Mittwoch, 26. Februar 2014

Coloniales (39)

Drei Erklärungen für Fisematenten

Unbestritten strotzt das Kölsche vor französischstämmigen Wörtern, man denke nur an Trottewar oder Odekollonje. Zwei Wurzeln der Fisematenten* stammen deshalb auch aus der Franzosenzeit:

1) Es komme von „Visite ma tente!“ – Die napoleonischen Besatzungssoldaten hätten kölsche Mädchen somit aufgefordert, sie in ihrem Zelt zu besuchen.

2) „J´ai visité ma tante“ (Ich habe meine Tante besucht) sei eine Ausrede verspäteter, im Zweifelsfall betrunkener Passanten gegenüber den französischen Straßenkontrollen gewesen.

3) Es gehe zurück auf lat. „visae patentes“. Möglicherweise handelte es sich dabei um einen Sichtvermerk auf einem Beglaubigungsschreiben, jedenfalls um ein ordnungsgemäß geprüftes Schriftstück. Über nhd. „visepatenten“ (dummes Zeug, Nichtigkeiten) und „visimetent“ (übertriebene Ausschmückung, Erfindung nahe der Lüge) wurde das Wort im 15./16. Jahrhundert als Verspottung bürokratisch-amtlicher Umständlichkeiten benutzt, bis es seine heutige Bedeutung annahm.

4) Wobei man direkt dazusagen muss: Die Fisematenten sind alles Mögliche, aber keinesfalls eine Kölner Erfindung und auch keine Kreation aus napoleonischer Zeit: Der Ausdruck ist bereits für den 30-jährigen Krieg (1618–48) nachgewiesen.

* Richtig, also hochdeutsch geschrieben wird das Wort mit einem zweiten i: Fisimatenten. Aber so spricht es, zumindest in Köln, niemand aus.


Ort für Fiesematenten, Fiese Tanten, Franzosen, Betrunkene und überhaupt



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Mittwoch, 19. Februar 2014

Geschichten aus 1111 Nächten (49)

Millionär werden

Der nicht besonders helle Anton verstaute seine Obstkisten im Handkarren und war im Begriff, den Markt zu verlassen. Da trat ein Klettenberger Schnösel auf ihn zu, der gerade am Stand nebenan ein ökodynamiches Vollkornbrot für 8 Euro 50 gekauft hatte.
„Mein Lieber, warum packen Sie denn schon Ihre Ware ein?“
„Ganz einfach: Weil ich genug eingenommen habe.“
„Ja, aber was tun Sie denn nun mit dem Rest des Tages? Und morgen, wenn kein Markt ist?“
„Das geht Sie zwar nichts an, aber: Ich treffe mich mit meinem alten Freund Jean auf ein Bierchen. Oder auch zwei. Morgen schlafe ich aus und gehe dann ein bisschen angeln am Rhein. Dann werde ich wohl eine kleine Siesta machen, ein paar Schritte durch Köln spazieren, ein Kerzchen im Dom anzünden und mich schließlich wieder mit Jean auf ein Kölsch treffen. Oder zwei. Sie sehen also, ich habe ein ausgefülltes Leben.“
Der Klettenberger aber sagte: „Ich bin BWLer und könnte Ihnen helfen. Würden Sie länger auf dem Markt stehen, könnten Sie mehr Obst verkaufen. Vom Erlös könnten Sie Ihren Stand vergrößern und vielleicht auch noch Eier und Honig anbieten. Irgendwann dann gehört Ihnen der halbe Markt, wenn Sie fleißig so weitermachen. Und dann ziehen Sie nach Berlin, erobern die Hauptstadt und leiten von dort aus Ihr Obstimperium.“
Anton strich sich durch den Dreitagebart, kratzte sich am Kopf und fragte dann: „Wie lang wird das dauern?“
„So ungefähr 15 bis 20 Jahre, denke ich.“
„Und was dann?“
Der BWLer lachte und sagte: „Dann gehen Sie mit Ihrem Unternehmen an die Börse, verkaufen Ihre Anteile erfolgreich und machen Millionen damit.“
„Millionen, oho! Und dann?“
„Dann können Sie zum Beispiel in ein lebhaftes Städtchen wie Köln ziehen, lange ausschlafen, im Rhein angeln, ein Kerzchen im Dom anstecken, sich mit Ihrem alten Freund Jean auf ein Kölsch treffen ...“


Reichtum ist nicht alles, oder?

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Mittwoch, 12. Februar 2014

Interviews (23)

Heute: Julia Fljat alias "Sexy Julia"

Julia Fljat wurde 1987 als Russlanddeutsche geboren und verbrachte ihre ersten acht Lebensjahre in einem kasachischen Dorf. Nach dem Aufenthalt in mehreren Übergangsheimen in Sachsen verlebte sie ihre Schulzeit in Bayern. Sie absolvierte dort anschließend eine Ausbildung zur Drogistin und zog 2012 nach Köln. Größere Bekanntheit und den Beinamen „Sexy Julia“ erlangte sie durch den Sieg bei der Trash-Serie „Reality Queens“, in der 2013 zwölf junge Frauen in der tansanischen Steppe einen Monat lang Aufgaben zu bestehen hatten. Millionen von Klicks von über 137.000 Abonnenten generieren außerdem ihre selbstgemachten Youtube-Videos, in denen sie sehr freizügig über ihr Leben erzählt.
Julia Fljat arbeitet als Büroassistentin im Belgischen Viertel und wohnt mit ihrem Fünfjährigen Sohn in einem Kölner Vorort.

Ihre Kapuze ziert Hasenöhrchen, sie hat einiges an Schminkzeug dabei und wird von einem PR-Agenten begleitet. Ansonsten jedoch ist Julia Fljat eine sehr aufgeschlossene junge Frau, die den medialen Klischees zu ihrer Person kaum entspricht.



Was sahen Sie durch Ihr Kinderzimmerfenster in Kasachstan?

Wir haben in einem kleinen Dorf gelebt, in sehr ärmlichen Verhältnissen. Wir Kinder hatten kaum Spielsachen, höchstens ein Kuscheltier. Auf dem Hof lag das Toilettenhäuschen, und da liefen Hunde, Katzen und Hühner herum.

Hatten Sie ein Lieblingsspiel?

Wir haben oft Hüpfekästchen gespielt. Weil es keine Kreide gab, haben wir für die Begrenzungen Stöckchen genommen und die Zahlen mit dem Finger in die Kästchen geschrieben.

Waren Sie eine gute Hüpferin?

(lacht) Ja, ich konnte das ganz gut.

Sie sehen nicht gerade kasachisch aus. Wie kommt´s?

Wir haben uns mit den Kasachen gut verstanden, sind aber selbst Russlanddeutsche. Deshalb sind wir dann auch 1995 nach Deutschland ausgewandert.

Ihren Namen spricht man „Flatt“ aus. Bedeutet er etwas?

Gar nichts. Meine Oma hat mir auch erzählt, dass der Name während der Zeit in Russland stark verändert wurde.

Sprachen Sie schon vor der Emigration Deutsch?

Nein, die Sprache war schon für meine Großeltern verboten. Wir sprachen Russisch, Deutsch habe ich erst hier gelernt.

Julia Fljat spricht völlig akzentfrei, sieht man von ihrem gerollten r ab. Das verdankt sie allerdings ihrer bayrischen Schulzeit.

Fiel Ihnen die Integration schwer?

Ich musste als Achtjährige in eine erste Klasse und sprach kein Wort Deutsch, das war sehr hart. Ich hatte keine Freunde, alle sahen mich komisch an. Manchmal dachte ich, ich bin ein Ungeheuer oder irgendetwas ganz, ganz Schlechtes.

Sie haben in Bayern Drogistin gelernt. Warum sind Sie dort und von der Familie weg?

Ich wollte unabhängig sein, niemand sollte mir vorschreiben, was ich zu tun habe. Damals hatte ich schon meinen Sohn, ein Wunschkind übrigens. Und weil ich unbedingt in eine Medienstadt wollte, sind wir nach Köln gezogen.

Hat es sich gelohnt?

Hier kann man sehr frei leben, siehe die vielen Schwulen und Lesben oder auch den Karneval. Und wenn ich hier auf den Straßen oder in der Bahn mit meiner Kamera herumlaufe, macht niemand deswegen einen Aufstand.

Sie sind in der Medienstadt gelandet, aber statt im Belgischen Viertel wohnen Sie im Vorort am Rhein. Warum?

Ich hatte Glück, dort eine Wohnung zu finden. Dort ist es sehr ruhig, ich habe nette, ältere Nachbarn und den Rhein vor der Tür. Da kann ich ausspannen und mich wunderbar um mein Kind kümmern.

Ihr Mediendasein basiert nicht zuletzt auf Ihrem Aussehen. Wann wurde Ihnen klar, dass Sie hübsch sind?

Mein Vater hat mir, als ich zehn war, eine Kamera gekauft. Von da an habe ich alles und jeden aufgenommen. Ich habe meine Freundinnen interviewt, selbst in die Kamera gesprochen und eigene Musikvideos gedreht. Meine vier Jahre jüngere Cousine musste die Kamera dann immer halten. Das Filmen war mein einziges Hobby, ich habe es von Anfang an geliebt.

Lief Ihnen beim Filmen immer ein Dutzend bayrischer Lederhosenjungs hinterher?

Nein. Ich war früher sehr schüchtern, meinen ersten Freund hatte ich erst mit 15. Auch später habe ich nie mit denen geredet, weil ich zu schüchtern war. Früher oder später haben die dann alle mit mir Schluss gemacht. (lacht)

In Interviews und in Ihren Videos reden Sie viel über Sex und nackte Tatsachen. Von Ihnen selbst gibt es jedoch keinerlei Nacktbilder.

Stimmt, und das wird auch so bleiben. Für mich hat das keinen Wert, sich auszuziehen. Wenn das andere Frauen machen, ist das deren Sache.

An gut dotierten Anfragen dürfte es in der Vergangenheit nicht gemangelt haben.

Ja, aber dieses Geld will ich nicht. Ich zeige mich gern sexy, spiele mit meinen Reizen und habe keine Scheu, über alles mögliche zu reden. Aber Oben-Ohne-Fotos von mir wird es nicht geben.

Ist das Ihr russischer Konservatismus?

Genau! Meine Mutter hat immer gesagt, du darfst dich als Mädchen nicht billig verkaufen. Ich mag auch keine One-Night-Stands, sondern bin in der Hinsicht so richtig prüde.

In Ihrem berühmtesten Video geben Sie vier Minuten lang die Bordell-Erlebnisse eines männlichen Bekannten wieder. Der Film wurde auf Youtube inzwischen über vier Millionen Mal angeklickt.

Mir war es damals wichtig, irgendwie in den Medien zu landen. Damit Zeitungen über mich schreiben, brauchte ich ein ganz besonderes Video. Und dann kam es zu dem Gespräch mit diesem eigentlich sehr netten Typen, der mir auch von seinen Bordellbesuchen erzählte. Ich musste das allerdings alles aus ihm rauskitzeln.

Wenn man sich diesen Video ansieht, hat man den Eindruck, Sie fanden das alles eher albern als spannend.

Total! Ich kann es überhaupt nicht nachvollziehen, dass Männer in Bordelle gehen und Geld für Sex bezahlen. So einen würde ich auch nicht als Freund haben wollen. Eine Beziehung muss, finde ich, etwas ganz Besonderes sein.

Was weiß Ihr fünfjähriger Sohn von Ihren Jobs?

Er weiß, dass ich einen ganz normalen Beruf habe. Der versteht alles, aber wenn ich einen Video drehe, wie heute Morgen, gehe ich in mein Zimmer.

Was war heute das Thema?

Die vorhin angesprochenen alten Videos aus meiner Kinderzeit.

Für die „Reality Queens“ wurden diverse Interviews mit Ihnen gedreht - mit dämlichen Fragen und hämischen Off-Kommentaren, die Sie zum blonden Dummchen stempeln. Berührt Sie das?

Auch in meinen Videos mache ich - ganz bewusst - nicht immer auf schlau. Der eine findet das reizvoll, andere amüsieren sich darüber. Aber die meisten Zuschauer wissen doch wohl, wie ich wirklich bin und dass das nur ein Spiel ist.

Sie fühlen sich nicht gedemütigt?

Reality Queens war ein Trash-Format, ich fand das eigentlich ganz schrecklich.

Wieso?

Wie erwähnt, komme ich aus sehr armen Verhältnissen und bin recht prüde. Dort in Tansania musste ich aber einen Monat lang mit Mädels zusammenleben, die zum Teil extrem verwöhnt waren. Die machen auf Paris Hilton, an denen ist nichts, kein einziges Lächeln, echt. So könnte ich nie sein.

Aber Sie haben dort freiwillig mitgemacht.

Ich bin da gelandet, weil der liebe Gott wollte, dass ich dort gewinne und Geld verdiene. Und weil ich meinen Zuschauern beweisen konnte, dass ich alles erreichen kann, was ich mir vornehme.

Haben Sie die 70.000 Euro schon verprasst?

Nein. Einen Teil spare ich, einiges spende ich für ein Kölner Kinderheim. Für 1.000 Euro war ich allerdings mit meinem Sohn shoppen, und wir haben seinen Geburtstag richtig schön gefeiert. Im Legoland.

Zum Abschluss bittet Julia Fljat noch darum, ihren Kölner Wohnort nicht genau zu benennen. Zu oft stünden inzwischen männliche Fans vor ihrer Tür und scheuten sich nicht, bei ihr zu klingeln.

Mittwoch, 5. Februar 2014

Coloniales (38)

„Das will nicht viel heißen, Sir Winston“

Im folgenden einige denkwürdige Sentenzen Konrad Adenauers:

Machen Sie sich erst einmal unbeliebt, dann werden Sie auch ernst genommen.

Nehmen Sie die Menschen, wie sie sind, andere gibt's nicht.

Wir sind alle Sünder. Und das Beste ist, die Sünden aufrichtig zu bereuen, dann aber auch wirklich zu vergessen.

Natürlich achte ich das Recht. Aber auch mit dem Recht darf man nicht so pingelig sein.

In der Politik geht es nicht darum, Recht zu haben, sondern Recht zu behalten.

Die Erfahrungen sind wie die Samenkörner, aus denen die Klugheit emporwächst.

Ich bin ja mit dem lieben Gott so weit einverstanden, aber dass er der Klugheit Grenzen gesetzt hat und der Dummheit nicht, das nehme ich ihm wirklich übel.

Die Weltgeschichte ist auch die Summe dessen, was vermeidbar gewesen wäre.

Ehrungen, das ist, wenn die Gerechtigkeit ihren guten Tag hat.

Alle menschlichen Organe werden irgendwann müde, nur die Zunge nicht.

Mit kleinen Jungen und Journalisten soll man vorsichtig sein. Die schmeißen immer noch einen Stein hinterher.

Alles, was die Sozialisten vom Geld verstehen, ist die Tatsache, dass sie es von anderen haben wollen.

Wer Berlin zur neuen Hauptstadt macht, schafft geistig ein neues Preußen.

Wir leben alle unter dem gleichen Himmel, aber wir haben nicht alle den gleichen Horizont.

Man muss die Dinge so tief sehen, dass sie einfach sind.

Wer sich ärgert, büßt die Sünden anderer Leute.

Wer die Rheinländer kennt, der weiß genau, dass sie nicht übermäßig höflich sind, wenn sie auch so tun. Ich bin Rheinländer.

Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern.

Und schließlich noch ein aufschlussreicher Dialog mit Churchill:
Churchill: Sie sind der größte deutsche Staatsmann seit Bismarck.
Adenauer: Das will nicht viel heißen, Sir Winston.


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