Mittwoch, 2. November 2011

Thekentänzer (50)

Fleischwurst, Schmuck und Aufgesetzter

Ort:
Kneipe „Bei Peggy“ in Bad L.

Personen:
Peggy, die Wirtin
Helga, ebenfalls aus Bad L.
Erwin, Gelsenkirchener
Ein Kellner

Der alte Kurort ist auf den Hund gekommen, denn Kuren werden kaum noch verschrieben. Viele der klassizistischen Hotels stehen leer oder wurden zu Altenheimen umfunktioniert. 18 Uhr, die Bürgersteige sind längst hochgeklappt. Nur in einer kleinen, schummrigen Kneipe brennt noch Licht.
Helga, über und über mit Schmuck behängt, reicht nicht an die Kleiderhaken. Erwin, durch seine platte Nase zu ewigem Schnaufen verdammt, nimmt ihr die Jacke ab.

Helga: Was glaubst du, wie nervös ich heute morgen war!
Peggy: Erzähl!
Helga: Ja, wir sehen uns ja heute das erste Mal.
Erwin: Genau, und vorher nur im Internet, ich sach immer: Von nichts kommt nichts, man muss den Arsch schon hochkriegen.
Helga: Ich war so aufgeregt, ich konnte kaum die Kaffeetasse halten.

Helga gleitet vom Barhocker, der ihr nun fast bis unters Kinn reicht. Dann klettert sie wieder hoch.

Erwin: Zwerg bleibt eben Zwerg, woll.
Helga (lacht): Das war mein Tarnname im Chat. Ich war der Zwerg.
Peggy: So hätte ich mich aber nicht genannt.
Erwin: Als ich noch Geschäftsführer beim Toom war, hatten wir auch so eine Zwergin. Die konnte immer nur unten das Katzenstreu auffüllen. Für alles andere hat die ne Leiter gebraucht.
Helga: Also, Erwin ist noch immer Geschäftsführer. Nur jetzt eben woanders. Bei was Größerem.
Peggy: Oho!
Erwin: Ihr müsst mal meinen Namen googeln. Ich hab letztens mit meinem Neffen die Arena auf Schalke nachgebaut. Mit Bierkästen. Und dann haben die vom Fan TV das gefilmt und ich bin im Internet. Ich sach immer: Man muss halt Ideen haben.

Peggy zapft zwei weitere Pils. Erwin und Helga sehen sich einen Moment schweigend an, er klimpert mit ihren Armreifen.

Helga: Aber gefällt dir doch in Bad L., oder?
Erwin: Na klar, sach ich doch schon den ganzen Tag. Du bist mir wirklich angenehm, auch jetzt in echt hier. Aber dann kam neulich mein Neffe an und sacht, Onkel Erwin, ich will nen Ohrring haben.
Helga: Hihi.
Erwin: Nee, aber da kannst du mich mit jagen. Männer und Schmuck, das hasse ich wie die Pest.
Helga: Wie bei mir mit Fleischwurst, die kann ich nichtmal von Weitem sehen.
Erwin: Ich sach immer: Uhr und Schluss. Und das hat der Bursche dann auch eingesehen.
Peggy: Das ist aber wirklich ein Braver, was!

Erwin geht pinkeln. Peggy und Helga kniepen sich zu.

Helga: Mein Sohn hat n Piercing in der Augenbraue.
Peggy: Weiß ich doch. Den stellste dem Erwin besser erst mal nicht vor.

Erwin kehrt zurück, an seiner Krawatte nestelnd und sich räuspernd.

Helga: Und willst du denn jetzt mal unseren Aufgesetzten probieren? Oder bist du dann betrunken?
Erwin: Nie im Leben, her damit! Bist du eigentlich geschieden oder Witwe?
Helga: Witwe.
Erwin: Ich bin geschieden, ich sach immer: Man muss auch wieder von vorne anfangen können. Nur so Typen wie der Beckham oder so, mit 1000 Schmuck und Tätowierungen und so: Da könnt ich halt kotzen.
Helga: Ja. Genau wie ich, wenn ich Fleischwurst sehe.

Irgendwann macht auch Peggy dicht. Am nächsten Morgen sitzen Erwin und Helga im Hotel beim Frühstück. Die Fleischwurst auf dem Tisch hat sie schon mit ihrer Serviette abgedeckt, als der Kellner kommt.

Kellner: Trinken Sie Kaffee oder Tee?
Erwin: Kaffee bitte, und sagen Sie: Ich würde gern noch einen Tag verlängern.

Kuren werden kaum noch verschrieben


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