Mittwoch, 22. September 2010

Deutschlandreisen (2)

Ein Morgen im Westwallbunker

„Da haben Sie Glück, ich habe gerade ein paar Tage Urlaub“, sagt Herr Dräger, weil ich jenseits der Öffnungszeiten anrufe.
Er betreut ehrenamtlich den Bunker 20 in Dillingen an der Saar. Ein Relikt von Hitlers Westwall: 630 Kilometer Festungslinie entlang der deutschen Westgrenze; 1,2 Mio. Tonnen Stahl, 8 Mio. Tonnen Zement. Beim Bunker in Dillingen handelt es sich um einen Regelbau 114 b SK der Wandstärke A, das heißt, die Decken und Wände bestehen hier aus 3,50 m dickem Beton.
„Da konnte keine damalige Waffe gegen an“, sagt Dräger.
Ende 1944 war hier die Hölle los. Der Bunker wechselte mehrmals den Besitzer, mehrere hundert Soldaten starben auf beiden Seiten. Zwar steht man hier ausschließlich zwischen kaltem Beton und Stahl, dennoch besticht die beinahe liebevoll zu nennende Präzision, mit der alles ineinanderpasst. Die Patronenhülsen des MG wurden über einen Trichter entsorgt, damit nichts im Weg lag, Frischluft wurde im Notfall per Hand nach innen gepumpt, und das Winkelfernrohr ist ein Traum der Feinmechanik.
Die fast 50 Tonnen schwere Turmkuppel verfügt über sechs Schießscharten, durch die man das komplette Gelände im Blick hat:



Gemütlich war es hier trotzdem nicht:



Dräger hat schon an der Aufarbeitung eines anderen Bunkers mitgewirkt. Aber da wollten die Politiker zuviel mitreden. Hier in Pachten führt er allein Regie. Als draußen ein Schrottsammler vorbeifährt, schmeißt er sich an eine der Sichtluken:
„Einmal haben wir hier, direkt vorm Bunker, eine Original-Werkzeugkiste vom Lader geholt.“
Sammlererfolge, so sind die alle.
Gesammelt wird auch in der Eifel, im Panzerwerk Katzenkopf in Irrel. Zum Beispiel Helme, deutsche, amerikanische, chinesische. Dort stoße ich auch auf eine dieser lebensgroßen Museumsfiguren, die immer so schaurig faszinieren.
„Der liegt hier schon lange auf Wache“, sagt Thomas, mein Führer von der Freiwilligen Feuerwehr.


Ami in Irrel


Bevor ich aufs Motorrad steige, spaziere ich zur Saar. Ein alter Kerl mit Schiffermütze kommt mir mit seinem jungen Schäferhund entgegen. Das Tier kläfft mich wie verrückt an, der Alte sagt etwas auf Dudenhöfferisch. Ich verstehe kein Wort und gehe weiter. Er wiederholt sich, verständlicher diesmal. Ich soll den Hund streicheln, damit der sich an Menschen gewöhnt. Ist das ein Trick?
In Dillingen floss die Saar um 1940 gut 100 Meter weiter landeinwärts. Der Bunker lag also viel näher am Ufer. Heutzutage, und das ist vielleicht der symbolträchtige Clou, wurde über dem Bunkergelände ein Spielplatz angelegt. Und der Schartenturm, in Tarnfarben gestrichen, dient als Klettergerät.
„Ich bin ungedient“, sagt Herr Dräger, als ich ihn auf sein Bundeswehrhemd anspreche. Und weil ich dieses Wort so lange nicht mehr gehört habe, spreche ich ihm nach:
„Ich bin auch ungedient.“


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