Mittwoch, 26. November 2008

Coloniales (7)

Der Bonner Verteiler

In letzter Zeit wurde in der Kölner Presse recht heftig über die neue Stele am Bonner Verteiler gestritten. Ich für meinen Teil finde diesen roten Kamin sehr elegant, meinetwegen könnte der doppelt so hoch sein.
Jenseits dessen hat der Ort allerdings seine ganz eigene Geschichte. Denn zum einen kreuzen sich hier mit der Bonner Straße und dem Militärring eine bedeutende römische und für die Stadtgeschichte nicht minder wichtige preußische Trasse. Und zum anderen darf sich Köln rühmen, vom Bonner Verteiler aus die erste deutsche Autobahn in Betrieb genommen zu haben.
Man schrieb den 6. August 1932, als Hans Fuchs, Oberpräsident der Rheinprovinz, diese reine „Kraftwagenstraße“freigab. Wenige Jahre zuvor war in der Eifel mit dem Nürburgring eine Rennstrecke eröffnet worden. Auch die Berliner Automobil- und Verkehrsübungsstraße (AVUS, 1921) fungierte lange Zeit lediglich als Renn- und Teststrecke, während man in Köln an einer echten Alltagsbahn bastelte – kreuzungsfrei und mit vier Fahrstreifen.
Dem Bau waren langwierige Untersuchungen vorausgegangen. Zunächst hatte man die Strecke Köln-Düren-Aachen ins Auge gefasst. Dass man sich schließlich für die Verbindung nach Bonn entschied, mag nicht zuletzt daran gelegen haben, dass sie Mitte der 1920er Jahre die meistbefahrene von ganz Deutschland darstellte. Der Durchschnitt lag bei 4.000 Fahrzeugen pro Tag, ein Klacks gegenüber den rund 70.000 heutzutage.
Ganz nebenbei widerlegt diese Geschichte auch die Nazi-Mär, dass man Hitler den Aufbau des deutschen Autobahnnetzes zu verdanken habe. Denn die Pläne lagen schon Jahre vor seiner Machtübernahme auf dem Tisch und wären im Laufe der 1930er so oder so verwirklicht worden.

Mittwoch, 19. November 2008

Kunstwerker (1)

Finnische Beine

Internationale Performance-Künstler in der Orangerie: Die Finnin hat hübsche Beine. Mit schwarz bestrumpften, tintengetränkten Füßen läuft sie über einen Papierteppich, dann bohrt sie sich hölzerne Schaschlikspieße zwischen die Zähne. Ihr Geld verdient sie als Mathematik-Professorin, aber jetzt braucht sie erstmal einen Weißwein: „That´s performance“, sagt sie, „you build up something and then you destroy it.“
Der Ungar hat Fettblöcke auf einem Tisch verteilt, sie mit einem Messer zersäbelt und final verschmiert. Dann legt er eine Endlosleine in die Hände der Zuschauer und spinnt so ein Netz. Brav halten alle die Schnur, bis der verstrickte Ungar sich fallenlässt. Anstrengend, plötzlich. Die Finnin heißt Irma Optimist, und Przemyslaw, der Pole, hatte nach einem deutschen Autor gefragt. Der war dann ich, the writing waiter.
Und so sitzen wir also zusammen am Tisch und schreiben eine Viertelstunde lang. Zwei Kameras laufen, die Zuschauer schweigen. Irgendwas. Ich soll über irgend etwas schreiben, hat Przemyslaw gesagt. Also schreibe ich über finnische Beine, fluppt auch ganz gut. Hölzchen, Stöckchen, ein paar Gedankensprünge, und schon sind fünfzehn Minuten vorbei.
Przemyslaw schaut mich an, nickt, wir sind fertig. Verbeugung, Applaus, „I wanted to show that nothing is always something”, sagt Przemyslaw. Und dass er mir jetzt unbedingt ein Bier ausgeben muss.
Zurück hinter der Theke: Weißwein für Irma O., Wodka für alle. Die Flasche stammt von Janusz, dem anderen Polen, dessen Stunt irgendwie in die Hose gegangen ist. Aber die Scherben sind weggefegt, auf der Bühne arbeiten jetzt zwei Korsen. Malen einen weißen Kreidekreis, bedecken ihn mit gemahlener blauer Kreide und legen längliche bunte Kreidestücke im Kreis aus. Ich stelle mir die beiden auf Korsika vor, der Abend, an dem sie sich die Nummer ausgedacht haben: Okay, Philippe, was hältst du davon, wenn ich dann einen großen Sack mit kleinen Spielzeugfiguren in den Kreis schütte? – Super Idee, Jean, und ich kicke die dann alle weg und schmeiße noch was Kleingeld hinterher. – Genau so machen wir´s, Philippe, aber lass das gute Kraut nicht ausgehen.
Irma ist inzwischen in Hochform. „Wir Finnen reden nicht viel“, sagt sie, seit geraumer Zeit das Gegenteil beweisend. Die Polen kippen den Wodka, die Korsen fegen die Kreide auf. „Sag mal, mein Freund“, fragt Irma, „worüber hast du vorhin eigentlich geschrieben?“


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Mittwoch, 12. November 2008

Coloniales (6)

Kölsch AG im Kölner Süden

Vor ein paar Wochen rief die Akademie för uns kölsche Sproch an. Ob ich nicht eine Kölsch AG leiten wolle. Prima Idee, fand ich, und seitdem sitze ich jeden Dienstag vor einer Horde Grundschüler im Kölner Süden.
Nun bin ich allerdings nicht gerade der erfahrenste aller Lehrer. Meinen ersten Fehler beging ich bei der Vorbereitung zur ersten Stunde. Singe ich mit denen doch erstmal ein Liedchen, dachte ich mir. Und entschied mich für die FC-Hymne. „Mir stonn zo dir“, schöne Melodie, ergreifend simpler Text, da steht doch sicherlich jeder drauf.
Aber dann stellte sich heraus, dass sich nur sieben von zwölf Gören für Fußball interessieren. Und unter denen waren wiederum zwei Bayern-Fans, einer von Schalke und eine von Gladbach.
„Dann singst du eben immer ´Borussia Mönchengladbach´, wenn da ´FC Kölle´ steht“, sagte ich letzterer. Das kommt zwar silbenmäßig nicht ganz hin, aber da musste sie durch. Ist ja schließlich nicht mein Bier, wenn gebürtige Kölner auf so einen Zeckenverein abfahren.
Als kontraproduktiv erwies sich auch die Idee, Instrumente mitzunehmen. Eine einzige dauerbetriebene Handtrommel kann den Unterricht komplett zum Erliegen bringen, ganz zu schweigen von Rasseln und dem elenden Rhythmus-Ei. Aus irgendeinem Grund haben sich die Kinder zudem von Anfang an um die Triangel gebalgt. Manche kommen extra früher in den Klassenraum, um mir zu sagen, dass sie heute unbedingt dieses an sich doch recht eintönige Dreieck beackern wollen. Den einzigen Ausweg sah ich darin, fortan nach jeder Strophe und jedem Refrain die Instrumente wandern zu lassen. Dass dieses Verfahren dem Liedfluss, der Konzentration, ja, eigentlich allem, was mit Musik zu tun hat, äußerst abträglich ist, brauche ich hier nicht ausführlicher zu erläutern.
Irgendwann begann die Klasse, sich im Raum zu bewegen. Wie an unsichtbaren Fäden gezogen. Ich glaube, das fing an, als ich einem Mädchen erlaubte, einen Lemuren an die Tafel zu malen. Plötzlich waren drei Schüler mit der Kreide zugange, zwei wechselten auf die Fensterbank und einer legte sich entspannt auf den Boden. Jetzt ist eine Portion Autorität gefragt, sagte ich mir und bat eindringlich darum, sich wieder auf die Plätze zu begeben. Aber dann grinsen die einen so an, als wollten sie sagen: Is ja gut, Onkelchen, Kölsch kann man doch auch im Liegen lernen. Und wenn du uns schön in Ruhe lässt, singen wir am Ende auch nochmal das FC-Lied mit.
Ähnlich machtlos fühle ich mich inzwischen auch am Ende der Stunden. Ich packe dann immer eine Tüte Haribo-Konfekt aus, also Lakritze, süße Himbeeren, die Trapeze mit dem Eierschaum undsoweiter. Mag ich selber gern, klar. Eigentlich soll sich natürlich jeder nur ein Teil nehmen, aber seit einmal eine behauptete, da hätten drei aneinandergeklebt, fahren die alle diese Taktik. Seit letzter Woche bin ich deshalb dazu übergegangen, mir immer ganz schnell als Erster was aus der Tüte zu klauben.
Das war auch der Tag, an dem ich nach dem Unterricht unerlaubt abbog und prompt angehalten wurde. Die Polizistin hatte lange blonde Haare und altrot lackierte Fingernägel.
„Macht 20 Euro“, sagte sie.
„30 hab´ ich gerade verdient“, antwortete ich geknickt und erzählte ihr von der Kölsch AG.
„Dat fingen ich jod“, schwenkte sie um, „dann belassen wir´s für heute bei einer Verwarnung.“
Und wollte noch nichtmal Lakritz dafür.



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Mittwoch, 5. November 2008

Thekentänzer (6)

Schmatz

„Ich bin Philosoph“, sagt der Typ. Die Kneipe ist erst seit einer Viertelstunde auf, aber er sitzt schon beim zweiten Weizen. Seinen Deckel hat er sich auf den Namen „Schmatz“ machen lassen.
„Philosophie habe ich auch studiert“, werfe ich ihm hin und ernte ungefähr das Erwartete: „Pah“, macht er, „was heißt schon ´studiert´? Ich bin Privatphilosoph!“
„Verstehe“, sage ich, und denke: Das ist bestimmt ein Spinner der interessanteren Sorte. Dem muss man nur ein bisschen Zeit lassen. Eingangs des dritten Weizens ist es soweit.
„Zuletzt hab ich ja als Hausmeister gearbeitet. In einer Kirche.“
„Und, war bestimmt cool, oder?“
„Scheiße war´s, hab ich gekündigt. Und war sowieso nur ´n 1-Euro-Job.“
Er zieht an seinem Weizen, als wär´s der letzte Strohalm. „Eigentlich will ich nämlich in den Kulturbereich“, sagt er mit dem Absetzen des Glases.
„Kannst du denn was?“ frage ich vorsichtig.
„Ich kann alles, und ich war auch mal in nem Theater. Aber da haben die mich nur immer Bühnen zusammenschrauben lassen. Akkuschrauber, weißt´e. Den ganzen Tag am Akkuschrauber!“
„Und?“
„Na ja, hab ich halt gekündigt, wa.“
Zwei Frauen kommen herein, ich muss Kölsch zapfen. Schmatz brabbelt weiter.
„... wie damals, als die mich in die Klapse gesteckt haben“, sagt er, als ich wieder vor ihm stehe. „Suchtklinik. Nur Drogis, verstehst´e, dabei nehm ich gar nichts. Paar Bierchen am Abend, is klar, und vorm Einschlafen ´n Joint. Und das war´s auch schon.“
„Musstest du Haldol nehmen?“, frage ich.
„Nee nee“, sagt er, „war schon okay. Hatte ich wenigstens ´n Bett da, ich war ja obdachlos damals.“
Die eine Frau kauft „Fränki“, eins meiner Bücher, die ich immer im Schnapsregal ausstelle.
„Du schreibst Romane?“, fragt Schmatz. Ein Buchautor ist anscheinend deutlich hipper als ein Magister Artium.
„Ja“, sage ich stolz.
„Und warum arbeitest du dann hier?“
Die Frage ist verblüffend, geradezu philosophisch. Jedenfalls muss ich nachdenken.
„Weil ich gern volle Motte laut meine eigene Musik höre“, antworte ich so ehrlich wie möglich.
Schmatz nickt. Nach dem fünften Weizen zahlt er, steht aber zwei Stunden später wieder auf der Platte. Völlig abgeledert.
„Nen Wachmacher hast du nicht zufällig auf Lager, was?“, fragt er, sich die Nase reibend.
„Tut mir leid“, sage ich. Das erste Fass ist alle, also zapfe ich das abgestandene Zeug aus Leitung II. Einen halben Liter, ein Weizenglas voll.
Schmatz fixiert das Glas, dann mich: „Wärst du mit einem Euro einverstanden?“