Mittwoch, 28. August 2013

Geschichten aus 1111 Nächten (42)

Der stoische Wirt

In einer kleinen Spelunke im Rechtsrheinischen regierte einst ein Wirt, der als ungemein stoisch galt. Weder ließ er sich reizen, noch einschüchtern oder sonstwie aus der Ruhe bringen. Kein mosernder Trinker, keine verbratene Frika, kein überschäumendes Fass konnte ihm die Laune verhageln. Manchen seiner Gäste war er mit seiner Unerschütterlichkeit gar ein wenig unheimlich, deshalb heckten sie einen Plan aus.
Eines Winterabends, der gleichmütige Wirt weilte gerade zwecks Fässchenwechsel im Keller, verabredete der brechend volle Saal sich auf ein Zeichen. Als der Meister wieder erschien, bestellte der Gast in der hintersten Ecke ein Kölsch. Und als der Wirt gerade die Mitte der Kneipe erreichte, löschte jemand das Licht, die Meute sprang auf und begann zu kreischen wie wildgewordene Gespenster.
Als das Licht jedoch wieder anging, sah man den Wirt, wie er ohne jede erkennbare Regung durch die Reihen schritt und mit ruhiger Hand das Bier auf dem Ecktisch abstellte. Sorgfältig richtete er die Beschriftung gen Gast aus und zog einen kerzengerade Strich über den Deckelrand.
Dann schritt er zurück hinter seine Theke, lehnte sich gegen die Wand und stieß einen lauten Schreckensschrei aus.


Ein gewisser Stoizismus schadet nichts


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Mittwoch, 21. August 2013

Thekentänzer (67)

Fünf Frauen

„Du hast schöne Finger“, hatte er irgendwann gesagt, und seitdem zapfte sie anders. Demonstrativer, mit Seitenblicken. Irgendwann ließ sie ein Glas überlaufen und strich, mit ihrem Daumen, den Schaum vom Glasrand. Da ging er.

Letztes Mal wollte sie Fotografin werden. Das war vor drei Monaten.
„Gestern“, sagt sie, „habe ich mir ein Pferd gekauft.“

„Ich stehe auf Italiener“, sagt sie.
„Obwohl man das nicht so sagen kann.“
„Eigentlich stehe ich auch auf Schweizer.“

Mit Mitte 20 hat sie noch selbst hier gekellnert, inzwischen kommt sie nur noch sporadisch vorbei.
„War hier immer so dreckig?“

Sie hat ihren Mann hier in der Kneipe kennengelernt und ist seit der Trennung nicht wiedergekommen. Aber heute, mit einer Freundin.
„Der passt heute das erste Mal auf die Kinder auf, der Arsch“, sagt sie.
„Der hat mir alles versaut“, sagt sie, und:
„Mach direkt jeder zwei.“

Frauen Träume

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Mittwoch, 14. August 2013

Geschichten aus 1111 Nächten (41)

"Was ist das Leben?"

 Viele Jahre lang hatte sich der heilige Willy in eine einsame Höhle in der Eifel zurückgezogen. Irgendwann, so hieß es landauf landab, hatte er dabei den Sinn des Lebens gefunden.
Ein steinreicher Marienburger fühlte sich unerfüllt als Kapitalist, Villenbesitzer, Golfspieler und und und. Also verschenkte er all sein Hab und Gut, verließ seine Familie und machte sich ohne Schuh und Strümpf auf den Weg zu dem Einsiedler. Viele Monate suchte er ihn, durchstreifte Wald und Wiesen, verirrte sich und kämpfte mit Krankheiten und Verletzungen. Eines Tages jedoch, kurz hinter Birresborn, fand er schließlich, den er suchte.
Ohne Umschweife kam er zum Urgrund seiner Reise:
„Heiliger Willy, sag mir: Was ist das Leben?“
Der kölsche Weise dachte eine Weile nach, nahm ein Schlückchen von seinem selbstgebrannten Obstler und hob dann an: „Das Leben, mein Sohn, ist ein langer Fluss, der seinen Anfang am Tage deiner Geburt nimmt und ...“
Der Marienburger unterbrach ihn brüsk: „Habe ich jetzt etwa alles verschenkt, all diese Strapazen überwunden, um mir diesen abgedroschenen Unsinn anzuhören? Das Leben ist ein langer Fluss? Dann hätte ich auch zuhause bleiben und meinen Luxus weiter genießen können!“
Da fragte der Einsiedler äußerst beunruhigt:
„Wie? Das Leben ist kein langer Fluss?“

Das Leben ist ein Häufchen Meerschaum

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Mittwoch, 7. August 2013

Interviews (15)
 Heute: Der Lokalhistoriker

„Als Protestant wurde man schief angesehen“

Zur Person: Fritz Bilz wurde 1944 in Riedenburg/Niederbayern geboren, lebt jedoch seit seinem 2. Lebensjahr in Brück. Er arbeitete u.a. als Packer, Bauingenieur und Hauptschullehrer. Ende der 1980er Jahre begann seine Mitarbeit in der Werkstatt für Ortsgeschichte Köln-Brück, aus der eine lebenslange Beschäftigung mit lokalhistorischen Themen erwuchs. Einem späten Studium der Geschichte folgte 2007 die Promotion zum Thema „Zwischen Kapelle und Fabrik. Die Sozialgeschichte Kalks von 1850 bis 1910“. Schon 1998 hatte er für seine Verdienste um die „landschaftliche Kulturpflege“ den Rheinlandtaler des Landschaftsverbands Rheinland erhalten.
Fritz Bilz, der über eine eigene Stiftung alljährlich den mit 5.000 Euro dotierten Bilz-Preis an Initiativen verleiht, die sich für Völkerverständigung und gegen Rassenhass einsetzen, lebt mit seiner Frau in seinem Brücker Elternhaus.


Draußen regnet es in Strömen, während ich mit Fritz Bilz im Deutzer Café Kram sitze. Der umtriebige Autor hat sich einen Kakao bestellt und an einer zum Tischchen umfunktionierten Nähmaschine Platz genommen. So etwas Ähnliches hatte seine Mutter früher auch zuhause, erzählt er zur Begrüßung.

Viele Ihrer lokalhistorischen Arbeiten befassen sich mit der rechten Rheinseite. Wie grenzt die sich gegen die linke ab?

Die ersten rechtsrheinischen Vororte sind erst 1888 nach Köln eingemeindet worden. Vorher waren Mülheim, Kalk und Deutz selbstständige Städte, und daraus entstand auch ein historisches Selbstbewusstsein. Das äußert sich noch heute in Sätzen wie: „Ich fahre nach Köln.“ Auch die soziale Entwicklung verlief anders. Das Schicki-Micki-Volk, das sich inzwischen in der Südstadt, in Nippes oder Ehrenfeld angesiedelt hat, findet sich im Rechtsrheinischen nicht. Unter anderem, weil der gewerbliche Schwerpunkt hier lange Zeit die Industrie war.

Es gibt verschiedene Theorien über die Herkunft des Ausdrucks „Schäl Sick“. Welcher hängen Sie an?

(lacht) Ich habe mir meine eigene gestrickt: Ein schick gekleideter Kölner kam ins Rechtsrheinische und besah sich die dortigen Arbeiter und Bauern, die ihn daraufhin ansprachen: „Wat lurst du uns esu schäl an?“ Woraufhin der Kölsche erwiderte: „Dat jeit dich doch janix an, du Tünnes.“ Aber diese Erklärung ist natürlich genauso unhistorisch ist wie alle anderen, etwa die mit dem schielenden Treidelpferd.


Sie haben Ihr erstes Lebensjahr in Bayern verbracht, in einem Ort namens Riedenburg.

Das Haus in Brück ist mein Elternhaus, aber Ende ´44 sind wir dann im Rahmen der Evakuierung in den bayrischen Geburtsort meiner Mutter gegangen. Schon zwei Monate nach Kriegsende waren wir aber wieder in Köln, und hier bin ich auch sozialisiert worden.

Wie sah Brück in den 1950ern aus, als Sie ein kleiner Junge waren?

Sehr dörflich. Es gab damals noch sechs Vollerwerbsbauernhöfe dort, und das roch man auch. Die alteingesessenen Familien habe ich als ziemlich muffelig in Erinnerung, die machten es den Zugezogenen sehr schwer, sich als Brücker zu fühlen.

Wie äußerte sich diese Ausgrenzung?

Man wurde komisch angesehen, und in den örtlichen Vereinen blieb die Einheimischen unter sich. Auch in die verschiedenen katholischen Gremien kam man nicht rein.

Haben Sie das auch als Kind gespürt?

Viele Zugezogene waren wie ich protestantisch, und für die wurde der Schulhof mit einer Linie abgeteilt, die sie von den kölschen Katholiken fernhielt. Der einzige ökumenische Ort war der Klo. Man ging von getrennten Seiten hinein, aber dann stand da der Kathole pinkelnd neben dem Evangelen.

Brück ist sicherlich nicht schicki-micki, aber inzwischen doch ein recht gutbürgerliches Veedel.

Das stimmt. Es gibt ein Prominentenviertel mit Leuten, die sich sehr vom Alltagsleben abschirmen. Aber jenseits dessen geht es in Brück sehr lebhaft zu.

Fühlt man sich in Brück als Kölner?

(überlegt länger) Ich denke schon. Allerdings fühle ich mich zuerst mal als Brücker, und dann als Kölner. Wir haben hier wunderbar frische Luft, nach 500 Metern bin ich im Wald. Und wenn man denn mal „nach Köln“ will, ist man mit der 1 prima angebunden.

Braucht man dort im Osten Köln überhaupt?

Ja, vor allem wegen der kulturellen Vielfalt. Ohne Besuche in der Philharmonie, im Schauspielhaus, im Kino oder in den Museen könnte ich nicht leben.

Sie arbeiten mit in den Geschichtswerkstätten von Brück und Kalk, letztere haben Sie sogar mitgegründet. Wie entstehen solche Vereine?

In Brück haben wir uns ab 1986 mit rund 50 Leuten erfolgreich gegen die Volkszählung gewehrt. Und als danach die Frage „Was nun?“ aufkam, hatte einer die Idee, solch eine lokale Geschichtswerkstatt zu gründen. Das dockte zum Beispiel an die Bewegung „Grabe, wo du stehst“ an.

Wo lagen Ihre Interessen?

In Vereinen wie den unseren geht es um die Geschichte und Geschichten der Nachbarn, der Großeltern, der kleinen Geschäfte undsoweiter. Wie haben die früher gelebt und gefeiert, wie sind die gestorben?

Was findet man dabei etwa heraus?

Über Brück gab es damals ein Buch mit dem Foto eines Schützenumzugs aus den 1930ern. Auf der Fahne war nachträglich ein schwarzer Fleck aufgetragen worden, und Sie können sich vorstellen, was ursprünglich darunter lag. Wir dachten uns, dass Lokalhistorie auf diese Art nicht betrieben werden sollte. Und das Original mit dem Hakenkreuz haben wir dann auch aufgetrieben.

Ihr erstes Buch zur Kalker Industriegeschichte erschien 1997. Wie lautete damals Ihre Diagnose, und wo sehen Sie den Stadtteil heute, 16 Jahre später?

Damals war ich sehr pessimistisch und sah große soziale Probleme auf Kalk zukommen. Sämtliche großen Betriebe - die Chemische Fabrik, Hagen, Stühlen, Liesegang - waren kaputt. Inzwischen sehe ich einige positive Ansätze. Damit meine ich nicht die Kalk-Arcaden, die die Infrastruktur der Kalker Hauptstraße zerstört haben. Aber Neugründungen wie das Technologiezentrum an der Dillenburger Straße weisen in die richtige Richtung.





Gaststätte Sünner um 1910


Sehen Sie bereits Gentrifizierungstendenzen?

Dass nach Kalk immer mehr Studenten ziehen, ist zunächst einmal positiv, denn dadurch entsteht dort eine ganz neue Szene. Aber zugleich birgt das die Gefahr der Gentrifizierrung, wie sie Nippes oder Ehrenfeld längst abgeschlossen ist. Das ist wohl der Lauf der Dinge, da wird man nicht viel dran ändern können.

Geschichtswerkstätten sterben allmählich aus, stimmt´s?

Das ist leider so, ja. Es findet sich kaum Nachwuchs, mit meinen 68 Jahren gehöre ich zu den Jüngsten bei uns in Brück.

Eigentlich verwundert das auf dem Hintergrund des Schlagworts vom „Europa der Regionen“ oder des Zulaufs, den die dritten Programme verzeichnen.

Tja, wir versuchen alles. Wir gehen in Schulen und machen Führungen, auch für Schüler. In Kalk haben wir 1.000 Haushalte mit Flugblättern versorgt: Wer irgend etwas über sein Veedel wissen möchte, möge uns anrufen. Und was soll ich sagen: Es hat sich kein Mensch gemeldet.

Seit den späten 80ern zeichnen und malen Sie auch.

Damit habe ich aus Langeweile während eines verregneten Tages im irischen Donegal begonnen. Danach ließ mich die Malerei nicht mehr los, ich habe jahrelang Kurse besucht und Unterricht genommen. Vor allem die Grafik fasziniert mich.

Gibt es Überschneidungen von Kunst und Lokalhistorie?

Noch nicht, aber da muss ich unbedingt hin! Politische Grafiken - gegen den Irakkrieg - habe ich schon gemacht. Aber spannend wäre es natürlich, Grafiken zu meinen eigenen Geschichten zu fertigen. So wie Günter Grass das zuweilen gemacht hat.

Noch ein Takt Zukunftsmusik: Kölns Gegenwart ist, freundlich formuliert, recht turbulent. Wie werden Geschichtsschreiber in 50 Jahren darüber urteilen?

Zunächst mal ist Köln eine geschichtslose Stadt! Die hier das Sagen haben, kümmern sich einen feuchten Kehricht um Historie. Das Historische Archiv war schon vor dem Einsturz systematisch heruntergewirtschaftet worden, von 72 auf 32 Beschäftigte. Und während das NS-Dokumentationszentrum inzwischen - auch dank meines eigenen Engagements - hervorragend aufgestellt ist, fehlt es im Stadtmuseum noch an allen Ecken und Enden. Ganz zu schweigen vom Umgang mit dem geplanten Jüdischen Museum am Rathaus. Mit anderen Worten: Wenn sich hier nichts grundlegend ändert, wird man in 50 Jahren sagen: Diese Zeit gibt ein gutes Beispiel dafür, wie man in Köln Geschichte entsorgt statt bewahrt.

Was ist Ihr nächstes Projekt, das solcher Vergesslichkeit entgegenarbeitet?

Da laufen gleich mehrere. Besonders wichtig sind mir die „Kalker Köpfe“, bei denen eine Sammlung widerborstiger, vermeintlich „kleiner“ Menschen portraitiert werden soll. Da ist dann etwa der Lehrer Welsch dabei, der Boxer Jupp Elze, die Widerstandskämpferin Martha Mense und natürlich Karl Küpper, der einzige Büttenredner, der die Nazis aufs Korn nahm.


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