozialpädagogik und trat dann eine erste Stelle im Bürgerschaftshaus Bocklemünd an. Vier Jahre betreute sie eine Mädchengruppe des Jugendzentrums. Im Elisabeth-Fry-Haus in Raderthal begann sie als Sozialarbeiterin und wurde 2004 dessen Leiterin. Seit 2008 fungiert sie zudem als Bereichsleiterin in der Diakonie Michaelshoven.

Vor der Tür stehen einige Frauen und rauchen. Hinter Glas sitzt eine Pförtnerin, hier kommt niemand unbeobachtet rein oder raus. Trotzdem wirkt die Atmosphäre im Elisabeth-Fry-Haus sehr unaufgeregt, sehr entspannt. Genau wie Sylvia Arndt.

Das Elizabeth-Fry- ist kein klassisches Frauenhaus. Wo liegen die Unterschiede?

Reine Frauenhäuser sind Schutzhäuser für Frauen, die Opfer von Gewalt wurden oder davon bedroht sind. Die Häuser sind anonym, und da dürfen auch keine Männer rein. Wir hingegen verstehen uns als Notaufnahme und Wohnheim für Frauen. Unsere Adresse ist bekannt, und wir betreuen zum Beispiel auch wohnungslose und psychisch kranke Frauen.

Steht hier jeden Tag ein Polizeiwagen vor der Tür?

Das kommt nicht selten vor, ja. Wir haben hier zwei bis drei Aufnahmen pro Tag bzw. Nacht, insgesamt über 1.000 im Jahr.

Sind Sie mit der behördlichen Zusammenarbeit in Köln zufrieden?

Insgesamt schon, hier existieren gute Netzwerke. Aber natürlich müssen auch wir genau beobachten, wo in Köln gespart wird. In unserer Beratungsstelle „Der Wendepunkt“ steigen z.B. die Anfragen ständig, aber nicht die Personalkapazitäten. Es gibt es bei uns einige Bereiche, in denen wirklich am Limit gearbeitet wird.

Ist Ihre soziale Einrichtung auch eine politische?

Eine gesellschaftspolitische auf jeden Fall, und eine frauenpolitische auch. Dass Frauen ein Recht auf Schutz vor häuslicher Gewalt haben, ist eine politische Errungenschaft. Dass es Frauenhäuser überhaupt gibt, reicht eigentlich schon als Aussage in diesem Zusammenhang.

Hat sich Ihr Menschenbild durch die Arbeit hier geändert?

Nein, mein Vertrauen in die Menschheit ist noch immer groß.

Nehmen Sie die Arbeit mit nach Hause?

Manchmal schon, wenn auch nicht mehr so häufig wie früher. Es gibt einfach Konstellationen, die einen unerwartet berühren. Die sind so verzwickt, so zum Verzweifeln. Als Sozialarbeiterin sucht man immer nach Lösungen. Ich musste aber lernen, dass es in manchen Fällen einfach keine gute Lösung gibt.

Sie hören hier vermutlich von vielen trostlosen Schicksalen.

Viele Geschichten, die uns die Frauen erzählen, sind furchtbar. Da geht es um tiefe Demütigung, um Frauenverachtung. Und ganz schlimm ist es auch, wenn dann noch Kinder mitbetroffen sind. Ich weiß, dass in der Presse gern auch konkrete Beispiele gelesen werden, aber das halte ich so detailliert nicht für notwendig..

Ihr Haus ist letztendlich ein Zufluchtsort. Läge so etwas nicht besser im Grünen?

Nein, solche Einrichtungen müssen immer vor Ort sein, schnell erreichbar für die Frauen. Hier gegenüber liegt ein Seniorenwohnhaus der GAG, dessen Bewohner viel Zeit haben. Die bekommen etwa mit, wenn den ganzen Tag ein Mann herumstreunt und unser Haus beobachtet. Von daher bringt uns dieses Nebeneinander sogar einen gewissen Schutz.

Nach all Ihren Erfahrungen: Würden Sie unterschreiben, dass die „heilige Familie“ noch immer das ideale Modell menschlichen Zusammenlebens ist?

(lacht) Nein, wenn man so lange wie ich in diesem Job arbeitet, sicherlich nicht. Eine gut funktionierende Familie ist natürlich eine wunderbare Sache. Aber oft klappt es eben auch nicht, etwa wenn Armut, Alkoholismus, Arbeitslosigkeit oder Ähnliches hinzukommen. Dann kann das Modell Familie zu einem Gefängnis werden, vor allem für die Frauen.

Wären vielleicht Dreier-Konstellationen besser, in denen man immer wechselnde Allianzen bildet?

Nein, also, das muss jeder selbst wissen.

Das Leben in der Kommune scheint seit den 1970ern ausgestorben zu sein. Mit Recht?

Hier im Wohnheim spielen sich die gleichen Geschichten ab, wie man sie aus früheren Wohngemeinschaften kennt. Nur dass wir es hier auch noch mit schwer belasteten, oft wenig konfliktfähigen Menschen zu tun haben. Von daher ist das kein einfaches Modell.

„Männer sind Schweine“, singen die Ärzte. So lapidar würden Sie es vermutlich nicht sagen.

(lacht) Männer spielen eine ganz wichtige Rolle im Leben der Frauen hier. Viele wollen auch gern wieder eine Beziehung haben oder gehen zu ihrem Mann zurück.

Das Gegenteil des Ärzte-Spruches wäre: Männer sind auch nur Opfer.

Nein, so einfach ist das nicht. Wobei es einige gibt, die sicherlich therapeutische Hilfe brauchen. Im Elisabeth-Fry-Haus haben wir auch einen männlichen Mitarbeiter, der den Frauen vielleicht dabei hilft, auch mal ein anderes Männerbild zu kennenzulernen.

Ist männliche Gewalt ein soziales oder biologisches Phänomen?

Tja, das ist die Frage nach dem Huhn und dem Ei. Um einen Satz von Simone de Beauvoir abzuwandeln: Man wird nicht als Mann geboren, man wird dazu gemacht. Aber jenseits dessen gibt es sicherlich biologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern, die unterschiedliche Verhaltensweisen fördern.

Sie nehmen hier Gewaltopfer auf, aber auch Frauen, die aus dem Gefängnis kommen und möglicherweise Gewalttäterinnen waren. Birgt das Konflikte?

Da entstehen durchaus schon mal Probleme. Aber die geben uns dann auch die Chance, bestimmte Mechanismen mit den Frauen zu besprechen. Man kennt ja etwa das Muster, dass sich Opfer immer wieder einen vermeintlich starken Halt suchen und so stets aufs Neue in eine Abhängigkeit geraten.

Wie gehen Sie innerhalb Ihres Hauses mit Gewalt um.

Mal abgesehen davon, dass es auch verbale Gewalt gibt, hört es hier bei körperlicher Gewalt komplett auf. Manchmal ist die Betroffene vielleicht vorher arg provoziert worden, aber wir müssen uns an bestimmte Regeln halten. Deshalb müssen diese Frauen das Haus dann verlassen, auch wenn es im Einzelfall bitter sein kann.

Warum braucht eine Kulturnation wie Deutschland im Jahr 2013 überhaupt noch Frauenhäuser?

Eine gewaltlose Gesellschaft ist eine Utopie, genauso wie eine kriegsfreie. Man muss daran arbeiten, Strukturen so zu verändern, dass Gewalt minimiert wird.

Woran denken Sie da?

Gute Bildung und Ausbildung sind zum Beispiel sehr wichtig. Gerade Frauen haben zu lange in Abhängigkeit gelebt, sie sollten auf eigenen Füßen stehen können. Auch Gleichberechtigung muss gelernt und sollte an Schulen gelehrt werden.



Die Pförtnerin entsichert die Tür, die bei unangemeldeter Öffnung schrillen würde. Draußen stehen die beiden selben Frauen und rauchen. „Tschö“, sagt die eine, als ich auf mein Fahrrad steige. „Tschö“, antworte ich.


Wer diese Kolumne zukünftig jeden Mittwoch zugeschickt bekommen möchte, schreibe eine Mail an thekentaenzer@netcologne.de, Stichwort: Die Köln-Kolumne.

Mittwoch, 10. April 2013

Geschichten aus 1111 Nächten (36)

Über das Lügen

Einst versammelte der heilige Willy seine drei Messdiener um sich. Gerade hatte er sich einen Kelch Wein eingeschenkt, da überfiel ihn jäh eine Laune:
„Wer mir von euch Dreien die größte Lüge erzählt, der bekommt von mir einen ganzen Ring von der zartesten Flönz.“
Die drei Knaben bekamen rote Ohren, so aufgeregt waren sie. Aber alle drei hatten es zugleich faustdick dahinter.
„Ich habe Zeit meines Lebens noch nie gelogen“, hob schließlich der Erste an. Und der Zweite setzte nach:
„Lieber heiliger Willy, ich kann gar nicht lügen.“
Der dritte Messdiener, ein bauernschlaues Kerlchen namens Cöbes, füllte Willys Becher nach, bevor er sagte:
„Und weißt du was, Herr? - Meine beiden Vorgänger haben die volle Wahrheit gesprochen!“

Herr Präsident: Die Woosch!

Wer diese Kolumne zukünftig jeden Mittwoch zugeschickt bekommen möchte, schreibe eine Mail an thekentaenzer@netcologne.de, Stichwort: Die Köln-Kolumne.

Donnerstag, 4. April 2013

Thekentänzer (65)

Wo die Kippen wippen

Das junge Pärchen mit den bunten Haaren bestellt zwei Kölsch. Beiden steckt eine Perle in der Zungenspitze.
„Macht ihr eigentlich Billardgeräusche beim Lullen?“ fragt der Fettsack mit der Glatze. Beim Reinkommen hatte er sich lange am Türrahmen festgehalten. Erst rechts, dann links. Der Kellner zapfte ihm trotzdem ein Kölsch.
Das Pärchen spricht offenbar kaum Deutsch. Der Junge fotografiert das Mädchen mit seinem Handy. Dann fotografiert das Mädchen den Jungen. Beide halten sich ihr Bierglas an den Mund. Gegenüber vor der Schwulenkneipe schunkeln zwei dürre Kerle in ausgebleichten Schlauchjeans, unter den Schnäuzern wippen die Kippen. Die Sonne hat genug für heute und verzieht sich weiter gen Westen. Oder so ähnlich.
„Ja gut, ich bin Ungar. Aber vor allem Banater Schwabe.“ Und so ein Banater Schwabe redet anscheinend gerne und viel. Über seinen Softwarejob. Über sein ultradünnes Ultrabook. Über die Donauschwaben. Und über seine bescheuerte Trompete.
„Einmal haben wir mit unserer Blaskapelle in Bad Tölz gespielt. In einem Bierzelt. Da sind wir Dritter geworden.“
„Ich hätte euch auf den letzten Platz gesetzt“, sagt der Dicke. „Schon allein wegen deinem beschissenen Deutsch, du Penner.“
Danach erzählt er von seinen eigenen Messeerlebnissen. Nürnberg, Waffenmesse, wie er da die Stände mit aufgebaut hat und vorher draußen die Demonstranten vermöbelt.
„Waffenmesse, das ist das einzig Wahre, verstehst du. Da blasen sie dich weg, du Blasmusikant!“ Und dann lacht er sich heiser.
Wieviel Zeit ist eigentlich vergangen? Drüben stehen schon wieder, noch immer die Schwulen und rauchen. „Ich probiere jetzt auch mal so ein Kölsch“, sagt der Banater Schwabe, schließt sein Notebook und schiebt die Teetasse zurück auf den Tresen. Der Fettsack und er sind jetzt Freunde. Das Mädchen am Fenster knipst ihren Macker, wie er sich Bier in den Hals kippt. Die Lampen unter der Decke müssten unbedingt runtergedimmt werden. Alles ist hier bierfarben, bierfarbenes Licht, bierfarbene Wände, bierfarbene Menschen. Eigentlich, so sagt man sich, wär jetzt so langsam mal Zeit zu gehen. Aber das Pärchen geht nicht, der Ungar geht nicht und der Fettsack schon gar nicht. Irgendwo über den Dächern klingelt eine Glocke.
„Gibt´s ja gar nicht“, sagt der Dicke. „Schon wieder sieben Uhr?“

Irgendwie kommt man immer nach Hause


Wer diese Kolumne zukünftig jeden Mittwoch zugeschickt bekommen möchte, schreibe eine Mail an thekentaenzer@netcologne.de, Stichwort: Die Köln-Kolumne.