Mittwoch, 28. April 2010

Foto-Roman (1)

Maispoularde mit Morchelsauce

In der Kaiser-Wilhelm-Allee schlägt das Herz von Leverkusen, dort residieren die Chefs des Bayer-Konzerns. Im gigantischen Treppenhaus der Hauptverwaltung sitzt der Pförtner in seinem Glashaus:
"Darf ich mir das Treppenhaus mal ansehen?"
"Dürfen Sie, aber gehen Sie bitte nicht die Stufen hoch."
"In Ordnung", sage ich und zücke meine Kamera.
"Fotografieren dürfen Sie auch nicht", sagt der Pförtner, aber da war es schon geschehen.



Kaiser-Wilhelm-Allee 3, Bayer-Kasino und Restaurant "Zum Löwen":
Ein "klassisches Menü" besteht hier aus Geflügelkraftbrühe mit Spargel, Erbsen und Eierstich als Vorspeise, Gebratener Maispoulardenbrust mit Morchelsauce an glasiertem Spargel als Hauptgang und Rotweincreme mit Pistazienkrackern und Birnensorbet zum Dessert.


Q30, die heutige Pharma-Verwaltung:
"Darf ich fragen, was Sie hier machen?" fragt der alte Kerl mit der ranzigen Stimme über der Breitcordhose.
"Ich fotografiere diese Figuren da an der Hauswand."
"Und wieso fotografieren Sie diese Figuren?"
Eigentlich geht den das einen feuchten Kehrricht an, aber ich antworte trotzdem: "Aus rein architektonischem Interesse."
"Ah so. Aber sowas meldet man normalerweise gefälligst vorher an."
"Tut man nicht, das ist öffentlicher Raum hier."
"Ah so."



Rückweg, nochmal an der Hauptverwaltung vorbei. Der Wandschmuck dort: Monatsbilder-Reliefs wie das hier:





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Dienstag, 20. April 2010

Thekentänzer (27)

Kerzen, Kölsch und Leverkusen

Die beiden Jungs tragen Bayern-Schals, und klar: Die waren beim Spiel in Leverkusen. Ist 1:1 ausgegangen, dieses Match, und schon ein Weilchen vorbei. Und vorher, also heute Mittag, haben sie auch schon ein bisschen was getrunken.
„In Leverkusen kannst du nichtmal ne vernünftige Currywurst essen“, sagt Markus, die Zunge so schwer wie sein bayrischer Akzent.
„Mach uns mal zwei von diesen Kölsch“, sagt Ludger. „Und zwei Whisky-Cola.“
„Wie seid ihr denn ausgerechnet in dieser Kneipe hier gelandet?“ frage ich.
„Im Internet stand, dass hier gut is“, antwortet Markus. „Und dass hier gute Musi läuft.“
„Ah so“, sage ich, hole den Jim Beam aus dem Regal und lasse die Flasche direkt unten stehen.
Vor dem Fenster hat ein jugendlicher BMW-Fahrer Schwierigkeiten mit dem Einparken. Seine Kumpels steigen aus und lachen, während sie ihn einweisen. Wie Blitze zucken die Autoscheinwerfer dreimal durch den Kneipenraum.
„Ihr müsstet hier mal besseres Licht machen“, sagt der dicke Brillenträger, der mir schon beim Eintreten verdächtig vorkam. Er trinkt zu jedem Becks einen braunen Tequila.
„Da hinten sitzen zwei Jungs, denen gefällt´s hier richtig gut“, bescheide ich ihn.
„Die zwei Deppen mit den Schals?“
„Genau, und die finden auch das Licht super.“
Ludger wirkt inzwischen ein bisschen wackelig. Seine Schultern liegen fast auf der Theke.
„Noch zwei Whisky-Cola und zwei von diesen Kölsch“, sagt er zum Aschenbecher.
„Und wir pennen auch nicht in Leverkusen“, sagt Markus. „Wir haben uns extra ein Zimmer in Köln genommen.“
„Klar“, ergänzt Ludger, „in Leverkusen ausgehen geht gar nicht.“
„Vielleicht könnte man ja wenigstens mal paar Kerzen anmachen oder so“, sagt der Dicke.
„Die Kneipe gibt es schon länger, als du geradeausgehen kannst“, sage ich.
„Ich kann schon lange nicht mehr geradeausgehen“, sagt der Dicke, und da ist er mir plötzlich doch ein bisschen sympathisch. Zumal er gleich der einzige Gast sein wird.
„Wir bezahlen dann ma“, sagt Markus. Ludgers Ellbogen sind abgerutscht, sodass ihn nun nur noch sein auf dem Tresen liegender Kopf am Umfallen hindert. Wangen und Mundpartie sind grotesk verzerrt, es schäumt auch ein wenig.
„12,60“, sage ich.
„Mach 20“, sagt Markus, legt sich Ludgers Arm über die Schulter und bugsiert ihn filmreif zur Tür.
Irgendwo da draußen herrscht angeblich die bulgarische Mafia. Vor dem Türkencafé parken die Autos in Zweierreihen. Die beiden Marokkaner winken, als sie vorbeigehen, manchmal trinken sie hier ein paar Bier. Der Dicke mit der Brille sieht aus wie Rainer Werner Faßbinder.
„Wie is denn jetz mit Kerzen“, fragt er. In seinem Blick glaube ich einen Hauch von Ironie zu entdecken. Kann aber auch vom Tequila kommen.


„Ein Foto mit Symbolkraft: Leverkusen ist die Stadt der Arbeit und mit einem enormen Freizeitwert.“ (aus: Ulrich Schütz, Johannes Hahn: Leverkusen)


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Dienstag, 13. April 2010

Straßenkämpfer (12)

Frauen im Café

„Wenn der Ari krank wird, finde ich schon eine Lösung. Hauptsache erstmal, dass ich den Hortplatz habe. Alles andere kann kommen. Keinen Mann, aber einen Platz im Kindergarten, so ist das inzwischen, da freut man sich inzwischen schon drüber.
Thomas ist so ein Idiot, das kannst du dir gar nicht vorstellen. Letztendlich hab ich den rausgeschmissen. Wie in nem schlechten Buch: Ich habe meinen Mann rausgeschmissen. Wie in genau dem Leben, das wir nie führen wollten. Das wir uns vorher schlichtweg nicht hatten vorstellen können.
Wir sind anders! Das stand eigentlich schon über unserem ersten gemeinsamen Tag. Überm Kennenlerntag. Überm ersten Sex. Über dieser ganz und gar ungewöhnlichen Hochzeit, man, was haben wir uns hip gefühlt. Und genauso erstmal auch über der Schwangerschaft.
Aber was ist daran anders, dass ein Mann kein Spültuch in die Hand nimmt. Dass er keine Windeln wechselt und noch nichtmal mit Geld umgehen kann. Und dass er mich nicht mehr angefasst hat seit dem dritten Monat. Nicht mehr nach der Entbindung und auch das ganze restliche Jahr nicht mehr. Der Idiot. Wir haben gelebt wie Hänsel und Gretel im Mietshaus, aber man gewöhnt sich ja an alles. Das geht Schrittchen für Schrittchen. So ein Mann sagt ja nicht: Ich habe Angst vor Veränderung, vor deinem dicker werdenden Bauch, ich ekele mich vor dir. Sondern der fasst einen einfach nicht mehr an.
Schrittchen für Schrittchen: Jetzt hat er mich schon drei Tage nicht mehr angefasst. Jetzt hat er mich schon vier Tage nicht mehr angefasst. Jetrzt wird es langsam ungewöhnlich, aber warten wirs ab, er gewöhnt sich schon dran. Jetzt ist es noch ein bisschen ungewöhnlicher, aber das Ungewöhnliche auch schon wieder ein bisschen normaler, jetzt hat er mich schon zehn Monate nicht mehr angefasst, ich kenns schon gar nicht mehr anders.
Aber wenigstens hab ich den Hortplatz.“



Mann als arme Wurst


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Montag, 5. April 2010


Momentaufnahmen (11)

Fahrradfahrer, Frauen mit Spitznamen und ein total bescheuerter Holländer

Kneipe, Nordstadt, 21 Uhr
Kellner: „Und? Isses gestern noch lang geworden?“
Ramponierter Gast, Bionade trinkend: „Eigentlich wollte ich ja nach Hause, aber dann bin ich doch noch in die Lotta bis um 6.“
Kellner: "Tja, warum machst du sowas auch.“
Ramponierter Gast: „Ich hatte einfach noch sonen Bock auf Fahrradfahren.“

Altwerden I
Gast, der sein mit Kleingeld gefülltes Portemonnaie über die Theke reicht: „Nimm dir raus.“

Kneipe, Nordstadt, 23 Uhr
Total bescheuerter Holländer: „Haben Sie Pils?“
Extrem einfühlsamer und belastbarer Kellner: „Ja, Bud und Becks.“
Total bescheuerter Holländer: „Kein Heineken?“
Extrem einfühlsamer und belastbarer Kellner: „Nein.“
Total bescheuerter Holländer: „Dann geh ich wieder.“

Altwerden II
Luftgitarre spielender Lederjackenträger: „Die kenn ich, die Band, das ist Mott the Hoople, Glam Rock, volle Motte, der alte Bowie hat die gepusht: All the young Dudes und so, glaub´s mir, es gibt ein Foto von mir mit dem Gitarristen, weil den hab ich mal mit Spooky Tooth gesehen, und später hat der Widowmaker gegründet, aber ...“



Ich-Und-Der-Gitarrist-Fotobox aus dem Gründungsjahr von Mott the Hoople


Kneipe, Nordstadt, 23.30 Uhr
Hübsche junge Frau, ihre zwei Kölsch vom Tresen nehmend: „Machst du mir einen Deckel auf Mercedes?“
Kellner: „Mit c oder z?“
Junge Frau: „Mit c. Mein Spitzname ist übrigens Merçi.“

Altwerden III
„Die Toilette ist ja widerlich!“

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