Mittwoch, 26. Juni 2013

Schöne Schilder (6)

Bedürfnisse und Vorschriften, Schoßhunde und Schlosshunde


Die Spültaste



Führung durch die Allianz-Arena München




Die Doppel-Flat, platt




Krankheitserreger allerorten




Schoßhunde vs. Schlosshunde





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Mittwoch, 19. Juni 2013

Interviews (14)

Heute: Der Tätowierer

Zur Person
Dieter Zalisz wurde 1959 in Duisburg geboren, sämtliche männlichen Verwandten arbeiteten bei Thyssen Stahl. Auch Zalisz lernte Stahlwerker, bevor er 1982 nach Köln kam. Zunächst als Angestellter, seit 1985 als Besitzer wirkt er im Studio für Elektrische Tätowierung in der Mülheimer Genovevastraße, das lange Zeit das einzige in Köln war.
Mit seiner Frau Anke, die ebenfalls im Studio mitarbeitet, und dem gemeinsamen Sohn wohnt Dieter Zalisz in ebenjenem Viertel, in dem er arbeitet.

Die Wände in Dieter Zalisz´ Mülheimer Studio sind „tätowiert“ mit jenen Motiven, die man sich hier in die Haut stechen lassen kann. Der Chef reicht mir die Hand, deren tätowierter Rücken ihn einst vor der Bundeswehr bewahrte: „Grußhand muss frei sein“, hieß die Devise.

In den 1980ern waren Sie Kölns einziger Tätowierer. Was für Leute kamen damals zu Ihnen?

Subkulturen, Leute mit Anpassungsproblemen ... Das war eine tolle Zeit, und die Menschen waren einfach zu nehmen. Heute hat man manchmal den Eindruck, die lassen sich unter irgendeinem gesellschaftlichen Druck tätowieren. Aber früher kamen Kunden, die das wirklich wollten.

Und das waren dann vor allem Seemänner, Rocker/Rockmusiker und Knackis?

Seemänner weniger hier in Köln, aber ansonsten stimmt das.

Und gestochen wurde damals noch mit der heißen Stricknadel?

Die Maschinen und Werkzeuge haben sich nicht wesentlich verändert. Aber natürlich tuned jeder Tätowierer seine Geräte individuell, da wird permanent geschraubt und gefeilt.

Wie beim Moped: Krümmer absägen, und schon fährt die Karre 25 km/h schneller?

Der Vergleich ist gar nicht so falsch. Besonders wichtig war es, die Geräte leichter zu machen.

Was hat sich seit den 80ern geändert?

Tätowierungen sind kein Merkmal von Subkultur mehr. Vor allem dank schlechter Fernsehserien kann man mit einem Tattoo heutzutage nicht mehr anecken.

Sie bedauern das?

Ja, aber es war unvermeidbar. Ich komme aus der Punkszene, man kann sagen: Punk, Harley Davidsons und Tattoos sind den selben Weg gegangen, das ist alles kommerzialisiert und gesellschaftsfähig. Harleys fahren heute die RUBs - die Rich Urban Bikers. Und Punk wird mit den Toten Hosen verwechselt.

Gibt es Tattoo-Wünsche, die Sie den Kunden ausreden?

Ich versuche die Leute manchmal vor sich selbst zu schützen, vor allem vor ihrer Staranbetung. Ist Rihanna eine Frau oder ein Mann?

Eine weibliche Sängerin.

Okay, jedenfalls kommen hier Mädels mit Rihannas aus dem Netz kopierten Tattoos an und wollen die auch haben. Aber was so ein „Star“ oder irgendeine Pfeife vorgibt, muss ich mir doch nicht tätowieren lassen.

Wie gehen Sie mit Wünschen nach SS-Runen und ähnlichem um?

Das kommt praktisch nicht vor. Ich habe allerdings vor langer Zeit mal jemandem ausgeredet, sich ein Portrait von Rudolf Hess stechen zu lassen. Der bedankt sich bei mir bis heute dafür.

Wie gefragt sind Köln-Motive?

Sehr! Vor allem natürlich der Dom. Übertriebener Patriotismus ist etwas Zwielichtiges, aber wenn man´s auf seine Stadt bezogen macht, dann halte ich es für legitim. Ich habe auch „MSV“ auf dem Bauch stehen, schließlich komme ich aus Duisburg. Das war das Normalste der Welt, als ich klein war.

Gibt es manchmal auch schräge Köln-Wünsche?

Meine Frau hat einer karnevalsbegeisterten Kölnerin zuletzt ein Millowitsch-Portrait auf den inneren Unterarm tätowiert. An anderer Stelle hat die schon irgendwelche blauen oder roten Funken, die Frau geht da wirklich drin auf.

Besteht beim Tätowieren ein Zusammenhang zwischen Schmerz und Lust?

Also bei mir nicht. Aber ich habe schon einige Kunden, die ganz klar Spaß dran haben.

Haben Sie Interessen jenseits des Tätowierens, also züchten Sie Blumen oder kochen gern Sushi?

Nein. Aber ich interessiere mich als gelernter Stahlarbeiter für alles, was noch aus echtem Stahl gefertigt ist: Messer, Tätowiermaschinen, Motorräder ...





Tätowierte Wand, ganz woanders


Mülheim liegt ein wenig vom Schuss. Wie sind Sie hier gelandet?

Mein englischer Partner hat damals die falsche Abfahrt von der A3 genommen. Wir landeten am Wiener Platz und hielten den für das Kölner Zentrum. Zufällig kamen wir an diesem Laden hier vorbei, der gerade zu vermieten war. Das ist jetzt 31 Jahre her, und ich bin noch immer hier.

Wie würden Sie diesen Stadtteil beschreiben?

Der ist speziell, da kriegt der Betrachter einiges geboten. Von der Bevölkerung her ist das noch immer ein sozialer Brennpunkt.

Mit studentischem Einschlag?

Kaum, denn es gibt hier keine Club- und Kneipenszene wie etwa in Ehrenfeld. Und was die Promis und Medienleute auf dem alten KHD-Gelände angeht: Die arbeiten da und sind froh, wenn sie abends wieder über die Mülheimer Brücke verschwinden.

Inzwischen gibt es zahllose Tattoo-Studios in Köln.

Ja, es existieren ganze Ketten, bei denen man dann auch Piercings, Brandings, Fußpflege und was weiß ich noch bekommt. Aber sowas machen wir hier nicht. Ich bin altmodisch und habe immer versucht, dieses Studion als Working-Class-Laden zu führen.

Wenn Dieter Zalisz über seine Ursprünge und die Klientel der frühen 80er spricht, benutzt er gern den englischen Ausdruck „Blue Collar“. Auf Deutsch bedeutet das Arbeitsanzug, oder eben: Blaumann.

Wie hat sich der Frauenanteil verändert über die Jahre?

Von anfangs 1 auf heute 50 Prozent. Genauso hat inzwischen die Hälfte meiner Kundschaft einen Migrationshintergrund.

Wünschen sich Frauen eher Blümchen und Männer Horrorfratzen?

Da sind wir wieder bei Rihanna, denn Frauen orientieren sich schon häufig an weiblichen Popstars. Allerdings gibt es unter jungen Frauen auch seit einigen Jahren den Trend, sich knallharte „Männer“-Motive stechen zu lassen. Und das sogar auf sichtbare Stellen wie Hände und Hals.

Erfüllen Sie selbst die Klischees, die man mit einem Tätowierer verbindet, also eigene Tattoos, Motorrad und harte Musik?

Ja, ich denke schon. Wobei ich mich mit den Tattoos nicht Boss-Hoss-mäßig im weißen Feinripp knipsen lassen würde. Solche Typen wie die finde ich lächerlich.

Stattdessen trägt Dieter Zalisz heute einen „Superstar“-Trainingsanzug von Adidas aus den 80ern samt passenden Turnschuhen. „Die wurden damals für die New Yorker Hip Hopper Run-D.M.C. entwickelt und sind heute nur noch sehr schwer zu kriegen“, fügt er hinzu.

Wo haben Sie Ihr erstes Tattoo bekommen?

Das habe ich mir in der Schule selbst gestochen, wie alle damals. Mit der Spitze vom Zirkel in den Unterarm: MSV.

Und dann?

Das erste Studio habe ich in Hamburg besucht. Der Typ dort hatte genau zwei Sheets, zwei Blätter mit Motiven im Fenster hängen. Eins mit Segelschiffen für die Matrosen, eins mit Militärmotiven für die Bundeswehrleute auf der Reeperbahn.

Wofür haben Sie sich entschieden?

Für einen Adler, der dann auch richtig kacke aussah. Der Tätowierer war ein interessanter Mensch, aber aus der Hand hätte der nichtmal das Haus vom Nikolaus hinbekommen. Den Adler habe ich noch, aber überarbeitet.

Waren Sie als Kind ein guter Zeichner?

Das musste ich mir erarbeiten. Früher kamen die Leute mit Motiven von Plattencovern an und wollten die als Tattoos. Die musste man dann, mangels Kopierer oder gar Computer, abzeichnen. Und das war meine Zeichenschule.

Gibt es unter Ihren zahlreichen Tattoos eins, das Sie gern wieder loswären?

Nein, da habe ich mir auch nie einen Kopp drum gemacht.

Was halten Sie vom Weglasern?

Wenn schon, dann ist das die beste Methode. Früher gab es da weitaus gröbere Techniken. In der DDR-Armee wurde das Tattoo einfach ausgeschnitten und die Wunde vernäht. Dabei blieben dann fürchterliche Narben zurück.

Haben Sie neue Tattoo-Pläne für Ihren eigenen Körper?

Letztens hatte ich Besuch von Kollegen aus Texas, da haben wir uns gegenseitig so´n bisschen tätowiert. Aber eigentlich habe ich so langsam die Nase voll von den Schmerzen. (grinst)

Oder vielleicht auch keinen Platz mehr?

Doch, schon. Aber das sind dann auch die Ecken, die man mit triftigem Grund zuallerletzt tätowiert.


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Mittwoch, 12. Juni 2013

Der Blick der Fremden (2)

Der Pöbel ist grob

Gelacht wird sehr viel; ja ich möchte sagen, dass die Freude und das Lächerliche die Hauptzüge des hiesigen Gesellschaftsgeistes sind. (Ernst von Schiller, 1893)

Laune und Scherz in Rede und Lied war der gesellschaftlichen Kreise Würze; ihnen war kein Kölner abhold. (Ernst Weyden, 1862)

Bei der angeborenen Zugänglichkeit des Kölners ist ein Abschließen in streng gesonderte Kasten viel weniger vorhanden, als dieses in anderen großen Städten so vielfach wie unangenehm bemerkbar wird. (Ph. M. Klein, 1863)

Ihre Manieren sind rauh, und ihr Betragen gegen Fremde grenzt oft an Ungefälligkeit. (P. Rosenwall, 1818)

Der gemeine Pöbel ist hier grob; das merkt der Fremde bei aller Gelegenheit. (Ph. W. Gercken, 1786)

Die Physiognomie, die Gestalt und das ganze äußere Wesen der echten Kölner deuten durch mancherlei Eigentümlichkeiten auf eine in längst vergangenen Zeiten sich verlierende Abstammung. (Johanna Schopenhauer, 1830)

„Mancherlei Eigentümlichkeiten“ prägen das Wesen des echten Kölners


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Mittwoch, 5. Juni 2013

Fundstücke (23)

„Mord allerorts. - Ich las Macbeth“

Sechs Zitate aus „Als Mariner im Krieg“, dem Weltkriegstagebuch 1914-18 von Joachim Ringelnatz

Frührich hatte sächsisch-blaue Augen, sächsische Intelligenz, erzählte sächsisch und verweilte sächsisch lange.

Es stellte sich heraus, dass wir alle einmal das Marmorweib kennengelernt hatten. Das war eine sehr hässliche Kokotte, die ihre Opfer in schamloser Weise ausbeutete. Marmorweib wurde sie genannt, weil sie die Kavaliere folgendermaßen ansprach: „Fass mal meine Brüste an. Wie Marmor!“

Besonders gern gab ich mich mit einem idiotischen Kind ab. Es machte Sprünge wie ein Kalb und hatte sonderbare, für mich wunderbare Handbewegungen. Von jeher liebte ich derartige, geistesgestörte Kinder und konnte ihnen stundenlang zuhören. Im Ötztal in Tirol kannte ich ein Dorf, wo jedes zweite Kind idiotisch war, und diese Kinder dort hatten pompöse Namen wie „Germania“ oder „Tudesca“.

In meinem Terrarium beobachtete ich Eidechsen, die ihre Jungen auffraßen oder kleinere Geschwister hinunterwürgten. Die Schlangen fraßen Frösche und bissen die Kröten blutig. Mord allerorts. - Ich las Macbeth.

Kein Petroleum, kein Spiritus mehr, keine Semmeln, kein Fleisch, keinen Zucker. Weil es kein Öl gab, nahmen wir Brillantine. Der Kunsthonig wirkte auf Messerstahl wie auf unsere Zähne wie Säure.

...eine Abschiedstrinkerei, die noch toller verlief als die Rigafeier. Klinker zeigte eine große Fertigkeit darin, ein Bierglas, das ich mir auf den Kopf stellte, mit einem anderen Bierglas herunterzuwerfen. Das genügte dann nicht mehr, und er fing an, mir Gläser mit dem Revolver vom Kopf zu schießen. Dann griffen wir anderen auch zum Revolver und schossen. Schossen zunächst auf die Fotografien der Braut des abwesenden Leutnants. Schossen andere Bilder entzwei. Schossen in die Fenster und in die Gaslampe. Sodann veranstalteten wir Ringkämpfe und begingen sonstige berauschte und uns berauschende Heldentaten, bis wir schließlich mit Lärminstrumenten und das Pfannenflickerlied singend zum Hafen zogen. (...) Unser Katzenjammer am nächsten Morgen war schlimm ...“

 Cuxhaven, Hafen, wo Ringelnatz während des Kriegs stationiert war


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