Mittwoch, 30. Mai 2012

Geschichten aus 1111 Nächten (22) 

Kieselflaschen 

Es begab sich zur Römerzeit, als der exzentrische Statthalter Millovicius die Jugend der Colonia Claudia Ara Agrippinensium zu sich rufen ließ:
„Ich erteile euch folgenden Befehl: Vor Ende der Woche werdet ihr alle eure Väter wegschicken. Sie sollen sehr weit gehen, mindestens bis an jene trostlosen Gestade, die man dereinst Düsseldorf nennen wird. Dann habe ich euch etwas Wichtiges zu sagen.“
Die kölschen Kinder kehrten verwirrt heim, folgten aber dem Befehl. Auch Jean schickte seinen Alten zum Teufel und freute sich dabei diebisch. Wusste er doch, dass sein knauseriger Erzeuger noch ein paar kühle Fässchen Bier im Keller lagerte. Anton jedoch, die so ehrliche wie einfältige Haut, brachte es nicht übers Herz, seinen Vater fortzuschicken. Stattdessen versteckte er ihn in der Räucherkammer.
Nach einer Woche ließ Millovicius die Jugend erneut zusammentrommeln. „So, ihr Nichtsnutze“, hob er an, „jeder von euch wird mir nun eine Bierflasche aus Rheinkieseln basteln. Und wem dies nicht gelingt, den schicke ich seinem Vater hinterher in jenen schröcklichen Ort, der dereinst ... na, ihr wisst schon.“
Wie die anderen, so schlurfte auch der kleine Anton arg bedröppelt nach Hause. Als er jedoch seinem schon halb geräucherten Vater das Problem schilderte, gab ihm dieser einen Rat:
„Geh den hehren Statthalter um eine Audienz an und bitte ihn um ein Muster der Kieselflasche.“
Der Sohn tat, wie ihm geheißen. Als Millovicius seinen Wunsch vernahm, lächelte er.
 „Hast du deinen Vater irgendwo versteckt? Sag mir die Wahrheit!“
„Ja“, antwortete Anton niedergeschlagen. „Ich habe ihn in der Räucherkammer versteckt.“
 „Das ist gut“, erwiderte der Statthalter. „Meine Befehle sind aufgehoben. Erzähl deinen Freunden, dass sie ihre Eltern zurückholen mögen. Für heute habe ich nichts mehr zu sagen.“

 Römerkunst in Raderberg 

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