Mittwoch, 27. Oktober 2010

Thekentänzer (36)

Broken Hearts am Alter Markt

„Regnet´s draußen noch?“ fragt der Mann mit der fleckigen Malocherjacke die Kellnerin. Er scheint Angst zu haben vor ihrer Antwort.
„Ist sogar stärker geworden“, sagt sie.
„Dann mach mir noch eins“, sagt er schnell.
Ich sehe nach draußen, und dort gießt es tatsächlich in Strömen: „Mir auch.“
Mit hochgeschlagenem Kragen springt ein weiterer Gast durch die Tür. Der Alter Markt liegt nun da wie leergefegt, durch die Fugen des Kopfsteinpflasters lecken die ersten Rinnsale.
„Ist das nicht Canned Heat?“ fragt Hartmut, der Neue.
„Genau, Hitze in Dosen“, antwortet Stevie, der Malocher.
Die Kellnerin kommt mit einem Eimer schaumigen Wassers um die Theke herum. Die gelben Gummihandschuhe, das empfinden hier alle so, stehen ihr ausgezeichnet. Rechts von uns, am Fenster, legt sie den ersten Barhocker um und beginnt, dessen Beine zu putzen. Stevie stiert auf die Handschuhe, den Schwamm, den freigelegten Unterarm.
„Aber das Original war schneller“, sagt Hartmut mit einer gewissen Härte in der Stimme.
„Das ist das Original“, sagt Stevie wie abwesend.
„Nein“, sagt Hartmut, „das Original war deutlich schneller.“
„Klar, und früher war mehr Lametta.“
Die Loriot-Anspielung sitzt, Hartmut ist alt genug, um den Sketch zu kennen. Nun schweigt er eine Weile, brütet über einer Entgegnung und stößt schließlich hervor:
„Wer seinen eigenen Kopf haben will, sollte ihn auch zu gebrauchen wissen.“
Die Kellnerin widmet sich dem zweiten Hocker und singt das nächste Lied mit: „Heart of Gold“, Neil Young, im Original. Auch Stevie will nun offenbar etwas Kluges sagen:
„In Asien gibt es Fische, die schwimmen dir beim Pissen gegen den Strahl in den Harnleiter rein.“
Ich lache. Hartmut sieht Stevie ungläubig an. „I wonna live, I wonna give“, summt die Kellnerin.
“Und was passiert dann?” fragt Hartmut.
„Dann legen die ihre Eier in deine.“
„Ihre Eier in meine?“
„Ja!“
Hartmut lacht nun auch, hämisch. „Von Biologie hast du aber soviel Ahnung wie Django vom Streicheln.“
„Ich hab keine Ahnungen. Ich hab Lebenserfahrung.“
Das Gespräch läuft nun offensichtlich aus dem Ruder. Sehr interessant, denke ich, aber kurz darauf verfällt Stevie in ein langes Schweigen. Er senkt den Kopf, Hartmut schaut für die nächste Stunde aus dem Fenster. Es regnet immer weiter. Die Kellnerin ist fertig mit den Hockern und wäscht sich die Hände. Sehr gründlich, Finger für Finger und zwischen den Fingern. Vom Putzwasser sind ihre Kuppen leicht verschrumpelt, die Nägel leuchten hellweiß. Als sie die Hände ausschlägt, sieht auch Stevie noch einmal kurz zu ihr rüber. „Das stimmt“, sagt er dann, nur zu sich selbst. „Aber gegen ein gebrochenes Herz hilft auch kein Gaffatape.“


Endstation Sehnsucht


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