Mittwoch, 23. Februar 2011

Thekentänzer (42)

Der Schal

Ist es hier so verqualmt, oder sieht die schlecht? – Näher jedenfalls könnte die Frau ihr Gesicht nicht an das des Kellners rücken.
„Hast du was von Earth, Wind & Fire?“
Ihr Mund ist etwas größer als nötig, ihre Augen rollen beim Sprechen. Irgendwann einmal hat sie bestimmt ganz gut ausgesehen.
„Nee, hab ich nicht“, sagt der Kellner.
Sie geht zurück zu ihrer Freundin, fummelt an deren Schal herum. Nimmt ihn ab, legt den Hals frei, dreht ihn dann wieder zweimal um den Nacken der anderen. Fummelt und fummelt, dermaßen manisch, dass man wegsehen muss. Aber nicht kann. Nimmt den Schal wieder ab, eine Umdrehung, verknotet dann die Enden. Massiert die Knoten und Maschen dieses völlig unscheinbaren Wollschals, zieht dort einen Zentimeter heraus und schiebt auf der anderen Seite ein Stück unter den Jackenkragen. Greift sich die beiden Enden, lässt sie locker herunterfallen, streicht an ihnen hoch bis zur Schlinge, öffnet diese.
„Und du hast wirklich nichts von Earth, Wind & Fire?“
„Ich erfülle nie Musikwünsche der Gäste“, sagt der Kellner. Durchaus diskussionswürdig. „Und Earth, Wind & Fire finde ich im übrigen grauenhaft.“
„Ich ja auch“, sagt die Frau mit dem großen Mund. „Aber meine Freundin braucht die.“
Dann geht sie zurück zu ihrem Tisch. Man versucht wegzusehen. Man schielt, aus den Augenwinkeln. Ja, sie hängt wieder an dem Schal. Reibt die Fransen zwischen zwei Fingern und blickt der Freundin dabei tief in die Augen. Legt die Schalenden auf ihre flach geöffneten Hände und betrachtet sie. Legt die Schalenden übereinander und lässt sie dann fallen. Einmal, zweimal, zehnmal. Wickelt den Schal in einer zweiten Schlaufe um den Hals und pfropft die nun sehr kurz gewordenen Enden in den Pulloverkragen der anderen. Dreht die Schalschlingen zu Ringelwülsten, entrollt sie wieder und streicht vom Hals Richtung Schultern darüber, man will das nicht sehen. Die Freundin rührt sich nicht, starrt zur Tür und lässt alles über sich ergehen. Das ist nicht das erste Mal. Das hat so schon tausende Male stattgefunden. Die Frau tanzt nun mit dem Schal auf der Stelle. Die Freundin tanzt nicht. Die Frau tanzt versunken und legt sich ein Schalende an die Wange. Senkt den Kopf und legt die Stirn auf die Wolle, hebt die Schalenden gen Decke und blickt ihnen nach. Lässt sie schließlich los und streicht sie über den Brüsten der Freundin glatt, bevor die Zeremonie von vorne beginnt: abnehmen des Schals, um den Hals legen des Schals, eine Schlinge, ein Knoten, massieren der Fransen, ein Tanz. Der Kellner wendet sich an einen Kollegen, der sein CD-Köfferchen unter der Theke deponiert hat. „Hast du was von Earth, Wind & Fire?“ fragt er ihn.
Hat er nicht.



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