Mittwoch, 26. Oktober 2011

Straßenkämpfer (19)

Jamie Müller

Draußen schneit es, dicke Flocken, die nicht lange auf dem Asphalt, wohl aber ein Weilchen auf Haaren und Jacken liegenbleiben. Aus den Boxen singen die Gebrüder Ween über den Herumtreiber im Dunkeln, der eigentlich nur auf der Suche nach einem Streichholz ist. Als der erste Gast durchs Fenster auf den Gehweg schielt, zapfe ich mir gerade ein Kölsch.
Kurz darauf sind es schon zwei, die spinksen. Der Winkel zum Objekt liegt so, dass ich hinter der Theke nichts sehen kann. Die beiden Typen grinsen, lachen, zeigen mit dem Finger, bis auch das Pärchen neben ihnen aufmerksam wird. Der Mann lacht ebenfalls. Weil die Frau ihr Gesicht schnell abwendet, ein bisschen entsetzt, ein bisschen angeekelt, gehe ich nach draußen.
Und da steht Jamie.
Jamie war einmal ein junger Schriftsteller. Hat ein paar kleine Nachwuchspreise gewonnen, einen Lyrikband und schließlich einen Roman veröffentlicht. Besonders erfolgreich war der nicht, aber Jamie sah aus wie Kris Kristofferson und war immer gut drauf. Außerdem hatte er sich inzwischen einen Namen gemacht, bekam das ein oder andere Stipendium, ein paar Tantiemen und fast jedes Mädel, das er wollte.
25 Jahre her, diese Zeit.
Und jetzt steht er da. Ein Bein verrenkt über dem Gepäckträger seines Fahrrads, das sich halb umgekippt um den Lampenmast gewunden hat, an dem es angeschlossen ist. Das andere Bein zittrig den großen, schweren Körper ausbalancierend und in den Armen eine Tüte, aus der irgendwas schon auf die Straße fällt. Groteskes Bild, dieser völlig besoffene, völlig paralysierte Mensch dort, der nicht ein noch aus weiß.
Jamies lange Haare sind dünn geworden. Ein dicker grüner Schal hüllt sein Gesicht ein, und seine Hände sehen aus, als wären sie nicht zum ersten Mal erfroren.
„Komm, ich nehm dir die Tüte ab“, sage ich.
„Du musst mir helfen“, sagt Jamie.
„Will ich ja, gib mir die Tüte.“
„Nein.“
Jamie klammert sich an die Tüte, als stecke sein Leben darin. Er muss jetzt schon mindestens fünf Minuten in dieser Position verharren, ein Wunder, dass er noch steht. Ich will sein Bein von dem Gepäckträger heben, aber da fängt Jamie an zu schreien, Nein, Nein! Drüben im Türkencafé feixen sie auch schon alle.
„Jamie, ich muss arbeiten. Wenn du willst, hol ich dir ein Taxi.“
„Mein Rad ist nicht abgeschlossen.“
„Doch, ist es. Das kannst du hierlassen.“
„Kannst du mich nach Hause tragen? Du musst mich nach Hause tragen.“
„Nein, das kann ich nicht.“
Jamie will den Kopf gegen den Mast lehnen und schlägt ihn sich dabei auf. Zwei Idioten klopfen von innen gegen die Scheibe und deuten auf ihre leeren Biergläser. Als Jamie sich zurückdrückt, rutscht auch sein Bein vom Rad. Er steht, droht rücklings umzufallen, stellt sich breitbeiniger auf.
„Liebe Kinder kommen in den Himmel“, sagt er.
Seine Tüte, das sehe ich nun, ist voller Bücher. Alle sind schwarz, das sind alles die gleichen Bücher. Das ist immer das selbe Buch. Und drauf steht: Jamie Müller.

Die Orientierung fällt manchmal schwer in diesen Tagen

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Mittwoch, 19. Oktober 2011

Geschichten aus 1111 Nächten (13)

Der Kölner Erzbischof im Himmel

Und es kam der Tag, da war die Erdenzeit des Kölner Erzbischofs vorbei. Er fuhr zum Himmel auf, wo Gott ihn schon erwartete.
„Hast es ja ganz schön lange ausgehalten da unten“, begrüßte er ihn. „Und dann auch noch in Köln.“
Der Erzbischof stieß sich ein wenig an der Flapsigkeit seines höchsten Herrn. Dann jedoch erspähte er etwas zwischen zwei Wolken und erstarrte vor Schreck.
„Aber, allergnädigster Hirte“, rief er aus, „ist das etwa der Erzbischof von Canterbury?“
„Warum nicht?“ erwiderte Gottvater. „Denn hier, in meinem Paradies, sind alle menschlichen Kreaturen, die sich, so wie du, auf Erden als gerecht und gütig erwiesen haben.“
„Ohne Rücksicht auf ihre Religion?“
„Ach je“ antwortete Gott, „Religionen sind doch nur irdische Kategorien. Und hier sind wir im Himmel. Was ist besser: Religion oder Opium? – Darüber diskutieren Buddha und ich beinahe alltäglich.“
„Buddha ist hier?“ fragte der Kölner Erzbischof aufs höchste verblüfft.
„Wie sollte er nicht hier sein! Er war einer der Besten, die je auf der Erde gelebt haben. Auch du solltest von Zeit zu Zeit seine Nähe suchen.“
„Und ... Luther?“ Des Erzbischofs Stimme zitterte nun. „Ist dieser Luther etwa auch unter uns?“
„Ich gebe zu“, sagte Gott, „dass ich ein Weilchen uneins war mit meinem Sohn und dem Heiligen Geist. Aber schließlich, nach einer kurzen Reinigung im Fegefeuer, haben wir ihn eingelassen.“
Der Kölner Erzbischof öffnete den obersten Knopf seiner Soutane und schnappte nach Luft.
„Also“, so hob er dann an, „muss ich davon ausgehen, dass auch Konfuzius hier herumgeistert?“
„Auch der“, bestätigte Gott, „aber spar dir das mit dem ´geistern´.“
„Und Zarathustra?“
„Natürlich.“
„Ramakrishna?“
„Selbstverständlich.“
Da senkte der Erzbischof den Kopf und formte das Wort, dem selbst seine Lippen wiederstreben wollten: „Und Mohammed? Ist Mohammed hier?“
„Aber natürlich ist Mohammed hier. Wo sollte er sonst sein?“
Und Gott drehte sich um und rief mit lauter Stimme: „Mohammed! Zwei Kaffee!“

Auch im Himmel fährt man Auto


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Mittwoch, 12. Oktober 2011

Schöne Schilder (3)

Karotten, Küssen, Köln


Verboten in Gerolstein


Verboten im Bayreuther Festspielhaus - ob mit oder ohne n


Verboten auf La Gomera


Verboten in Boos am Nürburgring


Verboten in Kuala Lumpur


Erlaubt in Köln



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Mittwoch, 5. Oktober 2011

Fundstücke (12)

Das Mittel ist probat

Kaiser

Die Eifel:
Zum Jagen: Hervorragend!
Für Manöver: Erstklassig!
Zum Wohnen: Unmöglich!


(Kaiser Wilhelm II. am 15. Oktober 1913)


Kirmes

Und Kirmes wurde gefeiert. Sie brachte einmal eine Abwechslung in den eintönigen Alltag. Verwandte und Freunde aus nah und fern stellten sich ein. Berge von Bunnes, Reis-, Grießmehl- und Streufladen wurden vertilgt. Die Schnapsflasche kreiste in der Runde und das Tanzbein wurde bei fröhlichem Umtrunk geschwungen. Wehe dem Eintretenden, der das dargereichte Glas zum Freundschaftstrunk verweigerte. Feinfühlend war der Dörfler trotz aller Bescheidenheit und treu blieb er dem alten Brauchtum.


(Lehrer Herber, Ahrweiler, Heimat-Jahrbuch Kreis Ahrweiler 1953)


Knochen

Da kommt vor drei Wochen ein netter, schmächtiger junger Mann hier in meine Amtsstube und fragt mich: ´Herr Justizrat, wer hat in der Ehe zu sagen?´
Ich antworte: ´Das kommt drauf an; in manchen Dingen der Mann, in den meisten die Frau.´
´Nein, ich meine nicht praktisch, sondern juristisch´, formulierte er ganz geschickt.
´Juristisch hat der Mann zu sagen´, erklärte ich ihm. (...)
´Und nun erklärt meine Frau, sie zieht nicht zu mir in das kleine Häuschen.´ (...)
´Schreiben Sie Ihrer Frau´, rate ich ihm, ´sie soll nicht riskieren, noch jemals Ihre Schwelle zu betreten; Sie würden ihr alle Knochen kaputtschlagen und sie hinauswerfen. Wenn Sie das schreiben, kommt sie sofort.´

(aus: Heinrich Krautwig: Ein Landnotar, Roman, Schleiden 1951, zitiert nach: Küche, Kinder, Kirche, Aus dem Leben der Frauen in der Eifel)

Eine echt harte Gegend: die Eifel


Kahl

Ein kahler Boden, Gebirge mit nackter Oberfläche, aus deren Eingeweiden man mühsam Eisen hervorzieht – eine schneidend kalte Luft, wie bei uns mitten im Winter; mit diesen Zügen lässt sich die unwirtschaftliche Landschaft malen, in die wir kamen, nachdem wir Jülich verließen. Die Städte tragen das Gepräge der Verarmung, worin sie die französische Herrschaft oder Unterjochung stürzte. Um in einer so jämmerlichen Gegend auch noch des mindesten Beistands beraubt zu sein, waren alle Dörfer verlassen. Die Bauern flohen bei unserer Annäherung entweder in feste Plätze oder nach den Wäldern, und schleppten von ihren Habseligkeiten, soviel sie konnten, mit sich fort. Kurz, es gebricht uns, den vorenehmsten Offizieren, wie den Gemeinen an Allem, und ich brauche nur zu sagen, dass die Schottländer behaupten, in ihrem Hochlande würde ein Heer besser gelebt haben.

(Mr. Hare, Hauskaplan des engl. Feldherrn Marlborough, in einem Brief von 1705 über die Eifel)


Kur

Die Mönche und geistlichen Herren des Ahrtals haben vorlängst die Regel entdeckt, dass man den Weißen Wein trinken soll als Kur wider den zu stark genossenen Roten: Das Mittel ist probat.

(Gottfried Kinkel 1849)


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