Mittwoch, 6. April 2011

Geschichten aus 1111 Nächten (5)

Einfache Fahrt nach Bitburg

Jean war durch eine geschickte Intrige in den Besitz eines renommierten Altstadt-Brauhauses gekommen. Das Geld floss in ähnlichen Strömen wie das Kölsch, alles lief bestens. Eines Tages jedoch kam sein Köbes in offensichtlicher Panik auf ihn zugestürzt. Jean fragte ihn nach dem Grund für seine Furcht, und der Köbes antwortete:
„Bitte, Chef, gib mir heut Abend frei!“
„Wieso das?“
„Gerade eben, als ich den Alter Markt überquerte, da stieß mich jemand an die Schulter. Und als ich mich umdrehte, sah ich den Tod, der mich starr anblickte.“
„Den Tod?“
„Genau den. Ich erkannte ihn sofort, er trug einen schwarzen Anzug und einen roten Schal. Tief in die Augen hat er mir geblickt, um mir Angst einzujagen. Der will mich holen, deshalb, bitte, lass mich sofort die Stadt verlassen. Wenn ich mich jetzt in mein Auto setze, kann ich in zwei Stunden in Bitburg bei meiner Mutter sein.“
Jean, der mit der Arbeit seines Köbes bislang immer recht zufrieden gewesen war, ließ ihn ziehen. Der zitternde junge Mann schmiss ein paar Sachen in den Kofferraum und düste los. Über die Rheinuferstraße zum Verteilerkreis und ab nach Süden. Richtung Bitburg.
Nach einem ausgiebigen Frühschoppen an seiner eigenen Theke beschloss Jean, einen kleinen Gang zum Alter Markt zu machen. Kaum sah er den Jan von Werth-Brunnen auftauchen, da entdeckte er auch schon den Tod. Sein Köbes hatte sich nicht geirrt, da stand der Leibhaftige in der Menge, groß und hager, die spitze, violett geäderte Nase lugte über einem roten Schal hervor, den er sich vors Gesicht gebunden hatte. Ohne dass man ihn bemerkte, ging der Tod von einer Gruppe zur nächsten, streifte hier mit dem Finger einen Mann an der Schulter, dort den Arm einer Frau mit Einkaufstasche und wich kurz vor dem Brunnen einem Kind aus, das auf ihn zurannte.
Jean ging auf den Tod zu, der ihn sofort erkannte und sich respektvoll vor ihm verneigte.
„Ich möchte dich etwas fragen, großer Sensenmann“, eröffnete Jean das Gespräch.
„Nur frei heraus damit“, antwortete der Tod.
„Mein bester Köbes, ein junger Kerl von 20 Jahren, ist kerngesund, fleißig, und beschissen hat er mich bislang auch noch nicht. Warum hast du ihn dennoch heute Morgen, als er zur Arbeit wollte, angestoßen und erschreckt? Warum hast du ihm drohend in die Augen gesehen?“
Der Tod wirkte überrascht und erwiderte:
„Ich wollte deinen Köbes beileibe nicht erschrecken. Und drohend angesehen habe ich ihn ebenfalls nicht. Es war lediglich so, dass, als wir uns in der Menge aus Versehen anrempelten, ich mein Erstaunen nicht verbergen konnte. Und das hat er wahrscheinlich als drohenden Blick empfunden.“
„Dann sage mir doch bitte, Sensenmann: Warum warst du so erstaunt?“
„Weil“, antwortete der Tod, „ich nicht erwartet hatte, ihn hier zu sehen. Denn schließlich habe ich heute Abend eine Verabredung mit ihm in Bitburg.“

Verängstigter Köbes


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