Mittwoch, 24. Juli 2013

Interviews (13)

Die FC-Fanclub-Präsidentin: Marlies Jaenicke


Zur Person

Marlies Jaenicke wurde 1955 in Badewitz bei Magdeburg als eines von neun Geschwistern geboren. Nach der Schule arbeitete sie als Putzfrau und gebar fünf Kinder. Nach Köln zog sie 1992 mit ihrem damaligen Lebensgefährten, der 1996 starb. Kurz zuvor hatte Marlies Jaenicke ihren ersten von mehreren Schlaganfällen erlitten. Nach einem Zwischenspiel in den Merheimer Kliniken fand sie ihr neues Zuhause im Longericher Behindertenzentrum Dormagen-Guffanti, das von den Sozialbetrieben Kön (SBK) unterhalten wird.
2008 gehörte Frau Jaenicke zu den Gründungsmitgliedern des IFC Grenzenlos, dem ersten integrativen Fanclub des FC. Bis heute fungiert sie auch als dessen Vorsitzende. Der Verein besteht aus behinderten und nicht behinderten Menschen und ist jederzeit offen für weitere Mitglieder. Einzige Voraussetzung: Man sollte bedingungsloser Fan des 1. FC Köln sein.

Zum Interview hat sich Frau Jaenicke in volle FC-Montur geworfen. Ob T-Shirt, Käppi oder Schal: Überall prangt der Geißbock. Die IFC-Vorsitzende versteht jede Frage auf Anhieb, hat allerdings wegen der Aphasie in Folge mehrerer Schlaganfälle Schwierigkeiten bei der Artikulierung. Deshalb nehmen mit Angela Balzer-Kolberg und der ebenfalls im FC-Shirt erschienenen Angelika Zamboni zwei Betreuerinnen des Dormagen-Guffanti-Heims an unserem Gespräch teil.


BI: Wie viele FC-Spiele haben Sie in der abgelaufenen Saison gesehen?

MJ: Oh, viele. Fast alle.

BI: Was gefällt Ihnen beim Fußball?

MJ: Tore.

Marlies Jaenicke greift hinter sich, holt ihren FC-Schal hervor und schwenkt ihn - Jubel andeutend - in der Luft. Sie ist durchaus fähig, ihren Rollstuhl zu verlassen und ein paar Schritte zu gehen. Dazu aufraffen kann sie sich aber nur in ganz raren Momenten. Zum Beispiel, wenn der FC ein Tor schießt.

BI: Finden Sie, dass der FC gut gespielt hat?

MJ: Nee. Richtig mies war das 1:2 gegen Hertha BSC.

BI: Was muss sich Ihrer Meinung nach ändern?

MJ: Die müssen Tore schießen. Am besten vier in jedem Spiel. (lacht)

Manche Antworten kommen in unserer Runde nur als Puzzle zustande, also im Zusammenspiel mit den Betreuerinnen. Aber während Frau Jaenickes Gedächtnis im direkten Gespräch manchmal nicht anspringt, ist das im Stadion ganz anders. Die Schlachtgesänge der FC-Fans schmettert sie auswendig mit, und am lautesten natürlich die Hymne. Auch längere Gedichte, so Angela Balzer-Kolberg, könne die Bewohnerin problemlos aufsagen.

Angelika Zamboni: Vorne spielen die eigentlich immer gut, aber dann machen die einfach keinen rein.

MJ: Ja genau.

Irgendwann entdeckte die Longericher Heimleitung, dass einige Bewohner große Freude entwickelten, wenn sie Fußballspiele ansahen. Offenbar trug die Atmosphäre im Stadion zum Wohlbefinden ihrer Klienten bei. Speziell Marlies Jaenicke lebte hier auf und entwickelte eine echte Begeisterung für den Sport. In der Folge ergatterte man ein paar der raren Plätze für Rollis und Behinderte. Die Dauerkarten bezahlt die Stiftung selbst, aber der FC kommt dem IFC in vielerlei Hinsicht gern entgegen. Der Fußball bringt ein Stück Normalität, einen gewissen Kontakt zur Außenwelt in das Leben der IFC-Mitglieder. Ein bisschen Taschengeld verdienen sie sich zudem auf dem allmonatlichen Longericher Flohmarkt. Womit? - Mit mit dem Verkauf von FC-Devotionalien natürlich.

BI: Wie kommen Sie mit Ihrem Rollstuhl ins Stadion?

MJ: Mit dem Bus. Wir haben gute Plätze, kriegen Kaffee und was zu essen. Es kommen auch immer Spieler vom FC und begrüßen uns.

Einmal, so erzählt Angela Balzer-Kolberg, sei der Behindertenbus vorm Stadion abgeschleppt worden. Zugegeben, er stand im Parkverbot, aber muss man es immer so genau nehmen? 500 Euro kostete der Spaß, denn zum Abschleppen von Bussen braucht es ein Spezialfahrzeug. Seitdem lässt sie bei Stadionbesuchen ihrer Kollegin Zamboni den Vortritt.

BI: Haben Sie früher selber mal Sport getrieben?

MJ: Nein, nie.

BI: Sie stammen aus Magdeburg. Wissen Sie, wo der dortige 1. FCM zur Zeit spielt?

MJ: Nein, interessiert mich auch nicht.

Klare Antwort. Aber zur Information für alle Fußballinteressierten: Der dreimalige DDR-Meister, siebenfache DDR-Pokalsieger und Gewinner des Europapokals der Pokalsieger 1974 dümpelt zur Zeit in der Regionalliga Nordost herum.

BI: Hatten Sie Ihren Schlaganfall zu DDR-Zeiten?

MJ: Nein, später.

BI: Können Sie sich an Ihren Schlaganfall noch erinnern?

MJ: Nein, ich weiß nichts mehr.

BI: Hatten Sie im Osten einen Job?

MJ: Ich war Putzfrau.

Das letzte ihrer fünf Kinder wurde 1992 geboren und hat die Mutter 2010 ein Mal besucht. Aber auch zu diesem Kind, wie zu den vier anderen, ist jeder Kontakt abgebrochen. Darauf angesprochen, senkt Marlies Jaenicke kurz den Blick, um dann abzuwinken: „Ist egal.“

BI: Haben Sie neben dem Fußball noch andere Hobbys?

Frau Jaenicke zögert zunächst, dann jedoch hellt sich ihr Gesicht auf.

MJ: Malen. Kommen Sie doch mal mit.

Sie wendet zackig ihren Rollstuhl, öffnet die Tür und führt mich in ein anderes Zimmer. Dort weist sie auf zwei bunte Gemälde von ihr, die ein weidendes Pferd und einen aufsteigenden Ballon zeigen. „Warum haben Sie den nicht Rot-Weiß gemalt?“ frage ich mit gespielter Vorwurfsmiene. Und Frau Jaenicke lacht sich scheckig.


BI: Darüber hinaus sind Sie auch in der „Spaßgruppe“ des Heims. Was macht man dort?

MJ: Ausflüge, einkaufen. Manchmal fahren wir nach Dormagen, Hürth, manchmal nach Kalk. Und ins Museum.

BI: Wie gefallen Ihnen die Bilder da. Können die malen, die Leute?

MJ: Ja klar. (lacht lauthals)

BI: Seit vier Jahren gehen die Longericher Heimbewohner außerdem beim Rosenmontagszug mit, unterstützt vom KVB-Verein Pänz vun d´r Päädsbahn. Können Sie, als ehemalige Sachsen-Anhaltinerin, die kölschen Karnevalslieder mitsingen?

MJ: Ja klar! Und Kamelle schmeißen.

BI: Sie sind seit der Gründung des IFC Grenzenlos dessen Vorsitzende. Gibt es Aktivitäten jenseits des Stadions?

MJ: Marlies Siems (die Behindertenbeauftragte des FC, B.I.) ist ganz toll. Mit der grillen wir lecker, und da kommen auch immer ein paar Altstars vom FC.

Bei der Clubgründung 2008 fuhr als Stargast Christoph Daum in Longerich vor. Der damalige FC-Trainer hielt eine kleine Rede, hatte Geschenke mitgebracht und posierte für Erinnerungsfotos, die man noch heute stolz auf der Homepage des Vereins präsentiert.

BI: Und wann wird der FC mal wieder Deutscher Meister?

Marlies Jaenicke weiß auf diese Frage - kein Wunder - zunächst keine Antwort. Die Betreuerinnen offerieren ihr einige Möglichkeiten: 2017, 2019, 2020. Aber dann drücken sie der IFC-Vorsitzenden einen Kuli in die Hand, legen ihr ein Blatt Papier hin, und die Linkshänderin schreibt eine Jahreszahl auf, mit der ich sofort einverstanden bin:

MJ: „2015.“

Als schließlich Fotograf Thilo Schmülgen eintrudelt, weist Marlies Jaenicke mit dem Finger auf ihn und begrüßt ihn lachend. Man kennt sich aus dem Stadion. Beim Foto-Shooting reagiert sie extrem routiniert auf die Wünsche des Fotografen. Über ihren Club sind in den letzten Jahren bereits diverse Artikel erschienen, die IFC-Vorsitzende ist Kameras offenbar gewohnt. Ein echter Medienprofi.


Fotos: Thilo Schmülgen
Nähere Informationen: www.ifc-grenzenlos.de


Wer diese Kolumne zukünftig jeden Mittwoch zugeschickt bekommen möchte, schreibe eine Mail an thekentaenzer@netcologne.de, Stichwort: Die Köln-Kolumne.

Keine Kommentare: