Dienstag, 24. August 2010

Thekentänzer (33)

Der langsame Richard

Wenn er den Kopf wendet, vergeht eine Ewigkeit. Sein Bier bestellt er mit einem kaum merklichen Augenkniepen, und spendiert ihm jemand einen Drink, quittiert er das mit einem sehr kleinen Nicken. Der langsame Richard redet nicht viel, eigentlich gar nichts.
Der langsame Richard hebt den rechten Zeigefinger, wenn er die Kneipe betritt, und er setzt sich immer ganz rechts an die Theke. Wenn der Hocker dort besetzt ist, platziert er sich ganz in die Nähe. Wechselt er auf seinen Stammhocker, wenn dieser dann im Laufe des Abends frei wird? - Nein, das tut der langsame Richard nicht. Wenn er einmal sitzt, sitzt er.
Manchmal, spät abends, bestellt sich der langsame Richard ein Päckchen Nüsse. Er zeigt auf die Ültjes im Regal und streckt den Daumen in die Höhe. Der langsame Richard ist sehr geschickt im Öffnen dieser elenden Verpackungen. Er braucht seine Zeit, klar, aber nie kullert ihm auch nur ein einziges Nüsschen vom Tresen. Der langsame Richard bietet nie jemandem von seinen Nüsschen an, und er isst jede Erdnuss einzeln. Manchmal hat man den Eindruck, er lutscht die Nüsschen, anstatt sie zu zerbeißen. Jedenfalls ist er mit so einer Packung immer ziemlich lange beschäftigt.
Der langsame Richard trinkt auch auf eine recht seltsame Art. Wenn er das Glas ansetzt, bewegt sich sein Kehlkopf unglaublich schnell auf und ab. Wie ein Kolben im Zylinder. So kurze, kleine Schlückchen kann man doch gar nicht machen, denkt man sich als Beobachter. Aber der langsame Richard kann.
Eines Tages war der langsame Richard schwer betrunken, und da geschah ein Wunder. Der langsame Richard fing plötzlich an zu reden. Man sah ganz deutlich, dass sich seine Lippen bewegten. Und weil das so etwas Besonderes war, hat man da natürlich die Musik leiser gedreht. Und man ist zu ihm hingegangen, rechts an die Theke, und hat sich darübergebeugt. Aber verstehen? - Konnte man nichts. Nur Gebrabbel kam aus dem Mund des langsamen Richard, und als man ihm dann noch ein Stück näher rückte, wusste man auch, wieso. Der langsame Richard hat nämlich keine Zunge mehr.


Wäre das was für den langsamen Richard? - Nein.


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Mittwoch, 18. August 2010

Straßenkämpfer (14)

Wenn Herbert um den Block geht

Es gab Jahre, in denen Herbert sehr glücklich gewesen war. Die Zeit auf der Bohrinsel. Die kurze Ehe mit Marie, zumindest die ersten Monate. Und natürlich das Jahr nach dem Lottogewinn, als er die halbe Million durchgebracht hatte. Aber wie er so dalag, auf dem schmalen Bett mit Blick auf den schäbigen, kariert bezogenen 70er-Jahre-Küchenstuhl, fühlte er sich todunglücklich. Das Zimmer war ihm vom Sozialamt zugewiesen worden, nachdem er sechs Wochen auf der Straße verbracht hatte. Nachdem er mit Erfrierungen in ein Krankenhaus eingeliefert worden war und man ihm zwei Zehen hatte abnehmen müssen. Das Klo lag auf dem Flur, er teilte es sich mit fünf anderen Männern, deren zwei, seine Nachbarn, er immer hörte, wenn sie, wie er es auch tat, in ihr Waschbecken urinierten.
Herbert steckte sich eine weitere Zigarette an und beschloss, danach noch einmal um den Block zu gehen. Das Haus lag mitten im Studentenviertel, da war immer viel los. Und fast jede dieser Studentinnen war hübsch wie ein Model. Herbert brauchte keine Magazine mehr, die waren sowieso zu teuer. Er brauchte nur einen Gang um den Block und ein Gesicht. Das trug er dann zurück nach Hause, wo er es für eine halbe Minute mit Küssen und Schweinereien bedachte. Danach steckte er sich eine neue Zigarette an.

Von Herbert gepflückte Blume, die die Studentin, der er sie schenkte, achtlos wegwarf


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