Mittwoch, 16. September 2015

Kölner Interviews (38): Leena Günther, Sprinterin

Leena Günther wurde 1991 in Köln geboren und machte ihr Abitur am Apostelgymnasium. 2002 begann sie mit der Leichtathletik, ihr erster größerer Titel war die Deutsche B-Jugendmeisterschaft 2008 über 100 Meter. Zahlreiche weitere Jugendmeisterschaften folgten. 2012 siegte sie als Startläuferin mit der 4x100 Meter-Staffel bei den Europameisterschaften. Im selben Jahr qualifizierte sie sich für die Olympischen Spiele in London, wo sie, ebenfalls mit der Staffel, einen guten 5. Rang belegte. Nach einer längeren Verletzungspause intensiviert sie zur Zeit ihr Medizinstudium.
Wir sitzen in einem Café im hintersten Braunsfeld. Leena Günther wirkt trotz ihres athletischen Körpers beinahe zierlich. Ihr Getränk heute, für dieses Interview zwischen Schreibtisch und Einkauf: Pfefferminztee.

Foto: Thilo Schmülgen

Sind Sie derzeit Leistungssportlerin oder Medizinstudentin?

Zweiteres. Ich war verletzt, habe ein halbes Jahr nicht trainiert und erstmal mein Studium wieder aufgenommen.

Und wie geht das weiter mit Ihnen?

Das weiß ich noch nicht genau. Momentan sehe ich mich nicht wieder im Leistungssport, aber ich würde jetzt schon gern mein Studium fertig kriegen.

Sie sind 24, steinalt quasi.

Ja, megaalt. (lacht) Und rund drei Unijahre habe ich noch vor mir. Irgendwann hat man genug von Vorlesungen, Klausuren und unbezahlten Praktika.

Was würde es bedeuten, noch einmal sportlich anzugreifen?

Reizvoll wären natürlich die Olympischen Spiele in Rio 2016. Aber da käme sehr viel Arbeit, eine unheimliche Plackerei auf mich zu. Außerdem ist es nicht gerade wahrscheinlich, dass ich nach der Pause innerhalb kurzer Zeit wieder an die Spitze anknüpfen kann.

Die 4x100 Meter-Staffel der Frauen ist bei der gerade vergangenen WM Vierte geworden. Haben Sie die Wettkämpfe verfolgt?

Nur einzelne Highlights. Die Sprint-Endläufe der Männer und Frauen habe ich gesehen, klar.

Bei Fußball-WMs werden immer mal wieder neue Taktiken und Systeme eingeführt. Ist Ihnen auch in Ihrer Disziplin eine Weiterentwicklung aufgefallen?

Im Hundertmeterlauf ist ja nicht viel mit Taktik. (lacht) Da heißt es „Renn, so schnell du kannst.“ Jenseits dessen werden ein paar Psychospielchen betriben.

Als da wären?

Es kommt schon mal drauf an, dass du deinen Gegnerinnen vor dem Start in die Augen siehst: Wer kann länger, wer guckt grimmiger?

Gefallen Ihnen solche Typen wie Usain Bolt?

Der Sport braucht solche Typen. Stars wie Bolt sind gut für die Popularität unserer Sportart.

Aber?

Ich bin halt gar nicht so. (lacht)

Als kölsches Mädchen müssten sie doch ausladende Gesten wie Bolts Siegerpose draufhaben.

Ich habe mich nie so empfunden, aber okay: Vielleicht steckt´s irgendwo in mir drin.

Warum sind Sie eine Leena mit zwei e?

Das ist die schwedische Schreibweise. Wir haben dort Vorfahren, und meine Name soll an sie erinnern.

Wenn Sie heute nochmal klein wären, würden Sie womöglich mit Fußball anfangen.

Fußball ist tatsächlich dominant, aber mein Ding wäre das nicht. Zum einen ist der Frauenfußball nun auch nicht so groß, und zum anderen habe ich überhaupt kein Talent für Ballspiele.

Aber beim Nachlaufen in der Pause haben Sie alle abgehängt?

Ja. Und die Ehrenurkunde bei den Bundesjugendspielen basierte auch immer auf dem Sprintergebnis.

Haben sie zum Laufen auch eine spirituelle Einstellung?

Naja, der Sprint ist halt sehr kurzlebig und weder entspannend noch meditativ. Der lebt vom Adrenalikick, davon, extrem fokussiert zu sein und in ein paar wenigen Sekunden das Maximum abzurufen.

Oder um, wie bei Olympia 1988 der Zehnkämpfer Jürgen Hingsen, nach drei Fehlstarts in der ersten Disziplin disqualifiziert zu werden.

Im Sprint hat man die Fehlstartregelung geändert - mit dem ersten scheidest du aus. Früher wurden Fehlstats gern auch taktisch eingesetzt, um die Konkurrenz zu verunsichern und in ihrer Konzentration zu stören.

Gab es Nationen, die bevorzugt zu solchen Mitteln griffen?

Es waren schon auffällig oft Amerikaner. Die haben einfach eine andere Einstellung zum Sport, da herrscht ein viel stärkeres Konkurrenzdenken.

Leichtathletik hat etwas sehr Archaisches. Für unsere Vorfahren war Laufen, Springen und Speerwerfen lebenswichtig.

Das sind genau deswegen auch olympische Kernsportarten. In diesen Disziplinen haben sich die Menschen schon immer gemessen. Auch Kinder testen früher oder später aus, wer am weitesten werfen oder springen kann.

Im Gegensatz zu etwa Beachvolleyball?

Genau, spiele ich zwar gern, ist aber nur eine ausgedachte Sportart, keine natürliche.

Konnten Sie Ihre natürliche Schnelligkeit schonmal im Alltag brauchen?

(lacht) Höchstens, wenn ich mal der Bahn hinterherrennen muss. An sich bin ich allerdings ein eher fauler Mensch.

„Loal rennt“ ist folglich nicht Ihr Lieblingsfilm?

Da geht es ja nicht um Speed, sondern um Ausdauer. Langlaufen ist für mich die schlimmste vorstellbare Strafe.

2012 wurden Sie Europameisterin mit der Staffel und nahmen an den Olympischen Spielen in London teil. Was war für Sie im Nachhinein das bedeutendere Ereignis?

Schwierig, aber wenn ich mich entscheiden muss: Olympia.

Warum?

Olympia findet nur alle vier Jahre statt, alle Sportarten und Nationen sind versammelt. Man wohnt zusammen in einem Dorf, und die Medien machen einen Riesen-Hype um das Ganze. Jeder Sportler seit den alten Griechen träumt davon, mal an Olympia teilzunehmen.

Wer war der größte Star, dem Sie dort die Hand geschüttelt haben?

Ach, man will ja nicht aufdringlich sein. Außerdem hat das auch mit dem eigenen Stolz zu tun. Wir sind ja alle Sportler, man ist nicht weniger wert, nur weil man weniger Kameras um sich hat. Außerdem wohnen die ganz Großen, wie Bolt, gar nicht mit im Dorf, sondern separat im Hotel.

In London lief Ihre Staffel auf den 5. Rang. Bekommt man da ordentlich Kohle?

Ich habe eine Urkunde bekommen. Und danach auch ein bisschen Geld über die Deutsche Sporthilfe. Reich kann man damit aber nicht werden.

Und deshalb werden Sie jetzt Sportmedizinerin?

Sportmedizin werde ich wohl bleiben lassen. Die Sportmedizin sorgt doch letztlich dafür, dass Leute, die ihren Körper aufs Äußerste strapaziert haben, noch ein paar Schritte weitergehen können. Außerdem habe ich ja schon genug Sport in meinem Leben getrieben, da möchte ich auch mal etwas anderes machen.

Das klingt wie: Sport ist ungesund.

Nicht Freizeit-, aber Leistungssport ist ungesund, definitiv! Zu dieser Erkenntnis hat mir auch der nun halbjährige Abstand verholfen.

Was sind die spezifischen Probleme der Leichtathletik?

Vor allem die orthopädischen Strukturen: Sehnen, Bänder, Gelenke. Viele Kolleginnen haben Rücken-, Fuß- und Kniebeschwerden, die sehr hartnäckig sind.

Nimmt man während so einer Pause vom Leistungssport eigentlich ab oder zu?

Ich habe mich gut gehalten. Meine Muskeln habe ich mir über Jahre antrainiert, so schnell bauen die sich nicht ab.

Sie haben Tee statt beispielsweise Kakao bestellt.

Aber ohne großen Hintergedanken. Ich lebe nicht in Dauerdiät, sondern esse auch gern mal Schokolade.

Welche?

Vollmilch, die Marke ist mir egal. Kann auch ruhig von Aldi sein.


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