Mittwoch, 7. August 2013

Interviews (15)
 Heute: Der Lokalhistoriker

„Als Protestant wurde man schief angesehen“

Zur Person: Fritz Bilz wurde 1944 in Riedenburg/Niederbayern geboren, lebt jedoch seit seinem 2. Lebensjahr in Brück. Er arbeitete u.a. als Packer, Bauingenieur und Hauptschullehrer. Ende der 1980er Jahre begann seine Mitarbeit in der Werkstatt für Ortsgeschichte Köln-Brück, aus der eine lebenslange Beschäftigung mit lokalhistorischen Themen erwuchs. Einem späten Studium der Geschichte folgte 2007 die Promotion zum Thema „Zwischen Kapelle und Fabrik. Die Sozialgeschichte Kalks von 1850 bis 1910“. Schon 1998 hatte er für seine Verdienste um die „landschaftliche Kulturpflege“ den Rheinlandtaler des Landschaftsverbands Rheinland erhalten.
Fritz Bilz, der über eine eigene Stiftung alljährlich den mit 5.000 Euro dotierten Bilz-Preis an Initiativen verleiht, die sich für Völkerverständigung und gegen Rassenhass einsetzen, lebt mit seiner Frau in seinem Brücker Elternhaus.


Draußen regnet es in Strömen, während ich mit Fritz Bilz im Deutzer Café Kram sitze. Der umtriebige Autor hat sich einen Kakao bestellt und an einer zum Tischchen umfunktionierten Nähmaschine Platz genommen. So etwas Ähnliches hatte seine Mutter früher auch zuhause, erzählt er zur Begrüßung.

Viele Ihrer lokalhistorischen Arbeiten befassen sich mit der rechten Rheinseite. Wie grenzt die sich gegen die linke ab?

Die ersten rechtsrheinischen Vororte sind erst 1888 nach Köln eingemeindet worden. Vorher waren Mülheim, Kalk und Deutz selbstständige Städte, und daraus entstand auch ein historisches Selbstbewusstsein. Das äußert sich noch heute in Sätzen wie: „Ich fahre nach Köln.“ Auch die soziale Entwicklung verlief anders. Das Schicki-Micki-Volk, das sich inzwischen in der Südstadt, in Nippes oder Ehrenfeld angesiedelt hat, findet sich im Rechtsrheinischen nicht. Unter anderem, weil der gewerbliche Schwerpunkt hier lange Zeit die Industrie war.

Es gibt verschiedene Theorien über die Herkunft des Ausdrucks „Schäl Sick“. Welcher hängen Sie an?

(lacht) Ich habe mir meine eigene gestrickt: Ein schick gekleideter Kölner kam ins Rechtsrheinische und besah sich die dortigen Arbeiter und Bauern, die ihn daraufhin ansprachen: „Wat lurst du uns esu schäl an?“ Woraufhin der Kölsche erwiderte: „Dat jeit dich doch janix an, du Tünnes.“ Aber diese Erklärung ist natürlich genauso unhistorisch ist wie alle anderen, etwa die mit dem schielenden Treidelpferd.


Sie haben Ihr erstes Lebensjahr in Bayern verbracht, in einem Ort namens Riedenburg.

Das Haus in Brück ist mein Elternhaus, aber Ende ´44 sind wir dann im Rahmen der Evakuierung in den bayrischen Geburtsort meiner Mutter gegangen. Schon zwei Monate nach Kriegsende waren wir aber wieder in Köln, und hier bin ich auch sozialisiert worden.

Wie sah Brück in den 1950ern aus, als Sie ein kleiner Junge waren?

Sehr dörflich. Es gab damals noch sechs Vollerwerbsbauernhöfe dort, und das roch man auch. Die alteingesessenen Familien habe ich als ziemlich muffelig in Erinnerung, die machten es den Zugezogenen sehr schwer, sich als Brücker zu fühlen.

Wie äußerte sich diese Ausgrenzung?

Man wurde komisch angesehen, und in den örtlichen Vereinen blieb die Einheimischen unter sich. Auch in die verschiedenen katholischen Gremien kam man nicht rein.

Haben Sie das auch als Kind gespürt?

Viele Zugezogene waren wie ich protestantisch, und für die wurde der Schulhof mit einer Linie abgeteilt, die sie von den kölschen Katholiken fernhielt. Der einzige ökumenische Ort war der Klo. Man ging von getrennten Seiten hinein, aber dann stand da der Kathole pinkelnd neben dem Evangelen.

Brück ist sicherlich nicht schicki-micki, aber inzwischen doch ein recht gutbürgerliches Veedel.

Das stimmt. Es gibt ein Prominentenviertel mit Leuten, die sich sehr vom Alltagsleben abschirmen. Aber jenseits dessen geht es in Brück sehr lebhaft zu.

Fühlt man sich in Brück als Kölner?

(überlegt länger) Ich denke schon. Allerdings fühle ich mich zuerst mal als Brücker, und dann als Kölner. Wir haben hier wunderbar frische Luft, nach 500 Metern bin ich im Wald. Und wenn man denn mal „nach Köln“ will, ist man mit der 1 prima angebunden.

Braucht man dort im Osten Köln überhaupt?

Ja, vor allem wegen der kulturellen Vielfalt. Ohne Besuche in der Philharmonie, im Schauspielhaus, im Kino oder in den Museen könnte ich nicht leben.

Sie arbeiten mit in den Geschichtswerkstätten von Brück und Kalk, letztere haben Sie sogar mitgegründet. Wie entstehen solche Vereine?

In Brück haben wir uns ab 1986 mit rund 50 Leuten erfolgreich gegen die Volkszählung gewehrt. Und als danach die Frage „Was nun?“ aufkam, hatte einer die Idee, solch eine lokale Geschichtswerkstatt zu gründen. Das dockte zum Beispiel an die Bewegung „Grabe, wo du stehst“ an.

Wo lagen Ihre Interessen?

In Vereinen wie den unseren geht es um die Geschichte und Geschichten der Nachbarn, der Großeltern, der kleinen Geschäfte undsoweiter. Wie haben die früher gelebt und gefeiert, wie sind die gestorben?

Was findet man dabei etwa heraus?

Über Brück gab es damals ein Buch mit dem Foto eines Schützenumzugs aus den 1930ern. Auf der Fahne war nachträglich ein schwarzer Fleck aufgetragen worden, und Sie können sich vorstellen, was ursprünglich darunter lag. Wir dachten uns, dass Lokalhistorie auf diese Art nicht betrieben werden sollte. Und das Original mit dem Hakenkreuz haben wir dann auch aufgetrieben.

Ihr erstes Buch zur Kalker Industriegeschichte erschien 1997. Wie lautete damals Ihre Diagnose, und wo sehen Sie den Stadtteil heute, 16 Jahre später?

Damals war ich sehr pessimistisch und sah große soziale Probleme auf Kalk zukommen. Sämtliche großen Betriebe - die Chemische Fabrik, Hagen, Stühlen, Liesegang - waren kaputt. Inzwischen sehe ich einige positive Ansätze. Damit meine ich nicht die Kalk-Arcaden, die die Infrastruktur der Kalker Hauptstraße zerstört haben. Aber Neugründungen wie das Technologiezentrum an der Dillenburger Straße weisen in die richtige Richtung.





Gaststätte Sünner um 1910


Sehen Sie bereits Gentrifizierungstendenzen?

Dass nach Kalk immer mehr Studenten ziehen, ist zunächst einmal positiv, denn dadurch entsteht dort eine ganz neue Szene. Aber zugleich birgt das die Gefahr der Gentrifizierrung, wie sie Nippes oder Ehrenfeld längst abgeschlossen ist. Das ist wohl der Lauf der Dinge, da wird man nicht viel dran ändern können.

Geschichtswerkstätten sterben allmählich aus, stimmt´s?

Das ist leider so, ja. Es findet sich kaum Nachwuchs, mit meinen 68 Jahren gehöre ich zu den Jüngsten bei uns in Brück.

Eigentlich verwundert das auf dem Hintergrund des Schlagworts vom „Europa der Regionen“ oder des Zulaufs, den die dritten Programme verzeichnen.

Tja, wir versuchen alles. Wir gehen in Schulen und machen Führungen, auch für Schüler. In Kalk haben wir 1.000 Haushalte mit Flugblättern versorgt: Wer irgend etwas über sein Veedel wissen möchte, möge uns anrufen. Und was soll ich sagen: Es hat sich kein Mensch gemeldet.

Seit den späten 80ern zeichnen und malen Sie auch.

Damit habe ich aus Langeweile während eines verregneten Tages im irischen Donegal begonnen. Danach ließ mich die Malerei nicht mehr los, ich habe jahrelang Kurse besucht und Unterricht genommen. Vor allem die Grafik fasziniert mich.

Gibt es Überschneidungen von Kunst und Lokalhistorie?

Noch nicht, aber da muss ich unbedingt hin! Politische Grafiken - gegen den Irakkrieg - habe ich schon gemacht. Aber spannend wäre es natürlich, Grafiken zu meinen eigenen Geschichten zu fertigen. So wie Günter Grass das zuweilen gemacht hat.

Noch ein Takt Zukunftsmusik: Kölns Gegenwart ist, freundlich formuliert, recht turbulent. Wie werden Geschichtsschreiber in 50 Jahren darüber urteilen?

Zunächst mal ist Köln eine geschichtslose Stadt! Die hier das Sagen haben, kümmern sich einen feuchten Kehricht um Historie. Das Historische Archiv war schon vor dem Einsturz systematisch heruntergewirtschaftet worden, von 72 auf 32 Beschäftigte. Und während das NS-Dokumentationszentrum inzwischen - auch dank meines eigenen Engagements - hervorragend aufgestellt ist, fehlt es im Stadtmuseum noch an allen Ecken und Enden. Ganz zu schweigen vom Umgang mit dem geplanten Jüdischen Museum am Rathaus. Mit anderen Worten: Wenn sich hier nichts grundlegend ändert, wird man in 50 Jahren sagen: Diese Zeit gibt ein gutes Beispiel dafür, wie man in Köln Geschichte entsorgt statt bewahrt.

Was ist Ihr nächstes Projekt, das solcher Vergesslichkeit entgegenarbeitet?

Da laufen gleich mehrere. Besonders wichtig sind mir die „Kalker Köpfe“, bei denen eine Sammlung widerborstiger, vermeintlich „kleiner“ Menschen portraitiert werden soll. Da ist dann etwa der Lehrer Welsch dabei, der Boxer Jupp Elze, die Widerstandskämpferin Martha Mense und natürlich Karl Küpper, der einzige Büttenredner, der die Nazis aufs Korn nahm.


Wer diese Kolumne zukünftig jeden Mittwoch zugeschickt bekommen möchte, schreibe eine Mail an thekentaenzer@netcologne.de, Stichwort: Die Köln-Kolumne.

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