Mittwoch, 18. April 2012

Geschichten aus 1111 Nächten (21)

Ein schweigsamer Geselle

Anton hatte keinen einzigen Heller mehr auf der Tasche, mittlerweile war sein Hunger sogar größer als der Durst. Also kramte er seine Angel aus dem Schoppen und setzte sich in Westhoven ans Rheinufer.
„Bitte, lieber heiliger Willy, lass mich doch wenigstens einen verdammten Hering zum Frühstück fangen.“
Stattdessen jedoch – denn der heilige Willy ist ein schwer berechenbarer Zeitgenosse – zog der Anton einen Totenkopf aus dem Wasser. Und Anton, in all seiner Unbedarftheit, fragte den Schädel: „Was führt dich denn an meinen hoffnungslosen Haken?“
Aus den Kieferknochen des Totenkopfs kam hohl eine Antwort: „Das Reden.“
Voller Schrecken jagte der hungrige Angler über die Brücke zu seinem Bürgermeister und erzählte ihm von seiner unglaublichen Begegnung.
„Ein sprechender Totenschädel?“ fragte der Bürgermeister ungläubig. Denn natürlich ging er davon aus, dass der Anton entweder zuviel getrunken oder endgültig seinen Verstand verloren habe.
„Ich warne dich, du alte Saufnase. Wenn du mir Unsinn erzählt hast, dann schlage ich dir den Kopf ab.“
Aber Anton führte den Bürgermeister und sein Gefolge selbstsicher an den Rhein. Dort wiederum, wie sollte es anders sein, weigerte sich der Totenkopf hartnäckig zu sprechen. Anton bettelte, Anton flehte, ja, er sang dem bleichen Gebein gar ein kölsches Liedchen. Allein, es half gar nichts. Der Schädel schwieg wie ein ganz gewöhnlicher Totenkopf.
Also zog der Bürgermeister sein Schwert und schlug dem Anton eigenhändig den Kopf ab. Dann kehrte er mit seinen Dezernenten und sonstigen Bütteln zum Rathaus zurück, um sich dort einen zu genehmigen nach der beschwerlichen Tour auf die andere Seite.
Am Westhovener Rheinufer jedoch fragte der alte den frisch abgeschlagenen Totenkopf:
„Was hat dich denn hierhergeführt?“
„Das Reden“, antwortete Antons Kopf.


Noch ein schweigsamer Geselle

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