Mittwoch, 16. April 2014

Interviews (25)

Heute: Die Slackline-Weltmeisterin

Elisabeth „Elli“ Schulte wurde 1989 im sauerländischen Brilon geboren. Nach dem Abitur ging sie 2008 nach Köln, um ein Sportstudium aufzunehmen. Hier kam sie auch mit dem Slacklinen in Kontakt: Auf einem zwischen zwei Bäume gespannten Band werden Tricks wie Handstand oder Überschläge präsentiert. Elli Schulte feierte früh auch internationale Erfolge, unter anderem qualifizierte sie sich jedes Jahr gegen die Männer im World Cup und war sie die erste Frau, die einen Rückwärtssalto (Back Flip) stand. Der „Ellicopter“, ein gedrehter einarmiger Handstand, wurde zu ihrem Markenzeichen. Derzeit ist sie Erste der Deutschen und Zweite der Weltrangliste. Über Shows, Workshops und weitere Sponsoren plant sie ab April dieses Jahres ins Profilager zu wechseln.
Elli Schulte lebt in einer Wohngemeinschaft in Braunsfeld.

Das verabredete Café hat noch geschlossen, deshalb setze ich mich mit Elli Schulte ins Grüne. Slackliner seien ohnehin naturverbunden, sagt sie. Und unter hohen Bäumen fühle sie sich wohl.

Mir wird schon auf der Kinderwippe schwindelig. Was empfinden Sie beim Hüpfen auf diesem Band, der Slackline?

Kommt immer drauf an, wo man unterwegs ist. Die Longline - also längere Leine - vermittelt durch die weiteren, langsameren Schwünge einen eher meditativen Aspekt. Die Trickline dagegen ist pure Action.

Welche Art Kick wird dabei erzeugt? Schwerelosigkeit?

Beim Slacklinen, oder wie wir auch sagen: Slacken, geht es um Spaß und Freiheit, aber auch um Konzentration. Auch die Schwerelosigkeit spielt eine Rolle, aber das muss eben alles absolut kontrolliert ablaufen. Dieses Band, auf dem man da landet, ist schließlich nur fünf Zentimeter breit.

Ein Schwebebalken hat die doppelte Breite. Sie haben selbst geturnt, kann man das vergleichen?

Slacklinen ist am ehesten eine Mischung aus Schwebebalken und Trampolin. Der statische Balken ist verlangt nach einem anderen Gleichgewicht. Nichts desto trotz hat mir meine Zeit als Turnerin sehr viel gebracht für meinen heutigen Sport.

Haben Sie auf dem Schwebebalken schon als Kind diese halsbrecherischen Rückwärtssalti ausprobiert?

So professionell war das bei uns auf dem Dorf nicht. Ich habe mir viel selber beigebracht, und im Sportstudium kam dann auch Hintergrundwissen dazu. Genauso fließen ins Slacklinen meine Erfahrungen mit Parkour und Freerunning ein.

Bei diesen beiden urbanen Trendsportarten geht es um (Fort-)Bewegung auf jedwede Art: über Mauern und Abgründe, mit Hilfe von Zäunen und Hauswänden, Treppen und allen Arten von Hindernissen. Leichtathletik, Turnen und Akrobatik halten sich hier die Waage.

Wie groß ist die Kölner Slackline-Szene?

Sie wächst immer weiter, in der von mir gegründeten Facebook-Gruppe sind inzwischen rund 300 Leute. Der engere Kern trainiert zusammen, wir machen auch gemeinsame Slackline-Ausflüge.

Ist Köln eine Metropole?

Im nördlichen Teil Deutschlands auf jeden Fall. Aber in München oder Stuttgrt läuft viel mehr. Die sind einfach sportaffiner.

Bayern sind sportlicher als Rheinländer?

(lacht) Zumindest muss man feststellen, dass der Outdoor-Sport im Süden Deutschlands deutlich breiter betrieben wird als hier.

In Köln ist Slacklinen aus Baumschutzgründen verboten. Wo kann man es dann weiter betreiben?

Im Grüngürtel gibt es diverse Slackline-Parks, auch am Aachener Weiher und am Colonius stehen welche.

Können Sie das Verbot nachvollziehen?

Positiv ist, dass die Anlagen vor dem Verbot errichtet wurden. Wenn irgendwelche Anfänger die Line ohne Baumschutz festzurren, ist das natürlich schlecht. Aber wenn man die Slackline richtig aufbaut, dann verletzt das den Baum auch nicht.

Die Lebensadern eines Baums verlaufen direkt unter der Rinde.

Genau, deshalb sollte man auch möglichst umfangreiche Stämme mit dicker Borke benutzen.

Sie stammen aus Brilon im Sauerland, wo einst Kyrill wütete. Der hat vermutlich mehr Bäume vernichtet als das Slacklinen.

(lacht) Ja, ich weiß eigentlich von keinem einzigen durch den Sport abgestorbenen Baum.

Können sie sich an den Orkan erinnern?

2007 habe ich noch zuhause gewohnt. Ich kam aus der Schule, und auf dem Marktplatz flog gerade der große Weihnachtsbaum um. Gleichzeitig schlug mir auch noch ein umherfliegendes Schild in die Hacken, das mich endgültig verjagte. Danach waren wir alle im Haus, wie eingesperrt.

Und haben gemeinsam gebetet?

Ja ja, bei uns betet man noch.

Haben Sie durch Ihre Herkunft und den Sport ein besonderes Verhältnis zu Bäumen?

Als Outdoorsportler ist man sehr naturverbunden. Wälder mochte ich tatsächlich schon als Kind, und heute sind die Bäume Teil meines Sports.

Kann man Slacklinen schon als internationalen Trendsport bezeichnen?

Ich bin von Anfang an dabei und sehe, dass es sich immer mehr in diese Richtung bewegt. Vor drei Jahren musste ich noch fast jedem erklären, was Slacken überhaupt ist.

Läuft bei Ihren Wettbewerben immer Musik?

Ja, im Hintergrund.

Also ist so ein Vortrag eine Art Kür, wie beim Eiskunstlaufen?

Nicht ganz, denn es gibt keinen festen Ablauf. Man weiß ja nie, wie man wieder auf dem Band landet. Deswegen habe ich zwar Elemente im Kopf, bringe diese aber in spontaner Reihenfolge. Außerdem laufen unsere Turniere als 1 gegen 1-Battle. Das heißt, man reagiert auch auf das, was der Gegner macht.

Sie vollführen auf diesem wackligen, wippenden Band einen einarmigen Handstand. Wie lange haben Sie dafür geübt?

Die Figur kommt aus dem Breakdance, das konnte ich eigentlich einfach so. Und weil ich mich dabei noch drehe, wurde dieser Trick mein Signature Move.

War auch mal Trendsport: Kegeln

Also Ihr Markenzeichen, der sogenannte „Ellicopter“. Sie sind auch die weltweit erste Frau, die einen Front- und Backflip, einen Vorwärts- und Rückwärtssalto landete. Wie ist das mit dem Geschlechterunterschied beim Slacken?

Anfangs konnte ich auch bei den Jungs noch oft gewinnen. Inzwischen hat der Schwierigkeitsgrad der Tricks enorm zugenommen. Ich glaube ohnehin, der große Unterschied zwischen Männern und Frauen ist die Risikobereitschaft.

Männer sind eher bereit, sich notfalls den Hals zu brechen, um Erster zu werden?

Genau. Wobei Slacklinen natürlich auch für Frauen viel mit der Überwindung von Angst zu tun hat.

Apropos Angst: Können Sie sich vorstellen, auf so einem Band über einen Canyon zu balancieren?

Finde ich durchaus reizvoll, mache ich auch ab und zu. Zusammen mit Leuten aus der Kölner Szene, die sich stärker auf Longline und Highline konzentrieren.

Wie überwindet man die Höhenangst?

Wenn man auf das Band geht, ist das ein totaler Blackout-Moment. Was da im Kopf vorgeht, kann ich gar nicht sagen. Man tut einfach, was zu tun ist, und sieht zu, dass man auf der anderen Seite wieder ankommt. Erfahrene Highliner erzählen, dass das irgendwann überhaupt nicht mehr schockt.

Sie studieren Sport, da braucht man zwei Schwerpunkte. Gilt Slacklinen als solcher?

Leider nein. Meinen Master mache ich in Sport- und Bewegungsgerontologie, also Sport mit Älteren. Aber es ist mein Ziel, Slacklinen in die Gerontologie zu integrieren - im Rahmen der Sturzprävention für ältere Menschen. Der Sport motoviert nicht nur zu mehr, er ist eben auch ein tolles Gleichgewichtstraining.

Da könnte man ja vielleicht etwas breitere Bänder verwenden.

Slacklines gibt es nur in 5 cm Breite. Aber die Steigerungen bestehen darin, wie weit oder hoch man das Band spannt und wieviel Hilfestellung man anbietet. Unsere Erfahrungen zeigen, dass Senioren richtig viel Spaß dabei haben. Und das gilt ja nicht für alle Sportgeräte.

Dann könnte man Ihrer Meinung nach zukünftig auch das schulische Reckturnen à la Turnvater Jahn durch Trendsportarten wie Slacken ersetzen?

Ich denke, das wird so kommen. Und hoffe, dass ich meinen Teil dazu beitragen kann.




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