Mittwoch, 28. Oktober 2015

Geschichten aus 1111 Nächten (62)


Die löchrige Kanne

Viele Jahre lang lebte der heilige Willy als Eremit in einer abgelegenen Eifelhöhle. Tag für Tag nahm er seine beiden Krüge und machte sich auf den langen, beschwerlichen Weg ins Dorf. Dort ließ er die Behältnisse mit frischem Bier füllen - der einzige Luxus, den er sich während all der Zeit gönnte.

Nun wies die rechte Kanne von Beginn an ein Loch auf, sodass sie stets bereits halbleer war, wenn der Willy wieder in seiner Birresborner Eishöhle anlangte. Eines Tages wurde er von einem alten Waldschrat darauf angesprochen: „So sag mir doch, heiliger Willy, warum schleppst du dieses edle Bier, nur um es im Boden versickern zu lassen?“

Willy wunderte sich ein wenig über die Frage des Schrats. Dann nahm er einen langen Schluck aus der heilen Kanne und antwortete: „Hast du dir einmal die rechte Seite meines Weges angesehen, die alltäglich beträufelt wird? Dort wachsen die allerschönsten Blümchen, ernährt von Bierhefe und Gerstenmalz. Und diesen erbaulichen Anblick habe ich nur der alten, löchrigen Kanne zu verdanken.“

„Ich verstehe“, sagte der Waldschrat und machte sich vom Acker.


Trockene Gegend



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Mittwoch, 21. Oktober 2015

Geschichten aus 1111 Nächten (61)

Freibier für alle

Es war ein sonniger, warmer Frühlingstag, als Tünnes beschloss, den Delikatessenmarkt am Rudolfplatz zu besuchen. Direkt am ersten Stand, nahe dem Hahnentor, sah er den heiligen Willy seine Waren feilbieten. Scheu näherte er sich dem großen Manne und fragte:
„Heiliger Willy, was verkaufst du hier?“
„Alles, was das Herz begehrt, mein Sohn.“
Der rotnasige Anton staunte, seine vom feuchtfröhlichen Vorabend noch beinahe geschlossenen Augen weiteten sich. Er beschloss, die einmalige Gelegenheit zu nutzen.
„Dann hätte ich gern Frieden und Liebe und Glück auf der Welt. Und Freibier für alle!“
Der heilige Willy aber lächelte: „Da hast du mich wohl missverstanden, Anton. Denn ich verkaufe hier keine Früchte, sondern die Samen.“

Echte Fründe stonn zesamme

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Mittwoch, 14. Oktober 2015

Kölner Interviews (40)

Heute: Der Buchhändler Klaus Bittner

Klaus Bittner wurde 1950 in Grevenbroich geboren. nach dem Abitur kam er 1969 nach Köln und studierte einige semester Heilpädagogik. 1973 begann seine Buchhändlerlehre in der berühmten Kunstbuchhandlung von Walther König. Auch nach der Ausbildung arbeitete er dort noch einige Jahre, bevor er 1980 seine eigene Buchhandlung in der Albertusstraße eröffnete. Bittners Sortiment, seine Fachkenntnis und die zahllosen von ihm organsierten Lesungen trugen dazu bei, dass sein Laden heute als die maßgebliche literarische Buchhandlung der Stadt gilt.
Klaus Bittner hat zwei erwachsene Kinder und lebt mit seiner Frau Margarete, die heute als Medien-Trainerin tätig ist, in der Kölner Innenstadt.

Wir sitzen im hinteren Teil seines Ladens, umgeben von Büchern. Klaus Bittner weist auf das große Fenster zur St.-Apern-Straße: „Da draußen hat mein Sohn Fahrradfahren gelernt.“

Foto: Thilo Schmülgen

Mit welcher Literatur sind Sie aufgewachsen?

Mit „Jimmy, das Gummipferd“. Das war eine Comicserie im Stern. Jimmy hatte einen Pfropfen im Po. Bei Gefahr konnte man diesem Pferd die Luft rauslassen und es verstecken.

Erinnert an die „Bezaubernde Jeannie“, den Flaschengeist.

Ja, wenn man so will. Außerdem gab´s die Mecki-Bücher: Mecki auf dem Mond, Mecki bei den Indianern ...

Wie wichtig waren Karl May und Konsalik für Sie?

Konsalik interessierte mich nur in der Hinsicht, dass ich damals in Grevenbroich seine Bücher für meine Mutter aus der Bücherei holte und mir dabei immer ein Groschenheftchen ausleihen durfte. Ich habe als 8-Jähriger wahrscheinlich 500 Westernheftchen und 300 Arztromane gelesen.

Karl-May-Bücher sind aber etwas anderes als Westernheftchen, oder?

Mein Vater war Funktionär im Fußballverband Niederrhein und von daher viel unterwegs. Von jeder Fahrt hat er mir einen Karl May mitgebracht.

Die grünen 400-Seiten-Bände.

Ich hatte rund 80 Stück und habe sie erst vor vier Jahren weggeben, als Oxfam-Spende.

Haben Sie als Erwachsener nochmal in die Bücher hineingeguckt?

Nein, nie mehr. Einige Bände habe ich 7, 8 mal gelesen, aber mit 12 hörte das auf.

Was waren dann Ihre ersten literarischen, anspruchsvolleren Bücher?

Ich erinnere mich an eine Ferienfahrt nach Domburg: Da lag ich, 14 Jahre alt, im Zelt, es regnete, und ich habe nur Sartre gelesen: Zeit der Reife.

Bedeutet Ihnen der Existenzialismus à la Sartre und Camus noch etwas?

Was ist das, erklären Sie mir das.

Nun ja, diese Philosophie, die besagt, dass jeder Herr seines eigenen Schicksals ist und sich jederzeit ändern kann.

Ich bin 65 ...

Und Sie haben entschieden, nicht in Rente zu gehen, sondern Ihre Buchhandlung weiterzuführen - sehr existenzialistisch.

Das stimmt, aber Camus liegt mir heute deutlich näher als Sartre. Auch die Buchverkäufe der letzten Jahre belegen, dass Camus eine wichtigere Rolle spielt als Sartre, vor allem als Romancier.

Als Sie 1980 Ihre Buchhandlung eröffneten, fuhren Sie ein französisches Auto, einen Renault R16. Was ist aus dem geworden?

(lacht) Das wäre heute ein Spitzen-Oldtimer. Aber ich habe ihn irgendwann gegen einen Volvo-Kombi eingetauscht, in den Schlafsäcke, Bücherkisten und später auch ein Kinderwagen passten.

Anfangs zahlten Sie sich 250 Mark pro Monat aus. Wie waren die kalkuliert?

Man lebte damals billiger, außerdem hat meine Frau als Studentin, später Sängerin auch Geld verdient. So kam man über die Runden, und aus den 250 wurden irgendwann 500. Nach rund zehn Jahren war ich dann immerhin bei 1000 Mark angelangt.

Sie haben sich immer für die Lyrik eingesetzt. Was sind deren ästhetische Stärken gegenüber anderen literarischen Gattungen?

Die Verknappung.

Eine sehr verknappte Antwort.

Viele berühmte Autoren, Beckett und Marguerite Duras etwa, schrieben zu ihrem Ende hin immer kürzere Texte: Dokumente gegen die Geschwätzigkeit, das imponiert mir. Zumal wir Buchhändler ja den ganzen Tag reden müssen. (lacht)

Wer verknappt für Sie besonders gut?

Gedichte sind, wenn sie funktionieren, unglaublich intensiv. Einer der Neueren, dem das großartig gelingt, ist der Schotte John Burnside. Als einen der großen Altmeister bewundere ich auch Lars Gustafsson, dessen Gedichte wie Erzählungen, wie erlebte Geschichte wirken.

Hat sich die Bedeutung des Begriffs „Avantgarde“ für Sie gewandelt im Lauf der Jahrzehnte?

Da frage ich wieder zuerst: Was ist das, Avantgarde?

Literatur, die heute zukunftsweisend und morgen überholt ist.

Ist das denn richtig? Ist Balzacs „Verlorene Illusion“, erschienen 1837 und vor drei Jahren neuübersetzt, Avantgarde? Oder Flauberts „Madame Bovary“? Ich denke schon.

Okay, anderes Beispiel: Liest oder kauft heute noch jemand experimentelle Gedichtbände von Franz Mon oder der Wiener Gruppe?

Nein. Das war in den 70ern en vogue beziehungsweise Avantgarde, aber schon damals bekam man diese Bücher nach kurzer Zeit im Ramsch. Wobei Avantgarde und Kunst allgemein sich natürlich nicht nach den Verkaufszahlen bemessen sollte. Ich glaube, jene Vorstellung von Avantgarde haben wir heute gar nicht mehr.

Warum nicht?

Ich weiß es nicht. Das Lese- und Verlagsverhalten haben sich sicherlich verändert.

In dem Sinne, dass E und U nicht mehr so drastisch getrennt sind wie früher?

Naja, wenn man sich die Bestsellerlisten ansieht, findet man dort nur noch U, eigentlich eine Katastrophe. Von zwanzig Titeln sind zehn Jugendbücher, man fragt sich, was die Erwachsenen heute eigentlich lesen. Da könnte man verzweifeln.

Tun sie aber nicht?

Ich sage mir: schön, dass sie überhaupt etwas lesen, aber vielleicht sollten sie sich ein bisschen mehr zutrauen. Gleichzeitig leben wir natürlich auch von den Bestsellern, obwohl meine Buchhandlung ein bisschen anders sortiert sind.

Apropos sortiert: Wie ordnet ein Fachmann wie Sie seine heimische Bibliothek?

Ich sortiere nach Gattungen, und dann alphabetisch. Bei mir stehen also die Lyrikbände genauso zusammen wie die Romane.

Aber was, wenn ein Autor Prosa und Lyrik geschrieben hat?

Thomas Bernhards wenige Gedichte etwa stehen dann bei seiner Prosa.

Diese Unlogik gönnen Sie sich?

Klar, Hauptsache, ich finde alles wieder. Genau so machen wir das auch hier in der Buchhandlung, und so war das auch bei Walther König während meiner Lehre in den 70ern.

Sie sind Anfang August 65 geworden und haben entschieden, Ihren Laden weiterzuführen. Warum?

Letzten Sonntag, es regnete, war ich morgens um 20 nach 8 zum Brötchenholen auf der Straße. Da sah ich meinen alten Chef, wie er in seine Buchhandlung ging. Er sagte, er könne an solchen Tagen, zu solchen Zeiten am besten arbeiten.

Und das ist also auch Ihr Altersmodell?

So stelle ich mir das vor, wenn auch vielleicht lieber um halb 11 als um 20 nach 8. (lacht) Ich habe das mit meiner Frau besprochen und einfach noch keine Lust, hier aufzuhören.

Und zum Abschluss: Welches aktuelle Buch empfehlen Sie unseren Lesern?

„Munk“ von dem Argentinier Ricardo Piglia, ein großartiger Roman. Und als neu übersetzten Klassiker: Guy de Maupassant, „Ein Leben“. Toller Text, wunderschön gestaltet.

Mittwoch, 7. Oktober 2015

Deutsche Sprichwörter (9)

Der Bonner Philologe Karl Simrock (1802-76) edierte unter anderem eine umfangreiche Sammlung deutscher Sprichwörter. Hier eine Wochenauswahl zum Thema: Mienenspiel

# Bist du nicht hübsch, so tu hübsch.

# Erziehst du dir einen Raben, so wird er dir zum Dank die Augen ausgraben.

# Das Gesicht verrät den Wicht.

# Wenn ein alter Hund bellt, soll man hinausschauen.

# Alte Schweine haben harte Mäuler.

Und manchmal fällt einem die Kinnlade runter

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