Mittwoch, 28. Dezember 2011

Geschichten aus 1111 Nächten (17)

Der Apfelbaum oder Die Aufteilung Gottes

Im alten, katholischen Köln war die Welt noch gut sortiert. Jean, der verschlagene, schielende Schlawiner wohnte in einem großen Haus am Buttermarkt in der Altstadt. Sein Kumpel Anton hingegen, der rotnasige Einfaltspinsel, hauste direkt nebenan in einer erbärmlichen, düster-verrußten Hütte. Weil ihre Gärten, ausladend der eine, kaum handtellergroß der andere, aneinanderstießen, stritten sie sich auch diesen Herbst wieder um die Äpfel von Jeans Obstbaum.
Dessen Äste nämlich ragten über den Zaun hinweg, und was an Fallobst auf seinem Grund landete, beanspruchte Anton für sich. Jean jedoch widersprach und behauptete, was von seinem Baum plumpse, gehören niemand anderem als ihm. So disputierten sie also seit Tagen und hatten sich dabei wohl sogar schon regelrecht in die Haare bekommen. Auch das ein oder andere Fläschchen wurde geleert, ohne die Gemüter zu kühlen.
Am vierten Tag nach dem ersten Apfelfall kam der Heilige Willy am Gartenzaun längs. Ein wenig verlottert sah er aus, dieser Kirchenmann, aber die Kontrahenten ergriffen die Chance auf ein gerechtes Urteil.
„Ich frage dich, hoher Herr“, hob Jean an, „wem gehören die Äpfel, die von meinem Baume fallen, und sei es, sie landeten auf dem Grund dieses Unwürdigen dort.“
„Mir gehören sie selbstverständlich“, krächzte Anton unter seiner großen Knollennase hervor, „denn auch aus meiner Erde Nahrung speiste sich dieser Baum.“
Der Heilige Willy senkte den Kopf, legte das Kinn in die Hand und dachte nach. Schließlich fragte er:
„Wollt ihr eine Aufteilung nach menschlichem oder nach göttlichem Ermessen?“
Die beiden Kölschkatholen antworteten wie aus einem Munde:
„Nach göttlichem Ermessen.“
„Und ihr versprecht, die Entscheidung nicht anzufechten?“
„Wir versprechen es, heiliger Bruder.“
Da sammelt der Heilige Willy die Äpfel ein. Er türmt auf der eine Seite einen großen Haufen auf und legt auf die andere nur einen einzigen Apfel. Danach gibt er, ohne hinzusehen und ohne jegliche Regung, dem einen Streithahn den Haufen und schiebt dem anderen den Einzelapfel zu.
Und geht sodann, ohne ein weiteres Wort, davon.

Äpfel kann man für alles Mögliche brauchen

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