Mittwoch, 8. Juni 2016

Kölner Gespräche (51): Xaõ Seffcheque, Ur-Punk

Xaõ Seffcheque wurde 1956 in Graz geboren. 1977 zog er nach Düsseldorf und wurde einer der führenden Köpfe der damals aufkommenden deutschen Punkszene. Zusammen mit Peter Hein (u.a. Fehlfarben) gründete er die Band Family Five, deren neue Platte „Was zählt“ im Juli erscheint. 2001 zog er von Düsseldorf nach Köln. Er schrieb für Sounds und Spex, moderierte beim WDR und gab Seminare an Filmhochschulen. Inzwischen schreibt er auch Drehbücher (z.B. „Die Kleinen und die Bösen“, Kinofim 2014 u.a. mit Christoph Maria Herbst und Anne Kim Sarnau).
Xaõ Seffcheque wohnt mit Frau und Sohn in Weiß.

Die Sonne scheint, als ich den deutschen Ur-Punk treffe. Der Schirm seiner Kappe steht sehr hoch, aber als er kurz den Kopf senkt, erkenne ich den Aufnäher dahinter: Es ist das Wappen von Fortuna Düsseldorf.




Sie haben 23 Jahre Düsseldorf und mittlerweile 16 in Köln hinter sich. Können Sie als gebürtiger Grazer mit der K-D-Rivalität etwas anfangen?

Ich glaube, Köln zelebriert das stärker. Wahrscheinlich weil die Stadt nach dem Krieg zu kurz kam und weder Bundes- noch Landeshauptstadt wurde. Außer dem Erzbischof gibt´s hier nichts. Gleichzeitig ist Düsseldorf zum Teil genau die Schnöselstadt, als die sie dasteht. Unter dem rheinischen Aspekt wiederum ähneln sich die beiden Städte mehr, als sie zugeben wollen.

Früher konnte man sich mit Düsseldorf im Fußball messen.

Ja, aber Düsseldorf hat nachgelassen, noch stärker als der FC. Ich hätte nichts gegen neue Kölner Erfolge, vor allem weil da mein alter Kumpel Jörg Schmadtke dabei ist.

In einer Punkband mit ihm haben Sie vermutlich nicht gespielt.

Nein, aber einige Jahre in einer Hobbykickermannschaft. Nach seiner Karriere hatte er nach einer weniger anstrengenden Alternative gesucht, und dann ist er bei unserer ambitionierten Bunte-Liga-Truppe Pink-Punk als übrigens exzellenter Mittelfeldspieler eingestiegen.

Sie kamen 1977 nach Düsseldorf, ins Zentrum des deutschen Punk. Wie sah Ihre heimatliche Grazer Szene damals aus?

Es gab viele Existenzialisten und Freaks, nicht zuletzt wegen der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst dort. Einige von denen wurden später Punks, aber 1977 hatte man da in Graz noch absolut nichts von gehört. Da regierte eher der Free Jazz.

Wie stießen Sie auf diese neue Musikrichtung?

Als der erste Mensch mit einer Platte der Ramones ankam, wollte ich das erst nicht glauben. Nach einem Song dachte ich, guter Witz, kann man mal machen. Aber dann merkte ich, dieser Sound ist das Konzept: Zwei Akkorde reichen für einen Song vollkommen aus, erzähl niemandem ohne Not, wenn du einen dritten spielen kannst.

Beim Zappen durch Ihre Youtube-Videos kam ich über Fehlfarben und Bauhaus bis zu den Virgin Prunes. Ein wilder Bogen, oder?

Hui. Also Fehlfarben ist klar, Peter Hein singt ja auch in meiner Band Familiy Five. In der Musikzeitschrift Sounds habe ich mal einen großen Konzertbericht über Bauhaus geschrieben. Und die Virgin Prunes mochte ich sehr, wie überhaupt die ganze Plattenfirma Rough Trade.

In Düsseldorf stiegen Sie zunächst bei Padlt Noidlt ein, dem Jazz-Dada-Projekt von Frank Köllges und Michael Jansen.

... und damals vor allem noch mit Mike Hentz. Mein Problem war allerdings, dass ich eigentlich viel zu schlecht war. Mein Repertoire an Gitarrengriffen hörte bei A6 auf, und 1978 war ich schon wieder raus.

In welchem Verhältnis steht Dada zu Punk?

Dada konzentrierte sich vor allem auf die Literatur und die Bildende Kunst. Punk war der erste Dadaismus in der Populärmusik. Es ging um die Auflösung überkommener Formen zugunsten von etwas Neuem. „No more heroes anymore“ hieß die Parole.

Und Gitarrensolos waren ab sofort verboten.

Genau. Später entwickelten sich natürlich aus dieser Anti-Star-Bewegung wieder neue Stars, das ist nicht zu vermeiden.

Wo steht John Lydon in dieser Entwicklung, der Sänger der Sex Pistols?

Hat gerade seine zweite, sehr unterhaltsame Autobiografie geschrieben. Ich stand mehr auf The Clash, aber Lydon ist tatsächlich eine, vielleicht DIE Symbolfigur des Punk. Und er ist der Idee bis heute ziemlich treu geblieben. Auf seine Weise.

1981 haben Sie einen Sampler mit Songs der deutschen Szene von der Plan über DAF bis Kraftwerk veröffentlicht. In Wirklichkeit waren alle Lieder von Ihnen. War das auch eine Dada-Aktion, oder wollten Sie nur berühmt werden?

Das war tatsächlich meine bestverkaufte Platte, aber damit konnte ich nicht rechnen. Es ging darum, den Originalitätsgedanken in der Kunst zu karikieren: Seht her, das klingt wie Kraftwerk, ist aber von Xao Seffcheque. Die Jungs von Kraftwerk waren übrigens anfangs sauer auf mich, haben die Idee dann aber verstanden und für gut befunden. So entkam ich einer Klage.

Die Kopie als Kunstgriff?

Das war mein Gedanke, , auch wenn es eher „originalklangnahe Interpretationen“ waren. Es kam dann bald darauf allerdings noch viel schlimmer: Die Neue Deutsche Welle brach los, der Ausverkauf des Punk. Den wollte ich auf diese Weise antizipieren.

Kann man eine weitere Entwicklungslinie von Punkbands wie DAF (Deutsch-Amerikanische Freundschaft) über Joachim Witt zu Rammstein und den Böhsen Onkelz ziehen?

Ja, kann man. Jede starke erste Idee spaltet sich auf, genau wie bei Religionen. Die Rezeption und deren Rückkopplung auf die Kunst tun das Ihrige, und plötzlich erlebt man seltsame Werteveränderungen. Die Punks haben mit „Rotfront“ genauso wie mit „Heil Hitler“ gespielt.

Gespielt!

Eben. Bei manchen Minderbemittelten wurde ernst daraus. Bei den Nazibands ist die ursprüngliche Haltung des Punk verschwunden, und sie haben in die bloße Form ihren eigenen Kram gebacken. In eine Backform passt der Guglhupfteig genauso wie die Blutpastete.

Warum ist der deutsche Punk ausgerechnet in Düsseldorf großgeworden?

Zufall ist bekanntlich der Schnittpunkt zweier Notwendigkeiten, und so war es auch hier. Die richtigen Menschen waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Wir waren alle noch sehr jung, mit der Kunstakademie gab es eine gute Brutstätte. Und mit dem Ratinger Hof eine Kneipe mit sehr aufgeschlossener Wirtin.

Der Ruf des Ratinger Hofs ist legendär. Wie würden Sie den Laden heutigen Jugendlichen beschreiben?

Ein Wasserloch, an dem all die verschiedenen Tiere zum Saufen kamen. Die sensationellste Mischung aus neonbeleuchteter Bahnhofshalle und Bierkiosk mit guter Musik, die ich jemals erlebt habe.

Düsseldorf hatte Fehlfarben, Köln hatte BAP?

Dem gibt es eigentlich nichts hinzuzufügen. (lacht)

Aber?

Wie Düsseldorf Kraftwerk hatte, gab es in Köln Can – beides große Bands, die auch von Punks irgendwie respektiert wurden. Auch Niedeckens Vorliebe für Dylan haben wir geteilt. Dass BAP für uns damals extrem verschnarcht war, lag vor allem an deren Rockismus. Und die Stones, um noch eine Stufe höher zu gehen, waren der Klassenfeind.

Peter Hein wurde als Sänger der Fehlfarben berühmt. Sie beide haben mit Family Five aber auch eine Band, die nun 35 Jahre existiert.

Und die gerade wieder eine Platte gemacht hat. Peter lebt seit zehn Jahren in Wien, das ist ein humorvoller Mensch und toller Texter, mit dem man gut streiten und danach essen gehen kann.

Sie sind kürzlich 60 geworden. Wie war´s?

Tja, komisch. Ich glaube, vor allem für die anderen verändert sich durch solche Zahlen etwas. Ich selbst fühle mich noch immer wie früher. Beim Fußball laufe ich allerdings keinem 22-Jährigen mehr hinterher, das fällt schon auf. Da stell ich mich lieber nach vorne und warte, bis der Ball kommt. Und mehr trinken konnte ich auch, als ich jünger war.

Ich kann noch genauso viel trinken, leide aber länger.

So kann man´s auch ausdrücken: Die Rekonvaleszenzzeit streckt sich.

ZK, die Vorläuferband der Toten Hosen, sang „Dosenbier wollen wir“.

Das war gelogen. (lacht) Für mich war das Biertrinken ohnehin nur Attitüde, als Grazer stehe ich mehr auf Wein. Aber du konntest nicht irgendwo Pogo tanzen und dann an der Theke einen Chablis bestellen.

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