Mittwoch, 3. Juni 2015

Interviews (35)

Marius Jung und das „Handbuch für Negerfreunde“

Marius Jung wurde 1965 in Trier als Sohn eines schwarzen GIs und einer weißen Mutter geboren. Mit sechs Jahren kam er nach Königswinter, in Bonn machte er sein Abitur. Er spielte in freien Theatern, bis er mit Anfang 20 zur Kleinkunst wechselte. Es folgten verschiedene Programme zwischen Kabarett und Comedy, bevor 2013 sein erstes Buch erschien. „Singen könne die alle. Handbuch für Negerfreude“ erregte großes Aufsehen, vor allem weil ein Leipziger StudentInnenausschuss ihn zum Rassisten und Sexisten stempelte, was Spiegel Online sogleich zur Headline machte. Seit März ist Jungszweites Buch auf dem Markt: Moral für Dumme. Das Elend der Politischen Korrektheit.
Marius Jung lebt mit Frau und Kind in Nippes.


Foto: Thilo Schmülgen

Mit einem Minderheitenvertreter über Minderheitenprobleme zu reden, kann heikel werden. Mit Marius Jung ist es hingegen eher lustig und lehrreich. Der Mann hat das alles schon oft genug durchdekliniert, um die richtigen Antworten zu finden.

Ihr Buch „Singen können die alle“ hat Sie bei einigen Menschen zum Rassisten gemacht. Wieso?

Der Untertitel „Handbuch für Negerfreunde“ löste einen Pawlowschen Reflex aus: Neger gleich Rassismus. Dass es sich um ein satirisches und antirassistisches Buch handelt, drang dann nicht mehr durch. Für den Verkauf war das natürlich hervoragend.

War dieser Untertitel ursprünglich lustig-albern oder direkt provokant gemeint?

Zweiteres. Dieser Spruch hat sein Ziel haargenau erreicht.

Sind jene Leipziger Studenten, die Ihnen in Verkennung der Satire einen „Rassismus-Preis“ verliehen haben, in Ihren Augen „Negerfreunde“?

Nein, offensichtlich nicht. Was da passiert ist, halte ich für Rassismus, wenn er auch nicht gewollt war. Diese Leute maßen sich an mir zu sagen, was mich stören oder verletzen sollte.

Was ist gut gemeinter Rassismus?

Der passiert, wenn man helfen möchte, aber dabei bevormundet. Dabei geht es in erster Linie nicht um die Bedürfnisse des anderen, sondern darum, die eigene Sichtweise durchzusetzen.

Geben Sie doch mal ein Beispiel aus dem Alltag.

Auf dem Cover von „Singen können die alle“ ist ein nackter Mann abgebildet – der Körper ist übrigens echt, ich weiß nur nicht, wem er gehört ... (lacht)

Das Cover zeigt Marius Jungs Kopf auf einem gestählten schwarzen Körper, um dessen Hüfte eine rote Geschenkschleife gebunden ist.

... und der Leipziger StudentInnenrat nannte das „sexistisch“. Ich würde mich da selbst zum Objekt machen, hieß es. Damit wird über mich bestimmt, und damit wird auch klar, dass da jemand keinen Schimmer von Satire und Ironie hat.

Wenn denn mal eine Zuschreibung nötig ist : Bezeichnen Sie sich als Schwarzen oder Afrodeutschen?

Ich benutze das Wort „Schwarzer“.

Afrodeutscher fand ich immer ein bisschen hilflos, denn man sieht Schwarzen das Deutsche nicht an. Sie könnten ja auch Afrobelgier sein.

Genau. Im übrigen bin ich natürlich in erster Linie Deutscher, genau wie die vielen Nachkommen von eingewanderten Türken, Italienern, Griechen für mich vor allem Deutsche sind. Ich habe noch nie woanders gelebt als in Deutschland.

Die Homosexuellen haben sich das Wort „schwul“ zurückerobert. Kann man demgegenüber mit „Neger“ noch irgendwie arbeiten?

Nein, das ist der vergiftete Apfel. „Neger“ war nie ein positiv besetztes Wort, das ist von Weißen geprägt worden für versklavte Menschen. Man kann das – zum Beispiel auf der Bühne – noch spielerisch, aber nicht mehr ernsthaft benutzen.

Haben in entsprechenden Minderheiten-Diskussionen jeweils die Schwarzen, die Schwulen, die Behinderten usw. die Deutungshoheit?

Sollten sie, ja. Wobei jeder einzelne die Deutungshoheit in dem Moment innehat, wo er ein Wort benutzt. Eigentlich ist es gar nicht so schwer, die richtigen Worte zu finden. Dafür muss man nur vernünftig über Respekt nachdenken. Wenn man respektvoll mit seinen Mitmenschen umgeht, sind Benennungen sekundär.

Wenn ein Schwuler einen Schwulenwitz erzählt und wenn dies ein Hetero tut: Was ist der Unterschied?

Tut es der Schwule, spielt Selbstironie mit, ganz wichtig. Und das macht es auch einfacher füßr den Zuhörer, er weiß: Ich darf lachen. Darüber spreche ich am Anfang meines Kabarettprogramms immer ausführlich mit den Zuschauern. Unter anderem erkläre ich ihnen, dass sie im Zweifelsfall gern auch „Hoho“-Lachen dürfen, wenn sie sich damit besser fühlen.

Man kann auf verschiedene Art, aus verschiedenen Gründen lachen.

Lachen muss zum Beispiel nicht bedeuten, dass man etwas befürwortet. Ein Lachen kann den Weg frei machen, um danach einmal neu über eine Sache nachzudenken. Am liebsten sind mir die Gäste, die mir schreiben, sie hätten viel gelacht, aber danach sei es ihnen im Halse stecken geblieben.

Ihr neues Buch spricht im Untertitel vom „Elend der Politischen Korrektheit“. Was ist das Elend?

Ich teile die Ziele, aber nicht den Ansatz der Politisch Korrekten. Ich glaube, da sind noch die alten 68er am Werk, die sich nach ihrem weitgehenden Scheitern neue Felder suchen. Etwa indem sie Umgangsformen zu definieren suchen mithilfe von Wortungetümen wie dem von den „Menschen mit Migrationshintergrund ohne eigene Migrationserfahrung“.

Klingt stark nach Behördendeutsch.

Ist es ja zum Teil auch. Schilder, Broschüren, Gesetzestexte wurden geändert – für diese ach so heilbringende, politsch korrekte Sprache sind in den letzten Jahren Millionen ausgegeben worden.

Wie rassistisch ist es, mit einem dunkelhäutigen Comedian bis zu diesem Punkt nur über Hautfarben geredet zu haben?

Gar nicht, ich mache das schließlich in meinen Büchern und meinem Programm selbst zum Thema.

Mancher verkauft seine Haut, Sie Ihre Hautfarbe?

So kann man das sagen, und ich denke, es ist besser, die Hautfarbe als die Haut zu verkaufen.

Sie wurden in Trier geboren. Kennen Sie Ihren Vater, den schwarzen, amerikanischen GI?

Er ist inzwischen tot, und ich habe ihn nur ein Mal getroffen. Ohne ihm vorher bescheid zu sagen, habe ich ihn in Chicago besucht. Für mich war das wichtig, um mit diesem Kapitel abzuschließen.

Sie haben damit abgeschlossen?

Ich bin mit zwei weißen Eltern aufgewachsen, mit meiner leiblichen Mutter und meinem sozialen Vater. Und dieser Mann war für mich mein Leben lang immer da.

Mit Ende 20 sind Sie nach Köln gezogen. Wieso?

Ursprünglich wegen meiner damaligen Freundin. Als die Beziehung zuende war, habe ich gemerkt, dass ich nicht nur die Frau, sondern auch die Stadt vermisse.

Was vermisst man an Köln?

Köln ist eine Millionenstadt und dennoch ein Dorf. Ich komme vom Land und wohne seit 20 Jahren in Nippes. Das ist mein Dorf. Hier fühle ich mich wohl.

Wann sind sie in Köln richtig angekommen?

Als ich nicht mehr in den Chor derer eingestimmt habe, die Köln hässlich finden.



Wer diese Kolumne zukünftig jeden Mittwoch zugeschickt bekommen möchte, schreibe eine Mail an thekentaenzer@netcologne.de, Stichwort: Die Köln-Kolumne.
 

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