Mittwoch, 18. Mai 2011

Thekentänzer (44)

Maik aus Sachsen-Anhalt

Maik ist Ende 40, sieht aber 20 Jahre älter aus. Seine Lippen ein schiefer, kurzer Strich, seine Zähne braune Stumpen und dahinter eine Zunge, die einen fast vollkommen unverständlichen Dialekt intoniert.
„Dahinten, die Bushalte, das Wartehäuschen. Da würd ich meine Finger nicht in den Mülleimer stecken.“
Maik schnappt sich sein Köstritzer und schielt verschwörerisch über den Glasrand. Dann legt er den Handrücken unter die Nase und schnieft.
„Alles voll Spritzen da, ich sags dir. Aber ich kenne die Umschlagplätze von denen. Ich kenne die alle.“
Sein Dorf hat etwa 150 Einwohner, die meisten Häuser stehen leer, DDR eben. Friedlich fließt die Unstrut durchs Land.
„Aber wenn du was sagst, ist klar. Die machen dich kalt, da steckt ne Menge Geld hinter.“
Auf dem Schornstein des Nachbarhauses nistet ein Storchenpaar. Drinnen in der Kneipe läuft den ganzen Tag Storchenfernsehen. Vom Kirchturm aus beobachtet eine Kamera das Geschehen im Nest, der beste Sender der Welt.
„Die kommen seit Neunzehnzweiundsiebzig. Und dann sind die flügge, verstehst du. Springen ausm Nest zum ersten Flug, und britzel und Ende. Hängen die da in den Stromleitungen, hatten wir schon oft.“
Der zweite Storch landet, der andere fliegt los. Ein dickes Auto fährt vorbei.
„20 Jahre alt, nix geleistet im Leben, aber nen nagelneuen BMW: Wie soll das denn gehen? - Na, nur mit dem Dealen, ist doch klar. Was soll ich sagen, seit Mutter tot ist, schlaf ich in der Wohnstube. Was soll ich denn oben mit dem Schlafzimmer? Unten Küche und Wohnstube, das reicht mir völlig. Klar lüfte ich oben, sonst verkommt das Haus ja. Ich geh jeden Tag hoch und lüfte ordentlich durch.“
Maik raucht Selbstgestopfte und ist seit 1991 arbeitslos. Sein Chemiewerk schloss direkt nach der Wende.
„Ich bin ja allein, ich verheize nur Holz. Hol ich ausm Wald, nur was aufm Boden liegt, da sagt der Förster nix. Als Soldat war ich in jedem Puff, wo ich vorbeikam. Also die Nutten damals, wie ich bei der Armee war. Ich sag dir.“
Der Storch sortiert Äste aus dem Nest, nimmt sie in den Schnabel und schleudert sie mit einer ruckartigen Kopfbewegung über die Brüstung.
„Das ist das Weibchen“, sagt Maik, „das ist da oben wie im richtigen Leben: Der Mann kommt immer zuerst, baut dem Weibchen das Nest, und dann schmeißt die alles raus, was ihr nicht passt. Wie im richtigen Leben.“
„Quatsch nicht rum, Kamerad“, sagt der Wirt, als er mit neuen Humpen anrückt. Der BMW röhrt zum vierten, fünften Mal vorbei.
„Für mich gibt’s ja nur Dunkelhaarige. Ne Blonde käm mir gar nicht ins Haus. Auch nicht ne blond gefärbte Dunkelhaarige, die schon erst recht nicht, wo man dann den dreckigen Haaransatz sieht. Aber ich hatte wirklich mal ne Freundin, in Leipzig. Immer wenn in Leipzig Messe war, durfte ich nicht zu der. Da kommen so Onkels, hat die Tochter mir dann mal erzählt, und die streicheln mich hier und da.“
Maik kneift die Lippen noch etwas fester zusammen, genauso die Augen.
„Wo ist das Amt? Hab ich mich da gefragt. Aber ich wusste ja nicht, wo das ist. Das Amt. Und wenn man was sagt, wenn man sich da mal beschwert. Man kennt das ja.“
Maik schweift ab, erzählt vom „Amt“. Dass er schon ans Abwassersystem angeschlossen ist, während Nachbars noch in die Klärgrube kacken. Dass er nur mit Holz heizt und in der Wohnstube schläft. Er wartet, bis der Wirt wieder zapfen geht, blickt ihm hinterher und dreht sich dann jäh um.
„Naja, ich bin dann zu dem Mädchen hin das nächste Mal. Die war ja ganz verschüchtert war die. Also sag ich der: Vor dem Onkel Maik brauchst du keine Angst zu haben. Weil der Onkel Maik macht sowas nicht. Und ich hab ihr auch was Süßes mitgebracht.“


In der DDR


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