Mittwoch, 26. Januar 2011

Thekentänzer (41)

Der Vater, der Sohn, der Grieche und die Wirtin

Eigentlich hat Marius nur sechs Striche auf seinem Deckel. Aber als ich ihn frage, ob er etwas über die Historie seiner Stammkneipe weiß, wirkt er betrunken.
„Der Alte da, wir können hier nicht laut reden.“
„Wieso das denn nicht?“
„Das ist der Grieche, der ist mit der Wirtin hier, warte mal, ich komme was näher. Der ist hier mit der Wirtin zusammen, aber der hat von nix ne Ahnung.“
Marius´ Geflüster zielt zwar auf mein Ohr, aber die Schnapsschwaden umhüllen mein ganzes Gesicht.
„Also, ich will ja keine Drogen verkaufen. Sondern nur wissen, wie das hier angefangen hat.“
„1954 zum Beispiel. Mein Vater. Da gabs hier im Ort nur einen einzigen Fernseher. Und der stand da hinten in der Ecke.“
Marius steht auf und zeigt mit ausgestrecktem Arm auf die Dartmaschine. Die Augen des Griechen folgen ihm. Schnell setzt er sich wieder neben mich.
„Mein Vater war ein sehr kleiner Mann, weißt du. Der stand da, am Fenster. Und wenn der was sehen wollte, musste der immer hüpfen. Verstehst du? Dann hüpfte der hoch und sah ganz kurz was, und dann landete der wieder auf seinen Füßen. Und sah garnichts.“
„Hat der dir vielleicht auch erzählt, wie es hier aussah, als dein Großvater noch hier trank?“
„Mein Vater trinkt nicht, da vertust du dich. In der Hinsicht komme ich überhaupt nicht auf den.“
„Ich meine ja auch nur, ob du mir irgend etwas zur Vorgeschichte dieses Lokals erzählen kannst.“
Marius legt einen Zeigefinger an den Mund: „Psst“, macht er, „Feind hört mit.“ Als er mir dann ein Bier bestellt, ist klar: So schnell komme ich nicht mehr von ihm los.
„Der Grieche weiß jedenfalls garnichts.“
„Und seine Freundin, also die Wirtin? Wie heißt die denn, dann rufe ich die mal an.“
„Tu das besser nicht, Mann. Denk dran: der Grieche!“
Ich schweige ein paar Sekunden, dann drehe ich mich um und studiere möglichst unauffällig den Griechen. Was dort an der Theke steht, ist ein betrunkener alter Mann mit dummem Gesichtsausdruck.
„Habt ihr Angst vor dem?“ frage ich.
„Nein“, flüstert Marius. Aber sein durchdringender Blick sagt mir, dass ich mich ja nicht noch einmal umdrehen soll.
„Weißt du, dann habe ich hier meinen 40. gefeiert, letztes Jahr. Ganz offen, ohne geschlossene Gesellschaft oder so. Ich finde, wer hier morgens um 10 sein Bierchen trinkt, der soll das auch abends um 11 dürfen. Und mein Vater hat wieder da gesessen, weißt du. Der war das erste Mal hier seit ´54. Hat sich wieder auf die selbe Stelle gesetzt wie damals beim Endspiel gegen Ungarn, und dann ...“
Marius umklammert sein Glas, seine Augen wirken nun noch verschwommener.
„Und dann?“ frage ich.
„Dann saß der da und hat nur noch geweint.“

Böser Grieche verführt deutsche Wirtin



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