Mittwoch, 21. März 2012

Interviews (2)

Der Flönz-Meister

Die kölsche Blootwoosch ist ein Mythos. Wer ihm auf die Spur kommen will, muss den Ehrenfelder Metzger Karlheinz Froitzheim besuchen. Denn dieser Mann ist sechsfacher Preisträger eines traditionsreichen Wettbewerbs namens: „Die beste Flönz“. Heute ist der Laden an der Landmannstraße geschlossen, aber der Meister arbeitet natürlich trotzdem. „Hoffentlich schmeckt der Kaffee“, sagt er, „die Maschine ist neu.“ Auf dem Tisch der kleinen Küche liegen die Kippen bereit, es kann losgehen.


Warum ist Flönz nicht das gleiche wie Blutwurst?

Die Blutwurst ist ein Produkt der alten Hausschlachtungen, und mit Flönz bezeichnet man halt die rheinische Variante. Der Rheinländer hat seine Blutwurst lieber ein bisschen knackiger.

(Karlheinz Froitzheim bleibt auch im Hochdeutschen immer als Kölner erkennbar. Das Wort Flönz spricht er mit einem sehr geschlossenen, ins ü gleitenden ö aus. So klingt es noch knackiger.)


Unsere Flönz ist tatsächlich fester als anderswo?

Ja, die muss so richtig mangs sein, verstehen Sie? Die Flönz ist heute eine kölsche Spezialität, da kommt es enorm auf die Abstimmung an. Nehmen Sie etwa den Speck, der sollte vom Rücken des Schweins kommen. Kammspeck hingegen ist eher schmalzig.


In England isst man Black Pudding, ein ziemlich gewöhnungsbedürftiges Zeug.

Genau, in Irland tun sie noch Schafskäse dazu und mehr… wie etwa Grütze. Auch in Süddeutschland ist die Blutwurst fast schwarz, die wird da geräuchert.

Ich habe es so gelernt, dass die Flönz immer die Arme-Leute-Wurst war.

Klar, früher war auch Mettwurst mit Grünkohl ein preiswertes Essen. Aber sehen Sie sich heute mal die Speisekarten an, auch von den schickeren Restaurants. Da sind diese alten Sachen inzwischen sehr populär, weil sie schmackhaft und nahrreich sind.


Auch die Flönz-Herstellung scheint eine Kunst für sich zu sein.

Durchaus, bei der Verarbeitung spielt sogar das Wetter eine Rolle. Im Sommer ist es viel einfacher.

Wieso das?

Weil das Blut und die übrigen Zutaten dann nicht so schnell erkalten. Im Kutter (von englisch to cut = schneiden, große Schüssel zum Schneiden und Vermengen der Ingredienzien, B.I.) brauchen Sie eine Temperatur von 35 bis 55 Grad. Die Masse soll ja emulgieren, also sich schön vermengen.

Kann man so etwas nicht per Computer steuern?

In einem Industriebetrieb könnten sogar Sie die Wurst machen. Da tun Sie einfach, was die Maschine Ihnen sagt: „Jetzt Kräuter beigeben!“ Aber das hier ist ein Handwerksbetrieb. Für gute Wurst brauchen Sie Fingerspitzengefühl, genau wie für einen guten Kuchen zuhause.


Und darüber hinaus?

Ich kann nur etwas Gutes herstellen, wenn ich gutes Ausgangsmaterial habe. Deshalb fahre ich jeden Tag zum Schlachthof, da bekomme ich alles frisch. Und wo Sie Frisches reintun, kommt auch Frisches raus.

Und wie wird aus den ganzen Zutaten ein Flönzring?

Wichtig ist, dass bei der Wurstherstellung eine Einheit entsteht. Das soll schließlich alles appetitlich aussehen. Der Speck wird zum Beispiel kurz mit 90-Grad-Wasser überbrüht, damit er sich danach nicht vom Blut rot verfärbt.


Bei 90 Grad schließen sich die Speckporen?

(lacht) So ungefähr, der muss schneeweiß bleiben, und nach dem Kochen muss man den flitschen können.

(Froitzheim unterstützt diesen Satz mit einem Fingerschnicken. Ohnehin arbeitet er beim Reden stark mit Händen und Armen - da spricht der engagierte Handwerker, immer voll bei der Sache.)

Ich nehme an, da hat jeder Metzger seine kleinen Geheimnisse. Liegen die vor allem im Bereich der Gewürze?

Es gibt zunächst mal bundesweit verbindliche Leitsätze bezüglich der Zutaten. Ich darf da nicht reintun, was ich will. Metzgereien werden schärfer kontrolliert als Krankenhäuser, das muss auch so sein.Und weil ich keine chemischen Zaubermittelchen benutze, ist die Gewürzabstimmung natürlich sehr wichtig. Auf jeden Fall brauchen Sie Salz, Pfeffer, Thymian, Majoran, ein bisschen Muskatblüte, Nelke und Kardamon.

Klingt nach einem edlen Blutcocktail.

Gerade Kardamom ist unheimlich gefährlich. Der macht pro Kilo nur 0,05 Gramm aus, wenn Sie davon ein bisschen zuviel reintun, haben Sie alles verwürzt. Und so lernt jeder Metzger über die Jahre dazu und entwickelt seine eigene Mischung.


Sie sind nun seit über 30 Jahren Fleischer. Haben Sie schon als Kind davon geträumt, Bäuche aufzuschlitzen?

Wissen Sie, ich bin in einer Metzgersfamilie aufgewachsen, und für mich war immer klar, dass ich auch Metzger werde. Als ich von der Schule ging, sollte man noch einen zweiten Berufswunsch fürs Zeugnis angeben, aber das konnte ich gar nicht. Im übrigen ist das ja auch ein sehr kreativer Beruf.

Inwiefern?

Ich haben einen Rohstoff und mache daraus ein edles, schmackhaftes Produkt, das den Kunden gefällt.

Sie sind 2011 zum sechsten Mal Sieger des Wettbewerbs „Beste Flönz“ geworden.

Ja, das gab es noch nie. Und selbstverständlich wissen die Juroren nicht, von wem die Wurst jeweils stammt.


Die haben über 300 Flönze verköstigt, das scheint ein richtig harter Job zu sein.

Naja, das sind ja mehrere. Die Ergebnisse entstehen in der Summe der Kriterien Geruch, Biss, Geschmack und Konsistenz. Ab einer gewissen Punktzahl bekommt man eine Goldmedaille, aber auch unter den Preisträgern wird dann nochmal der Beste gekürt.

Wie wirkt sich dieser Erfolg auf Ihr Geschäft aus?

Ich muss auf jeden Fall mehr machen, allein diese Woche kamen Leute aus Leverkusen, Düsseldorf und Bochem hier vorbei. Ich verschicke unsere Flönz sogar an ein Gourmetrestaurant in Norddeutschland, für die Leute dort ist eine rheinische Blutwurst was ganz Besonderes. Aber diese Verschickung kann ich natürlich nicht endlos ausdehnen.


Weil Ihre Flönz ein Verfallsdatum hat.

Richtig, da sind keinerlei Frischhaltemittel drin. Meiner Meinung nach beeinträchtigt jeder Zusatzstoff den Geschmack, und das will ich nicht.

Im Discounter bekommt man einen Flönzring für ein bisschen Kleingeld. Was sollte ein guter kosten?

Bei mir kostet das Kilo 9,90 Euro, das heißt, den Ring kriegen Sie für rund 8 Euro. Aber da ist dann auch noch gutes Fleisch drin, und ich mache die dreimal die Woche frisch. Mit Supermärkten kann und will ich nicht konkurrieren.

Kleiner Schnitt, wenn auch nicht mit dem Messer: Wer sind die Kölner Fleischersänger?

Die Fleischersänger von 1902 e.V. (lacht)! Die wollten mich auch schon haben.

(Ein schönes Zitat aus der Fleischersänger-Satzung: „Man muss kein Metzger sein, um bei uns mitzusingen, doch sollte man Fleisch und Wurst essen und diese im Fleischer-Fachgeschäft kaufen.“)

Sie sind doch in einem entsprechenden Gremium, oder?

Ja, ich bin mit im Vorstand der Kölner Fleischer-Innung, zu der der Chor gehört. Der singt gern auch auf Karnevalssitzungen.

Und Sie, mit Ihrer Marlboro-geschwängerten Stimme, sind nicht dabei?

Glauben Sie mir, ich kann nicht singen. Und außerdem sag ich mal, ich bin auch noch ein bisschen jung dafür. Die Jungs sind alle schon in einem gewissen Alter.

Gibt es eine volkstümliche Tradition von Metzgersliedern? So Songs über Koteletts und Wildschweinbraten?

Da weiß ich jetzt nichts von, da müssten Sie mal die Fleischersänger direkt fragen.

So etwas wie „Blootwoosch, Kölsch un e lecker Mädche“ kann doch eigentlich nur von einem Fleischer geschrieben worden sein.

(lacht) Das können die Jungs jedenfalls aus dem Eff-Eff singen!

Der Karneval naht schon wieder. Könnte man vor dem Ausgehen statt Muuzemandeln nicht auch Flönz essen?

Nein, denn da fehlt der Fettgehalt! Die fetteste Wurst ist die Teewurst, Flönz kann da nicht mithalten. Andererseits passt Blutwurst schon gut zum Winter: etwas „schwerere“ Kost halt, so wie Leber- oder auch Zungenwurst.

Was wäre denn im Gegenteil leichte Wurst?

Im Sommer verkaufe ich eher Fleischwurst oder Sülze. Sie kennen das doch selbst: Wer hat schon bei 30 Grad im Schatten Lust auf Schweinebraten? Da essen Sie doch eher ein leichtes Salätchen.

Und wie essen Sie persönlich Ihre Flönz am liebsten?

Roh, mit Zwiebelchen und Senf auf einem Brötchen.

(Nach dem Interview verschwindet der Meister im Kühlraum und kommt mit einer seiner preisgekrönten Flönze zurück. Darf man solch ein Geschenk als unabhängiger Journalist überhaupt annehmen? - Egal, das Teil riecht einfach zu gut.)

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Zur Person

Karlheinz Froitzheim, geboren 1964, wuchs in Ehrenfeld auf. Nach der Fachoberschulreife absolvierte er eine Metgerlehre, brachte es 1987 zum Meister und arbeitete bis 1991 mit im Geschäft seiner Eltern in Vogelsang. Ein anderer Vorfahr von Frotzheim hat es sogar zum Kölner Erzbischof gebracht hatte: Philipp Krementz lebte von 1819 bis ´99.
Nach der Meisterprüfung 1987 und einer Wander- und Lernzeit durch verschiedene Metzgereien feierte er im Jahr 2000 die Eröffnung des eigenen Ladens in der Landmannstraße 36 in Ehrenfeld. Seither gewann Froitzheim sechs Mal den Wettbewerb zur Besten Flönz des Jahres.


Wer diese Kolumne zukünftig jeden Mittwoch zugeschickt bekommen möchte, schreibe eine Mail an thekentaenzer@netcologne.de, Stichwort: Die Köln-Kolumne.

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