Mittwoch, 13. August 2008

Thekentänzer (1)

Miou-Miou

Jerôme hat Depressionen. Sagt er.

Den gebrauchten Jaguar, zwölf Jahre alt, 6.000 Euro, bekommt er erst nächste Woche, und seine Freundin hat aus dem Urlaub bei ihren Eltern noch immer nicht angerufen. Oder wenigstens gesimst, aber gut, sie ist ja auch erst seit heute Mittag weg. Jetzt sitzt er, Jerôme, beim fünften Jägermeister, und wartet darauf, dass Didi, mit dem er sich bei den Bestellungen abwechselt, endlich mit ihm anstößt.

„Mein Vater hat schon immer gesagt, dass aus mir nix wird.“

Jerômes Depressionen sind eng mit seinem Erzeuger verknüpft. Der war bis zu seiner Pensionierung Stahlarbeiter im Saarland und versteht nicht, was ein Gagschreiber wie Jerôme eigentlich macht. So leistungsmäßig und für die Gesellschaft undsoweiter. Jerôme versteht das auch nicht, bewundert seinen Vater für dieses Unverständnis und potenziert damit seine Depressionen. Außerdem ist er inzwischen 33 und hat mehrere graue Haare im Dreitagebart.

Didi bereitet der scharfe Abgang des Kräuterschnapses langsam Probleme. Es ist erst kurz nach 9, bevor hier die ersten Mädels auftauchen, wird er wieder vor seinem Sodbrennen nach Hause geflüchtet und dort von ihm gestellt worden sein. Aber klar, er hebt das Glas, Jerôme ist ungeduldig.

„Den noch, und dann ist für mich Schluss mit Schnaps. Dass du das weißt!“

„Is klar, Didi.“

Didi nippt, Jerôme kippt. Als er sich reckt und den Kopf kreisen lässt, sieht er die Dreiergruppe an der Tür. Zwei Männer, eine Frau. Blond, ein spitzmäusiges, lasterhaftes Gesicht.

„Wie Miou-Miou“, sagt Jerôme, „das heißt Schmusekätzchen.“

Didi schiebt das sechste Glas von sich weg. Die Frau trägt ein geblümtes Kleid der genau richtigen Länge und keine Socken in den Chucks. Mit ihren Begleitern verzieht sie sich an einen Tisch hintendurch. Aber immerhin ist sie es, die jeweils zur Theke kommt und die Runden bestellt.

„Drei Kölsch“, sagt sie und hebt dabei enorm schlanke Finger. Didi fixiert den Jägermeister.

„Meine Putzfrau dealt“, sagt Jerôme und entlockt der Frau damit ein Lächeln. Aber dann setzt die Musik wieder ein, mit einem Lied von Billy Bragg. Draußen dämmert es, die Frau verschwindet ins Dunkel des Hinterraums.

„Russland marschiert in Georgien ein“, sagt der Kellner. „Damit haben heute 45 deutsche Tageszeitungen getitelt.“

„Haben die nur drauf gewartet“, sagt Didi. Er scheint plötzlich Oberwasser zu kriegen. „Haben die nur drauf gewartet, dass die mal wieder sowas schreiben können. Da fühlen die sich wichtig, die kleinen Pisser.“

Der Gartenbaufachbetrieb, bei dem er angestellt ist, kümmert sich auch um einige Villen in Marienburg. Entschlossen greift er zum Schnapsglas und leert es: „Mach noch zwei.“ Seine Stimme ist tiefer geworden.

Eine halbe Stunde später steht die Frau zum dritten Mal am Tresen. Sie bestellt ihre drei Bier und beobachtet den Kellner. In ein lächerliches Gitarrensolo hinein sagt sie:

„Du zapfst unheimlich elegant, weißt du das?“

Didi ist gegangen, an seinem Platz stehen jetzt zwei Betrunkene und würfeln.

„Schock Doof ist tief“, sagt der eine.

„Ich hab Depressionen.“ Sagt Jerôme.

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