Mittwoch, 9. Januar 2013

Geschichten aus 1111 Nächten (31)

Das verliebte Schwalbenmännchen

Der heilige Willy lag schief und krumm im Beichtstuhl von St. Maria im Kapitol und schlief seinen argen Rausch aus. Vom Heumarkt, wo er mit seinen Kumpanen Jean und Anton gezecht hatte, war er nicht mehr bis nach Hause gekommen. Gerade hatte sich eine dicke Fliege unter seine feuchte Nase gesetzt und ihn mit ihrem Gesauge geweckt, da belauschte er das Gespräch eines Schwalbenpärchens hoch oben unter dem Kirchdach. Das Männchen schien soeben einen Korb bekommen zu haben, denn es rief aufgebracht:
„Wie kannst du mich zurückweisen? Weißt du nicht, dass ich selbst den hohen Turm dieser Kirche zum Einsturz bringen könnte? Dass ich ihn sogar über Gott stürzen lassen könnte?“
Der heilige Willy, der die Sprache der Vögel beherrschte, schnaufte tief. Wie zornig war er auf den Vogel, weil er sich nun kraft seines Amtes erheben und einmischen musste!
„Wie kannst du solch einen Käu erzählen“, raunzte er das Schwalbenmännchen an. „Wie konntest du dich erdreisten, so etwas zu tun?“
Das Schwalbenmännchen, nicht auf den Schnabel gefallen, entgegnete:
„Du weißt doch, heiliger Willy: Man darf die Worte von Verliebten nicht auf die Goldwaage legen.“
Willy kratzte sich zwischen seinen verklebten Haaren und dachte nach. Hinten im Chor der Kirche entdeckte er eine gepolsterte Bank, die er in der dunklen Nacht übersehen hatte.
„Du hast recht“, sagte er zum Schwalbenmännchen.
Und ließ es davonfliegen.


Bier macht weise

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