Mittwoch, 28. September 2011

Thekentänzer (49)

Klosterfrau Melissengeist

4 Uhr nachmittags, die lange Theke ist fast voll besetzt, und eine der Frauen heißt Else.
„Ach, halt die Klappe, Else“, hat gerade einer der Rentner gesagt.
Im Eingangsbereich stehen schon drei Rollatoren und zwei Einkaufsrollis.
„Du befiehlst he janix“, gibt Else zurück. Dicke Schminke verdeckt die Reste jenes Schlaganfalls, von dem sie gerade erzählt.
„Ming Mutter, die is ja an Klosterfrau Melissengeist gestorben“, erzählt Else dem Saal.
„Ja, wie“, sagt ihre Nachbarin, „das ist doch gesund!“
„Ja, weißt du nit, wievill Umdrehungen dat Zeusch hätt?“
„Und dann?“
„Jeden Tag son Fläschchen Klosterfrau, und dann is die de Trepp eraff jefalle un hätt sich d´r Hals jebroche.“
Elses Nachbarin spendet Trost: „Das ist aber traurig“, sagt sie.
„Ach, hör doch op, dat is doch allt 30 Johr her.“
Der Mann, der sie zum Schweigen hatte bringen wollen, heißt Heinz. Auf seinem rechten Unterarm schwärt eine dicke, eitrige Beule.
„Gib mir mal den Express, André“, sagt er zum Kellner. Aber den Express lese ich gerade.
Heinz ist offenkundig stinksauer, sagt jedoch nichts. Aus den Boxen plärren Roy Black und diese kleine blonde Rotznase namens Anita: „Schön ist es, auf der Welt zu sein.“ Und Anita singt: „ßein“.
André, der Kellner, ist schwul wie Winnetou. Jedes Bier kredenzt er mit einem warmen „Prösterchen“. Die alten Frauen schmelzen unter seinen Begrüßungsküsschen dahin. Nach dem vierten Kölsch fühle ich mich so betrunken, dass ich den Sportteil nochmal von vorn anfange. Heinz kann mich mal.
„Und bei dir? Alles gut?“ fragt Else.
„Nein“, sagt ihre Thekenfreundin, „aber egal.“ Und dann fügt sie an, mit einem leeren Blick auf ihr Bierglas: „Eigentlich trinke ich ja nichts. Tagsüber.“
Der Koch hat eine bayrische Woche ausgeschrieben. Auf der Tafel am Eingang steht irgendetwas mit Knödel, Halsgrat, Geselchtem. Im ersten Moment nehme ich mir vor, Halsgrat zu googeln. Im zweiten wird mir ein bisschen übel.
„Kennst du den mit dem Supermacho?“ fragt Heinz nun laut in die Runde. Der Korn scheint ihm immer mehr Eiter aus seiner Beule zu pumpen, er suppt bereits den Tresen voll.
„Verzäll!“ sagt Else.
„Also der Macho lässt sich ja einen blasen und fragt dann ´Wie war ich?´ Und der Supermacho kriegt beim Blasen keinen hoch und fragt ´Baby, passiert dir das öfter?´“
Else schenkt ihm einen müde verzerrten Mund. Ihre Freundin kichert, die blauen Dauerwellen tanzen im Kippenqualm. Bevor ich Heinz die Zeitung rüberreiche, lege ich sie ordentlich zusammen. Am liebsten würde ich jetzt rüber zur Else gehen und mit ihr einen Melissengeist trinken. Aber die ist so lang, die Theke, inzwischen kommt sie mir noch länger vor. Also schnappe ich mir meinen Rollator und mache mich vom Acker.



In Würde altern




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