Mittwoch, 3. Februar 2016

Kölner Gespräche (45)

Heute: Marcel Odenbach, Videokünstler

Köln ist eine Remmidemmistadt auf unterstem Niveau


Marcel Odenbach wurde 1953 in Köln geboren und wuchs in Marienburg auf. Von 1974 bis 1979 studierte er Architektur und Kunstgeschichte in Aachen. Erste Video-Arbeiten entstanden ebenfalls Mitte der 1970er, weltweit gehört Odenbach zu den Protagonisten der Videokunst. Seine Werke findet man in vielen internationalen Museen, in Köln ist er zur Zeit mit seiner Video-Installation zum Genozid in Ruanda im Museum Kolumba vertreten. Der ehemalige Prorektor der Kölner Kunsthochschule für Medien ist außerdem seit 2010 ordentlicher Professor an der Kunstakademie Düsseldorf.
Marcel Odenbach lebt in Ostheim und Ghana, außerdem hat er eine Wohnung in Berlin.

Ich habe einst fünf Jahre in Ostheim gewohnt, wo Marcel Odenbach seit über drei Jahrzehnten lebt. Kein Wunder also, dass unser Gespräch genau dort auf der rechten Rheinseite beginnt.

Ich bin noch vorgestern durch Ostheim spaziert, um zu sehen, ob das geplante Asylantenheim schon geöffnet ist. Pötzlich sah ich ein Haus mit gehisster Reichskriegsflagge und dem Eisernen Kreuz auf dem Garagentor. Als ich das gerade aufnehmen wollte, kam der Besitzer heraus.

Kurz geschoren?

Es war ein älterer Mann, immerhin. Das ist ja manchmal beruhigend. (lacht)

Ist Ostheim ein Veedel oder nur ein Wohngebiet?

Zweiteres. Veedel besitzen einen definierbaren Charakter, etwas Typisches, besonders in Köln. Dort herrscht auch ein gewisser Zusammenhalt und eine funktionierende Infrastruktur, die ich in Ostheim nicht sehe.

Ich hatte nach fünf Jahren die Nase voll von dieser sozialen Monokultur dort. Können Sie das verstehen?

Sehr gut sogar. Aber für mich war der Wechsel von der Marienburg nach Ostheim damals ein wichtiger, bewusst vollzogener Akt. Das war wie Aufs-Land-Ziehen. Mit meinen Freunden Udo Kier und Michael Buthe lebte ich dort auf einer grünen Insel, um die nur noch die Straßenbahn herumfuhr. Heute hat sich das völlig verändert. Immerhin habe ich mit Ghana und Berlin zwei Ausweichmöglichkeiten, sonst wäre ich wohl auch nicht mehr in Ostheim.

Sie sagen „Die Marienburg“. Absichtlich oder von Natur aus?

Das ist Absicht, weil es Natur war. Früher hat man sich noch stärker über sein Viertel definiert, man kam aus dem Severinsviertel, vom Eigelstein oder eben aus der Marienburg. Es gab auch Leute, die sagten „Ich wohne auf der Marienburg“. Da herrschte durchaus auch ein gehöriges Maß an Klassendenken.

Können Sie mit dem Satz „Ich bin Kölner“ etwas anfangen?

Ich wusste, dass ich danach gefragt würde. (lacht) Mein Urgroßvater mütterlicherseits war Kölner Stadtverordneter, und ich bin hier geboren. Ich muss jedoch sagen, dass ich mich von Köln emotional sehr stark entfernt habe. Das einschneidende Erlebnis in dieser Hinsicht war der Einsturz des Stadtarchivs.

Der jenseits der Katastrophe auch eine symbolische Bedeutung hat?

Köln hört zur Zeit gar nicht mehr auf, negative Schlagzeilen zu produzieren. Ich behaupte, dass die Stadt darauf selbst hingearbeitet hat, auch die Ereignisse der Silvesternacht haben nicht zufällig ausgerechnet hier stattgefunden. Ich hoffe und glaube aber auch ganz fest, dass Frau Reker das nun in eine andere Richtung lenken wird.

In Ihrer künstlerischen Anfangszeit war das Image der Stadt ein anderes.

Das Köln der 70er und 80er war geprägt durch eine lebendige kulturelle Szene, zu der Literaten wie Böll genauso beitrugen wie der WDR, Kiepenheuer & Witsch, die Buchhandlung König und und und. Inzwischen vermarktet sich Köln nur noch als Remmidemmistadt auf allerunterstem Niveau.

Sie kommen gerade aus Ihrem Haus in Afrika. Ghana statt Toscana: Warum?

(lacht) Weil die Toscana mir zu langweilig und zu teuer ist. Afrika hat mich schon als Kind geprägt, meine Großmutter kommt aus Belgien, deren Vettern waren all im Kongo. Politisch wurde das nie hinterfragt, aber ich kam in Kontakt mit Postkarten, Briefmarken, Mitbringseln aus Afrika, die mich faszinierten.

Die „Angst vorm schwarzen Mann“ gab es bei Ihnen nie?

Nein, im Gegenteil. Als Kind wollte ich Forscher und Entdeckungsreisender in Afrika werden.

Im Museum Kolumba wird eine Videoarbeit von Ihnen zum Genozid in Ruanda gezeigt. Wann wird eine Videosequenz für Sie so interessant, dass sie Eingang in Ihre Kunst findet?

Auch meine Papierarbeiten werden ja kollagiert. Aber wie ich die auswähle, das ist sozusagen mein künstlerisches Geheimnis.

Ein Geheimnis auch für Sie selbst?

Häufig schon, ja. Wenn jede Bilderfolge erklärbare wäre, ginge das ja eher Richtung Puzzle, oder Didaktik.

Kaum eine andere Kunstrichtung ist durch die technischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte so stark verändert worden wie die Videokunst. Hat das Ihre Entwicklung beeinflusst?

Na klar, alles andere wäre sehr unsensibel. Als ich in den 70ern anfing, mit diesem Medium zu arbeiten, war ich einer von sehr wenigen. Video, das waren vor allem Überwachungskameras. Man filmte in Schwarz-Weiß, und die Geräte waren extrem unhandlich. Da hat sich vieles verbessert, manches schränkt mich aber auch heute viel stärker ein als früher.

Zum Beispiel?

Denken Sie an die Rechtediskussionen heutzutage. Früher nahm ich irgendwas auf, und im Hintergrund lief vielleicht eine Schallplatte, die dann zum Soundtrack des Videos wurde. Heutzutage kriegen Sie da sofort Probleme mit der GEMA.

Neben der afrikanischen Thematik, so mein Eindruck, beschäftigen Sie sich in Ihren Arbeiten immer wieder mit Männerphänomenen: Riten, Verhaltensweisen, Überschreitungen.

Wohl oder übel. Wenn man sich mit Geschichte und ihrer Aufarbeitung befasst, kommt man nicht an der Tatsache vorbei, dass bislang alle Gesellschaften von Männern dominiert wurden. Oder kennen Sie einen weiblichen Diktator? (lacht)

Sie betonen in Gesprächen stets, kein politischer Künstler zu sein. Dennoch haben wir bislang viel über Politik geredet. Ein Widerspruch?

Nein. Ich bin kein politischer, aber ein kritischer Künstler. Auch Beuys war kein politischer Künstler, vielleicht ist das Wort auch von früher her negativ besetzt: Zu meiner Zeit gab es noch den Eisernen Vorhang, politische Kunst wurde sehr stark mit Agit Prop gleichgesetzt. Damit wollte ich nie etwas zu tun haben.

Dennoch die Frage: Gibt es eine Brücke von Ihren Videoarbeiten zu den Ausschreitungen in der Kölner Silvesternacht?

Natürlich. Männer müssen heute allgemein wieder „männlicher“ auftreten - mit allen unangenehmen Nebenwirkungen. Und in manchen anderen Kulturkreisen ist dies noch viel stärker ausgeprägt als bei uns.

Zum Beispiel in nordafrikanischen und osteuropäischen?

Ja, das würde ich sagen. Wobei man das nicht an Religionen festmachen sollte, sondern am herrschenden Nationalismus und an den patriarchalen Strukturen eines Landes. Und der ist in den genannten Regionen eben deutlich dominanter als bei uns.

Waren Sie in Ghana mal mit schwarzem Rassismus konfrontiert?

Klar, wir haben es denen ja vorgemacht. In Ghana bin ich der Obruni, das ist das Wort für Weißer. Allgemein gilt: Auch Gruppen, die unterdrückt werden oder wurden, können rassistisch sein und Minderheiten unterdrücken - also etwa Homosexuelle oder bestimmte religiöse Gruppen.

In einigen afrikanischen Ländern kann es Weißen richtig an den Kragen gehen. Das ist in Ghana anders?

Ja, das ist ein relativ demokratisches Land, in dem ich keine Angst haben muss. Ich würde nie nach Südafrika ziehen im Moment, dafür ist die Lage dort viel zu problematisch.

Sie werden dieses Jahr 63. Möchten Sie mit 75 noch in Ostheim wohnen? In der Eifel? Oder eben in Ghana?

(lacht) In der Eifel ganz bestimmt nicht. Wenn man Ghana kennt, ist es einem dort zu düster. Auf die Frage nach meinem Lieblingswohnort würde ich immer mit „New York“ antworten, wo ich ja auch schon gelebt habe. Aber in ein Land, das womöglich bald von Donald Trump regiert wird, kann man auch nicht ziehen. Ich denke, dass ein bisschen Ghana, ein bisschen Köln und Berlin mir auch in Zukunft guttun wird.

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