Freitag, 24. Juli 2009

Coloniales (20)

Die Märchensiedlung

Dass sich die Straßennamen dieses Viertels zwischen Neufelder und Bergisch-Gladbacher Straße an deutschen Märchen orientieren, wirkt einleuchtend. Rapunzelige Häuser stehen zwischen viel Grün, und im Süden fließt mit der Strunde auch noch ein kleiner Bach vorbei. Wie etwa auch in der Gremberghovener Eisenbahnersiedlung wurde in Holweide der aus England stammenden Idee der Gartenstadt gehuldigt. Die Arbeiterfamilien des Ballungszentrums sollten weiter draußen im Grünen mit mehr Raum, mehr Licht und besserer Luft versorgt worden. Große Gärten sollten zudem den Anbau von Obst und Gemüse ermöglichen, mithin von billigen und gesunden Lebensmitteln. Im Gegensatz zu den meisten Innenstadtwohnungen waren die Häuser zudem mit eigenen Toiletten ausgestattet. Geheizt wurde mittels eines Kachelofens, der über ein Heißluftsystem sämtliche Zimmer erwärmte.
Die Märchensiedlung entstand ab den 1920er Jahren auf Initiative der Gemeinnützigen Aktiengesellschaft für Wohnungsbau (GAG). Den Architektenauftrag bekamen Manfred Faber und der in Köln überaus umtriebige Wilhelm Riphahn. Er zeichnet für zahlreiche Siedlungen wie die Weiße Stadt in Buchheim, aber auch für Repräsentationsbauten wie das Opernhaus verantwortlich.
Eigentlich dominierten hier zwei Haustypen: Zwischen größeren Bauten mit herabgezogenen Dächern an den Zeilenenden standen etwas schlichtere Häuser. Auffällig dabei die klare Anordnung der jeweils vier gleich großen Fenster. Die Homogenität der Bebauung hat im Laufe der Zeit gelitten, aber viele Bewohner haben mit Hilfe alter Fotos bereits Korrekturen vorgenommen. Sehr ursprünglich wirkt etwa der Weg vom Rapunzelgässchen über den Rotkäppchenweg in die Siebenrabengasse. Nebenbei erkennt man dabei auch, woran die Architekten bei aller Weitsicht nicht gedacht haben: Die engen, kopfsteinbepflasterten Wege lassen kaum Raum für Autos.


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Momentaufnahmen (4)

Gläserne Trinkhörner

Kneipe, Nordstadt
Der Mann schläft seit gut einer Stunde mit dem Kopf auf dem Tresen und wacht nun kurz auf: „Ich war aufm letzten Konzert von Rory Gallagher“, murmelt er wie im Traum.
Dann schläft er wieder ein.

Kneipe, Nordstadt
Zwei junge Kulturschaffende unterhalten sich:
Kulturschaffender 1: „Der Quander, der will eigentlich´n Künstler sein, das is doch klar. Das is son unglücklicher Verwaltungsfuzzi, der gern Opern inszenieren würde.“
Kulturschaffender 2: „Klar, voll das Arschloch, der Typ. In Köln hat der doch komplett verkackt, der hat doch absolut nix vorangebracht.“
K 1: „Nee, nix. Konsequent wäre, der würde erstmal hier kündigen und sich dann nen neuen Job suchen. Aber die feige Nummer hat Angst, dass die den sonst nirgendwo nehmen.“
K 2: „Genau, keine Eier, das sind halt alles so Säcke, da könnt´s du kotzen. Und weißt du, was das Schlimmste an dem is?“
K 1: „Was denn?“
K 2: „Der Mittelscheitel.“
K 1: „Genau. Wie der Daum.“
K 2 (lacht): Genau, aber der is immerhin freiwillig abgehauen, die alte Koksnase.“
K 1: „Apropos.“
K 2: „Nee, ich hab nix.“

Kneipe, Nordstadt

Ein ansonsten guter Trinker kommt herein und bestellt zwei Bionaden. Fragt der Kellner:
„Hast du irgendeine geschmackliche Präferenz?“
Darauf einer der Thekenhänger:
„Gib ihm Knoblauch-Nuss.“

Kneipe, Nordstadt
Protokoll einer Anzeige wegen Beleidigung und Übler Nachrede:
„Ich verkehre seit 10 Jahren in der Gaststätte „D“. Der Tatverdächtige ist dort Kellner, er trägt den Spitznamen „XY“. Zur Tatzeit hat er behauptet, dass ich ein Zechpreller sei. Das stimmt aber nicht. Diese Behauptung hat er in Anwesenheit anderer ausgesprochen. Darunter war auch der Zeuge „YZ“, den ich gut kenne. Desweiteren hat der Tatverdächtige ´Du kleines, rotes, schwules Rotkäppchen´ zu mir gesagt.“

Kneipe, Nordstadt

Der Mann schläft seit gut anderthalb Stunden mit dem Kopf auf dem Tresen und wacht nun kurz auf: „Und weißt du, was aus Köln kam und im 3. Jahrhundert nach Christus der letzte Schrei war?“
Kellner: „Nein.“
Mann: „Gläserne Trinkhörner. Glä-ser-ne Trinkhörner!“
Dann schläft er wieder ein.


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Mittwoch, 22. Juli 2009

Thekentänzer (16)

Beige Jacke, rote Tasche, schwarze Stiefel

Halb 8, ich fege die Scherben der letzten Nacht zusammen. Gerade hat es geregnet, der Laden dämmert in fahlem Braun. Am Gitter vor dem Fenster taucht ein Gast von gestern auf und entriegelt sein Fahrrad. Auf dem Flipper liegt ein halbierter Bierdeckel: „Peter“ ..., und dann ein Nachname samt Telefonnummer. Und unter einem der Stehtische hockt etwas Großes, Schwarzes.
Ein Tier, geht es mir durch den Kopf. Aber als ich mich bücke, halte ich zwei Frauenstiefel in der Hand. Fast neu, gutes Leder. Und direkt daneben ein paar Strümpfe. Interessant!
Eine Viertelstunde später klingelt das Telefon. Ob ich vielleicht eine beige Jacke und eine rote Tasche gefunden hätte, fragt die Frau. Ich gehe in die kleine Küche, und am Haken hängen: beige Jacke und rote Tasche.
„Ist ja toll“, sagt die Frau mit der angenehmen, leicht rauchigen Stimme. „Und steckt womöglich die Kamera noch in der Tasche?“ – Sie steckt.
Die Frau ist erleichtert, begeistert, in fünf Minuten will sie da sein.
Und fünf Minuten später betritt sie auch den Raum: Mitte 30, hübsch, braune Haare, Seitenscheitel.
„Ich hoffe, das wird mir eine Lehre sein“, sagt sie zur Begrüßung.
Ich hole ihre Sachen, sie zieht die Jacke an. Sogar das Portemonnaie steckt noch darin.
„Wahrscheinlich war ich so spät, dass gar keiner mehr was klauen konnte“, sagt sie.
„Wie lange warst du denn hier?“ frage ich.
„Weiß ich nicht.“
Als sie zur Tür geht, sehe ich, dass sie Flipflops an den nackten Füßen trägt. Eigentlich zu kühl für diesen Tag.
„Sag mal, bist du dir sicher, dass du den Laden mit Schuhen verlassen hast?“
Die Frau dreht sich noch einmal um und sendet einen Augenaufschlag.
„Dann sind das doch bestimmt deine Stiefel da“, sage ich.
Die Frau blickt in die Richtung meines Zeigefingers. „Ja“, sagt sie dann und setzt sich – so ein bisschen schüchtern, so ein bisschen ertappt, so ein bisschen resigniert – auf die Fensterbank.
Und während sie sich den ersten Strumpf über den Fuß streift, schiebt sie nach: „Ich hab´ mich einfach nicht getraut, nach denen auch noch zu fragen.“


P.S.: Alle Männer, denen ich diese Geschichte erzählt habe, haben spontan gelacht. Und danach, das sah man ihnen an, haben sie sich so manches überlegt.

P.P.S.: Ja, die Fußnägel der Frau waren lackiert. Schwarz.


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Mittwoch, 15. Juli 2009

Momentaufnahmen (3)

Dann lieb die doch platonisch!

Klamottenladen, Schildergasse
Ein Nordafrikaner um die 30 erklärt seinem Kumpel die feine Kunst der Schuldeneintreibung:
„Gibt im Prinzip nur drei Möglichkeiten. Erstens, du gibst mir die Kohle, Cash und sofort. Zweitens, du hast zackzack nen Anwalt am Arsch.“
„Und drittens?“
„Und drittens eben, ich lass mir jeden Tag nen Finger von dir bringen.“

Domdach
Während einer Führung bestaunt eine Dauerwellenfrau die hohen Fenster. Dann meldet sie sich, hebt also den Arm, schnipst sogar ein bisschen und wendet sich an die Führerin:
„Werden die eigentlich jemals geputzt?“

Vor der Stadtbücherei, Neumarkt
Zwei Männer mit Bierflaschen stehen vor meinem Motorrad:
Trinker 1: „Happichs nich gesagt, das is der Typ.“
Trinker 2: „Na toll, der hat ja auch nen Helm in der Hand.“
Trinker 1: Sachma, Kollege, von wann is denn die Maschine?“
Ich: „Von 1978.“
Trinker 1: „Happichs nich gesagt, und wieviel Kubik hat die?“
Trinker 2: „800, is doch klar.“
Trinker 1: „Du Blöd, du hast auf das Schild gekuckt, du Blöd, abasachma, Kollege, wieviel PS hat die eigentlich?“
Ich: „55.“
Trinker 1: „Happichs nich gesagt, ich happ 50 geschätzt, war doch verdammt nah dran. Weiße, mein Freund hier, der is Afghane, der kennt sowas alles nich. Aba jetz sachma, Kollege, dat mit den 3.000 Kilometern aufm Tacho, dat stimmt aba nich, stimmts?“
Ich: „Nein, der ist einmal durch inzwischen.“
Trinker 1, seinen Freund triumphierend fixierend: „Na, happichs nich gesagt, du alter Afghane, du.“

Deutscher Problemfilm, 3. Programm
Ein Mann (Lehrer, Sozi) ist darüber bestürzt, dass seine Frau (Lehrerin, an der selben Schule) ihm in dreißig Ehejahren so manches verschwiegen hat. Auch zweifelt er zusehends an ihrer Zuneigung. In einer Schlüsselszene schleudert sie ihm dann die bittere Wahrheit an den Kopf:
„Wie kann man jemanden lieben, der sich am Telefon immer noch mit ´Hür üst dör Hörbört´ meldet!“

Kneipe, Nordstadt
Eine Frau tröstet einen unglücklichen Mann:
Frau: „Aber du bist doch verknallt in die.“
Mann: „Ja, aber auch wieder nicht.“
Frau: „Oder wie wär´s, dann lieb die doch platonisch.“
Mann: „Würd ich ja. Aber die trinkt ja nix.“

Archäologische Zone, Rathausplatz
Auf der Pressekonferenz wird OB Schramma gefragt, ob er davon ausgehe, dass die Bebauung des Rathausplatzes wie geplant 2012 abgeschlossen sei.
„Ja, davon gehe ich aus“, sagt Fritz Schramma, „aber es wird wahrscheinlich Ende 2012 werden.“
Niemand lacht.



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Mittwoch, 8. Juli 2009

Coloniales (19)

Das Grab vom Lehrer Welsch, oder: Die Kayjass war in Kalk

Es waren die Straßengruppe „Drei Laachduve“, die zur Session 1937/38 das Lied von der „steinahl Schull“ in die Welt setzte, in der „dreimol Null es Null es Null“. Der Lehrer, der solches angeblich lehrte, Heinrich Welsch nämlich, war damals schon seit drei Jahren tot.
Dass der Mann solchermaßen zu Nachruhm kam, hat er unbedingt verdient. Wobei zunächst einmal sein Wirkungsort korrigiert werden muss: Welsch arbeitete nicht in der Kaygasse am Griechenmarkt, sondern im rechtsrheinischen Kalk. Der 1848 geborene Welsch entstammte einer Bauernfamilie aus der Nähe von Meckenheim, seine Lehrer waren katholische Geistliche. Erste Erfahrungen als Pädagoge machte er in Koblenz, wo er ein Pensionat für Waisenkinder leitete. Nach Anstellungen in Worringen und Sülz war er 1881 nach Kalk gekommen, wo er das Elend der Arbeiterkinder – Armut, ungesunde Ernährung, fehlende Bildung – kennenlernte. 1905 gründete er hier die erste Hilfsschule, vier Jahre später stand bereits eine Erweiterung an. Welsch, so wird berichtet, sorgte sich nicht nur um den Schulunterricht seiner Eleven, sondern auch um ihre sozialen Verhältnisse. So soll er sich beispielsweise für junge, unverheiratete Mütter eingesetzt haben, die wegen ihres „Fehltritts“ gesellschaftlich ausgegrenzt wurden. Welsch schied 1914 aus dem Schuldienst aus und starb 1935.
Sein Grabmal auf dem Kalker Friedhof besteht aus einer planen, von zwei kleinen Stelen gefassten Platte. „Hier ruhen der Lehrer Heinrich Welsch und seine Ehefrau Katharina Welsch“, steht darauf. Es handelt sich um ein schlichtes Reihengrab, nichts deutet darauf hin, dass hier der Held eines der berühmtesten kölschen Lieder liegt. Seinen Namen trägt inzwischen allerdings eine Kölner Lehranstalt, die Rheinische Förderschule für Sprachbehinderte in Flittard.



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Mittwoch, 1. Juli 2009

Coloniales (18)

Der Weiße Mönch

Bildstöcke stehen zumeist an Wegkreuzungen und ähneln einem Tabernakel. Hinter einem Gitter, in einer Nische steht das Bildnis von Christus oder einem Heiligen, der diesen Ort beschützen soll. Nicht selten gemahnen sie auch an ein Verbrechen, das an dieser Stelle stattfand.
Im Westen von Dünnwald, am Beginn der Prämonstratenserstraße, weiß man von keinem Verbrechen, aber von einem blutigen Kampf. Hier soll im Jahr 1250 ein Streit zwischen Köln und dem Grafen Adolf IV. ausgetragen worden sein. Den 50 gefallenen Kölnern zu Ehren habe man sodann dieses Denkmal errichtet. Darüber hinaus ranken sich mehrere schaurige Erzählungen um den Ort. Am bekanntesten ist die des Heidengeistes, der sich hier herumtrieb, um Vorbeikommende vom Glauben abzubringen, indem er ihnen frevlerische Worte zuflüsterte. Wer jedoch fromm den Hut zog, den ließ der Kobold unbehelligt.
Gesichert ist demgegenüber die Identität jenes Heiligen, dem der heutige Bildstock gewidmet ist: Norbert von Xanten (1080-1134), Gründer des Prämonstratenserordens. 1143 kam dann auch das Dünnwalder Kloster in die Hand dieser Mönche. Heutzutage firmiert es unter dem Namen St. Nikolaus und ist die größte und schönste romanische Kirche im Rechtsrheinischen.
Weil Norbert und seine Anhänger weiße Gewänder trugen, gilt er auch als der erste „Weiße Mönch“. Sein Bildnis in Form eines geschnitzten Holzreliefs stammt aus dem Jahr 1952 und wurde von einem Dellbrücker Holzbildhauer geschaffen. Zur Zeit ist es jedoch nicht an seinem Platz. Die einen sagen, es werde wie demnächst der gesamte Bildstock von ehrenamtlich arbeitenden Handwerkern der Umgegend restauriert. Die anderen behaupten, Norberts Schnitzerei sei geklaut worden.
Sonderlich beliebt war er im übrigen nicht, der Norbert von Xanten. Als Ordensgründer predigte er strengste Askese, und später als Magdeburger Erzbischof verdonnerte er auch die einfachsten Priester zum – damals noch nicht so strikt gehandhabten – Zölibat.



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