Mittwoch, 2. März 2011

Geschichten aus 1111 Nächten (3)

Als Anton einmal ein weiches Gefühl überkam

Anton war in seinen mittleren Jahren und wohnte auf der Weidengasse. Eines Nachts erwachte er, und die enge, sonst so lichtscheue Straße war mit Schnee bedeckt. Ihn ergriff ein weiches Gefühl, und so öffnete er den edlen schottischen Malzwhiskey, den er für besondere Momente bereithielt. Er trank sich ein erstes Gläschen, rezitierte ein Gedicht aus den Buckower Elegien von Bertolt Brecht, und plötzlich kam ihm sein alter Freund Jean in den Sinn.
Sofort verspürte er ein heftiges Bedürfnis, diesen zu sehen. Obwohl es halb drei Uhr in der Nacht war, zog er sich seine Hosen an und machte sich auf den Weg nach Lindenthal, wo Jean seinerzeit ein schickes, nicht ganz legitim erstandenes Apartment bewohnte.
Lange war er unterwegs, der Anton. Kein Geld für ein Taxi, und den KVB traute er ohnehin nicht über den Weg. Schusters Rappen also.
Und dennoch: Anton erreichte Jeans Haus, bevor seine Uhr die 4 anzeigte. Er las Jeans Namen auf dem Klingelschild, und noch einmal überkam ihn jenes liebevolle Gefühl. Dann drehte er sich um und ging wieder nach Hause.
Gerade als er dort anlangte, kam der ihm sehr gut bekannte Express-Mann des Veedels entgegen, auf dem Weg von einer Kneipe in die nächste.
„Na, bist du wieder hacke, Anton?“ fragte er.
„Nein, ich wollte meinen alten Freund Jean besuchen“, antwortete Anton.
„Und warum hast du´s nicht getan?“
„Nun“, hob Anton an, „just in dem Moment, da ich den Klingelknopf drücken wollte, war mein Verlangen verschwunden. Es war gestillt und entschlafen. Warum also hätte ich Jean noch besuchen sollen?“
Dann gingen die beiden in eine kleine Kaschemme am Ring und tranken ein stilles Kölsch.

***

Anton und das frühe Aufstehen

Es war fast Mittag, als Anton dem heiligen Willy über den Weg lief. Anton hatte schwer gebechert den Abend zuvor, seine knollige Nase schimmerte noch einen Tick roter als gewöhnlich. Ein Gespräch war jedenfalls nicht gerade das, worauf er nun aus war.
„Du solltest früher aufstehen, mein Sohn“, sagte der heilige Willy.
„Und warum das, heiliger Willy?“ fragte Anton so müde wie fahrig zurück.
„Weil es eine sehr sinnvolle Angewohnheit ist. Einmal bin ich um 7 durch die Straßen gelaufen und habe in der Gosse einen 100-Euro-Schein gefunden.“
„Vielleicht hat ihn dort jemand am Abend davor verloren.“
„Nein, ganz bestimmt nicht“, sagte der heilige Willy entschieden. „Denn auch am Abend zuvor bin ich dort entlangspaziert.“
„Na dann“, erwiderte Anton, „dann ist der Mann, der die 100 Euro verloren hat, also noch früher aufgestanden als du. Du siehst, dass es nicht für jeden gut ist, allzu früh aufzustehen.“
Und der heilige Willy, leicht verdutzt, ging seines Wegs.

Der heilige Willy als Mauer-Scratching auf einer Kölner Kneipentoilette

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